Gottes Paradies wartet uns entgegen

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Vor 130 Jahren wurde den Wiener Altkatholiken die Salvatorkapelle im Alten Rathaus übergeben. Ein Grund für die furche, zu einer "altkatholischen" Auslegung der universalen Vision von Weihnachten einzuladen.

Nackt und unbehaust kommt an einem unmöglichen Ort ein Kind zur Welt. Nirgendwo gab es einen Platz. Die blutjunge Frau steht vor einer ungewissen Zukunft. Der Mann an ihrer Seite ist nicht der Vater. Schon bald werden sie auf der Flucht sein. 30 Jahre später wird "der Menschensohn" nackt und jeder Würde beraubt am Römerkreuz hingerichtet.

Politik und Religion sind im Spiel. Damals wie heute sind es die kleinen Leute, vor allem Frauen und Kinder, die weltweit die Last von Armut und Elend tragen müssen.

Von leisen Stimmen

In unseren Tagen richtet sich das Augenmerk auf Afghanistan, auf Flüchtlingslager dort und anderswo und täglich neu auf Palästina und den Nahen Osten. Seit den schrecklichen Anschlägen vom 11. September ist die Zerbrechlichkeit der Weltordnung und die Verwundbarkeit allen Lebens sichtbar. auf den Feldern von Gaza, Hebron und Betlehem herrscht Krieg, kein "Ehre sei Gott in der Höhe!" Jesaja ist brandaktuell: "Niemand kann um Jerusalems willen ruhig sein" (Jes 62,1-5). Im Irak (und anderswo) sind Hunderttausende Kinder an Unterversorgung gestorben. Es scheint eine Frage der Zeit, bis von Neuem Bomben fallen.

Eine Welt, in der täglich Milliarden Spekulationsgewinn gemacht werden und zugleich Regionen von Krankheit und Verwüstung betroffen sind, kann nicht heil und stabil sein. Gewalt und Terror sind (auch) Folge von Demütigung und Ungerechtigkeit, ein Ergebnis ungezügelter Herrschaft der Ökonomie über die Politik.

Dieses Weihnachten gibt Anlass, über Religion nachzudenken, besser über den Missbrauch von Religion durch Ignoranz und Überheblichkeit. Der Mensch ist von Natur aus religiös. Religion ist die tiefste Gabe, die dem menschlichen Herzen eingepflanzt ist. Dies zu übersehen ist unmenschlich und gefährlich. Doch die Stimme der Religionsführer und der ökumenischen Räte im Morgen- wie im Abendland wird im Lärm der Alltäglichkeit und in der Nachrichten- und Bilderweltflut kaum vernommen.

So steht gegenwärtig die islamische Welt am Pranger, nachdem uns frühere Feindbilder abhanden gekommen sind. Amerikanische Bischöfe haben gewarnt, der Versuchung der Rache zu unterliegen und Böses mit Bösem zu vergelten. Auf der anderen Seite haben islamische Gelehrte und maßgebliche Muslimführer die Verbrechen von New York als dem Heiligen Willen Gottes zuwider verurteilt.

Wird wahrgenommen, dass 15 Millionen Muslime - freilich im komplexen Gefühl von Nähe und Distanz - friedlich in Europa den Fastenmonat Ramadan begangen haben, während unser Advent, die Vorbereitung auf das Gedächtnis der Geburt Jesu in ihren Augen in seinem religiösen Gehalt verdunkelt erscheint?

Ist ihre Angst unbegründet, dass die ihnen heilige Religion ebenso bedeutungslos werden könnte wie in unserer Zivilisation das Christentum?

Vom Heil. Vom Unheil

Jedenfalls ist es Zeit, die Vorurteile zwischen den Kindern Abrahams - Juden, Christen und Muslime - abzubauen. Die Zeit drängt, uns von neuem auf unsere gemeinsamen Wurzeln zu besinnen, ihre Friedenspotenziale zu entdecken und einer globalen Ethik zum Durchbruch zu verhelfen.

"Heil und Unheil kommen nicht von den Juden" - auch nicht von Christen und Muslimen! -, "sondern das Heil kommt allein von Gott", predigte die jüdische Rabbinerin Eveline Goodman-Thau neulich in der altkatholischen Christuskirche in Wien-Simmering.

Das Unheil kommt aus der Gottlosigkeit sündiger Strukturen und der Sünde der Menschen. In jedem Menschen gedeihen Unkraut und Weizen nebeneinander. Weihnachten erinnert damit alle Welt an Gottes reiches Gnadengeschenk, das umsonst angeboten, aber niemals vergeblich gegeben sein will. Die Verheißung vom Licht in der Dunkelheit, die Sehnsucht, dass "Frieden und Gerechtigkeit einander küssen" (Ps 85,11) und das Verlangen nach Menschlichkeit und Erbarmen sind höchst aktuell und notwendig.

"Alle Enden der Erde sollen Gottes Heil schauen" (Jes 52,10). Das heißt auch, dass Gott der Herr der Geschichte ist und bleibt. Und er will Recht schaffen für alle Völker, Kulturen, Zivilisationen, Sprachen, Hautfarben, Geschlechter, für Religiöse ebenso wie für Agnostiker oder in ihrer Eigenmächtigkeit Verhaftete. Denn "viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott gesprochen" (Hebr 1,1), in der "Vorhalle zum Christentum" (so Ignaz von Döllinger (1799- 1890), der theologische Vordenker der Altkatholiken), in den östlichen Religionen und antiken Philosophien ebenso wie durch die Propheten des Judentums - und später der Religion Muhammads! - und vor allem durch den "Gesandten und Gesalbten", der aus der "Wurzel Jesse" (Jes 11,1) stammt.

Von der Gnade

Was könnte uns hindern zu glauben, dass Gott auch heute noch spricht, hatte doch der "Menschen- und Gottessohn" in einzigartiger Weise alle prophetische Weisung auf den Punkt gebracht, nichts überholt und niemanden enterbt, nicht an Geoffenbartem über Gott für ungültig erklärt, noch weniger etwas zurückgenommen oder gar abgewertet. Jesus standen nur das Wort, die Botschaft von der gerechten Barmherzigkeit Gottes und des Friedens zu Gebote, weder Absolutheitsanspruch, noch Gewalt, noch irgend ein Zwangsmittel. Er bekräftigte viel mehr die uralte Weisung der Gottes- und Nächstenliebe, einschließlich der Fremdenliebe, "denn der Fremde ist wie du" (Dt 6,4; Lev 19,33). Auch wollte er sich nicht an die Stelle Gottes setzen und mit irdischen Mitteln - fanatisch und fundamentalistisch - dem (vermeintlich) Heiligen auf die Sprünge und zum Siege verhelfen.

Die Geschichte lehrt zur Genüge, was bei solcher Haltung herauskommt. Das Paradies Gottes lässt sich nicht herbeizwingen, es wartet uns vielmehr entgegen. Die Frage ist nur, ob wir dem Handeln und Wirken Gottes Raum geben.

Von Glaube und Friede

Glauben ist immer Geschenk und Antwort in Freiheit. So ging er, den Christen als den "Sohn Gottes", als den Gekreuzigten und Auferstandenen glauben und bezeugen, seinen Weg in beispielhafter Konsequenz bis zur äußersten freiwilligen Erniedrigung und folgte damit der geheimnisvollen Pädagogik Gottes, von der es im Titusbrief nunmehr in universaler Geltung heißt: "Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten; sie erzeiht uns, der Gottlosigkeit zu entsagen und eine Menschheit zu werden, die danach trachtet, das Gute zu tun" (Tit 2,11), das heißt wohl auch, dass die Menschheit sich herausfordern lässt, aus dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, von Sünde und Tod herauszufinden und das Abenteuer einer neuen Weltordnung zu wagen.

Diese hat freilich, uns das ist christliche Hoffnung, immer schon begonnen. Allerdings gilt es die Botschaft von der "Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes" (Tit 3,4) so zu buchstabieren, dass nicht die Menschen religiöser, sondern Religion und Politik menschlicher werden.

Hier besteht nach dem Übrigbleiben des westliche Kulturimperialismus nach der Wende von 1989 Handlungsbedarf. Das "Projekt Weltethos" (Hans Küng), die Dekaden zur Überwindung von Gewalt (wie sie die UNO und der Ökumenische Rat der Kirchen ausgerufen haben), Weltklima- und Weltfriedenskonferenzen, OSZE-Bemühungen, Weltfrauenkonferenzen und nicht zuletzt die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" wollen diesem Ziel dienen. Eine globale Ethik auf der Grundlage der "Goldenen Regel" aller Religionen, der Zehn Gebote der hebräischen Bibel und der Bergpredigt Jesu, könnte zu einer neuen Weltwirtschaftordnung führen.

Frieden ist nur über den Weg des Dialogs und des gerechten Ausgleichs und Austausch aller Lebens-Mittel der Erde zu haben. "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu", heißt nicht, dass alles gleich wahr und wert wäre, oder dass jedem das Gleiche zustünde, sondern setzt geradezu voraus, dass jeder materielle und geistige Reichtum und auch jede für sich als wahr erkannte - und damit nicht relativierbare oder aufgebbare - Wahrheit immer in Beziehung zu anderen Reichtümern und Wahrheiten gelebt werden soll. Es angstfrei mit dem Anderen zu können, setzt voraus, das Eigene zu kennen und es im anderen tiefer begreifen zu lernen. Dies ist auch der tiefste Sinn der Ringparabel im "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing. Es ist nicht alles gleich, aber gleich soll der Wetteifer der Söhne (und Töchter) im Guten, in der Liebe und im Frieden sein. Es gibt kein anderes Vermächtnis zum Überleben der Menschheit.

Von den Altkatholiken

Die Christenheit hat selbst - oft schmerzlich - lernen müssen, welcher Anspruch in der Taufformel des Galaterbriefes (Gal 3,28) enthalten ist, uns was es heißt, "in Christus" eins zu sein und zu werden. Sie sieht sich mehr und mehr in ökumenischer Querverbundenheit und Verantwortungsgemeinschaft. Sie ist auf dem Wege, Gemeinschaft (auch in den Sakramenten) nicht nur als Ziel, sondern auch als Mittel zu begreifen, ohne die Vielfalt der gewordenen Identitäten aufzugeben, in denen sich der menschgewordene Reichtum Gottes entfaltet.

Altkatholiken haben in den vergangenen 130 Jahren hier einige wertvolle Erfahrungen machen dürfen, in den Kontakten mit der Orthodoxie (Abschluss der Lehrgespräche 1987), mit der römisch-katholischen Kirche (nach der Exkommunikation 1871 die Aufhebung des Interdikts über St. Salvator in Wien durch Kardinal König 1969), mit den evangelischen Kirchen (Erklärung eucharistischer Gastbereitschaft) - und vor allem mit der vollen Kirchen- und Kommunionsgemeinschaft mit den Anglikanern seit 1931.

Die Erklärung von 1931 spricht davon, dass vom anderen zu glauben, dass auch er glaubt und am Wesentlichen des christlichen Glaubens festhält, nicht heißt, das Ganze "aller Lehrmeinungen, Frömmigkeitsformen oder liturgischer Praxis, die ihm eigen ist, übernehmen" zu müssen. Im Oktober konnte der 70. Jahrestag dieser Gemeinschaft mit den Anglikanern dankbar gefeiert werden.

Von universaler Vision

Weihnachten birgt so gesehen auch eine universale Vision in sich, dass alle Welt sich aufmacht, aus der Bruchstückhaftigkeit aller Erkenntnis aufzubrechen zum "Licht der Herrlichkeit Gottes, zu dem die Söhne und Töchter von ferne kommen und ihre Reichtümer bringen" (Jes 60,1-6). Damals orientierten sich die Gottsucher und Gelehrten aus dem Morgenland an dem Stern, der Ost und West, Nord und Süd, das heißt alles verband. Sie hätten nicht suchen müssen, wenn es nichts mehr zu finden gäbe. So wird Weihnachten auch für unsere Kirchen, für unsere Zeit und Welt zur Möglichkeit, das Gottesgeheimnis neu zu erfahren und in der Differenz aller anderen Erfahrungen und Erkenntnisse zu sehen und zu deuten. Das Allermenschlichste aber, das es global zu finden gilt und in dem das Göttliche in Betlehem aufgestrahlt ist, ist das Bild von der Mutter mit dem Kind. Es verbindet alle Menschenkinder aller Völker und Nationen gleichermaßen. Es ist zugleich das Verletzlichste, das nicht den Gottlosen, den Kinder- und Völkermördern schutzlos ausgeliefert sein darf.

Der Autor ist Bischof der altkatholischen Kirche in Österreich.

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