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Begegnung: Priester und Laie
Das Verhältnis des Priesters zum Laien ist heute fragwürdig geworden. Darin liegt eine positive und eine negative Feststellung. Positiv zu werten ist es, daß diese Beziehung heute wieder als überhaupt einer ernsten Frage würdig empfunden wird; die Zeit, die derartige Probleme entweder gar nicht wahmahm, oder als endgültig gegenstandslos und erledigt ansah, ist vorbei. Negativ aber ist die Erschütterung alter Fundamente, ist die Zersetzung überlieferter Ordnungsverhältnisse, ist der Verlust schöner Selbstverständlichkeit, die von der anderen Bedeutung des Wortes „fragwürdig" angezeigt werden. In einer Gesellschaft, die sich weithin nicht mehr als eine christliche versteht und geistig nicht mehr vom kirchlichen Glauben geformt wird, kann der Priester auch nicht die soziale Stellung einnehmen, die er zuletzt noch in der Barockzeit .innehatte. Denn dazu wäre es nötig, daß Verwaltung und Spendung der kirchlichen Gnadenmittel und die Führung zum ewigen Heil als allgemeines, als gesellschaftliches Anliegen begriffen wird, ja als die wichtigste Leistung, die überhaupt im sozialen Ganzen für alle vollbracht wird. Es ist unvermeidlich, daß diese Situation auch auf die Gläubigen im Raum der Kirche, ja unbewußt selbst auf den Priester einwirkt. Man meinte — und diese Meinung ist auch heute noch vor-
zufinden —, daß der Priester die gesellschaftliche Geltung, die ihm als Gnadenvermittler versagt wird, eben durch Leistungen auf anderen Gebieten erringen müsse. Daher wurde der Klerus zu literarischer und sonstiger künstlerischer, zu wissenschaftlicher, organisatorischer und vor allem politischer Leistung geradezu gedrängt. Man setzte große Hoffnungen weniger auf Priester, die in der Verborgenheit eines schlichten Tagewerkes sich um die Seelen der Anvertrauten mühten, sondern vielmehr auf Priester, die sich als Gelehrte oder Dichter, als Parlamentarier oder gar als Regierungschefs Ruf und Ansehen erwarben; sie würden, so erwartete man, ihrem Stand und der Kirche wieder führenden Einfluß auf das Ganze der Gesellschaft erringen.
Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß diese Weise, Priester und Gesellschaft wieder zu fruchtbarer Begegnung zu bringen, nicht zum Ziel führen kann. Die Gefahren dieses Weges sind zu groß, vor allem die Gefahr der Verweltlichung des Priesterstandes, der durch öffentliche Tätigkeit in Bereichen, die weit ab von der unmittelbaren Seelsorge liegen, seiner wahren Aufgabe entzogen wird. Auch ist es unausbleiblich, daß die Menge für Mißerfolge, Irrtümer, Härten, politisch (im weitesten Sinne) wirkender Priester die Kirche verantwortlich macht und so in ihrem Glauben erschüttert wird; es ist unrealistisch, vom heutigen Durchschnittsmenschen zu verlangen, daß er zwischen Mensch, Amt und Institution scharf zu unterscheiden verstehe.
So ist es ohne Zweifel gesund und' richtig, wenn sich seit dem Ende der zwanziger Jahre eine rückläufige Bewegung durchgesetzt hat und der Priester
aus der politischen, sozialwirtschaftlichen und organisatorischen Wirksamkeit mehr und mehr in den Bereich seiner unmittelbaren Aufgaben zurückgeholt worden ist. Aber es ist heute die Frage angebracht, ob die „Entflechtungsmaßnahmen“ von beiden Seiten nicht allzu radikal waren und zu weit vorgetrieben worden sind, so daß es nun wieder zu wenig statt zu viel Verbindungsbrücken zwischen Priesterstand und öffentlichem Leben, zu beider Nachteile, gibt.
Eines ist sicher: der Laie sucht im Priester heute nicht in erster Linie den Philosophen, Gelehrten, Künstler, Psychologen, Organisator, Politiker, 'Sozialpolitiker, Wirtschafter oder gar den Gesellschaftsmenschen oder Sportler, sondern eben den Priester: jenen, der von Christus beauftragt und dazu geweiht ist, ihm auf dem Weg zum ewigen Heil beizustehen mit jenen Gnadenmitteln, die unerläßlich sind, um es zu gewinnen, er sucht in ihm den Seelsorger, geistlichen Ratgeber und Führer zum ewigen Leben. Die wichtigsten Begegnungen von Laie und Priester sind und bleiben, das muß in aller Einfachheit und in aller Tiefe verstanden werden, die Spendung der Sakramente, die Verkündigung des Wortes Gottes, der seelsorgliche Zuspruch der dem einzelnen in seiner personalen Besonderheit gilt. Gewiß ist eine „Erneuerung der Predigt“ und eine noch weiter als bisher gehende Mobilisierung der Seelsorger nötig; aber was das Kirchenvolk braucht und wünscht, ist nicht das rhetorische Kunstwerk auf der Kanzel, nicht einmal immer die theologisch ausgearbeitete, gedankendichte originelle Predigt, sondern die schlichte, echte Rede, die aus tiefer erlebter Frömmigkeit ebenso kommt, wie aus großem Verständnis der alten, immer neuen menschlichen Not und Schwäche. Es heißt zwar, den Seelsorger unrealistisch zu überfordern, wenn man von ihm verlangt, daß er durch seelsorglichen Hausbesuch mit jeder Familie seiner Pfarre in Fühlung stehe; in der Großstadt und sogar jn vielen allzu ausgedehnten Landpfarren ist das physisch und zeitlich unmöglich. Aber wo die Möglichkeit dazu wenigstens in beschränktem Maße besteht, sollte gie ausgenützt werden,- wer einige Erfahrung im öffentlichen Leben hat, weiß, daß diese freilich bittere Mühe nie vergeblich ist, selbst wenn es dem gehetzten und geplagten Seelsorger so scheinen mag. Die „Entflechtung" bringt es notwendigerweise mit sich, daß die katholischen Laien in viele Positionen eintreten müssen, die früher von Priestern eingenommen wurden. Man kann diesen Vorgang als „Mündigwerden des Laien in der Kirche" verstehen, und gewiß haben die theologischen Auseinandersetzungen unter diesem Aspekt eine Fülle neuer Entdeckungen und Klärungen gebracht. Daß der Laie in weltlichen Dingen aus eigener Verantwortung handeln muß, wobei das Gewissen an die Weisungen des kirchlichen Lehramtes gebunden bleibt, versteht sich von selbst; das verlangt von theologischen Begründungen abgesehen, allein schon die Praxis.
Von solchen Einsichten her kann ohne Sorge die Frage neu geprüft werden, in welcher Weise der Priester heute am Öffentlichen Leben teilnehmen kann. Vor allem müßte die oft geradezu ängstliche Trennung von Priester und Politiker gelockert werden, ohne etwa die Unterscheidung zwischen Seelsorge und Politik Wieder zu verwischen. Aber für den Priester in dieser Zeit ist die Kenntnis der Probleme des öffentlichen Lebens unentbehrlich, weil so viele und entscheidende Fragen der Seelsorge mit den politischen, insbesondere den sozialpolitischen Angelegenheiten eng verflochten sind. Und diese Kenntnis darf nicht allein aus der Zeitung bezogen werden, sie muß, gerade für den Seelsorger, menschlich konkret sein. Andererseits braucht der Politiker die Ergänzung seiner Betrachtungsweise, die notwendig auf nächste Ziele und unmittelbar praktische Erfordernisse ausgerichtet ist, durch die ganz anders geartete des Priesters, der die höchsten Ziele und die ewigen Normen des menschlichen Lebens nie aus den Augen verlieren wird.
Daraus ergeben sich praktische Folgerungen von Bedeutung. Wie der christliche Politiker am Leben der Kirche teilnehmen soll, so dürfte sich der Seelsorge-
priester nicht prinzipiell vom öffentlicher Leben fernhalten. Er soll gewiß nicht wieder den Laien ihre Last abnehmen, soll nicht wieder Funktionär oder Parlamentarier werden, aber er sollte die Politiker seines Wirkungskreises kennen, mit ihnen Kontakt halten, öffentliche Versammlungen besuchen, und auch ab und zu an Beratungen der Politiker, nicht als Auch-Politiker, sondern als Seelsorger teilnehmen, wenn sein Rat, wenn die Mitteilung seiner Sicht von den Dingen gebraucht wird. Natürlich wird der Priester sich zu einem solchen Gedankenaustausch nicht drängen; es ist Sache der Politiker, ihn darum zu bitten.
In diesem Zusammenhang stellt sich von selbst die Frage, ob nicht doch eine Mitwirkung des geistlichen Standes in öffentlichen Organisationen und Ver- tretungskörpem wünschenswert wäre. Eine organische, naturrechtlich fundierte Demokratie wird auch die grundlegende Bedeutung des „kleinen Lebenskreises", praktisch vor allem der Gemeinde, wieder richtig einschätzen. Zur Gemeinde aber gehört die Pfarre; die Gemeindevertretung, die ja ein lebendiges Abbild der sozialen Wirklichkeit ihres Bereiches sein soll, sollte wenigstens hier und dort Repräsentanten des Pfarrklerus umfassen. Gewiß sind diese Fragen noch nicht bis zur Entscheidungsreife durchdacht. Auch ergeben sich große Schwierigkeiten daraus, daß unser politisches Leben nun einmal auf den Parteien beruht und die Übernahme eines öffentlichen Mandates daher die Überparteilichkeit des priesterlichen Standes gefährden könnte. Der Priester ist Staatsbürger und sollte von dem vornehmsten staatsbürgerlichen Recht, gewählt zu werden,
nicht ausgeschlossen sein. Ferner wäre es auch zu wünschen, wenn in begründeten Einzelfällen vom Bischof geeignete Geistliche für eine öffentliche Laufbahn freigegeben würden.
In ähnlicher Weise sollte auch nicht aus einseitigen Erwägungen dem Priester schematisch die Möglichkeit literarischen
und publizistischen Wirkens beschnitten werden. Nicht zuletzt auf diesen Gebieten hat der Priester eine nur ihm eigene, eine mittelbar seelsorgliche Aufgabe zu erfüllen. Die volkserzieherische Leistung, die, um nur wenige Namen zu nennen, ein Heinrich Federer, ein Alban Stolz oder ein Reimmichl, ein Friedrich und Hermann Muckermann, ein Prälat Schöpf mit ihrer Feder vollbracht haben, ist aus der Geschichte des Katholizismus nicht wegzudenken; sie würde uns auch heute viel, sehr viel helfen. Es kommt dabei immer nur darauf an, daß der Priester sich nicht in einen Politiker oder einen Literaten verwandelt, sondern gerade in seiner öffentlichen oder literarischen Tätigkeit Priester und Seelsorger bleibt.
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