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Nach dem Konzil

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Was bedeutet das Konzil für die anderen Kirchen? Die nicht- römischen Kirchen würden etwas Entscheidendes versäumen, wenn sie das Konzil nicht auch als kritische Frage an sich selbst verstünden. Erst dann kann seine Bedeutung für sie wirklich erfaßt werden.

Betrachtet man den Verlauf des Konzils, das Aufbrechen der mannigfachen Gegensätze unter den Konzilsvätern und die Durchführung der Beratungen bis zu den letzten Abstimmungen, so kann man nur voller Respekt sein für die Sorgfalt des Aufeinandeihörens und Vonein- anderlemens, für die Aufgeschlossenheit der meisten Bischöfe für die vorwärtsdrängenden Fragen und Erkenntnisse der Theologen, für die Beharrlichkeit des Ringens um gemeinsame Formulierungen und für die hervorragende Leistung, die die Kommissionen und ihre Unterkommissionen in der Verarbeitung der sehr, verschiedenartigen Voten der Konzilsväter geleistet haben. So war der Konsensus, der in den Schlußabstimmungen in Erscheinung trat, das Ergebnis eines vorbildlichen synodalen Ringens, wobei besonders hervorzuheben ist, daß diese Beschlüsse viele Aussagen enthalten, die vor dem Konzil unmöglich gewesen wären, und daß der Konsensus bis in höchst differenzierte Fragen und Aussagen hineinreicht. Daß ein so differenzierter und nunmehr als verpflichtend geltender Konsensus nur in der Generalsynode einer Konfessionskirche möglich ist, nicht aber in einer Vollversammlung der Kirche des ökumenischen Rates, ist selbstverständlich. Denn verschiedene Konfessionskirchen können gemeinsam niemals so differenziert und auch so verpflichtend sprechen wie eine einzelne Kirche; eher ist es erstaunlich, welche wichtigen Entscheidungen die Kirchen des ökumenischen Rates immerhin schon gemeinsam gefällt haben. Vergleicht man aber das II. Vatikanische Konzil als die Generalsynode der römischen Kirche .mit den entsprechenden Generalsynoden der lutherischen oder der reformierten Kirchen oder auch mit der Lambeth-Konferenz, so ist der Frage auszuweichen, ob hier in neuen dogmatischen Entscheidungen über das Verständnis der Kirche und der kirchlichen Ämter und in den Fragen des Verhältnisses von Kirche und Welt ein ebenso weitreichender und differenzierter Konsensus mögjlich wäre.

Keine falschen Alternativen

Besonders mußte auffallen, daß bei aller Dramatik der Konzilsverhandlungen ein Auseinanderfallen der Gruppen und Voten in falsche Alternativen fast ganz vermieden wurde, wie sie im Bereich der Reformationskirchen mancherorts aufgebrochen sind — Alternativen etwa, die die Kirche entweder als aus der Welt herausgerufen oder als in die Welt hineingesandt verstehen. Beides wurde zusammengesehen, wie es auch neutestamentlich zusammengehört. So fehlte auch die falsche Alternative: entweder Liturgie oder Dienst an der Welt. Beides wurde zusammengesehen, während man andernorts oft einen Liburgismus argwöhnt, wenn man die Verantwortung für die Welt betont. Auch

Sakrament und Predigt stehen nun in einer richtigeren Koordination, als es zuvor in der römischen Kirche der Fall war, aber als es in anderer Weise auch im protestantischen Bereich, danp der Fall ist, wenn mache um der aktuellen Predigt willen die Sakramente vernachlässigen. Auch kirchliches Amt und Laienaktivität sind nicht in eine Alternative auseinandergefallen, wie es heute bei uns nicht selten geschieht: wer das allgemeine Priestertum ernst nehmen will, meint, das kirchliche Amt als Klerikalismus ablehnen zu müssen. Entsprechendes gilt von dem Verhältnis van Mission und mündiger Welt, und man könnte mit weiteren Beispielen fortfahren. Dieses eigenartige Auseinanderfallen, das .man in der Christenheit nicht selten beobachten kann, ist vom Konzil in beachtlicher Weise vermieden worden, ohne daß eine der Alternativen als Thema nicht ernst genommen wäre.

ist mir sehr zweifelhaft, olb die evangelische Kirche ihren Auftrag heute so erfüllt, wie es Gott von ihr erwartet.

Das II. Vatikanische Konzil wird erst dann ernst genommen, wenn es von den nichtrömischen Kirchen als Frage an sie verstanden wird.

Das Konzil bedeutet auch eine Frage an den ökumenischen Rat, der in Gefahr ist, sich mit der Zusammenarbeit der getrennten Kirchen zu begnügen. Das Konzil aber hat mit seiner Lehre von der Kirche und seinem ökumenischen Programm trotz der darin enthaltenen Schwächen unüberhörbar zur sichtbaren Einheit gerufen und mit Recht davor gewarnt, sich .mit einer bloßen Zusammenarbeit zu begnügen.

Die ängstlidie Christenheit

Seitdem Karl Bartih 1929 seinen aufsehenerregenden Vortrag „Der römische Katholizismus als Frage an die protestantische Kirche“ gehalten und der katholische Theologe Robert Grosche seinerseits in der von ihm gegründeten Zeitschrift „Catholica“ Fragen der reformatorischen Theologie in einer vorbildlichen neuen Art eines kontroverstheologischen Dialogs aufgenommen hatte, hat zwar, wie auch die Voten von Konzilsvätern beweisen, die Zahl derer erheblich zugenommen, die die anderen Kirchen als Frage an die eigene ernst nehmen. Und doch ist die Furcht noch verbreitet, daß die Position der eigenen Kirche geschwächt wird und den anderen Kirchen Argumente gegen sie in die Hand gegeben werden, wenn man Schwächen in der eigenen Kirche feststellt und in anderen Kirchen Vorbildliches entdeckt und darauf öffentlich hinweist. Zwar gilt dies nicht von allen Kirchen und ihrem Verhältnis zueinander in gleichem Maße. In der Geschichte der ökumenischen Bewegung hat sich hier manches geändert. Alber diese Furcht kann man nicht nur gegenüber der zahlenmäßig überlegenen römischen Kirche, sondern auch noch im Verhältnis von manchen Gliedkirchen des ökumenischen Rates zueinander immer wieder beobachten. Man wird sagen dürfen, daß für die heutige Christenheit trotz ihres ökumenischen Auflbruchs noch eine eigentümliche Ängstlichkeit charakteristisch ist. Wo aber das Verhalten der Christen zueinander von Angst bestimmt ist, wird auch ihr Einsatz in der Welt gelhemmt. Die Angst voreinander verstärkt die Angst vor der Welt.

Weicht aber die Ängstlichkeit im Verhalten der Kirchen zueinander der Liebe, dann weicht auch die Angst vor der Weit. Wieviel Kraft verschwenden die Kirchen auf die Abgrenzungen voneinander und auf die Auseinandersetzungen miteinander! Die Liehe aber zu den Brüdern befreit zum Dienst an der Welt. Hat Gott die Welt gelieibt, so kann die Bruderliebe nicht bei sich bleiben, sondern muß auf die Welt eindrin- gen.

Wie sollen sich die nichtrömischen Kirchen nach dem Konzil zur römischen Kirche verhalten? Bei der

Beantwortung dieser Frage ist die Tatsache fest im Auge zu behalten, daß unserem Jahrhundert in allen Kirchen eine elementare Sehnsucht nach der Einheit aller, die an Christus glauben, aufgebrochen ist. Diese Sehnsucht ist vom Heiligen Geist gewirkt. Denn unausweichlich groß und verpflichtend ist der Christenheit der Wille des Herrn geworden, „daß alle eins seien“. Das aber ist das Werk des Heiligen Geistes, daß er die Herzen für Christi Willen erschließt. Für diese Einheit der Seihen in der Liebe hat Jesus zu Gott gebetet, auf daß „die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und liebst sie, gleichwie du mich liehst“ (Jah 17, 23). Der Herr will, daß kein Auftrag und keine Geistesgabe, die er schon die Tatsache, daß es die Bejahung aller Dogmen der römischen Kirche mit allen dazugehörigen Verwerfungen von Lehren anderer Kirchen als Bedingung der Kircheneinigung festgehalten hat, bedeutet eine Enge des Einheitsverständnisses, die es den anderen Kirchen unmöglich macht, all das in diese Einheit mit hineinzubringen, was ihnen von Gott an Glauibenserkennt- nis und anderen Gaben anvertraut worden ist.

Aber die Kircheneinigung kann nur das Ergebnis einer vorausgegangenen zunehmenden Annäherung sein. Hierfür aber hat das Konzil in seinem ökumenismusdekret eine Reihe sehr bedeutsamer Ansätze gegeben, die in hohem Maß mit dem übereinstimmen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten in der ökumenischen Bewegung der nichtrömischen Kirchen an Erkenntnis der notwendigen ersten Schritte ergeben hat. Diese nun eröffneten Möglichkeiten der römischen Kirche sind nicht nur kritisch zuschauend zur Kenntnis zu nehmen, vielmehr ist tätig auf sie einzugehen. Der kaum geborene ökumenismus der römischen Kirche kann sich nur dann in wahrhaft ökumenischer Weise entfalten, wenn er einen Widerhall bei den anderen Kirchen findet.

den einzelnen Kirchen gegeben hat, verlorengeht, sondern daß alle diese Gehaben in der Gemeinschaft des Gottesdienstes und des Dienstes an der Welt zur Auswirkung kommen.

Notwendige Sdtritte

Nehmen wir dies ernst, dann sind gewisse Arten des Verhaltens gegenüber der römischen Kirche, die .man hier und da antrifft, nicht möglich;

Bei manchen evangelischen Christen ist unter dem Eindrude des Konzils die Angst erwacht, von der römischen Kirche erdrückt zu werden und in ihrer ökumenischen Umarmung zu ersticken. Darum reagieren sie mit der oft unbewußten Tendenz, das, was in der römischen Kirche neu aufgeforochen ist, zu verkleinern, die Kritik zu verschärfen und einseitig das als evangelisch herauszustellen, was der evangelischen und der römischen Kirche nicht gemeinsam ist, und eine antidogmatische, antiliturgische, anti- sakramentale Haltung einzunehmen. Aber so kann das Ganze der biblischen Botschaft nicht zur Geltung gebracht und der besondere Auftrag der Reformationskirchen an der übrigen Christenheit nicht verwirklicht werden. Die ökumenische Verpflichtung wäre so verleugnet.

Andere lassen sich von dem Konzil so beeindrucken, daß sie die avantgardistische Spitze der dortigen Erneuerungsbewegung mit der römischen Kirche als ganzer gleichsetzen und so die Wirklichkeit verfehlen. In enthusiastischen Erwartungen übersehen sie die Grenzen, die das Konzil dem ökumenischen Handeln der römischen Kirche gesetzt hat.

Zwischen diesen beiden Extremen muß der Weg in Aufgeschlossenheit und Nüchternheit gesucht und beschritten werden.

Es gibt dann noch eine dritte Haltung gegenüber der römischen Kirche, die sehr verbreitet ist und die der gegenwärtigen Situation nicht gerecht wird — eine vor jedem Engagement sich hütende Haltung des bloßen Zuschauens und kühlen Kritisierens dessen, was heute in der römischen Kirche geschieht. Hier bleibt man stehen als der unbewegliche Beobachter. Aber eine bloße Beobachterrolle gegenüber einer anderen Kirche sollte einem Christen sowieso unmöglich sein. Der gemeinsame Christusname verpflichtet in jedem Fall zu einer Entscheidung. Es ist zwar leicht festzustellen, daß das Konzil die Voraussetzungen für eine Einigung der getrennten Kirchen nicht geschaffen hat Denn

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