Die eigene Kirche in Besitz nehmen!

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Das Drängen gegenüber der Hierarchie ist sinnlos geworden. Müssen die Kirchenreformer also aufgeben? Das können und dürfen sie keineswegs, sondern sie müssen ihr Vorgehen nun ändern.

Ist die Kirche wirklich unreformierbar? Die Umwälzungen in der arabischen Welt haben es wieder gezeigt: Unterdrücken autoritäre Systeme die Entfaltung fortschrittlicher Kräfte, bricht aufgestauter Widerstand irgendwann aus. Dieser Erkenntnis verschließt sich in der zivilisierten Welt nur der vom Papst repräsentierte Vatikan. Es entspricht dies seinem Selbstverständnis als göttliche und mit Vollkommenheit ausgestattete Einrichtung. Würden Veränderungen akzeptiert, gäbe man Fehler zu, die aufgrund von Heiligkeit gar nicht möglich wären.

Stabilität kann allerdings zu lebensbedrohender Starrheit werden. Die Kirche konnte darauf bauen, im Bündnis mit den weltlichen Mächten Teil eines umfassenden Herrschaftssystems zu sein, dem sich die Menschen fügen mussten. Von ehemaliger höchster Autorität blieben aber nur noch Reste gesellschaftlicher Tradition. Auch sie schwinden im Wechsel der Generationen. Es gibt immer weniger Kirchenmitglieder und Priester, die einstige "Volkskirche“ wird zum kleinen Verein von Unbeirrten.

Der Vatikan deutet dies als Glaubens-, ja Gottverlust unserer Gesellschaft. Doch das religiöse Bedürfnis der Menschen ging keineswegs verloren, sondern die Bereitschaft, die Kirche als einzige Mittlerin rechten Glauben anzuerkennen. Wesentliche Bestandteile der kirchlichen Lehre stehen nicht mehr im Einklang mit dem Wissensstand von heute und fortgesetztem Suchen nach Erkenntnis. Immer mehr drängt sich die Frage auf: Ist das noch die Kirche jenes Jesus, der alles Regelwerk religiöser Obrigkeiten verwarf und das Dienen statt des Herrschens forderte?

Jesu Botschaft der Liebe und Gewaltlosigkeit

War der Herr nicht allen Menschen, Männern und Frauen, sogar den Sündern gegenüber ganz aufgeschlossen und wies sein Weg zum Gottesreich nicht den Wandel der Herzen? Seine Botschaft der Liebe und Gewaltlosigkeit würde heute mehr denn je benötigt. Doch sie ist hinter antiquierten Formeln und Vorschriften kaum mehr sichtbar. Geschieht auch sehr viel Gutes in der Kirche, ist sie als Institution Verwalterin eines unzeitgemäßen Kultes geblieben. Papst Benedikt verkündet unter Berufung auf den hl. Pfarrer von Ars die Macht der Priester, Gott in die Hostie hineinzubefehlen, welche nur von heiligen keuschen Händen berührt werden sollte.

Besonders junge Menschen verstehen die Kirche mit ihrer oft absonderlichen Sprache nicht mehr. "Unversehrte Jungfräulichkeit“ degradiert Mütter zu Beschädigten und das "Lamm Gottes“ einen wunderbaren Menschen zum Opfertier. Wäre da nicht im Ganzen eine ebenso behutsame wie mutige Anpassung überfällig, um das wahrhaft "Christliche“ den Menschen unserer Gegenwart wieder sichtbar zu machen? So verwundert eigentlich, dass jene Kräfte, die weltweit um eine Erneuerung der Kirche ringen, nicht in erster Linie darauf hinweisen, wie sehr man sich von Jesus entfernt hat. Ihre Kritik zielt auf das Vorschriftenwerk der Institution, es geht um Zölibat, Weihe der Frauen, Einsatz von Laien in der Seelsorge ("viri probati“) und Bischofswahlen.

Offensichtlich ist der Angriffspunkt die Unfähigkeit, sich dem Fortschritt zu öffnen. Es erscheint naheliegend, Breschen in eine Mauer der Weltabwehr zu schlagen und dabei Schwachstellen zu wählen, wo die geltenden Regeln Ärgernis erregen, die Seelsorge behindern und Inzucht des Klerikalismus herbeiführen. Hier gelingt auch, die Widersprüche zum Evangelium nachzuweisen. Man will so einen stecken gebliebenen Karren in Bewegung setzen und hofft, dass die wieder aufgenommene Fahrt den richtigen Kurs nimmt. Vor allem dann, wenn es Mitsprache gäbe, könnte endlich heilsame Bewegung entstehen!

Doch das ist der Schrecken der Hierarchie. Ihre Abwehr ist total und unerschütterlich. Dinge, die man unschwer und theologisch wohlbegründet ändern könnte, werden von ihr zu heiligen Prinzipien hochstilisiert, oft mit absurden Argumenten. Auch die mahnenden Worte prominenter deutscher Politiker und eine geradezu sensationelle Willensbekundung zahlreicher Theologen können das Eis nicht brechen. Der Vatikan setzt auf Zeit. Die Reformer seien ebenso alt wie ihre Argumente. Das Kleinerwerden würde eine neue Elite schaffen und die jetzt - wenn auch spärlich - nachrückenden Priester wären gehorsam (was nicht verwundert, denn sie akzeptieren ja das System).

Reformbewegung droht das Scheitern

So muss man heute nüchtern feststellen, dass der Reformbewegung endgültiges Scheitern droht. Revolution, wie sie im weltlichen Bereich fällig wäre, bleibt aus, weil sich die Menschen der Kirchenmacht nicht ausgeliefert fühlen. Sie können ohne Schaden weggehen und was die hohen geistlichen Herren Unverständliches sagen, ist ihnen ohnedies egal. Jene, die an der Kirche hängen und zeitgemäß denken, werden weder gehört, schon gar nicht redet man mit ihnen.

Das Drängen gegenüber der Hierarchie ist sinnlos geworden. Müssen die Reformer also aufgeben? Das können und dürfen sie keineswegs, sondern sie müssen ihr Vorgehen nun ändern. Macht, die sich selbst unangreifbar machen will, kann dennoch außer Kraft gesetzt werden. Sie besteht ja in Wahrheit nur gegenüber denen, die von ihr abhängig sind, die Gläubigen sind das längst nicht mehr. Ihnen steht frei, jene Kirche, die ja die ihre und nicht die der Hierarchie ist, selbst wieder in Besitz zu nehmen (im Politjargon wäre das "Kirchenbesetzung“).

Widerstand findet bereits statt

Diese Form des Widerstands gibt es bereits in keineswegs geringem Ausmaß. Laien, aber auch nicht wenige Geistliche, gehen eigene Wege. Priester, die wegen Eheschließung aus dem Dienst geworfen wurden, zelebrieren Messen. Ordensfrauen geben die Krankensalbung, engagierte Laien beiderlei Geschlechts gestalten Gottesdienste ohne priesterliche Leitung, welche ja oft gar nicht mehr zur Verfügung steht. Seelsorge ist nicht mehr etwas, das von obrigkeitlicher Genehmigung abhängt.

Dieser verschämte und trotzige "Ungehorsam“ hat bisher nichts bewirken können, weil er gleichsam im Untergrund passiert. Er ist auch gefährlich! Für die Kirchenleitung ohnedies, aber auch für die Glaubensgemeinschaft. Jesus selbst sagt, dass ein in sich uneiniges Reich scheitert. Doch dieser Zustand besteht längst. Er ist nicht mehr zu beseitigen, außer man vertreibt wie in früheren Zeiten die "Dissidenten“ und denen wird heute auch oft der lächerliche Rat gegeben, evangelisch zu werden.

Wenn also die Spaltung längst da ist, muss man sie zum Positiven wenden. Eine selbstbewusste und aus eigenem Gewissen innerkirchlich handelnde Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu könnte der Ausgangspunkt für eine Kirchenerneuerung sein. Man mag das als Lichtsignal des Glaubens ansehen, oder aber als Übel. Doch es wäre das geringere gegenüber dem schleichenden Absterben einer Glaubensgemeinschaft, die gerade für die Veränderungswilligen unentbehrlich und unersetzlich ist.

Damit entsteht für die Reformkräfte in der Kirche eine in hohem Maß herausfordernde Aufgabe. Der bisherige Wildwuchs des Widerstands bedarf der klugen und verantwortungsvollen Anleitung, soll er nicht zur Auflösung führen. Das Ziel muss bleibende Integrität die Kirche sein. Sie ist durch Unwillen und Resignation viel mehr gefährdet ist als durch geordnetes Praktizieren eines zeitgemäßen Glaubenslebens. Der Aufruf, der Kirche treu zu bleiben, muss mit der Ermutigung zu einem Aufbruch verbunden sein, der verkrustete Strukturen überwindet. Nur so kann die Lähmung überwunden und dem Glauben wieder Leben gegeben werden.

* Der Autor, VP-Politiker und Volksanwalt a.D., ist Obmann der "Laieninitiative“

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