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Was erwartet die evangelische Kirche vom Katholikentag
Natürlich ist in evangelischen Kreisen längst die Frage aufgetaucht: Welche Folgen und Rückwirkungen mag der Österreichische Katholikentag für die evangelische Kirche in Österreich haben? Und jeder Nachdenkliche kann sich ungefähr vorstellen, daß dabei von ängstlichen, besorgten und durch Erfahrung gewitzigten Gemütern mancherlei Befürchtungen Ausdruck gegeben wurde: daß die selbstverständliche Belebung des katholischen Bewußtseins in einer Richtung erfolgen könnte, die den Evangelischen nicht erwünscht wäre, daß etwa ein Geschichtsbild sich von neuem verfestigte, das den Protestantismus nur unter negativen Vorzeichen, also als Abfall, Auflösung und Zerstörung, zu sehen gewillt ist, kurz, daß sich eine konfessionelle Frontstellung bilden und versteifen könnte, die mehr als ein Jahrzehnt lang nicht mehr das Verhältnis der beiden christlichen Kirchen vordergründig bestimmt hatte.
Solchen Erwartungen und Befürchtungen gegenüber darf man aus Erfahrung sagen, daß die scharfe Luft konfessioneller Auseinandersetzungen dem Protestantismus in der Diaspora noch nie geschadet hat; er hat zumindest quantitativ eher daraus Nutzen gezogen. Aber die viel ernstere Frage ist, ob der Sache
des Christentums, ob der Christenheit als ganzer damit gedient ist.
Denn das vordringliche Anliegen ist heute die Solidarität der Christenheit inmitten und gegenüber einer u n c h r i s 11 i c h e n Welt und nicht die Differenzierung der Kirchen und Konfessionen innerhalb der Christenheit.
Gegenüber der Unchristlichkeit befinden sich alle christlichen Kirchen in der gleichen Lage, ob es sich um passive Desinteressiertheit und Stumpfheit oder um bewußte Glaubenslosigkeit oder um kämpferisches Antichristentum handelt. Ob wir als Seelsorger und Gläubige mit dem Säkularismus westlicher oder östlicher oder spezifisch österreichischer Prägung zu tun haben, die Probleme und Aufgaben sind für alle Kirchen sehr ähnlich. Aus dieser Lage ergibt sich eine gemeinchristliche Verantwortung.
Hatten die Jahrhunderte der konfessionellen Differenzierung die Kirchen wie gebannt auf die trennenden Unterschiede schauen lassen, so trat in un- serm Zeitalter, als alle christlichen Kirchen dem Angriff eines zielstrebigen Antichristentums ausgesetzt waren, das Bewußtsein des Gemeinsamen beherrschend in den Vordergrund. Und was uns gemeinsam ist, schien unter der Be-
drohung bedeutsamer als was uns trennte. Das ist eine Erkenntnis, die zwar noch nicht Allgemeingut geworden ist, die aber den christlichen Kirchen vorerst im deutschsprachigen Raum geschenkt wurde. Erkenntnis verpflichtet. Diese Segensfrucht einer gemeinsamen Prüfungszeit .will sorgsam gegen allen aufflackernden Konfessionsegoismus behütet werden.
Unter diesem Gesichtspunkt, daß es eine Solidarität der Christenheit gibt, und daß es darum eine gemeinchristliche Verantwortung über die konfessionellen Kirchengrenzen hinaus geben muß, schaut auch die evangelische Kirche erwartungsvoll dem Österreichischen Katholikentag entgegen. Sie erwartet, daß alles, was gesagt wird, das besondere Gepräge des römischen Katholizismus trägt; denn von einer verwaschenen überkonfessionalität und allgemeinen Christlichkeit ist nichts zu erwarten. Aber dürfen wir Evangeli
schen hoffen, daß auch die entschiedensten römisch-katholischen Kundgebungen dieser Tage so klar und zielsicher gesprochen werden, daß die gemeinchristliche Solidarität und Verantwortung von jedermann verstanden wird?
Das Thema „Freiheit und Würde des Menschen“ ist von einer faszinierenden Aktualität. Das hochbedeutsame Maria- zeller Studiendokument über „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" gibt eine kritische und konstruktive sozialethische, sozialpolitische und staatskirchenrechtliche Anwendung, der von evangelischer Seite weithin zugestimmt wird. Denn hier wird mit einem klaren Ja und Nein zu den zerstörenden Gewal- tert und positiven Kräften der Zeit bezeugt, was gemeinchristliches Ethos (wenn auch vielleicht nicht immer mit der gleichen Begründung) ist, ja darüber hinaus, was für die Bewahrung der menschlichen Substanz und für den Aufbau unserer verwüsteten und bedrohten Welt notwendig ist. Es wird bezeugt mit einer inneren Freiheit, die vorwärts weist, ohne daß — wie es manche fürchten — reaktionäre oder klerikale machtpolitische Absichten im Hintergrund sichtbar werden.
Die evangelische Kirche würde es besonders begrüßen, wenn gerade die Sätze über die Freiheit der Kirche gegenüber dem Staate unter dem Gewicht des Katholikentages Allgemeingut der politisch Maßgebenden würden. Denn das „Protestantenpatent" war zwar 1861 ein bedeutsamer Fortschritt, ist aber heute in seiner Restgestalt eher ein Instrument der Fesselung der Kirche, als ein Instrument ihrer Freiheit, und ist nur dank der verständnisvollen elastischen Handhabung durch die Regierung tragbar. Die längst fällige Neufassung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse der evangelischen Kirche kann nur im Sinne der Devise „Freie Kirche im freien Staat" erfolgen.
Wie sehr die Folgerungen aus dem katholischen und dem evangelischen Glauben parallel laufen, zeigt etwa ein Vergleich des Mariazeller Dokuments mit den Aufsehen erregenden Ausführungen des norwegischen Bischofs Eivind Berggrav auf der Tagung des Lutheri-
sehen Weltbundes in Hannover über „Staat und Kirche heute in lutherischer Sicht".
Aber wenn wir schon nach unseren Erwartungen gefragt werden, d.ann sei es uns gestattet, auch unsere Besorgnisse anzudeuten.
Wahrscheinlich hätte ein Evangelischer Kirchentag, der sachlich das gleiche im Auge gehabt hätte wie der Wiener Katholikentag, ein Thema weniger faszinierend und weniger aktuell formuliert. Er hätte vermutlich statt von der „Freiheit des Menschen" von der „Bindung des Menschen an Gottes Wort" und statt von der „Würde des Menschen" von der „Ehre Gottes“ zu reden versucht. Aber vielleicht darf man doch sagen: darin sind sich Evangelische und Katholiken einig, daß die „Freiheit des Menschen" eben in seiner absoluten Bindung an Gott gründet, und daß die „Würde des Menschen“ keine autonome, eigenständige, selbsterworbene Würde ist.
Dennoch hegen wir die Sorge, ob nicht bei einer so faszinierenden politischen Aktualität jene „libertas Christiana" zu kurz kommt, von der nach dem Apostel Paulus niemand so hinreißend zu künden wußte wie Dr. Martin Luther, und der darin zunächst nichts anderes verstand als die Erlösung von Schuld und Sünde, die Befreiung von der Gewalt des Teufels und allen Dämonien, die Überwindung der Schrecken des Todes und aller Menschenfurcht, weil eben Jesus Christus uns davon erlöst hat. Ist nicht das die Freiheit, auf die letztlich alles ankommt, weil erst in ihr allein der Mensch wirklich Mensch sein kann? Und wer außer der Kirche kann von dieser letzten und eigentlichen Freiheit der Welt Kunde geben?
Und da haben wir einfach die Sorge, daß diese Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, vielen gar nicht zum Bewußtsein kommt, wenn das Wort „Freiheit" allzu schnell politisch aktualisiert wird. Es wird nur zu leicht mißverstanden, wenn es mißverständlich, das heißt mit politischer Absicht gesagt wird und darum sofort von den politisch Interessierten aufgenommen und nach dem Interesse eines jeden umgedeutet wird.
Und uns Evangelischen ist so sehr viel daran gelegen, daß „die Welt", daß die vielen gottentfremdeten Menschen über die politische Programmatik hinaus die eine Botschaft in immer neuer Weise zu hören bekommen, die ihnen nur die Kirche bringen kann, die Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen, die Christus uns erworben hat. Wir sind tatsächlich des Glaubens, daß dieses Zentraldogma allen christlichen Kirchen die Hauptsache ist, und daß wir darum dafür eine gemeinsame Verantwortung tragen. Die evangelischen Kirchentage in Essen, Berlin, Hannover, Stuttgart haben auch tagelang viele Zehntausende und Hunderttausende zusammengeführt. Wir glauben daraus gelernt zu haben, daß zwar die dreihundert Zeitungsreporter und hundert Rundfunkleute und die vielen Außenstehenden auf die politischen Sensationen warten, daß aber die Kirche der Welt dennoch eines vor allem andern schuldig ist, Christus und sein Heil. Und gerade die kirchenfernen Menschen haben ein sicheres Empfinden für das, was poli-
üscxie Absicht, und das, was Bezeugung d es Glaubens- ist. Unwissend wartet die (Welt auf Christus. Vielleicht ist der österreichische Katholikentag eine der großen missionarischen Gelegenheiten. Die evangelische Kirche erhofft es, weil ihr alles daran gelegen ist, daß nur Christus verkündet werde in allerlei Weise, wie der Apostel Paulus nach Philippi schrieb, Und von da aus mag man dann getrost df,e Richtlinien für die Gestaltung des öffentlichen und privaten Gemeinschaftslebens aufstellen, die Grenzen ab- steckeu, die dem christlichen Gewissen gesetzt, die Aufgaben weisen, die ihm geboten sind.
Wir leben in einer Welt, in der es gar nicht, mehr selbstverständlich ist, Christ zu s|rin. Wir sind uns auch darüber klar, daßs die Kirche heute den Massen eine
fragwürdige Größe geworden ist. Vielleicht trauen sie noch der christlichen Tat und dem Beispiel eines christlichen Lebens. Und auch wir wissen, daß darauf mehr ankommt als auf viele Worte. Tat und Beispiel eines selbstverständlich dargelebten christlichen Lebens haben eine zwingende Strahlungskraft über die Grenzen der Kirche hinaus. Vielleicht wäre es etwas Großes, wenn es dem Katholikentag geschenkt würde, so zu reden und so diese Tage zu gestalten, daß kirchenferne und gottentfremdete Menschen aufhorchten und sagten: es muß sich doch lohnen, ein Christ zu sein, und wenn ein paar Menschen unter uns daraufhin den Mut bekämen, kompromißlos dem nachzufolgen, der für die Katholiken und für uns Evangelische der gemeinsame Herr ist, Jesus Christus.
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