Gottesfrage und kirchliche Strukturfragen

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Nicht nur die säkulare Umgebung ist schuld, dass das Christentum in einer "Gotteskrise" ist: Für viele Menschen wird diese auch durch enttäuschende Begegnungen mit der Kirche verursacht.

Von vielen Seiten werden im Zuge der nötigen Erneuerung der Kirche nach dem Konzil auch Änderungen der Strukturen verlangt. Das geschieht längst nicht nur vom "Kirchenvolks-Begehren", wie manche in Österreich zu einseitig meinen, das wurde auf allen Diözesansynoden oder -foren angemeldet und wird auch in allen Bischofssynoden in Rom diskutiert. Statt sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen wird gerne dagegengehalten, den Menschen gehe es heute viel mehr um die Gottesfrage als um Strukturfragen. Zuletzt kam dieses Thema auch im Zusammenhang mit der Europa-Synode der Bischöfe in Rom zur Sprache. Bischof Egon Kapellari zum Beispiel, - unser Europabischof in der Bischofskonferenz - meinte wörtlich: "Und man sollte endlich auch begreifen, dass die Frage aller Fragen für die Christenheit in Europa längst schon die Gottes- und Christusfrage ist, während man sich hier im Westen beharrlich mit nach-geordneten, wenn auch nicht unbedeutenden Fragen befasst." [...]

Ich frage mich, ob die Begegnung mit Gott ganz getrennt von Strukturen gesehen werden kann? Die Begegnung mit Gott geschieht immer "mittelbar" durch Menschen. [...]

Die einseitige Sicht der Gottesfrage oder der Strukturfragen kann jeweils auch eine Flucht sein. Sich nur auf die Gottesfrage zu konzentrieren enthebt einen zunächst der Verpflichtung, sich im laufenden Reformprozess der Kirche zu deklarieren und zu engagieren. Wer aber nur Strukturreformen vor Augen hat übersieht die eigentliche Sendung der Kirche, "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott" zu sein. Wie aber können Strukturen der Kirche "Werkzeug" dafür sein?

Kirche soll in ihrem Wirken ein Abbild der Trinität sein

Das II.Vatikanische Konzil sieht die Kirche als trinitarisch begründete Gemeinschaft. [...]

Spätestens ab dem 13. Jahrhundert hat sich die lateinische Kirche einseitig christologisch begründet gesehen. Das hatte für ihre weitere Entwicklung tief greifende Folgen. Sieht man nämlich die Kirche als ein Sozialgebilde, das allein von Christus gestiftet und geprägt ist, also gleichsam "unitarisch", so ist sie folgerichtig "hierarchisch ,von oben nach unten' konstituiert und kann sich an seiner höchsten Stelle (im Papst) relativ ungebrochen mit Christus und seinem Willen identifizieren." (G. Greshake) [...] Das Wirken des Heiligen Geistes fand viel zu wenig Beachtung und damit wurde die trinitarische Begründung außer Acht gelassen. Gewinnt die Kirche aber die trinitarische Sicht wieder, dann hat das für ihr Leben konkrete Folgen. [...]

Kirche wird zum Bild der Dreifaltigkeit durch Einheit in der Vielfalt. Diese Vielfalt zeigt sich, wenn Charisma und Amt die je eigene Wertschätzung haben, weil sie vom selben Geist ausgehen. Und das gemeinsame und hierarchische Priestertum sind einander zugeordnet und nicht untergeordnet, weil beide an dem einen Priestertum Christi teilhaben. Vielfalt wird erlebt, wenn die eine Kirche in vielen Kulturen lebendig ist und die eine Lehre Christi in verschiedenen theologischen Denkrichtungen dargelegt werden kann. Einheit in Vielfalt nach dem Bild der Dreifaltigkeit gibt auch der Gnade weiten Raum neben dem notwendigen Gesetz und der Freiheit neben der Autorität.

Den Dreifaltigen Gott durch das Leben der Kirche so sichtbar zu machen wurde tatsächlich nach dem Konzil ansatzweise begonnen, ist aber wieder ins Stocken geraten. Das zeigt sich, wo in Angst um die Einheit die Möglichkeit zur Vielfalt wieder eingeschränkt und Gnade dem Gesetz und scheinbar unveränderlichen Traditionen untergeordnet wird. Das hat aber auch Auswirkungen auf das Gottesbild vieler Menschen. Es wird ja nicht so sehr durch die Spekulation der Theologen geprägt, auch nicht nur durch die Worte der Verkündigung, sondern durch das Leben der Kirche und somit durch ihre Strukturen.

Kirche als Abbild der Trinität ist zutiefst Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die sich zuerst daraus ergibt, dass alle in der Kirche teilhaben an den Gnadengaben Gottes, dass wir alle Beschenkte sind. Und alle, Amtsträger wie einfache Gläubige, müssen sich dieses "Beschenktseins" dankbar bewusst werden, bevor sie auf ihre je eigene Autorität pochen. Das hat strukturelle Folgen. Eine Communio-Ekklesiologie, zu der sich das Konzil bekannt hat, fordert vermehrte Kollegialität unter den Bischöfen. Das betrifft die Beziehung zwischen dem Papst und dem Bischofskollegium und die Kollegialität unter den Bischöfen in der Weltkirche. Gemeinschaft soll aber auch die vielen Formen der Gemeindebildung in der Kirche auszeichnen, was wir heute gerne "geschwisterliche" Gemeinde nennen. Wenn also nun Strukturen gesucht und auch gebildet wurden, um Gemeinschaft besser leben zu können, dann war das theologisch begründet und keine "Demokratisierung" in Anpassung an die Gesellschaft.

Das trinitarische Gottesbild im Leben der Kirche wird heute aber dann entstellt, wenn Zentralismus wächst, wenn Lokalkirchen, Bischofskonferenzen, ja ganze Bischofssynoden ihre Eigenverantwortung zu wenig wahrnehmen dürfen. Communio-Theologie wird unglaubwürdig, wenn in den Gemeinden verschieden denkenden Gruppierungen nicht die Vielfalt in der Einheit vorleben, sondern spaltend wirken. Dabei sollte gerade heute in einer Welt, die noch so wenig tragfähige Formen der Gemeinsamkeit gefunden hat, die Kirche Vorbild für Communio unter den Menschen, aber auch unter den Völkern verschiedener Sprachen und Kulturen sein [...]

Sakramente als Vergegenwärtigung der Gottesherrschaft

Die Feier der Sakramente stellt den tiefsten Lebensvollzug der Kirche dar. Gleichzeitig ist diese Feier manchmal für Christen, die sonst der Kirche ferne stehen, der letzte Berührungspunkt. Hier wird gerade in existenziellen Augenblicken des Lebens ein Gottesbild vermittelt. Es sollte erlebbar werden, wie Gott selbst in das persönliche Leben heilend und voll Liebe eingreift.

Was sind die Sakramente ihrem Wesen nach? Jürgen Werbick, der Fundamentaltheologe in Münster, legt in seinem Buch über die Kirche auch eine sehr interessante Sakramententheologie vor. Er zeigt, wie in den Sakramenten das Hereinwirken Gottes in das ganz konkrete Leben sichtbar wird. Die Sakramente vergegenwärtigen Gottes Herrschaft in dieser Welt und beziehen die Feiernden in die Geschichte der zu ihrer Vollendung drängenden Gottesherrschaft ein. Sie vergegenwärtigen die Lebenspraxis Jesu Christi, der ja die ankommenden Gottesherrschaft in dieser Welt durch sein Leben und durch die Zeichen, die er wirkte, bezeugte. Das klingt zunächst sehr "theologisch", eher lebensfremd. Werbick hat eine sehr dichte theologische Sprache. Wenn man aber seinen Denkansätzen folgt, führen sie direkt in das Leben [...]

Taufe. Am häufigsten sind noch immer Kindertaufen. Die Eltern bringen ein Kind, dem sie das Beste für das Leben wünschen, somit auch allen Schutz, den dieses noch hilflose Wesen braucht. Die Taufe erinnert theologisch an die Errettung aus den tödli-chen Fluten des Roten Meeres. Obwohl wir das in jeder Osternacht feiern, klingt es dennoch für die meisten zunächst fremd. Deutlich soll aber werden, dass hier ein Fest der Errettung des Menschen gefeiert wird aus allen bedrohlichen Wogen, denen er im Leben immer wieder ausgesetzt sein wird. Die Gemeinde feiert mit der Taufe jedes Kindes ihr eigenen Errettung. Sie feiert die Glaubensgewissheit, dass Gott der Herr sie durch dieses in vielfachen Bildern bedrohende "Meer" hindurchführen und nicht in ihm untergehen lassen wird.

Eucharistie wäre zu feiern als das Fest einer Gemeinschaft, die der Desolidarisierung in unserer Machtgesellschaft widersteht, dem brutalen egoistischen Kampf zum eigenen Vorteil, der Vereinzelung und Vereinsamung im Leiden, im Altwerden und Sterben. In der Eucharistie wird Gemeinschaft mit Gott in seinem Geist; eine Gemeinschaft, die davon lebt, sich in den Lebensweg Christi, in seinen "Leib" hineinnehmen zu lassen und ihm zuinnerst verbunden zu sein. Und das hat Konsequenzen für das Alltagsleben. [...]

Das Bußsakrament ist die Feier der Versöhnung, die die Menschen mit sich selbst, mit ihrer Berufung und Erwählung aussöhnt, die die Umkehrbedürftigkeit jedes einzelnen, aber auch der Kirche und der Gesellschaft ebenso zum Ausdruck bringt, wie die Freude über Gottes Gegenwart bei all denen, die zurückzukehren versuchen, zu dem, was Gott in ihnen begonnen hat. [...]

Das Sakrament der Ehe wäre zu feiern als ein Fest der Freude über das Gottesgeschenk der partnerschaftlich-geschlechtlichen Liebe, aus der neues Leben hervorgehen darf. Wenn die Gemeinden Menschen in ihrer Mitte auf diesen Weg der personalen Reifung in Partnerschaft und liebender Sorge für ihre Kinder senden, so legen sie engagiertes Zeugnis ab gegen den Geist des "Machismo", aller Formen eines Patriarchalismus (auch Matriarchalismus?), der die Partner unterdrückt und die Kinder in Unfreiheit aufwachsen lässt.

Freilich wirken die Sakramente aus Gottes Gnade, nicht aus menschlichem Können. Aber, dass Gottes Herrschaft gegenwärtig, seine Nähe erlebbar wird, Konsequenzen daraus für das Leben folgen, hängt auch von den Riten, den Strukturen ab, wie Gemeinde feiert, aber auch wie Kirche Menschen Sakramente anbietet oder verweigert. [...]

Besonders stark aber berührt das Gottesbild, wenn Sakramente verweigert werden (müssen). Einige Beispiele sollen das zeigen:

Ein Erwachsener will aus innerer Bekehrung und Sehnsucht nach dem Glauben getauft werden. Nun ist er aber mit einem Katholiken (standesamtlich) verheiratet, der ge-schieden ist. Es ist eine sehr glückliche Partnerschaft. Kann er nun getauft werden, in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden, wenn die Ehe kirchenrechtlich nicht heilbar ist? Müsste er seinen Partner verlassen, oder wird sonst die Taufe zu einem äußerlichen Akt, dem zugleich ein Ausschluss aus der vollen Mitfeier der Eucharistie folgt? Wo ist da noch der errettende, befreiende Gott erlebbar, der neue Wege durch das Meer vielfacher Ängste, Enttäuschungen und Bedrohungen bahnt?

Oder Geschiedene, die wieder geheiratet haben. Die erste Ehe ging sehr unglücklich auseinander. In der zweiten hat man mehr Liebe gefunden, eine Familie ist gewachsen. Weil man aus dem Liebesbund (gemeint ist die erste Ehe), die Abbild der Liebe Christi zu seiner Kirche sein soll, gefallen ist, kann man nun nicht voll am Mahl der Liebe teilnehmen, hört man offiziell. Wie lange? Mit welchen Lebenskonsequenzen? Erscheint hier nicht Gott auf einmal als einer, der nach menschlichem Versagen offenbar das Angebot von Freude an partnerschaftlich-geschlechtlicher Liebe für ein ganzes Leben zurücknimmt? Ein Gott, der Leben einengt, statt in Fülle schenkt, der Liebe reglementiert, statt vertieft? [...]

Wo immer daher bezüglich der Zulassung zu den Sakramenten nach neuen Lösungen gesucht wird, sind das nicht nur äußere, zweitrangige Strukturfragen, sondern das hängt zutiefst mit der Glaubwürdigkeit der Kirche selbst und mit ihrer Vermittlung des Gottesbildes zusammen. [...]

Was wollte das Konzil hinsichtlich der Gottesfrage?

Am 27. Februar 2000 hat Kardinal Ratzinger auf einem internationalen Kongress über die Verwirklichung des II. Vatikanischen Konzils sich auf eine Feststellung von Johann Baptist Metz aus dem Jahr 1993 berufen, wo er sagte: "Die Krise, in der das Christentum in Europa gestürzt ist, ist nicht in erster Linie oder gar ausschließlich eine Krise der Kirche, sondern eine Gotteskrise." Im Anschluss daran stellte Ratzinger folgende These auf: "Das Vaticanum wollte den Diskurs über die Kirche ganz eindeutig in den Diskurs über Gott hineinstellen und ihm unterordnen. Es wollte eine im eigentliche Sinn theologische Ekklesiologie vorstellen. Die Rezeption des Konzils aber hat bis jetzt diese so charakteristische Sicht zugunsten einzelner kirchlicher Fragen verdrängt. Man hat sich auf einige, verlockende Parolen konzentriert und ist so hinter den großen Prospektiven der Konzilsväter zurückgeblieben."

Sicher wollte das Konzil die Kirche in einer neuen Weise "theologisch" sehen und zwar nicht mehr einseitig christologisch, sondern im Geheimnis der Trinität. Daraus folgte aber, dass sie selbst ihr Abbild sein soll. Was aber sichtbar an der Kirche ist, ist wesentlich durch ihre Strukturen gegeben. Diese müssen sich daher ändern, will Kirche mehr als bisher zum Bild der Trinität werden. Es stimmt, dass viele heute in einer Gotteskrise sind. Daran ist aber nicht nur eine so säkular gewordene Umgebung schuld, sondern vielfach auch die Kirche selbst. Für Gläubige und Suchende ist die Gotteskrise nämlich oft gerade durch enttäuschende Begegnungen mit der Kirche verursacht. Ich möchte der These von Kardinal Ratzinger eine andere entgegensetzen: "Hätte die Kirche die im Konzil aus der theologischen Sicht erkannte notwendige Erneuerung konsequenter in ihrem Leben und auch in ihren Strukturen durchgeführt, könnte sie (die Kirche) heute viel überzeugender dem modernen Menschen Gott für sein Leben und seine Sinnsuche erfahrbar machen." Die Gottesfrage aber ist nicht nur für den einzelnen Menschen das Letztentscheidende, sondern auch für das Leben das Kirche.

ALLE MEINE QUELLEN ENTSPRINGEN IN DIR. Neue Freude an der Kirche.

Von Helmut Krätzl. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2001. 304 S., geb. öS 298,-/e 21,66

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