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Das Bekenntnis Hans Freiherrn v. Hammersteins

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Mit Hans Freiherrn von Hammerstein, der am 9. August 1947 in seiner oberösterreichischen Heimat, in Micheldorf an der Krems, gestorben ist, schied eine der edelsten und liebenswürdigsten österreichischen Dichtergestalten aus dem Kreise der Lebenden. In seiner letzten größeren, noch nicht veröffentlichten Arbeit, die die geistige Geschichte der letzten hundert Jahre des deutschen Volkes behandelte, schüttet er den ganzen bitteren Schmerz seiner Seele über das Erlebnis der Gegenwart aus, und als ob er uns ein feierliches Vermächtnis hinterlassen wollte, erhebt es sich darin zu einem ergreifenden Bekenntnis eines Glaubens und seiner Zuversicht auf den, der in aller Dunkelheit und Not „der Weg, die Wahrheit und das Leben is t“.Aus dieser Schrift des literarischen Nachlasses Hammersteins sei hier ein charakteristisches Bruchstück wiedergegeben. „Die Furche

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Mit Hans Freiherrn von Hammerstein, der am 9. August 1947 in seiner oberösterreichischen Heimat, in Micheldorf an der Krems, gestorben ist, schied eine der edelsten und liebenswürdigsten österreichischen Dichtergestalten aus dem Kreise der Lebenden. In seiner letzten größeren, noch nicht veröffentlichten Arbeit, die die geistige Geschichte der letzten hundert Jahre des deutschen Volkes behandelte, schüttet er den ganzen bitteren Schmerz seiner Seele über das Erlebnis der Gegenwart aus, und als ob er uns ein feierliches Vermächtnis hinterlassen wollte, erhebt es sich darin zu einem ergreifenden Bekenntnis eines Glaubens und seiner Zuversicht auf den, der in aller Dunkelheit und Not „der Weg, die Wahrheit und das Leben is t“.Aus dieser Schrift des literarischen Nachlasses Hammersteins sei hier ein charakteristisches Bruchstück wiedergegeben. „Die Furche

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Der Weg, den das deutsche Volk in knapp hundert Jahren gegangen ist und der unbegreiflich bliebe, wenn man nicht eine innere Wandlung seines Wesens annimmt, macht uns deutlich, daß wir in Goethe keinen Anfang einer Höherentwicklung, sondern den Endpunkt einer Höchstentwicklung zu erblicken haben, den Gipfel, von dem ein allmählicher Abstieg bis zu jähem Absturz erfolgte; von Goethe, der in einem weltumfassenden Werk des Wortes sich nicht ein einzigesmal „groß“ nannte, bis zu Adolf Hitler, der sich „den größten Deutschen aller Zeiten“ nennen ließ und nannte!

Nach Goethe ist „höchstes Glück der Erdenkinder... nur die Persönlichkeit“. Unter Persönlichkeit verstand Goethe eine zwar naturgegebene Anlage, die aber auch durch ernstes Streben, durch „Tüchtigkeit“, wo nicht zu erwerben, so doch fortzubilden und zu vollenden ist. Vom Künstler verlangt er „persönliche Großheit“, vom Schriftsteller insbesondere „persönlichen Charakter“, und dieser bringe seine Bedeutung beim Publikum hervor, „nicht die Künste seines Talentes''. Eine Bemerkung übrigens, die die „Künste“ so mancher neuerer Schriftsteller und Dichter — und überhaupt vielleicht der modernen Kunst —, die wir so oft als ein zwar hübsches oder auch nur sonderbares, doch im Grunde bedeutungsloses und eitles Spiel empfinden — in eindringliche Beleuchtung rückt.

Wie sich Goethe aber die Persönlichkeit als „höchstes Glück der Erdenkinder“ und was er sich darunter dachte, bleibt unerklärt. Vielleicht ist es ein Teil unserer Schuld, daß wir mit Goethe Vergötterung, ja Vergötzung trieben. „Mehr Goethe!“, rief, sein angeblich letztes Wort „Mehr Licht!“ schier frevelhaft schon ausdeutend, das beginnende 20. Jahrhundert; dasselbe, das zu Beginn seines zweiten Viertels schon „Heil Hitler!“ schrie... Sollte uns dieser furchtbare Absturz, diese Katastrophe des deutschen Geistes, diese seine „Kapitulation“ vor der Massendummheit nicht schreckhaft klar machen, daß wir uns auf falschem Wege befanden und daß Goethe nicht der Weg ist, um uns höher zu entwickeln oder auch nur auf der Höhe zu erhalten? Sagt nicht Thomas a Kempis, die Weisheit und die Werke dieser Welt seien „wie in den Tod getaucht“? Ein Wort, dessen Bedeutung uns, die wir mitten durch die kalten Schatten, Schauer und Schrecken des Todes gegangen sind, fast mit den Sinnen wahrnehmbar nahe kam.

Die echte Personlichkeit ist nach einem Worte Eckermanns „anlockend“ und verführt, ihr „nachzustreben“. Doch es gehört zum Geheimnis der Persönlichkeit, daß sie unnachahmlich ist.

Eine Persönlichkeit aber gab und gibt es, die ausnahmsweise selbst aufforderte, ihr nachzustreben, nachzufolgen. Ja, sie 'verpflichtete den Menschen ausdrücklich, ihr nachzufolgen, und machte davon nicht nur das „Glück der Erdenkinder“, sondern ein viel höheres, wichtigeres, für ihn endgültig entscheidendes abhängig: Niemand anderer als Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der zur Welt kam, um sie zu erlösen. Wer an ihn glaubt, dem müßte ich nichts weiter erklären, wer nicht glaubt, den zu überzeugen ist nicht meines Amtes. Ich kann nur sagen, daß mir dieser Glaube an ihn angeboren und anerzogen ist, daß ich in ihm gelebt und ihn nie ganz verlassen habe, wenn er mir auch zeitweise durch eigene Schuld verdunkelt war, und daß er mir durch das allgemein e Erlebnis dieser Zeit wie durch das persönliche, das mich in medio umbrae mortis führte, zur unerschütterlichen Oberzeugung geworden ist, sofern das noch nötig gewesen wäre. Und wie mir ist es vielen Tausenden ergangen, die das gleiche und Schlimmeres erlebt haben.

Jesus Christus ist das Vorbild menschlicher Persönlichkeit schlechthin, in jedem Augenblick seines Lebens, Sterbens und seiner Auferstehung, jedem anderen Menschen, ob hoch, ob nieder, ob arm oder reich und mächtig, Freund oder Feind gegenüber, in jeder Lage, handelnd* redend,leidend, immer er selbst, freilich auch immer zugleich Mensch und Gott. Er ist wahrhaft das Ewig-Menschliche in der sanften Macht seiner alles gewinnenden Anziehung, in seiner alles, selbst die Sünde umfassenden barmherzigen Liebe und Gerechtigkeit und stets von königlicher Erhabenheit und Unnahbarkeit dabei. Das unbedingt Schlichte und Natürliche, die absolute Einfachheit, Klarheit und Wahrheit seiner Person lädt zur Nachfolge, zur Nachahmung ein und läßt sie leicht und einfach erscheinen. Doch wer es versucht, ihm auch nur einen Schritt nachzutun, fühlt sogleich, daß es das Schwerste ist, was der Mensch sich vornehmen kann.

Von Goethe, ja von Hitler zu Christus? Da schüttelt wohl mancher, vielleicht sogar mancher sonst nicht Ungläubige, den Kopf. Ich könnte für den Weg, den ich hier rate, für den Weg heraus aus dem Wirrsal von Schuld und Irrtum und zurück zum Geiste, den ich gerade dem deutschen Menschen empfehle, nun manche Autorität mir zur Unterstützung anrufen. Doch ich beschränke mich darauf, die Meinung eines Mannes anzuführen, der nach allem, was ich von ihm weiß und las, nicht eben in das Lager der Christgläubigen zu gehören scheint und darum für Un- oder Halb-gläubige unverfänglich sein dürfte. Es ist Sigmund Freuds, wenn nicht bedeutenderer, so doch sympathischerer Nachfolger, der Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung, der in der „Neuen Schweizer Rundschau“ im März 1936, Heft 11, mit dem Titel „Wotan“ eine Schrift erscheinen ließ, die zu dem Bemerkenswertesten und Merkwürdigsten gehört, was über den Nationalsozialismus gesagt und geschrieben wurde. Und darin meint er unter anderen, „ ... daß, in allererster Linie die Eeutschen eine geradezu einzigartige Gelegenheit haben, im innersten Herzen einsehen zu lernen, aus welchen Fährnissen der Seele das Christentum den Menschen retten wollte. Denn,“ schreibt er weiter, „Deutschland ist ein geistiges Katastrophenland, wo gewisse Naturtatsachen immer nur ' einen Scheinfrieden mit der Weltherrscherin Vernunft eingehen.“

Bis in die Seelen hinein ist vernichtet, was Deutschland einst in seinen ehrlichen und ehrenhaften Zeiten gewesen, und kein Goethe, kein Schiller und Kant. oder Schopenhauer werden das Land der „geistigen Katastrophen“ innerlich wieder auferbauen und die deutsche Seele aus ihren ewigen „Fährnissen“ retten; und schon gar nicht Nietzsche, der sprachmächtige Vater des Wahns, der vielleicht berufen gewesen wäre, die unselige Kluft zu verschütten oder doch zu überbrücken, die mitten durch unsere Seele entzweiend gerissen wurde. Nietzsche, der hochbegnadete, hätte er sich nicht gegen Ihn gewendet, der einmal die Welt wendet und „in der Fülle der Zeiten“, da an ihrem Siechtum auch ihre Götter starben, das Heilmittel der götclichen Gnade herab zur Erde brachte. Doch damals wie heute gilt es: „In ipso vita erat, et vita erat lux hominum, et lux in tenebris lucet, et tenebrae eam non comprehende-runt... in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen, und das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen.“

Daß nicht das Christentum daran schuld war, wenn die Welt nicht an ihm gesundete, das einzusehen hatten wir wahrlich jetzt eine „einzigartige Gelegenheit“, jetzt, da wir es am eigenen Leibe erfuhren, was es heißt, eine Welt ohne und gegen das Christentum gestalten wollen. Ni-hts Menschliches ist vollkommen, noch kann es auf Erden je vollkommen sein, darum ist auch das Christentum in seiner irdischen Erscheinung, der Kirche, die deshalb „die kämpfende“ heißt, und vielen ihrer sichtbaren Vertreter unvollkommen, und war es sogar bekanntlich in einzelnen Gestalten der Statthalter Gottes auf Erden, der Päpste. Doch daß die Unmenschlichkeit es in ihrer Art zur Vollkommenheit bringen kann, das ward uns ad oculos demonstriert.

Auch ist das Christentum in 'keiner Weise überholt oder überlebt, ganz im Gegenteil hat die Welt in diesen fast zweitausend Jahren, da sich ihrer ein großer Teil christlich nennt, noch kaum angefangen, christlich zu werden, und nicht nur auf dem Erdball hat das Christentum noch einen gewaltigen Raum zur Verkündigung des Evangeliums übrig, sondern vor allem ist noch ein ungeheurer in den Seelen der Menschen zu seiner Verwirklichung vorhanden.

Die Seele als ein Hauch des unendlichen Schöpfers ist einzig und ganz persönlich. Und es ist ein tiefes Geheimnis, dessen die großen Mystiker doch inne wurden und dessen menschliche Auswirkung jeder ehrliche' Christ beobachten kann, wenn er nur will,'daß die menschliche Seele in ihrem Erdenlauf um so persönlicher wird, je mehr sie sich Gott, ihrem Ursprung, nähert, je mehr „der Mensch sich selbst entwird“, wie Angelus Silesius sagt. Ja, man kann es hundertfach erfahren, wenn man guten Willens ist, daß der Mensch um so mehr zu sich selber kommt, sich selber findet, je tiefer er sich in Gott verliert. Kein Wunder und Geheimnis für den, der sich darüber klar wird, was Gott ist. Wie sollte die persönliche Seele, die menschliche Persönlichkeit nicht um so mehr in sich selbst hineinwachsen, je mehr sie ihrem göttlichen Ursprung zuzuwachsen trachtet? Und der Weg dazu ist der, der von sich sagte: „Ich bin der Weg“, Jesus Christus, der Gottmensch, der „unsere Gestalt annahm“, um uns zu zeigen, wie man wahrer Mensch, ja, in heiligem Sinne, wahrer Ubermensch wird.

Wer unvoreingenommen und mit frischem Gemüt das Evangelium vernimmt, wer es heute nur vorurteilslos und often für. seine Schönheit und erhaben-wahre Schlichtheit liest, der müßte eigentlich hingerissen wie Simon und Andreas, wie Jakobus und Johannes ihre Netze und ihren Vater oder wie Levi seinen Zolltisch oder Nathaniel den mittäglichen Schatten seines Feigenbaumes im Stiche lassen, um Christus zu folgen und „Menschenfischer“ für seine Frohbotschaft zu werden. Doch heute wird es gar nicht verlangt, alles Zu verlassen. Christ sein heißt nur Mensch sein. Nur? Was müssen wir lange reden? Seht hin, was der Unmensch ist und seine Welt des Unheils, der Zerstörung, der Grausamkeit, der Vernichtung und des Todes!

Nicht Helden, sondern Heilige haben wir nötig, nicht Kraft, sondern die unwiderstehliche Macht der Sanftmut, der Demut und vor allem der Liebe an Stelle des tausendfach gepredigten Hasses. Der grausam lächerliche Bramarbas, der miles gloriosus teutonicus mit all seiner wüsten Renommage ist in die Versenkung gestolpert und das homerische Beifallsgelächter der gesamten Welt braust hinter seinem Falle drein. Lüge der Kraft, Lüge der Macht, Lüge des zwangsgeeinten Europas, Lüge der deutschen Volksgemeinschaft, Lüge des Führergenies; alles Lüge, „alles Schwindel“, wie Strindberg sagt. Und nach so viel geplatzter Seifenblasen schillerndem Trug, nach so viel aufgeflammten, ins Leere verpufften hohlen Luftballons, einer dilettantischen Wahnsinnspolitik, nach O viel fanfarenbegleitetem Knallfeuerwerk verblüffender Blitzsiege, die das langsam, aber sicher heranrollende Weltgewitter in schreckgepeitschres Flüchten verkehrte — was bleibt den Zerstörten, den Enttäuschten, den bis in den Abgrund der Seelen Entwunderten, die um alles beraubt auf den Trümmern ihrer Heimat, oder heimatlos vertrieben auf mitgerafftem Nichts sitzen und ins leere Grauen einer hoffnungslosen Zukunft starren?. Den Betrogenen, deren Glaube sich als Wahn erwies? Nur mehr eines —, wenn sie guten Willens sind, nur mehr der Glaube an die Wahrheit, die noch kein Höllensturm überwältigt hat, und an Seinen Frieden, der „über alles Begreifen geht“. Christus Jesus, der absolute göttliche Meister des Wortes, der Haltung, des Handelns, er, der Gott und König blieb, wenn er seinen Jüngern die Füße wusch, der wehrlos der Gewalt dieser Welt die Wahrheit ruhevoll-erhaben ins Gesicht sagte, daß sie in hilfloser Verlegenheit sich nach dem Waschbecken abwendete, um die blutbefleckten Hände in seiner Unschuld zu reinigen. Er allein bleibt uns als sicherer Glaube untrügliche Hoffnung, alles wiederaufbauende Liebe; Er als gottmenschliches Vorbild des Ewig-Persönlichen, das s o erkannt nun allerdings das „höchste Glück der Erdenkinder“ ist, unerreichbar zwar, wie jedes wahre Vorbild sein muß, doch eben darum einzig fähig, den Menschen an seiner Seele beständig höher zu entwickeln, nicht zum hoffärtigen „Erdregierer“, aber zum Meister aller irdischen Lagen, Verlegenheiten, Zufälle, Mißgeschicke und Schicksale, nicht zum selbstherrlichen, rücksichtslosen, mitleid- und erbarmungslosen, sondern zum christlichen Vollmenschen und, in begnadeten Fällen, zum heiligen Übermenschen, der, Christus als seinem Meister und Führer nachfolgend, schon in Tausenden von Gestalten und Beispielen für jeden Bedarf und jede Fähigkeit durch Welt und Kirche ging, der sicher auch verkannt oder unerkannt in selbstloser Demut durch unsere Zeit und Welt geht und uns im Abglanz der göttlichen Persönlichkeit der einzig rechte Weiser sein kann zur einzig möglichen Glückseligkeit auf Erden schon und jenseits der Zeit in dem, der Weg, Wahrheit und Leben ist.

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