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Jener wird Jugend haben, der Zukunft auftut

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Der Bischof der Diözese Seckau-Graz, Johann Weber, vollendet am 26. April sein 50. Lebensjahr. In der österreichischen Bischofskonferenz hat er seit sieben Jahren die Funktion eines Referenten für Jugendfragen inne. Auf Grund dieser Erfahrungen untersucht er die Situation der Katholischen Jugend in Österreich.

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Der Bischof der Diözese Seckau-Graz, Johann Weber, vollendet am 26. April sein 50. Lebensjahr. In der österreichischen Bischofskonferenz hat er seit sieben Jahren die Funktion eines Referenten für Jugendfragen inne. Auf Grund dieser Erfahrungen untersucht er die Situation der Katholischen Jugend in Österreich.

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An besorgten Rufen herrscht kein Mangel: Gibt es überhaupt noch eine Katholische Jugend? Wo ist sie? Steht sie links? Oder rechts? Wo sollen die katholischen Eltern ihre Kinder hinschicken? Was lernen sie dort? Warum steht das schöne Jugendheim leer? Was geht in den Jugendzentren vor?

Zunächst ein bemerkenswerter Gegensatz: Es ist für uns Erwachsene wahrscheinlich kaum nachzuvolízie-hen, welches Lebensgefühl die jeweilige jugendliche Generation prägt. Trotz der Fülle von Einzelschicksalen gibt es doch Wellen, die rasch herankommen, ebenso rasch von neuen abgelöst werden. Niemand weiß, wann und wo die nächste Welle anbranden wird. (Es ist höchst bemerkenswert, daß der große und gelehrte Apparat der Psychologie, der Soziologie und anderer Wissenschaften etwa die Jugendrevolution der Sechzigeijahre überhaupt nicht vorausgeahnt hat.) Diese Lebensgefühle können Massen auf die Straße locken, nicht wenige Söhne und Töchter aus besten Häusern nach Afghanistan treiben, können große Gruppen der Fata Morgana östlicher Systeme nachlaufen lassen. Diese Wellen kommen in unsere Gemeinden und Pfarren aus der hohen See eines tiefgreifenden und wohl berechtigten Mißbehagens mit der heutigen Welt. Sie sind oft hochgemute oder auch verzweifelte Versuche, sie zu ändern.

Heiliges Jahr 1975

Und wie geht es der Kirche? Sie hat wiederum ein sehr deutliches Wissen -trotz aller theologischen Pluralität. Sie weiß sehr wohl etwas zu sagen, zu verkünden, aber dieses Wissen wird nur in einem geringen Maß auch zu einem Lebensgefühl. Es sind sehr kleine Gruppen, die zugleich auch von vielen Gefährdungen der Isolierung, der unkritischen Emotion, der unkontrollierbaren Erweckung angefochten sind, bei denen wir ein starkes, schwingendes, begeisterndes Lebensgefühl finden. Allerdings muß hier mit besonderer Dankbarkeit des Heiligen Jahres 1975 gedacht werden: Lebensgefühl und deutlich sichtbare Kirche-vor allem sichtbar in der Glaubwürdigkeit des Papstes - flössen ineinander über und machten auch vielen mürrischen Kirchenleuten ein verheißungsvolles Tor der Zukunft auf.

In diesem Zwiespalt stehen nun die Bemühungen vieler Seelsorger und junger, oft sehr junger Leute, die sich vorgenommen haben, in Österreich Katholische Jugend zu „machen“. Ein Hagel von Vorwürfen prasselt auf sie nieder. Wer immer den Kopf einzuzie-hen genötigt ist, kann ihn nur schwer zugleich erheben, um umschauend Ausschau zu halten.

Dabei hätte die Katholische Jugend Österreichs schon einiges vorzuweisen: Sie hat neu, besser gesagt, weitgehend vergessene Impulse christlicher Haltung wieder in die Kirche eingebracht: Etwa den Sinn für Frieden, die Empfindlichkeit für Unterdrückung, die von den Jugendlichen geduldiger dargebetone Dialogbereitschaft, als oft die Erwachsenen sie bieten konnten, oder den Versuch der Gewaltlosigkeit. Wenn sie das tatsächliche Leben der jungen Leute befragt, so ist ihr auch dafür zu danken, wenn sie auch nicht der Gefahr vorschneller Antworten entkommen kann. Doch sind unsere Erwachsenen-Antworten weiser, differenzierter, geduldiger?

Es bleibt dennoch die Frage: Wie wird das Zusammengehen - Kirche und Jugend, oder enger genommen: Kirche und Katholische Jugend?

Das eigene Fleisch

Rückblickend auf eine Zeit von etwa sieben Jahren als Referent für Jugendfragen in der Bischofskonferenz werden mir einige Gedanken deutlich, die es vielleicht wert sind, weitergegeben zu werden:

• Es ist nicht gut, immer davon zu reden und nachzufragen, was denn die Kirche für die Jugend tue. Jugend und Kirche sind eben nicht Partner, die einander gegenüberstehen, sondern die Kirche ist zu einem Teil Jugend, es ist ihr eigenes Fleisch. Zugleich bedarf die Jugend des Blutkreislaufes der Kirche, sonst stirbt sie in eine hoffnungslose Zukunft hinein. Der bekannte Satz, daß jener Zukunt habe,

der die Jugend besitzt, läßt sich auch umdrehen: Jener wird Jugend haben, der Zukunft auftut. Deshalb wird sich wohl die gesamte Kirche immer wieder fragen müssen, ob sie eine Kirche auf Zukunft ist, damit die heranwachsende Generation in ihr jene Luft findet, in der sie atmen kann.

• Man könnte deshalb darüber nachdenken, wie weit in unserem österreichischen Katholizismus das vertretbare Wagnis auf theologischem, pastoralem, gesellschaftlichem Gebiet Platz hat.,

• Man müßte darüber nachdenken, wie sehr wir als einzelne Katholiken und auch in der Gesamtatmosphäre unserer Kirche den Geist des Vertrauens zueinander und den Geist des Vertrauens auf die Führung Gottes wollen.

• Es wäre ferner darüber nachzudenken, ob nicht neben notwendigen Solidarisierungen gegen etwas, auch Solidarisierungen für etwas geschehen sollten - für eine bessere Welt, für neue Modelle des Lebens. Man kann mit Recht unvernünftige und undurchführbare jugendliche Utopien belächeln. Die Kirche eines II. Vatikanums soll aber eine sein, die Utopien

nicht nur erträgt, sondern überhaupt nach den Zeichen Gottes Ausschau hält.

• Schließlich sollten wir sehr ernst nehmen, daß in der modernen Welt die Kraft der Einflüsse ins Hundertfache gewachsen ist. Es gibt kein beschütztes Dorf, keine unberührte Familie, keine nur • „braye“ Jugendgruppe. Diese Einflüsse können wir nicht einfach abtun. Sie müssen ernst genommen werden: Wir brauchen vor der heutigen Wirklichkeit keineswegs in Ehrfurcht ersterben, aber wir müssen sie sehr emstnehmen.

Wo gibt es nun eine Lösung?

Ich denke, daß die Frage der Jugend von Österreich und auch näherhin der Katholischen Jugend im besonderen eine Priesterfrage ist. Es hat zu allen Zeiten faszinierende und auch ungeschickte Jugendseelsorger gegeben.

Es ist der Priester, der das Vertrauen der Kirche in die jungen Leute übermittelt. Er gibt ihnen eine Heimat, wenn er sie begleitet, weil sie an ihm ahnen, daß er selber eine existenzielle Zukunft gewählt hat, die über allen Zukünften steht. ।

Schließlich gibt es keine Kirche ohne die sakramentale Mitte. Die pädagogische Frage, wie etwa Jugendli-

che zur Messe, zu den Sakramenten zu führen sind, steht auf einem anderen Blatt.

Der neue Versuch, Jugendleiter auszubilden und anzustellen, wird nur aufgehen, wenn dieser neue Berufeng mit dem priesterlichen Dienst verschränkt ist.

Der unentbehrliche Priester ist nicht die ganze Antwort auf die Frage der kirchlichen Jugend und der jugendlichen Kirche. Aber er scheint mir eine wesentliche Antwort zu sein.

Welche Aufforderung Gottes nun aus dem quantitativen Priestermangel herausgehört werden könnte, darüber müßte man eigens reden.

Schließlich denke ich, daß die Verantwortlichen der Kirche und die öffentliche Meinung der Katholiken in Sachen Jugend und Katholische Jugend nicht mit einer zu einfachen Lösung liebäugeln dürften: Reden wir nicht mehr davon! Schauen wir weg! Vielmehr glaube ich, daß jetzt die Einladung des Herrn zu hören ist: Mit dieser Jugend in Treue mitzugehen, in Geduld nicht von ihr zu lassen, dabei zu entdecken, daß sie uns Neues und Vergessenens auftut, sie mit jenem Emst anzunehmen, den Jesus jedem entgegengebracht hat, ihr nicht bloß ein wenig auf die Schulter zu klopfen, sondern sich ruhig auch von ihr beschämen zu lassen - schlicht gesagt -ihr so etwas wie die Treue Christi zu halten und dann in Dankbarkeit zu erleben, daß sie der Kirche, uns Erwachsenen, unserer gemeinsamen Zukunft die Treue hält.

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