Eine Öffnung hin zum Unbekannten

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Mission, das ist heute die Suche nach jenen Orten, wo wir uns mit dem, woran wir glauben, der Gegenwart aussetzen.

Mission ist der Versuch, der harten, anstrengenden, risikoreichen Begegnung von Tradition und Gegenwart, von Evangelium und Existenz nicht auszuweichen.

Niemand muss mehr Katholik oder Katholikin sein, niemand muss mehr Christ oder Christin sein, niemand muss mehr religiös sein. Und das ist auch gut so. Jeder Zwang in Sachen Religion ist ungefähr so kontraproduktiv wie Zwang in Sachen Liebe. Es ist kein Zufall, dass sich westliche Gesellschaften ungefähr zeitgleich von beiden Zwängen befreiten.

Aber viele sind noch religiös, und ziemlich viele wollen das auch noch als Christ und Christin und als Katholik und Katholikin sein. Offenkundig kann man in Religionen etwas finden, was andere zwar auch, aber eben nicht so bieten: Sinn, Orientierung, Lebenshilfe etwa, vor allem aber die Chance, an der eigenen Vergeblichkeit, Sündhaftigkeit und Sterblichkeit nicht zu verzweifeln.

Das hat Religion auch für unsere Mütter und Väter, Großmütter und Großväter schon geleistet. Neu aber ist: Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass die anderen, selbst die Nächsten, die eigenen Kinder etwa, glauben, woran man selbst glaubt. Rein statistisch gesehen ist es sogar einigermaßen unwahrscheinlich.

Fatale und andere Möglichkeiten

In dieser Situation hat man als Christ und Christin mehrere Möglichkeiten, und drei davon sind ziemlich fatal. Zum einen kann man versuchen, wenigstens im kleinen Rahmen, in der Familie, in der Gemeinde, im kirchlichen Internat doch noch ein wenig religiösen Druck aufrecht zu erhalten. Das aber verrät alle: Gott, denn er wird verstrickt in einen Zwangszusammenhang, der es fast unmöglich macht, ihn zu entdecken, die so "Missionierten", denn sie werden Opfer religiösen Zwangs, aber auch die Akteure solcher Strategien, denn sie werden Täter, die sich an den Seelen anderer versündigen.

Man kann natürlich auch von Gott, den religiösen Dingen und gar dem "Heil" reden, ohne wirklich etwas zu sagen zu haben und eigentlich nur meinen: Ihr müsst so (begeistert) sein oder werden wie wir. Das wird dann peinlich. Peinlichkeit entsteht, wenn man auf die berechtigte Frage der Menschen "Was bedeutet es, wenn Ihr sagt, Ihr bringt das Heil?" keine für sie glaubwürdige Antwort hat -und das mit vielen Worten verschleiert. Entscheidend dabei ist, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob wir unsere Antworten glauben, sondern ob sie in den Herzen und Köpfen der Zuhörer und Zuhörerinnen etwas bedeuten.

Man kann, und das ist dann die dritte und auch nicht sehr weiterführende Möglichkeit, natürlich auch einfach vom eigenen Glauben schweigen. Und es ist ja tatsächlich besser, nichts zu sagen, wenn man nichts zu sagen hat, als übergriffig oder peinlich zu werden. Aber am besten wäre es natürlich, wenn man etwas zu sagen hätte, das anderen Menschen hilft, etwas sagen könnte darüber, woran man glaubt, worauf man baut, was man erhofft. Nur: Man muss dann auch tatsächlich etwas zu sagen haben: zuerst übrigens mit dem eigenen Leben und dann auch mit den eigenen Worten, respektabel, glaubwürdig und hilfreich für andere.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Sie ist die schwerste, aber auch die lohnendste: den eigenen Glauben aufs Spiel setzen. Wie sagte Jorge Bergoglio vor seiner Wahl zu den Kardinälen: "Die Kirche ist dazu aufgerufen, aus sich selber heraus und an die Peripherien zu gehen, nicht nur an die geografischen, sondern auch an die existenziellen Peripherien: jene des Mysteriums der Sünde, des Leidens, der Ungerechtigkeit, der Unkenntnis bzw. der Missachtung des Glaubens, an die Peripherie des Denkens und allen Elends." Darunter gibt es keine Mission.

Ein heilvolles, aber risikoreiches Spiel

Mission bedeutet, dass drei Größen miteinander in ein heilvolles, aber auch risikoreiches Spiel kommen: Gott, denn ihn und nur ihn können wir als Heil aller Welt präsentieren, wir selbst, die wir dieses tun wollen, und jene, denen wir diesen Gott vergegenwärtigen wollen. Das können wir nämlich nicht ohne sie. In der harten Sprache eines Märtyrers: "Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen"(Alfred Delp).

Das Christentum ist keine Doktrin, die unabhängig von jenen, an die sie sich wendet, verkündet werden könnte. Und das nicht nur, weil heute sowieso nichts anderes möglich ist, sondern vor allem, weil es dem Gott des Jesus von Nazaret immer um das Heil jedes einzelnen Menschen geht. Unser Gott ist kein unpersönlicher Gott jenseits unseres Lebens, sondern ein Gott, der zu jedes Menschen Existenz eine eigene Beziehung aufbaut, eine Beziehung, die diesem Leben Horizonte verleiht, die es ohne Gott nicht hätte.

Das aber heißt: Alle Menschen sind mögliche Orte der Entdeckung Gottes, auch und vielleicht sogar gerade weil und wenn uns diese anderen Menschen fremd sind. Christen sollten eine Leidenschaft für den Fremden haben, wenn sie ernst nehmen, dass Gott als Fremder zu ihnen kommt, als Dieb in der Nacht wie im Gleichnis Jesu, als unbekannter Wegbegleiter wie bei den Emmausjüngern. Vor allem sollten sie ernst nehmen, dass Gott ihnen nicht gehört, das sie ihn nicht besitzen, sondern dass sie ihn selbst suchen und entdecken müssen bis zum Ende ihres Lebens, also bis zur definitiven Begegnung mit Gott.

Die Freiburger Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer hat daher zu Recht in ihrer Kritik des jüngst veröffentlichten "Mission Manifest" festgehalten: "Es liest sich befremdlich, wenn von der vielleicht letzten Chance des Christentums die Rede ist -ist Gott am Ende, wenn die Menschen keinen Weg mehr sehen? Es liest sich auch befremdlich, wenn von einem Comeback der Kirche die Rede ist -geht es bei Mission nicht darum, die Hoffnung des Evangeliums zu künden und damit das angebrochene Reich Gottes zu bezeugen, das die Kirche in unersetzbarer Weise zeichenhaft sichtbar macht, mit dem sie aber nicht identisch ist?"(www. feinschwarz.net). Es wäre noch weitere Kritik möglich. In den zehn Thesen wird etwa, wie mein Tübinger Kollege Michael Schüßler ebenfalls zu Recht feststellt, Glaube mit Begeisterung und das Geheimnis Gottes mit der Unbedingtheit im eigenen Bekenntnis verwechselt.

Keine einfache Bestätigung des Eigenen

Aber bei aller Kritik -ein dritter Punkt wäre die Unterbelichtung der diakonia, der Tat der Nächstenliebe in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, im "Mission Manifest": Wenn es (junge) Menschen dazu verleitet, ihr Leben mit der Botschaft des Evangeliums zu verbinden, dann kann man das nur begrüßen. Freilich sollte niemand die eigene Spiritualität, und sei sie noch so authentisch, als universales Heilmittel für die ganze Kirche ansetzen: Das wäre weder katholisch noch würde es zu irgendetwas führen.

Mission ist der Versuch, der harten, anstrengenden, risikoreichen Begegnung von Tradition und Gegenwart, von Evangelium und Existenz nicht auszuweichen. Mission bedeutet, aus sich herausgehen, indem wir uns, unsere Botschaft dem anderen aussetzen, der keineswegs eine gottlose Tabula rasa ist, sondern einer, dessen Heil Gott will wie das unsrige. Mission bedeutet, unsere Botschaft den anderen auszusetzen und mit ihnen entdecken, was sie für sie und mich selbst bedeutet. Das ist die Grundstruktur des missionarischen Prozesses. Er ist damit immer ein Risiko.

Mission ist eine Öffnung zum Unbekannten hin, ist eine Reise ins Fremde, bei der man auch und gerade über sich selbst Neues entdeckt. Sie ist keine einfache Bestätigung des Eigenen. Mission, das ist die Suche nach jenen Orten, wo wir uns mit dem, woran wir glauben, der Gegenwart aussetzen, um beides darin neu zu entdecken: die Gegenwart und den Glauben.

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