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Eine Kirche für die Jahrtausendwende

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Genau in der Mitte der 40 Jahre FURCHE-Geschichte liegt das Ende des Konzils. Diese Beilage spannt den Bogen von der „vorkonziliaren“ FÜRCHE-Beginnzeit über das Konzil und heute hinaus in die Zukunft. Die Beiträge auf dieser Seite sind spontane Antworten am Telefon auf die Frage „Welchen Problemen sollte sich die Kirche, insbesondere die österreichische, vor der Jahrtausendwende noch besonders ernsthaft zuwenden?1'

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Genau in der Mitte der 40 Jahre FURCHE-Geschichte liegt das Ende des Konzils. Diese Beilage spannt den Bogen von der „vorkonziliaren“ FÜRCHE-Beginnzeit über das Konzil und heute hinaus in die Zukunft. Die Beiträge auf dieser Seite sind spontane Antworten am Telefon auf die Frage „Welchen Problemen sollte sich die Kirche, insbesondere die österreichische, vor der Jahrtausendwende noch besonders ernsthaft zuwenden?1'

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Erich Brunmayr:

Mitgestalten!

Die Christen dürften nicht länger nur am „Medienfenster“ stehen und — bestenfalls mit Beifalls- und Mißfallenskundgebungen — zuschauen. Mitgestaltung der Welt beschränkt sich oft auf sehr weit wegliegende Probleme, etwa Dritte Welt, Hunger, Frieden und so weiter. Das sind durchaus sehr wichtige Themen, aber wenn man sich nur um den „Ubernächsten“ kümmert und nicht um die Bedrängnisse in der näheren Umgebung, wird christliche Liebe zu einer abstrakten Formel. Der „Geringste meiner Brüder“ wird ganz weit weg verlagert. Wenn Kirche im konkreten Gemeinwesen keine mitgestaltende Kraft ist, dann ist sie auf das Ritual beschränkt, und das Ritual hat keine gesellschaftliche Bedeutung.

Wir heben kirchliche Praxis weit aus der Alltagswelt heraus, schieben die Hoffnung auf eine transzendente Ebene, sie hat keine weltgestaltende Kraft mehr. Für mich ist es frappierend, daß die derzeit für Jugendliche attraktivste Literatur sich mit dem Sinn des Lebens befaßt, daß Vorlesungen von Viktor Frankl in drei andere Hörsäle übertragen werden müssen.

Hoffnung braucht konkrete Ziele, Realutopien, aber auch die Kirche bietet sie nicht an. Wenn sich die christliche Gemeinde in der alltäglichen Lebenswelt nicht von der nichtchristlichen unterscheidet, wenn wir hier nicht zeigen können, wie Christen aus dem Glauben miteinander leben und ihr Gemeinwesen gestalten -wie sollen wir dann mit den Problemen der Dritten Welt fertigwerden?

Der Autor ist Jugendsoziologe.

Josef Dirnbeck:

Energiespeicher

Ich erinnere mich an das letzte Interview des 80jährigen Karl Rahner, in dem er von den „winterlichen Zeiten“ gesprochen hat, in denen die Kirche nun zu leben scheint. Ich für meinen Teil finde den Winter als solchen nicht schlimm. Nur müssen eben im Winter die Dinge getan werden, die im Winter zu tun sind.,Zum Beispiel müssen wir, um in der Kälte zu überleben, heizen. Aber womit heizen wir denn? Doch nur wieder mit der Energie, die von der Sonne stammt und in Millionen von Jahren im Inneren der Erde gespeichert wurde.

Der Autor ist Schriftsteller.

Renata Erich:

Keine, Aktionen'

Die Kirche hat sich einem besonders zu widmen — der Vermittlung des Neuen Testamentes, und nicht der Politik, nicht der Außenpolitik und nicht sonstigen Dingen, sondern geistlichen Aufgaben! Ich will von der Kirche nicht wissen, wie ich mich in der Gesellschaft zu verhalten habe, denn davon versteht die Kirche eigentlich weniger als ich. Ich bin wahrscheinlich politisch und organisatorisch viel besser. Das traue ich mich jetzt erst langsam zu sagen, weil ich in ein „weises Alter“ komme.

Ich möchte von der Kirche eine Auslegung des Evangeliums, eine Erinnerung an das Evangelium, ich möchte Predigt von der Kirche. Ich glaube, daß die Aufgabe der Kirche im Grunde ist, den Glauben Leuten zu vermitteln, die dann ihrerseits sozial tätig sind, politisch tätig sind und so weiter. Ich glaube nicht, daß die Kirche ihren Gläubigen abnehmen sollte, selbst Politik, soziale Aktivitäten zu betreiben et cetera.

Die Kirche als ganzes, als „corpus Christi mysticum“, sollte natürlich voll im Leben stehen, und dazu braucht sie seitens der Hierarchie und des niederen Klerus geistliche Unterstützung oder altmodisch ausgedrückt: Gnadenvermittlung, Besinnung. Mir fallen einfach zu viele Leute der kirchlichen Hierarchie ein, die sich einbilden, „Aktionen“ durchführen zu müssen. Sie sollen sich, in Richtung der Ostkirchen, auf ihre geistlichen Aufgaben beschränken und all ihre Energie dort hineininvestieren. Weil dort mangelt's.

Die Autorin ist TV-Journalistin.

Elisabeth Göttlicher:

Am Aussterben?

Die Frage, die man sich sicher überlegen müßte, ist: Wieso sieht man heute in den Kirchen vorwiegend alte Leute? Wo ist die Jugend? Die Jugendarbeit ist, glaube ich, nicht damit abgeschlossen, daß man Partys veranstaltet und Beatkeller imitiert, sondern daß man, wie es der Je-.suit Roman Bleistein formuliert, mit dem heutigen „destrukturierten Collagemenschen“ etwas anfangen muß, diesem strukturlosen, zusammengeklebten Wesen wieder die Struktur des Christentums geben muß.

Vielleicht spreche- ich da zu stark als Erzieher oder als Lehrer, aber für mich ist die Kernfrage: Wie kommt man an die Jugend heran? Kann man sie für den Glauben interessieren? Man findet vorwiegend alte Leute in den Kirchen. Wollen wir eine aussterbende Kirche sein, oder was unternehmen wir? Und wenn wir uns das nicht vor der Jahrtausendwende schleunigst überlegen, schaut es böse aus.

Die Autorin ist Ordensschwester und AHS-Direktorin.

Erika Mitterer:

Das Evangelium

Die Kirche sollte das tun, was sie immer getan hat oder immer hätte tun sollen, nämlich das unverkürzte Evangelium verkünden, und zwar das unverkürzte Evangelium auch in den Teilen, die dem Zeitgeist widersprechen.

Und sie sollte/wie seit 2000 Jahren die Sakramente verwalten. Ich glaube, daraus ergibt sich die Haltung zu allen Teilproblemen von selbst. Ich glaube auch, daß die sozialen Probleme und die moralischen Probleme sich alle nur durch die Rückbesinnung auf das unverkürzte Evangelium irgendwie lösen lassen.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

Gabriele Neuwirth:

Der Laie

Das Thema, das mir am wichtigsten erscheint, gerade auch im Hinblick auf die Jahrtausendwende, lautet: der Laie in der Kirche. Weil mit dieser Frage ganz eng die Frage der Frau in der Kirche zusammenhängt. Es ist ganz klar: Wenn es den Laien in der Kirche nicht gut geht, geht es den Frauen noch schlechter.

Ich habe mich mit der Frage Frau in der Kirche nie besonders auseinandergesetzt, es hat mich nicht so sehr interessiert, aber die Frage Laie in der Kirche interessiert mich sehr, weil es ganz deutliche Tendenzen gibt, die Laien von der Mitbestimmung in der Kirche wieder auszuschließen.

Neulich habe ich einem polnischen Journalisten — da wir ja kirchlich derzeit sozusagen nach polnischem Modell regiert werden, hat mich seine Antwort interessiert — eine diesbezügliche Frage gestellt: Haben Laien in Polen die Möglichkeit, bei wichtigen internen kirchlichen Fragen mitzubestimmen? Er hat mich an einen gerade anwesenden, in Österreich tätigen polnischen Pfarrer verwiesen. Der Pfarrer hat gesagt, ja die Laien wollen in Polen gar nicht mitbestimmen, um nicht aufzufallen. Der Journalist wollte dazu nichts sagen, was mich darin bestärkt hat, daß hier ein großes Problem vorliegt.

Die Autorin ist Kirchenzeitungsredakteurin.

Erwin Ringel:

Konzil umsetzen

Die wichtigste Aufgabe ist die Vermenschlichung des Christentums, wodurch eine Nähe zwischen den Menschen und der Kirche, die verlorengegangen ist, oder verlorenzugehen droht, hergestellt werden könnte. Besonders wesentlich erscheint mir in diesem Zusammenhang auch eine neue Ausbildung, vor allem der Theologiestudenten.

Ein weiterer Punkt: ein bedingungsloses Eintreten für alle Schwachen und Unterdrückten auf dieser Welt. Und dem müßte man noch hinzufügen: ein absolutes Bekenntnis zum Frieden. Das sind alles Ziele, die im Zweiten Vatikanum festgelegt worden sind. Mit .anderen Worten: Es geht darum, das Zweite Vatikanum wirklich in der Praxis der Seelsorge umzusetzen.

Der Autor ist Professor für Psychiatrie.

Christian Romanek:

Alarmzeichen

Als Religionslehrer an einer Berufsschule merke ich eine unheimlich starke Kluft zwischen Jugend und Kirche und daß es oft an der Basis völlig fehlt. Die Schüler wissen mit-Kirche kaum etwas anzufangen, da sind nur noch ganz- verschwommene Begriffe da. Die Glaubensinhalte sind teilweise völlig verlorengegangen. Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt schon Christen sind, ob wir nicht nur sakramen-talisiert sind, aber überhaupt nicht evangelisiert.

Da fragen mich Schüler: „Herr Fachlehrer, wie ist denn das, wenn ich austrete aus der Kirche? Kann ich eh' wieder eintreten?“ Grundproblem Kirchensteuer: Zuerst tritt man aus, und wenn man dann kirchlich heiraten will, tritt man wieder ein. Das müßte man einmal statistisch nachprüfen, wieweit Kircheneintritte mit der Hochzeit zusammenhängen. Wir müßten uns in der Verkündigung, im Vermitteln von Glaubensgut oder überhaupt im Leben — ich finde, die Serie „Christsein im Alltag“ ist da mehr als richtig gekommen - viel mehr Gedanken über diese Kluft machen.

Die Schwierigkeiten beruhen oft weniger auf feindlicher Ablehnung, sondern meist auf totalem Desinteresse. Umfragen zeigen, wie wenig in den Familien über Gott gesprochen wird. Das sind für mich Alarmzeichen.

Der Autor ist Religionslehrer und Liedermacher.

Hans Spatzenegger:

Zwei Linien

Die Kirche müßte zwei, scheinbar auseinander laufende, Linien verfolgen. Das eine müßte eine verstärkte kreative Spiritualität sein, die entwickelt werden müßte, weil da offenbar ein Defizit besteht. Das sieht man allein schon daran, daß sich die Leute Ersatzreligionen suchen.

Das zweite ist die ständige Nagelprobe der Glaubwürdigkeit der Kirche in ihrem Handeln, sowohl als Institution als auch in der In-Pflicht-Nahme ihrer Mitglieder. Konkret gesprochen: totale Ächtung des Krieges und der Rüstung, Einsatz — und zwar überall — für die Grundrechte der Benachteiligten und der Armen. Speziell für Österreich und den eurozentrischen Charakter unserer Kirche gilt: Einsatz für die Dritte Welt. Alles andere ist Kosmetik.

Der Autor ist Abteilungsleiter im ORF-Landesstudio Salzburg.

Paul Wess:

Salz der Erde

Die Kirche soll „Zeichen und Werkzeug des Heils“ für die Menschen sein. Das Konzil hat dafür „die Weichen gestellt, aber nicht die Geleise gelegt“, wie der Journalist Hansjakob Stehle neulich im Fernsehen gesagt hat. Die österreichische Kirche hat wie jede andere Teilkirche die Aufgabe, diese Wege zu bahnen.

Mir scheinen dabei zwei Anliegen besonders wichtig: die Einführung eines nachgeholten Ka-techumenats, das mit einer persönlichen Erwachsenentaufer-neuerung abgeschlossen wird. Dadurch könnten die Schattenseiten der Kindertaufe ausgeglichen und eine Mündigkeit aller Glieder des Volkes Gottes — wie sie bisher nur Priestern und Ordensleuten zugemutet und ermöglicht wurde — erreicht werden.

Schon im Zusammenhang damit ist zweitens die Bildung überschaubarer geschwisterlicher (Basis-)Gemeinden erforderlich, in denen die Liebe Gottes menschlich erfahrbar wird und damit das gläubige Leben eingeübt, gelebt und bezeugt werden kann. Eine solche Gemeindekirche kann dann als herrschaftsfreie Gesellschaft „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ sein.

Der Autor ist Pfarrer.

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