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Die Briefe des erdichteten Papstes

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In seinem letzten großen “Werke „Lettere agli uomini del Papa Celestino Sesto“* führt Giovanni Papini in kapriziöser dichterischer Lizenz einen Papst ..Cölestin VI.“ als Verfasser von Briefen ein. die nie geschrieben wurden, ebenso wie es diesen Papst nie gegeben hat. In der Vision des Dichters lebte dieser Papst in einer sturmbewegten und bluttruhkenen Zeit“ und starb „als Blutzeuge in den letzten Tagen der großen Verfolgung“. Die Briefe seien in einem alten verlassenen Kloster aufgefunden worden und würden nun erstmalig übersetzt und veröffentlicht. In diesen Briefen hält der angebliche Papst der kirchlichen und profanen 'Welt mahnend einen Spiegel ihrer Fehler und Unterlassungen und ihre Pflichten vor. Der Ruhm des Dichters, die hinreißende Sprache, deren er sich bei seinem kühnlichen Unternehmen, den Vortrag seiner Gedanken mit der Feierlichkeit und Autorität eines wenn auch imaginären Papstes zu umkleiden, bedient und der vorhandene, obschon zu begrenzende Wahrheitsgehalt dieser literarischen Schöpfung verschaffen dem Werke aufsehenerregende Bedeutung. D. Mondrono S. J. charakterisiert in der „Civilta Cattolica“ (7. Dezember 1946) das neue Buch des großen italienischen Dichters in Ausführungen, denen nachstehend im wesentlichen gefolgt sei.

Sich selbstredend einführend, umreißt der Dichter das Anliegen dieses seines letzten Werkes mit den Worten:

„Diese Briefe entquellen ummrtterbar dem

Schmerz, der Entrüstung, der Verzweiflung, die ich in den verschiedenen Augenblicken der Tragödie Italiens und der Welt durch meine Seele gehen spürte; und Licht und Inspiration empfangen sie vom Glauben an Christus, von der unerstickbaren Hoffnung, daß die Botschaft Christi heute mehr denn je die Macht hat, die Menschen vor dem reißenden Sturm, der sie in den, Abgrund zu stürzen droht, zu retten.“ Daher ersteht die Gestalt dieses Phantasiepapstes: in diesem Gegensatz von dumpfestem Schmerz und unerschöpflicher Liebe, von Verzweiflung und Hoffnung.

Die 18 Briefe wollen die Menschen aller Klassen: Priester, Theologen und Ordensleute ebenso wie Laien, Gelehrte und Geschichtsforscher, Gläubige und Ungläubige, Reiche und Arme, an der schicksalsvollen Wende der Geschichte vor die letzte Entscheidung stellen: Christus darf kein Traum, kein Mythos sein. Alle haben es erfahren: wer sich von ihm entfernt, stürzt in den Abgrund des Wahnsinns —

„alles was vom Christentum entfernt oder trennt, bedeutet. Beschleunigung des Todes; alles was den Menschen die glückhafte vmd siegreiche Kraft Christi erschließt, ist für jeden Menschen und für- jedes Volk Versprechen und Bürgschaft des Heils. D i e Welt wird christlich werden' oder zugrunde gehen. Ihr habt zwi-

sehen zwei Möglichkeiten zu wählen: entweder dem Selbstmord geweihte Tiere oder erlöste und erlösende Christen zu sein.“

Die erste und letzte Ursache der Agonie der Menschheit — fährt der Dichter fort — ist „die Verleugnung und der Verrat des Evan' geliums“. Die Geschichte ist ein einziger Beweis dafür, daß Christus „der Eckstein ist, gesetzt zu Fall und Auferstehung“ jedes einzelnen und der ganzen Menschheit: „Es ist gar nicht nötig, die Überlegenheit des Christentums mit Worten zu proklamieren, es ist nicht einmal nötig, an seinen göttlichen Ursprung zu glauben, wie wir es tun. Die Geschichte, allen greifbar und sichtbar, hat darüber ihr Urteil gesprochen, sie hat das unabweisbarste Argument dafür geliefert. Die Menschen haben die Gebote Christi nicht angenommen, sie haben im Gegensatz zu den Lehren des Evangeliums gehandelt, sie hoben von Brüderlichkeit, Demut und Liebe nichts wissen wollen. Und so stand am Ende ihres Weges Vereinsamung, Erbitterung und Verzweifhing. Nicht die Dogmatik, sondern die Wirklichkeit hat gesprochen und spricht mit absoluter Klarheit. Je mehr ihr euch von Christus entfernt, desto mehr nähert ihr euch dem Abgrund ... Die Welt wird nicht anders gerettet werden können als dadurch, daß sie skh aufmacht zu Christus. Die Nichtchristcn müssen Christen werden: damit das aber geschehen kann, müssen die Christen das werden, was sie nicht sind, nämlich wahre Christen.“ Diese müssen endlich ihre ungeheure Verantwortung erkennen und ihr Leben ohne Zugeständnisse nach der Lehre des Evangeliums gestalten, denn

„die Geschichte zeigt uns den schließ! ich eri Zusammenbruch atter Revolutionen, jeder neue Staat hat es ja nur den alten nachgemacht: er hat Leben, Güter und Freiheit genommen. Es gibt aar mehr ein Experiment za versuchen: die geistige R e v o 1 u-t i on des Evangeliums, d „meta-ntm.“, der innere Umbruch, der ans jedem Untertanen einen Bürger des Himmelreiches machen wird und aus jedem Bürger einen Bruder in der allumfassenden Bruderschaft der Liebe . . Eure ungeduldigen Forderungen, euer Revolutionskitzel, euer Spielen mit Phantasiegebilden und Utopien cun mir leid ... Ihr ertTartet euch zuviel von der Politik und nicht gen* von der Religion“. -

Die ersten Briefe wenden sich mit Nachdruck an die P r iester, Theologen und Ordensleute. Sie tragen die Kauptschuld, wenn die Kirche

nicht das ist, was sie sein sollte, und allmählich in einen schablonenhaften

Verwaltungsbetrieb abgesunken ist. „Die Kirche hat sich, zum Teil aus dem Abwehrkampf gegen ihre Widersacher' heraus, zum Teil durch die Schuld ihrer Verteidiger, in eine dokfnaie, disziplinare und liturgische Bastei verwandelt.“ In Erinnerung an Zeiten des Kirchenverfalles läßt Papini seinen Paps: über vorausgegangene Päpste klagen, sie seien oft „in den Mantel eisiger Majestät gehüllte Souveräne, Titularaufsoher von Schreiberkongregacionen, mehr eifersüchtige Hüter des Buchstabens als verwegene Märtyrer des Geistes“ gewesen, „berufen, die Vizekönige Gottes zu sein, hätten sie sich bisweilen begnügt, die geruhsamen Herren einer ererbten und so gut als möglich gezähmten Herde zu sein,.kluge Wächter über einen mittelmäßigen Status quo“.

Nachdem Cölestin VI. alle Christen für die Schuld der Päpste um Verzeihung gebeten hat, wendet er sich an die Priester:

„Glaubt ihr wahrhaft an Gott? Kennt ihr Christus wirklich? Habt ihr in allem eure Pflicht erfüllt? Habt ihr euch immer daran erinnert und es verwirklicht, was Christus von euch will, was ihr mit eurem Munde um) mit eurem Geiste am Tag eurer Weihe geschworen habt? ... Zu viele von euch scheinen bloße Beamte der Kirche zu sein ... statt Apostel, die es nicht schlafen läßt voll Ungestüm und gebietender Kraft ... Euch fehlt es an dem, was mehr als alles andere zählt und fruchtbar ist: an der hochgemuten Großherzigkeit, an der unwiderstehlichen Macht der Liebe ... Es genügt nicht, wie ihr die Wasch -wascher der armen Leutchen zu sein, die sicfi

noch in cfce Beichtstühle knien. Der größte Teil der in den Schmutz Geratenen kommt nicht, um sich in euren Bädern zu waschen, kommt nicht, um steh von dem Brot zu nähren, das ihr allein brechen könnt . .. Ihr geht Viicht genug den verlorenen und verirrten Massen nach .. Wartet doch nidn auf sie vor euren Ahären, sucht sie doch dort auf, wo sie leben ...Steigt hinab unters Volk, weint mit den Wei-n e nd en, teilt euer Brot mit den Hungernden, tretet an die Irrenden heran, nehmt mit Freuden Beschimpiungen, Schmähungen und Lästerungen auf euch ... Fürchtet nicht den Tod, sondern allein ein nutzloses Leben und eine eingeschrumpfte Seele“.

Doch weiß Cölestin VI. auch am die Lichtseiten des Klerus von heute: „Euer Leben ist heute viel reiner als in anderen Jahrhunderten. Man kömue über euch nicht mehr einen Liber Gomorr-hianus schreiben, wie es der heilige Pier Damian! tat ... Ich erinnere mich, auf meinem langen Lebensweg jungen Priestern begegnet zu sein, in denen der Wille, Christus zu dienen, m verhaltenem Glänze von Liebe durchleuchtete gleich der lebendigen Flamme, die sieh hinter dem Alabaster einer Lampe birgt. Ich erinnere mich, bejahrte Priester gekannt zu haben, die ehrwürdiger waren durch das Leuchten der Liebe als durch den verklärten Schimmer ihrer weißen Haare und die sich in Gott aufzehrten, wie die namenlose Kerze des A rmen sich leuchtend vor dem Allerherligsten verzehrt.“

Von den Mönchen und Ordensleuten verlangt Cölestin VI. unmittelbares Apostolat: „Ihr mischt euch zuwenig ins Getriebe des Lebens ... Ihr kümmert euch zuwenig darum, den gefährdeten Seelen zu Hilfe zu. kommen ... In dieser Zeit, da die Entscheidungsschlacht zwischen Gott und Satan tobt, bedarf es eines großangelegten Ausfalls, eines verzweifelten Angriffes auf die andrängenden Scharen des- Bösen . . . Wer (nur) m Gebet und Verzicht lebt, um das eigene Heil zu erlangen, der ist noch kein Heiliger.“

Die Geschichtsforscher werden daran erinnert, daß die Geschichte der Menschheit zu einem unauflösbaren Rätsel wird, sobald Gott aus ihr verbannt wird, denn „die Geschichte des Menschen ist nur eine Episode, ein Kapitel, ein Reflex der Geschichte Gottes. Entweder schaut man die menschlichen Geschehnisse von oben und dann erhalten sie einen Siran, oder aber man ver-

zichtet auf ihre theologische Deutung und dann bleiben alle geschichtlichen Tatsachen ins Absurde gehüllt“. ' '

Die Gelehrten werden von Cölestin VI. ki che letzten Zusammenhänge alles Wissen gewiesen: „Das Universum ist das Palimpsest und die Hieroglyphe einer Heiligen Schrift, einer zweiten Bibel, die euer bedarf, damit ihr sie deutet und übersetzt. Die Worte, die Gott auf jede Seite des Universums geschrieben hat, solltet ihr entziffern und in geordnete Rede fassen. Ihr seid aufgetreten als Priester eines neuen Gottes, der jede andere Gottheit ins Museum antiker Kuriositäten verbannen sollte; aber euer Gott trägt vielmehr die Züge des Molochs als die des Retters Apollo..“

Die Briefe gipfeln in den Sätzen: „Das Christentum muß in allem und von Ben angenommen werden: sonst gibt es für die Menschheit keine sichere Rettung“ ... „ein verstümmeltes Christentum ist ein ausgedörrtes und verratenes Christentum“ .. . „die Tafeln der barbarischen Rechte werden ersetzt durch die Tafeln der evan gern che Pflichten“. —

In diesen Briefen bekennt sich Papini zur höchsten Sendung des Dichters: Prophet zu sein, das Wort des Herrn zu künden und zu deuten in die Zeit und wider die Zeit Doch war er sich wohl bewußt, daß auch so eine Botschaft subjektiv verhaftet blieb, an seine Persönlichkeit gebunden. So sucht er, sein dichterisches Prophetentum mit dem Hermelin dessen zu umkleiden, welcher amtlidi und objektiv der Deuter des Wortes Gottes ist: der Papst.

Das Budi wird wohl in absehbarer Zeit auch seinen deutschen Übersetzer finden. Es

wird in manchem einer verdienten Kritik begegnen. Papinis temperamentvolle und eigenwillige Feder ist dafür bekannt, daß sie auch über den Rand hin ausschreibt. Der aufmerksame Leser mag schon zu manchem in den angeführten Proben ein Fragezeichen gesetzt haben. Ob es geschmackvoll war, sich als Papst zu kleiden? Ob es zum Beispiel so einfach richtig ist, der Beschauung und Buße der Mönche apostolischen Wert abzusprechen? Auch sonst finden sich Sätze, zu denen sich wohl kein Papst verstehen würde. Die sichtbar werdenden Kurzschlußlösungen werden aber nicht übersehen lassen, daß das Buch Papinis beseelt ist von grenzenlosem Vertrauen und glühender Liebe zu Christus und der Kirche.

Soweit Papinis Kritik zurecht besteht, ist es ebenso christlich wie ehrlich, sie anzunehmen. Bei allen Übertreibungen und Unebenheiten gut es, das Anliegen nicht zu

überhören, das in allen Christen lebendig sein muß: das unnachgiebige Ringen um das Ideal der Kirche; über den Papini darf das Gültige ebensowenig wie seine lautere Absicht übersehen werden.

Über all dem aber steht das reife Wort des heiligen Augustinus': „Oft werden einige vom menschlichen Urteil als Weizen bezeichnet, und sie sind Unkraut; und andere werden für Unkraut gehalten, flnd sie sind in Wahrheit Weizen. Um dieser Verhülltheit willen sagt der Apostel: ,Riditet nicht irgendwas vor der Zeit, bis daß der Herr kommt und das im Dunkel Verhüllte erhelle und che Herzensgedanken offenbar mache; und dann wird jedem Lob sein vor Gott'. Des Menschen Lob geht vorüber; oft lobt der Mensch das Böse und weiß es nicht; oft klagt der Mensch das Heilige an, und weiß es nicht. Gott verzeihe den Unwissenden, ■ komme den Mühenden zu Hilfe!“

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