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Papst ColestinVI. an die Priester

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Am 9. Janner d. J. wurde Giovanni Papini, Italiens beruhmtester lebender Dichter und Schriftsteller, 75 Jahre alt. Der Großteil seiner Werke liegt auch in deutschen Uebersetzungen vor. Zwei davon „Das schwarze Buch“ und „Narreteien“ erschienen im Verlag „Herold“, Wien. Im folgenden bringen wir einen Auszug aus seinem Buch „Papst Cölestin VI. an die Menschen“, das ins Deutsche übersetzt von Dr. Paul Thun-Hohenstein im Amandus-Verlag, Wien, erschien.

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Am 9. Janner d. J. wurde Giovanni Papini, Italiens beruhmtester lebender Dichter und Schriftsteller, 75 Jahre alt. Der Großteil seiner Werke liegt auch in deutschen Uebersetzungen vor. Zwei davon „Das schwarze Buch“ und „Narreteien“ erschienen im Verlag „Herold“, Wien. Im folgenden bringen wir einen Auszug aus seinem Buch „Papst Cölestin VI. an die Menschen“, das ins Deutsche übersetzt von Dr. Paul Thun-Hohenstein im Amandus-Verlag, Wien, erschien.

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Meine lieben Brüder, meine lieben Söhne!

An euch, an die Priester Christi, richtet sich vor allen mein Wort. Ein bedrücktes Wort, ein Wort der Warnung, des Unwillens, der An-eiferung, aber über all dem ein Wort der Liebe. Wenn es euch dennoch hart scheinen will, so bedenkt, daß es zu allernächst mich selber schmerzt, mehr noch als euch.

Ihr sollt nicht meinen, daß ich euer Geben zu gering einschätze, das Opfer, das Drama, den Kreuzweg eueres Lebens. Auch ich habe, ihr wißt es, in. meinen jüngeren Jahren Seelsorge ausgeübt, und ich habe die Versuchungen, die Kümmernisse und das Gefühl der Verlassenheit, wie sie alle das Große und Freudige an unserem Dienst begleiten, belasten und schwer machen, nicht aus der Erinnerung verloren. Für uns gilt, mehr als für alle anderen Christen, in erschreckender Wahrheit die Klage unseres Herrn Jesus: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“

Von uns ist mehr verlangt worden als von allen anderen aus dem Weibe Geborenen. Wir sind aus Blut gemacht und haben ein Menschenherz, aber wir sollten den Engeln gleichen. Wir leben in nächster Nähe von Schmutz, von Schlamm und sollten jederzeit rein bleiben. Wir sind tief eingewurzelt in den Niederungen der Erde, aber unser Leben sollte immer die Straße des Himmels sein.

Nur zu viele gibt es unter euch, die dahinleben zwischen einer Stumpfheit, der sie sich schuldhaft hingeben, und gelegentlichem Erwachen, dem aber nicht immer das Heilbad einer Wiedergeburt folgt. Ich weiß von der traurigen Einsamkeit schlafloser Nächte, in denen die Sehnsucht aufsteigt, aber keinen Trost bringt; von den Fallstricken eines unruhigen Geistes und dem Schmachten der Sinne: von den Einflüsterungen des Dämons der Mannesjahre, den Unduldsamkeiten der Jugendzeit und der allzu weichen Nachgiebigkeit des Greisenalters; ich weiß von den Lockungen der Sünde, die unsere Phantasie beherrschen will, von den Enttäuschungen, die ein ruhiges Gemeinschaftsleben bedrohen, vom Elend, das Armut und Mangel bringen, weiß vom Aufbäumen der Hoffart, die vielleicht nicht genährt, aber doch nicht immer gebändigt wird, von den feigen Ausflüchten, die das Festhalten an Gewohnheiten eingibt.

Dies alles kenne ich und ich verstehe es, aber ich kann nicht alles verzeihen. Euere Verantwortung, liebe Brüder, ist zu groß, ich aber bin vor Gott verantwortlich für euch alle. Allen verzeihen, hieße diejenigen beleidigen, die euch als Beispiel hingestellt wurden. Der faule Hirt macht die Herde hungrig, der schlafende Hirt läßt sie flüchtig werden, der verderbte Hirt verdirbt die Herde, der ungetreue Hirt bringt die Herde in Verwirrung. Nicht für euere Seele allein müßt ihr vor Gott und mir Rechenschaft ablegen, sondern für Tausende von Seelen.

Ihr habt etwas versprochen, das die anderen nicht versprochen haben, euch sind Gaben, Kräfte, Charismen zuteil geworden, die die anderen nicht bekamen. Wer aber mehr versprochen und mehr erhalten hat, von dem muß man auch mehr verlangen.

Christus hat euch das „Salz der Erde“ ge* nannt. Weshalb ist denn die Erde noch so schal, so abgeschmackt, schal bis zur Albernheit, abgeschmackt bis zur Narrheit? Wenn nun aber das Unglück der heutigen Menschheit vom Aufgeben ihres Christentums, also vom Nicht-christensein der Christen und von ihrer NichtBekehrung herrührt, wen sollte da eine größere Schuld treffen als euch?

Und nun kann ich nicht umhin euch zu fragen: Glaubt ihr wahrhaftig an Gott? Kennt ihr Christus wirklich? Habt ihr eure Pflicht voll erfüllt? Habt ihr stets vor Augen gehabt und durchgeführt, was Christus von euch will und was ihr mit dem eigenen Munde und aus euerem Geiste am Tage der Priesterweihe beschworen habt?

Jai ihr glaubt an Gott, ihr glaubt an ihn zu glauben, und ihr redet alle Tage im Namen Gottes. Aber um was für einen Gott geht es wohl? Ist es etwa ein Bekenntnis des Verstandes, ein abstrakter Begriff, eine mit kalter Vernunft geschaffene Wesenheit, die zur Erleichterung der Praxis angenommen wird oder aus Sprachgewohnheit, aus angelernter Heberlieferung, aus Gehorsam und Schicklichkeit weit, eher als aus dem lebenden Feuer des Glaubens?

Wenn euer Glaube sich immer neu entzündet, an jedem Tage, da ihr den wahren Leib des göttlichen Opferlamms in Händen haltet, wäret ihr nicht so oft zerstreut und gleichgültig, nicht so kalt und abwesend. Ihr müßt ein Feuerbrand sein, und alle werden kommen, ihre Herzen an euren Herzen zu erwärmen. Aber euere Hände glühen nicht, euere Worte zünden nicht, euere Augen sprühen nicht, und oft ist euer Aussehen so farblos und welk wie die Gesichter von Höhlenbewohnern.

Denkt doch nur einen Augenblick an das unerhörte Vorrecht, das euch zusteht! Alle Christen können den Leib des Herrn zu sich nehmen, aber ihr allein trinkt, jeden Morgen, Sein Blut, Sein reines, warmes Blut, von dem ein Tropfen einst auch euch losgekauft hat. Das Blut ist die Seele, so sagt die Schrift, ihr müßt es ja wissen; das Blut ist Wein, der in einen Trank des Heils und der Begeisterung gewandelt wurde. Warum also seid ihr so gleichmütig, so gelassen, so vernünftig, so eiskalt?

Wißt ihr denn nicht, daß allein die Torheit, die Torheit des Kreuzes die Menschen zur Weisheit zurückführen kann? Und wißt ihr auch nicht, daß nur die Glut der Begeisterung die Lauen wieder heiß machen und die Lahmgewordenen wieder gerade gehen lassen kann?

Zu viele von euch machen den Eindruck, nichts als einfache Kirchenbeamte zu sein — Türhüter, Küster, Buchhalter, Rechnungsführer —, anstatt daß sie unermüdliche, ruhelose, gebieterische Apostel wären. Zu viele sind gleichmütige, mechanische Austeiler der Sakramente, statt Zeugen, Bekenner und leuchtende Beispiele der Wahrheit zu sein, die von den Lippen des Erlösers auf uns herabfloß. Lebendige Bäume solltet ihr sein, Bäume, die den Vögeln der Luft Schutz bieten, reichbelaubt, blütenübersät, Früchte tragend und schattenspendend — aber ihr seid so oft nur wie entrindete und abgehobelte Pfähle, die zwar manchmal recht schön überfirnißt sind, aber keine Wurzeln mehr in das Erdreich der Menschheit hinabsenken können, die nie mehr knospen; niedrige, tote Pfähle, die höchstens zum Errichten von Zäunen und Schranken dienen können und an die man Warnungstafeln und Verordnungsplakate hängt.

Nun ist ja vielen von euch auch viel verliehen worden: Gelehrtheit, Milde, Redlichkeit, Sittenreinheit, der schuldige Gehorsam gegen die Obrigkeit und das Streben nach dem, was gut ist. Aber euch fehlt etwas, das höher gilt und mehr ausrichtet: der kraftvolle Schwung des Herzens, die unwiderstehliche Macht der Liebe. Nach Christi Wort sollt ihr einfältig sein wie die Tauben und klug wie die Schlangen, ihr aber seid, leider Gotfes, wie Tauben, die gern im warmen Nest hocken, und wie Schlangen, die gern in windgeschiitzten Mauerritzen schlummern.

ihr seid nicht immer kalt, seid aber auch nicht warm genug, um Starrgewordenes wieder auftauen zu lassen. Ihr habt eine gewaltige Angst vor dem, was gewaltig ist, habt eine törichte Furcht vor der Torheit. Euere Köpfe sind oft nur Archive von auswendig gelernten Phrasen, euere Herzen halb von Stein, halb von Watte, euere Ohren neigen sich mehr dem irdischen Geschwätz, als daß sie nach den Himmels-stimmen lauschten. Und ich will nicht erst reden von euerer Liebe zu behäbigem Leben und von euerer Angst vor dem Tode.

Ich sage nicht und ich will auch nicht sagen, daß ihr eueren Verpflichtungen nicht nachkommt. Ihr feiert das Meßopfer, erklärt das Evangelium, tauft die Kinder, segnet die Hochzeitspaare, tröstet die Kranken, geleitet die Toten zur Ruhe. Aber für einen wahren Diener Christi, für einen Walter Christus, greift die hohe Aufgabe über den gebräuchlichen Pflichtdienst weit hinaus. Dieser ist die tägliche Arbeit in ruhiger Friedenszeit, aber der wahre Christ weiß ja, daß für ihn niemals Friedenszeit ist. Wir sind zu immerwährendem Kampf bestimmt: nicht zu kämpfen ist für uns dasselbe wie uns selbst zu sterben.

Ich klage nicht über euere Schlechtigkeit, ich klage über euere Mittelmäßigkeit. Heutzutage ist unsere Lebensführung um vieles reiner als in früheren Jahrhunderten. Man dürfte nicht mehr über euch, wie St. Peter Damaianus es tat, einen I.iber Gomorrhianus schreiben. In eueren Reihen gibt es kaum mehr Wucherer, Sodomiten, Simo-nisten und Ketzer. Und ich entsinne mich auch, auf meinem langen Lebensweg jungen Priestern begegnet zu sein, auf deren Antlitz der Wille, Christus zu dienen, als transparentes Licht der Liebe lag, wie wenn eine helle Flamme die Alabasterschale einer Ampel durchschimmert. Lind ich erinnere mich, alte Priester gekannt zu haben, die der Abglanz ihrer Liebe noch ehrwürdiger machte als das Schneeweiß ihrer Haare.

Aber ich habe auch Geistliche gesehen, die mehr für Bankgeschäfte oder für die Jagd begeistert waren als für ihr Amt, solche, die mehr auf gute Küche hielten als auf guten Ruf, andere, die mehr der Politik oder den Wirtschaftsfragen ergeben waren als der Wachsamkeit über das Seelenheil ihrer Herde, und wieder solche, die besser geschwätzig zu reden wußten als aüferbaulich. Viele glichen weit weniger Piiestern Christi als etwa wohlgenährten Verwaltern, kleinen Landedelleuten, in Welthändeln erfahrenen Agenten oder Spießbürgern, die nur der Zufall ins geistliche Fach geführt hatte.

Doch gibt es in euerer Mitte auch die Doktoren, die Gelehrten, die noch Gelehrteren und die Allergelehrtesten, die das Sonett für den Bischof zu dichten verstehen und die kurze Ansprache an die Erstkommunikanten aufzusetzen wissen, die das kleine Handbuch für die geistlichen Exerzitien anfertigen, die Monographie über die Annalen der Diözese zusammenstellen oder einen „wissenschaftlichen“ Traktat bauen, vollgestopft mit „gesunden“ Grundsätzen und von „profunder“ Gelehrsamkeit. Manche unter euch können Predigten halten, in denen die Worte reicher aufblühen als der Blumenflor im Pfarrgarten, ihre Homilien sind so voll Salbung, daß sie eine Oelpresse weit hinter sich lassen, ihre Vorträge von einer Harmonienfülle, die kein Harmonium erreicht.

Ich bewundere euere Wissenschaft, aber ich muß euch wahrheitsgemäß sagen, daß man heute vor allem anderen Wiederhersteller, Former und Bildner der Gewissen braucht, daß wir Heilige nötiger haben als studierte Leute. Heute ist der schrecklichste aller Mängel der Mangel an Heiligen. Seit langer Zeit schon leidet unsere Welt an dem Fehlen heiligmäßiger Menschen. Und man bedürfte doch, um zu retten, was noch zu retten ist, einer ganzen Armee von Heiligen. Von euch erwarte ich sie, da ihr vermöge eueres Standes den Quellen und Schleusen der Heiligkeit nahe seid. Es genügt nicht zu sein, was ihr seid: die Bademeister der armen Menschenseelen, die sich noch in die Beichtstühle knien. Der größte Teil der Beschmutzten kommt ja gar nicht zu eueren Teichen, um sich dort reinzuwaschen, kommt nicht, sich mit dem Brot zu stärken, das ihr allein darreichen könnt.

Habt ihr euch jemals gefragt, weshalb so viele feurige Herzen, so viele unerschrockene Geister, so viele Seelen, die glauben können und opferbereit sind, nicht zu euch kommen und euere Kirche nicht betreten? Habt ihr euch jemals gefragt; weshalb die Menge, die eueren

Worten lauscht, zum weit größeren Teil aus Frauen und Kindern besteht als aus blühenden Jünglingen und erwachsenen Männern?

Zahlreich sind die Ursachen solcher Abkehr, und nicht alle liegen an euch. Aber beschäftigt es euch nicht vielleicht doch, daß euere Kälte die feurigen Gemüter abschreckt, daß euere Herzensarmut die hochherzigen Seelen zurückstößt, daß euere abgezirkelte Mittelmäßigkeit den Geistern, die nach Hohem streben, widersteht, daß euere allzu skrupelhafte Engstirnigkeit die Denkenden, die ins Weite schauen, entmutigt?

Ihr legt oft den Verdacht nahe, als glaubtet ihr, die Religion gehe euch nur allein an, als hieltet ihr das Christentum für ein Monopol und die Kirche für euer Reservatgebiet. Es wird sicherlich keinen Papst geben, der die überragende Würde des Priestertums und die unabdingbaren Rechte der Hierarchie leugnen wollte, aber ihr solltet euch doch in Erinnerung rufen, daß die Kirche der mystische Leib Christi ist und daß zu diesem Leib alle Gläubigen gehören, nicht nur die Tonsurträger; alle bedürfen, um gerettet zu werden, der Wiedergeburt in Christo. Und ihr wißt: Christus ist für alle herabgestiegen, er hat sich für alle Menschen hingeopfert. Ihr müßt tun, was ihr noch nicht tut: die Laien berufen, die an euerem Werk weiterarbeiten können, nicht an dem, was euch allein obliegt, aber am Werk der Bekehrung und der Erlösung. Lind ihr müßtet viel eifriger die Abseitsstehenden, die Widerspenstigen, die Abtrünnigen, die Fortgegangenen, die Glaubenslosen, die Christuslosen, die Gottlosen suchen gehen und in dem unwiderstehlichen Ansturm euerer Liebe sie fühlen lassen, wie schön, wie groß, wie sicher unser Glaube ist. Denkt an die Worte des Herrn: compelle intrarel Ihr habt nicht genug Hunger nach Seelen und begnügt euch damit, euere spärliche Herde hinter einem Wall zu halten, aber ihr fühlt zu wenig Leid um die verlaufenen Schafe und geht den versprengten und verlorenen nicht genügend nach, und sie sind doch euer, nicht anders als die um euch, und sie sind unseres Herrn nach dem Gottesrecht über Leben und Tod. Wartet nicht auf sie im Umkreis euerer Altäre, sucht sie dort, wo sie leben — lebten sie auch hinter Festungsmauern und auf Strohmist —, und führt sie heraus, wie man den geraubten Sohn wieder an sich reißt, bringt Glanz in das trübe Licht ihrer Augen, entsiegelt ihre verschlossenen Herzen! Vielleicht, daß ihr unter den Feinden von heute die tatkräftigsten Helfer von morgen findet.

Laßt doch für einige Zeit ab von den ungezählten Andachten, die das Volk besonders liebt und die ihr mit gar zu großer Bereitwilligkeit duldet, sogar noch anregt und pflegt! Die Bilder, die Reliquien, die Statuen aus Papiermache und die Blumen aus Seidenpapier sind sichtbare und vergängliche Materie und dürfen nicht den Vorrang vor dem Geist haben. Ihr sollt vor allem anderen Christus anziehen, sollt häufiger die Dritte Person, die Licht und Segen bringt, um Hilfe anrufen. Baut nicht nur auf das Wort, laßt euch nicht vom Buchstaben festlegen, sorgt nicht nur für die äußeren Kultformen! Seid für alle ein Beispiel der. Demut, der Armut, der Liebe; steigt zum Volk hinab, weint mit den Weinenden, teilt euer Brot mit den Hungernden, kommt den Brüdern entgegen und nehmt freudig Vorwürfe, Beleidigungen, Schmähungen auf euch! Das wird euere siegreichste Apologetik sein, euer wirksamstes Gebet, euere aufrüttelndste Rhetorik.

Seid eingedenk, wenn ihr es könnt, euerer überirdischen Würde, erinnert euch, daß ihr berufen seid, Mitarbeiter, Botschafter, Verbündete Gottes bei den Menschen zu sein! Denkt daran, daß es euch nach dem Worte des Apostels Paulus zukommen wird, auch über die Engel zu Gericht zu sitzen! Das Heil der Menschheit liegt in eueren Händen. Wenn das Christentum das einzige Heilmittel ist, müßt ihr sein und seid ihr die Aerzte und Diener des großen Kranken.

Keinen von euch braucht Schwindel zu befallen beim Anstieg auf den strahlenden Berg der allgemeinen Verklärung. Ihr dürft nicht meinen, daß ihr nur Repetitoren der Katechismuslehre und Sakramentenspender seid. Ihr seid viel mehr, unsagbar viel mehr. Wißt ihr noch immer nicht, daß ihr für die Menschheitserlösung unentbehrliche Kräfte seid? Schreckt nicht zurück vor der gewaltigen Verpflichtung, die der Herr euch auferlegt! Ihr seid nötig, um die Glückseligkeit wiederzubringen, dorthin, wo die Seele zugrunde geht, ehe noch der Leib gestorben ist. Der gesamte Erdkreis erscheint heute positus in maligno: euch obliegt es, die Revolution der Erlösung herbeizuführen.

Euer Gewand ist schwarz, ihr tragt Trauer. Aber nicht mehr die Trauer um den Tod Christi, der aus dem Grab erstanden und siegreich in den Himmel aufgefahren ist, sondern ihr tragt Trauer um alle Ermordeten, um alle, die ohne tröstende Hoffnung starben, Trauer um alles Leid, das der Ungehorsam gegen Christus über die Menschheit gebracht hat.

Im Namen des lebenden Gottes beschwöre ich euch, meine lieben Brüder und Söhne, ich beschwöre euch beim „Fiat“ des ersten Schöpfungstages, beim „Sitio“ am Kreuzesstamm, bei den Flammen des Pfingstfestes, und beschwöre euch bei meinem altgewordenen, schmerzzerrissenem Herzen: ihr müßt den Willen haben, mehr zu sein als ein Mensch. Habt doch den Mut, Toren zu werden, Toren von jener Torheit, die in den Augen des Höchsten Weisheit ist! Scheut nicht den Tod, aber das unnütze Leben und den Kleinmut der Seele! Beim Feuer des Heiligen Geistes: seid nicht so kalt, nicht so mittelmäßig, nicht so träge, nicht so erstarrt! Schlagt euch mit eueren eigenen Händen auf dem ungehobelten Holz der Menschheit ans Kreuz, wenn ihr selbst auferstehen und andere auferstehen lassen wollt. Nur wenn ihr euere Brüder, alle euere Brüder, auch die, die eueren Tod wollen, rettet, nur dann werdet ihr die faulige Welt, das belagerte Christentum, die entvölkerte Kirche und euch selbst retten.

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