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DAS WORT HEISST LIEBE

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Wir feiern wieder Weihnachten. Jeder auf seine Art zwar, aber alle werden wir unter einem Christbaum sitzen, ein wenig erschöpft, ein wenig gerührt, wir werden uns das „Stille Nacht, Heilige Nacht“ und auch die Botschaft vom „Frieden den Menschen auf Erden“, im Fernsehen, am Rundfunk anhören. Wenn wir Frieden sagen, dann meinen wir, daß der große Krieg nicht gekommen ist, und hoffen, daß er zu unseren Lebzeiten nicht kommt. In diesem Jahr hat China die Atombombe zur Explosion gebracht, im nächsten Jahr wird vielleicht ein anderer Staat die Atombombe besitzen, und in zwei, drei Jahren werden eis noch mehr sein. Gewiß, vielleicht werden wir auch noch nächstes Jahr Weihnachten feiern, wahrscheinlich auch noch in einigen weiteren Jahren, aber wie lange wird es wirklich weiter gehen? Nach menschlicher Voraussicht und Berechnung steigt die Gefahr in dem Ausmaß, in dem die Anzahl der Besitzer von Atombomben steigt. Es ist zu hoffen, daß jeder Staat, der heute über die Atombombe verfügt, sich deren totaler Vernichtungskraft bewußt ist. Aber je mehr Staaten die Atombombe besitzen, je mehr Menschen die Macht haben, deren zerstörende Kraft auszulösen, desto mehr steigt die Gefahr, ja um so mehr erhärtet sich nach menschlichem Ermessen die Gewißheit, daß einmal aus Machtgier, aus Verzweiflung, aus geistiger Unzurechnungsfähigkeit auf den entscheidenden Taster gedrückt wird, durch den die Welt sich selbst auslöschen kann. Das ist keine düstere Zukunftsvision, das können die Wissenschaftler, die Physiker, die Mathematiker, die Psychologen vorausberechnen.

Welche Hoffnung setzen wir dagegen, welchen Trost können wir als Christen der Welt geben? Wohl nur den einen, daß das Schwache sich stärker erweist als das Starke. So wie in dem unendlich Kleinen des Atoms sich die stärkste materielle Macht manifestiert hat, so können nur aus der Kleinheit und aus der Schwachheit jene Kräfte erwachsen, die stärker sind als die Kräfte der Zerstörung und Vernichtung.

Weihnachten ist nicht das Fest des Kleinen, der groß wird, nicht das Fest des großen Gottes, sondern des Menschen, der groß geworden ist, dadurch, daß Gott klein wurde. So unendlich klein, daß alle jene, die auf sein Kommen gewartet haben — und es haben nicht nur die Juden auf den Messias gewartet — sein Kommen gar nicht bemerkten. So klein, daß auch viele Christen mit dieser Kleinheit Gottes nichts anzufangen wußten, daß sie sich den Gottmenschen nur als Richter, als Herrscher, als König vorstellten. Wenn man Gottes Wirken in der Welt planen könnte, dann hätte Christus in Rom zur Welt kommen müssen, als Sohn eines Imperators, oder wenn schon in Palästina, dann zumindest im Palast des Herodes.

Das Christentum besaß nichts. Weder mächtige Fürsten noch gelehrte Männer, keine großen Strategen, auch keine Missionsstrategen. Sein Entstehen und seine Ausbreitung ist das unwahrscheinlichste Ereignis der Weltgeschichte. Nicht durch Macht und Ansehen, nicht durch Geist und Schönheit hat Gottes Botschaft in dieser Welt Verbreitung gefunden, sondern nur durch etwas unendlich Kleines, über das die Mächtigen und Weisen seiner Zeit gelacht haben, und fast ist es heute schon wieder so weit, daß wir uns schämen, es hier niederzuschreiben, so abgegriffen, so verfälscht und so verbogen ist das Wort geworden. Das Wort heißt Liebe. Die Liebe, und nur sie allein, ist das Geheimnis des Christentums. Sie hat gegenüber aller menschlicher Planung, gegen alle menschliche Voraussicht all das zerstört, was unzerstörbar schien, all das zusammengeführt, was unendlich weit auiseinanderlag, all das zum Wachsen gebracht, was verkümmert und verdorrt war. Nicht, weil sie mächtig, weil sie reich oder weil sie klug waren, haben ehe Apostel den Samen des Christentums ausgestreut. Nur die Liebe, die sie empfingen und Weitergaben, hat das römische Imperium von innen her umgeformt, hat die Sklaverei zersetzt, hat Juden und Christen versöhnt, hat Griechen und Barbaren zusammengefübrt. Griechen und Barbaren, sind das nicht heute die Satten und die Hungrigen; Juden und Heiden, ist das nicht heute rechts und links, schwarz und rot; die Sklavenwirtschaft, ist das nicht koloniale Ausbeutung und nicht nur diese; und kann das römische Imperium nicht als die mächtigen Reiche der heutigen Welt verstanden werden? Wo ist die Liebe, die all das umformen, auflösen, erneuern kann?

Nicht zu flüchten gilt es, nicht sich zu verstecken vor der Welt, nicht den Teufel verantwortlich machen für das Neue, das Ungeahnte, das Gefährliche, das Drohende, das uns zu überwältigen droht. Gott ist ein schöpferischer Gott. Die Bewältigung der Umwelt, die Beherrschung der Kräfte der Natur, die Neuordnung der Welt ist nicht Dämonie. Nicht im Gebet allein kann die Rettung liegen. Die Beter wohl, aber auch die Täter ändern das Schicksal der Welt. Die Friedenstäter, die Fertiger des Friedens, hat Christus in der Bergpredigt selig gepriesen. Und denen, die ihn erkennen in jedem seiner Brüder, hat er das Heil versprochen. Wenn wir heute beten „Gib uns unser tägliches Brot“, dann müssen wir wissen, daß das nicht nur unser Brot ist, sondern das Brot von Millionen von hungernden Menschen, die danach rufen. Wenn wir bei Tisch sagen „Komm, Herr Jesus, und sei unser Gast“, dann ist das eine Phrase und eine Lüge, wenn wir Ihn nicht einladen, unser Gast zu sein in der Person Seines und unseres hungrigen Bruders. Wenn wir es ernst meinen, und wehe uns, wenn wir dies nicht tun, dann müßten wir aus frommen Sprüchen und Gebeten Ernst machen, dann müssen wir vom Symbol zur Tat kommen. In der Bibel steht es: „Nicht wer Herr Herr sagt, sondern wer den Willen meines Vaters tut“ Und der Wille des Vaters, der Wille Gottes, ist immer nur eines, jenes kleine, abgegriffene verbogene Wort Liebe.

Von Österreich ist der Gedanke des Fastenopfers in die Welt gegangen. Viel wurde aufgebracht, manches damit auch geschaffen. Aber es war doch, nur ein Symbol, es soll mehr werden. Wenn die Kirche die Nüchternheitsgebote vereinfacht, so sollten wir nicht vergessen, daß nicht nur die größere Hälfte der Menschen Zeitspannen gar nicht ablesen kann, weil sie keinen Zeitmesser, keine Uhr besitzen, daß kirchliche Vorschriften, die an einer Kirchentür angeschlagen sind, für die größere Hälfte der Menschen schon deswegen unverständlich sind, weil sie nicht lesen können, sondern weil vor allem Nüchternheitsbestimmungen für jene übergroße Mehrheit aller Menschen schon deswegen nicht von Bedeutung sind, weil sie ja meist immer nüchtern, das heißt hungrig sind. Wir aber sind nicht hungrig, wir sind so satt, daß wir unser Brot im Mistkübel verschimmeln lassen, daß unsere Sorge nicht die Nahrung, sondern das Abmagern ist.

Komm, Herr Jesus, und sei unser Gast“. Wer es ehrlich meint, der lade an jedem Freitag diesen Jesus auch wirklich bei sich zu Gast, indem er von einer Mahlzeit einen Schilling beiseite legt, um den Hunger dieses Gastes zu stillen. Wenn zwei Millionen Österreicher, um nur jene anzuführen, die sich nicht nur bei der Volkszählung oder vielleicht noch beim Begräbnis als Katholiken ausweisen wollen, wöchentlich einen Schilling, den Freitagsschilling, den Gastschilling, hergeben, so haben wir im Jahr über hundert Millionen Schilling. Und wenn die Christen die Fastenzeit als Fastenzeit begehen wollen und jeden Tag einen Schilling opfern, so haben wir 160 Millionen Schilling. Das ist mehr als eine symbolische Geste, das ist eine Entwicklungshilfe, die nicht darnach fragt, „was habe ich davon?“, sondern die den Bruder sucht und in dem Bruder Christus findet. Natürlich wissen wir, daß es nicht allein darum geht, bloß den augenblicklichen Hunger zu stillen und eine Art Weltausspeisung zu organisieren, sondern darum, diesen Bruder als Gast bei uns aufzunehmen, ihn nicht nur an unserer Mahlzeit, sondern auch an unserem Leben, an unserem Wissen und Können teilhaben zu lassen, auf daß er einmal selbst so weit kommt, sich all das aus eigenem schaffen zu können, was wir ihm heute voraus haben und ihm vorenth alten.

Die Menschheit war noch vor wenigen Jahrzehnten eine Abstraktion, ist jedoch heute eine Möglichkeit, und wird morgen eine Wirklichkeit sein. In welchem Sinn, ob in einer friedlichen Gemeinschaft gleichberechtigter, brüderlicher Menschen oder in einer Horde sich zerfleischender Nationen, in einem Rassen- und Klassenkampf weltweiten Ausmaßes, das hängt von uns ab. Die kommende Menschheit gleichberechtigter, gleichgeachteter, zufriedener Völker ist kein Hirngespinst weltfremder Philanthropen, sondern steht in der Bibel, wir müssen es nur bei Paulus nachlesen. Wir müssen daran glauben und wir müssen darnach handeln. So, wie die belebte Materie unendlich hoch über der unbelebten Materie steht, so steht der Geist unendlich hoch über dem bloß Animalischen. Aber der Mensch ist mehr als ein bloß geistiges Wesen. Über dem Reich des Geistes steht das Reich der Liebe. Der Mensch ist nicht nur ein Geistwesen, er ist vor allem ein Liebeswesen. Er ist zur Liebe geschaffen, zur Liebe berufen, zur Liebe verpflichtet. Die Liebe ist das wahre Göttliche im Menschen. Aus Liebe zu uns ist Gott unendlich klein geworden, damit wir Ihm entgegenwachsen. Wir können nur wachsen in der Liebe. In der Liebe zu Gott nur, wenn wir Ihn in Seinen Brüdern erkennen.

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