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Ein Partner der Menschen

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Was hat Vorrang: Dienst oder Leben? Bewahren oder Entrümpeln? Sendung oder Sakramente? Die Kirche steht heute in vielen Spannungsfeldern -und mit ihr der Priester.

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Was hat Vorrang: Dienst oder Leben? Bewahren oder Entrümpeln? Sendung oder Sakramente? Die Kirche steht heute in vielen Spannungsfeldern -und mit ihr der Priester.

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Das Zweite Vatikanische Konzil hat in keiner Weise ein Priesterbild festgeschrieben, es bietet aber eine Reihe von Ansätzen und Anregungen, die uns Priestern helfen können, unsere Rolle neu zu entdecken und zu einer Identität zu gelangen. Zugleich öffnet das Konzil einen großen Freiraum, der ein Suchen nach neuen Wegen und Möglichkeiten anempfiehlt.

Wenn man das Dekret über Dienst und Leben der Priester überfliegt, hat man zunächst den Eindruck, daß die Konzilsväter von der Fülle der anstehenden Aufgaben gebannt waren. Der Dienst wurde vor das Leben gereiht. Viele Priester sind dieser Reihung gefolgt und dabei nicht wenig in Bedrängnisgeraten. Rolf Zerfaß hat meines Erachtens in seinem Artikel „Die menschliche Situation des Priesters heute“ eine treffende Analyse geliefert (Rolf Zerfaß, Menschliche Seelsorge, Herder 1985, S. 33 ff).

Was ist geschehen? Der Aufbruch nach dem Konzil hat zu vielen Aktivitäten geführt. Viele Bereiche der Seelsorge wurden neu bedacht und durchorganisiert. Das alte Betreuungssystem wurde verbessert, die Angebote wurden vermehrt. Die Gesetzmäßigkeiten des modernen Marktes sind auch beim „Servicebetrieb Kirche“ Pate gestanden. Gleichzeitig haben die Gemeindetheologen den entscheidenden Schritt des Zweiten Vatikanischen Konzils von der „Kirche für das Volk“ zur „Kirche des Volkes Gottes“ weitergedacht. Eifrig wurde auch in den Pfarrgemeinden nach neuen Wegen und Formen der Mitverantwortung aller in der Seelsorge gesucht.

Das Ergebnis: Das Alte blieb, viel Neues kam dazu. Eine große Betriebsamkeit und Uberbelastung stellte sich ein. Die Anspannung der immer weniger werdenden Priester wuchs. Sie standen und stehen zwischen einer beachtlichen Beharrungstendenz der Kirche, die Formen und Einrichtungen noch lange aufrecht erhält, obwohl das Leben, das sie schuf, längst entschwunden ist, und dem Verlangen nach neuen Lebensvollzügen, für die durch eine pastorale Entrümpelungsak-tion Freiräume geschaffen werden müssen, weil sonst die Gefahr groß ist, daß mit neuen pastoralen Bemühungen die Uberbelastung steigt und die neue Saat schon im Keim erstickt wird.

Wo können wir also ansetzen? Manche würden heute der Umkehr das Wort reden und das Leben entschieden vor den Dienst reihen. Dies könnte zur notwendigen Besinnung führen, aber auch zur hinlänglich bekannten Landung im anderen Straßengraben werden. Das Und weist eigentlich auf die notwendige Verbindung hin und wird am ehesten dem Geist des Konzils gerecht.

Die Faszination des Dienstes ist nicht alles. Sie führt zu Hektik und Betriebsamkeit und birgt in sich die Gefahr, sich der Machbarkeit zu verschreiben. Diese aber zielt am Eigentlichen vorbei. Leben ist nicht machbar, und Reich Gottes entzieht sich noch mehr den Machern. Geschenk und Gabe gehören hier zum Wesen. Leben aber ist so wenig mit Glauben gleichzusetzen wie Reich Gottes mit Kirche. Die Verkündigung des Evangeliums weist immer

über das je konkrete Leben hinaus und ist deshalb mehr als Lebenszeugnis.

In der Verkündigung des Evangeliums und damit der Auf erbauung der Kirche sehe ich den Ansatz für die Identität des Priesters. Das Priesteramt und davor dafs Bischofsamt mit der Leitung der Auferbauung der Kirche zu definieren, bietet einen Ausweg aus den einseitigen Konzepten und Praktiken, für die die Geschichte genug Beispiele liefern kann. Hier wird das Priesteramt nicht durch die Eucharistie definiert (wie im Mittelalter), noch durch die Sakramente (wie bei der nach-tridentinischen Tradition), noch durch das Wort oder die Sendung, wie es heute manchmal anklingt.

Das Priesteramt vorrangig durch die Auferbauung der Kirche zu definieren, die in der Sendung, der Mission, den Sakramenten und nicht zuletzt der Eucharistie besteht, führt zu einer Ausgewogenheit und zu einem Gleichgewicht, die es dem einzelnen Priester erlauben, ohne nachteilige Folgen diesen oder jenen Punkt der Aufgabe zu unterstreichen und zu betonen.

In „Lumen Gentium“ macht das Konzil schon durch die Anordnung der Kapitel deutlich, daß die Hierarchie nicht mehr vor, sondern in die Mitte des Gottesvolkes zu stellen ist. Zudem ist eindeutig, daß das Zweite Vaticanum ganz bewußt sowohl das Autonom-Werden der Priester als auch die religiöse Disqualifizierung der Laien ablehnt. Lumen Gentium sagt an mehreren Stellen, daß auch die Laien an dem dreifachen Amt Christi, dem königlichen, priesterlichen und dem prophetischen, teilnehmen.

Die Taufe verleiht allen Christen die gleiche Würde. Es waltet „unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi. Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind.“ (LG 32)

Das Konzil sieht hier das Dienstamt in einer partnerschaftlichen Beziehung und erinnert zugleich an die Möglichkeit, im Dienste des Evangeliums an die Kräfte des Christenvolkes in seiner Gesamtheit zu appellieren.

Wenn wir Priester unsere Identität und unser Dienstamt so verstehen wollen, stellt uns dies vor einen großen Lernprozeß. Vor allem gilt es in unseren Gemeinden einen partnerschaftlichen Umgang mit den Gläubigen einzuüben. Hilfreich scheint mir dabei das gemeinsame Fragen und Suchen nach Lösungen im Pfarrgemeinderat, aber auch der gemeinsame Umgang mit dem Wort Gottes in Bibelrunden und in Glaubensgesprächskreisen. Wichtig ist auch die gegenseitige Teilnahme und Teilhabe am Leben. Gute Erfahrungen habe ich da zum Beispiel beim gemeinsamen Urlaub mit mehreren Familien aus der Pfarre gemacht.

Partnerschaftlicher Umgang meint aber auch, sich einlassen auf einzelne Menschen und ihr Lebensschicksal. Gerade die Begegnung mit jungen Menschen kann für uns Priester diesbezüglich ein Segen sein. Sie können uns am ehesten aus unserem theologischen Sprachgetto herausholen und uns helfen, die Botschaft Jesu für die Zukunft verständlich weiterzugeben.

Wichtig ist für meine Identität als Priester weiters der partnerschaftliche Austausch und Umgang mit den Kollegen. Ich bin dankbar für einen theologischen Arbeits- und Freundeskreis, den ich schon viele Jahre nicht vermissen möchte. Besonders unterstreichen möchte ich aber hier die Aufgabe der Priesterräte. Ihnen kommt als Ort des Austausches bei der Arbeit in Richtung auf eine Glaubenskulturation eine große Bedeutung zu. Da die Kultur größere Räume kennt, ist auch der Austausch auf der Ebene nationaler Arbeitsgemeinschaften wichtig, ja es soll der Blick sogar über diesen Zaun hinausreichen.

Nicht zuletzt sehe ich mein Dienstamt als Priester im Bezug zum Bischof. Auch hier ist für meine Identität der Gedanke der Partnerschaft von Bedeutung. Das Konzil läßt mich das Priesteramt als Teilnahme am Amt Christi verstehen. So verstehe ich mich im Blick auf den Bischof als Partner und nicht als Emanation des Bischofs.

Diese partnerschaftliche Sicht meines Dienstamtes als Priester, die uns im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes immer wieder „wir“ sagen und Kirche als Gemeinschaft erfahren läßt, gibt mir Zuversicht, daß die nötige pa-storale Entrümpelungsaktion gelingen kann, um für neue Lebensvollzüge in der Kirche den nötigen Freiraum zu schaffen. Sie läßt mich die Leitungsaufgabe bei der Verkündigung des Evangeliums und der Auferbauung der Kirche als faszinierenden Dienst in unserer Zeit erleben.

Der Autor ist Pfarrer von St. Johann im Pongau.

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