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Wo stehen wir heute?

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Bei fast jeder Veranstaltung während des 1. Bundeskongresses der Katholischen Jugend Österreichs stand diese Frage im Raum. Ausgesprochen und untersucht wurde sie im Gespräch ökumenisch engagierter Christen aus fast allen christlichen Kirchen Österreichs, das am Rande des Bundeskongresses eines Nachmittags in einem Studenten- zentrum stattfand.

Durch den Abschluß des II. Vatikanischen Konzils und die nun in Österreich immerhin schon bis zur vierten Zusammenkunft gediehenen Gespräche zwischen Exponenten der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche war ein Ansatzpunkt gegeben; durch die längst stattfindenden Aktivitäten der Jugendarbeiten aller Kirchen ein weiterer.

Dennoch: Ist es möglich, diese

Frage so allgemein wie sie gestellt ist, zu beantworten? Ist nicht die Situation von Bundesland zu Bundesland, von Diözese zu Diözese, ja oft von Pfarre zu Pfarre zu verschieden?

Zwischenkirchliches Tatfwetter

Ganz sicher kann man ganz verschiedene Zonen kirchlichen und zwischenkirchlichen Klimas aufzeigen, diese Unterschiede sind wohl vor allem durch Personen bedingt, und ganz sicher können Persönlichkeiten Entscheidendes beitragen, zwischenkirchlichen Frost aufzutauen, wie es zuletzt dem Salzburger Erzbischof Dr. Andreas Rohracher mit seinem vielbeachteten Wort zur Amtseinführung des lutherischen Superintendenten für die Diözese Salzburg und Tirol gelungen ist.

Ich glaube aber nicht, daß es nur oder überhaupt um das zwischen- kiivhliche Klima geht, das zwischenkirchliche Tauwetter kann die beiden ersten Schritte, die unerläßlich sind, wesentlich begünstigen, nämlich daß der andere als Bruder in Christus und die andere Kirche als Kirche Jesu Christi anerkannt werden und daß zweitens der eirizelne, seine Frömmigkeit, sein christliches Engagement und seine Kirche, ihre Strukturprinzipien und ihre geschichtlich so gewordene Wirklichkeit genau und vorurteilsfrei erfaßt werden.

ökumenische Bewegung bedeutet aber mehr — und dabei das zu erfassen und in ersten Versuchen zu verwirklichen, stehen wir heute, ökumenische Bewegung hieß immer: Bewegung auf den einen Herrn zu, Gehorsam Ihm gegenüber. Und damit: Dienst und Zeugnis in der Welt, gemeinsamer Dienst an den Menschen, für die Menschen, die Gottes Geschöpfe sind und die Er liebt; gemeinsames Zeugnis der Christen in der Welt, Gottes sehr guter Schöpfung.

Das gemeinsam zu bestellende Feld

Nach allen Richtungen schweift hier der Blick des gleichsam aus einem Hohlweg auf eine Hochfläche Getretenen über unbestelltes Feld, Brachland. Mir will es scheinen, als würden die ökumenisch Engagierten in den christlichen Kirchen Österreichs, besonders im Raum der Jugendarbeit, dabei sein, die letzten Meter des Hohlweges zurückzulegen, bereits mit dem Blick auf das sich eröffnende Brachland und bereit, es gemeinsam zu bestellen.

Zu diesem „Sprung nach vorne“ hat sicherlich die Gebetswoche für die Einheit beigetragen,

die in diesem Jahr unter der Losung des „wandernden Gottesvolkes“ stand — und die für die einzelnen Tage vorgesehenen Bibelstellen zeigten dieses Leitmotiv buchstäblich durch die ganze Heilige Schrift auf, von 1. Mose 12, 2 bis zur Offenbarung 21, 3. Seit fast einem Jahrzehnt gehören in dieser Gebetswoche gemeinsame Veranstaltungen, Gottesdienste, Seminare zum festen

Bestandteil kirchlicher Jugendarbeit nicht nur in Wien und Graz, wenngleich an diesen Orten Pionierarbeit geleistet wurde und wird. Und junge, in ihrer Kirche engagierte Christen, mußten sie nicht fragen, was diese Losung für sie und ihre Arbeit bedeutet? Bedeutet sie nicht, daß sie durch die gleiche Welt gehen, daß es — wie bei allen Unternehmungen dieser Art — Vorhut, Nachtrab und dazwischen einen ungeordneten oder wohlgeordneten Haufen geben müsse, der sich allerdings mehr treiben läßt, als daß er geht, für den einige aber den gangbarsten Weg erkunden müssen, als „Josuagruppen“, wie sie der Leiter der Jugendabteiiung des Weltkirchenrates Pfarrer Albert van den Heuvel beim 1. Bundeskongreß der KJ in Salzburg nannte, Gruppen also, die über den Berg vorstoßen, sich an den Früchten des Landes erfreuen und zurückgekehrt berichten, wie groß dort die Trauben seien.

Die wahrhaft tödliche Bedrohung des Volkes Gottes auf seiner Wan derschaft kommt nicht von außen, sondern von innen. Von dort, wo dem Wunsch zum Aufbruch der Befehd zu lagern entgegengesetzt wird, von dort, wo die Liebe zum unterwegs zusammengesammelten Hausrat über die zur Nachfolge aufrufende Stimme siegt, wo das Zelt zum Haus, und das zur festen Burg wird, ob sie sich nun als baedeker- würdiger Palast oder Bürohochhaus darstellt.

Aufbruch oder „feste Burg“

Dieser zutiefst menschliche Hang, seßhaft zu Werden und dann dabei zu bleilben, ist es, von dem die Bedrohung ausgeht. Und genau hier,

an der Auseinandersetzung übei diese Frage, ob aulgebrochen, in die Welt hineingegangen werden soll, oder ob die Gefechtsstationen der festen Burg zu bemannen sind, hiei scheiden sich die Geister und häei verläuft die Hauptkampflinie, die der Auseinandersetzung zwischen den Traditionalisten — oder besser: Perfektionisten und den Progres- sisten in allen Kirchen. So deutlich ist das, daß man, wie der schon erwähnte Leiter der Jugendabteilunf des Weltkirchenrates in seinem Beitrag „Die Kirchen stehen ihrer Erneuerung im Wege“ (in den „protestantischen texten“ 64, Kreuz-Ver- lag, Stuttgart, 72.50 Schilling) darlegt, heute nicht mehr von einei vertikal zwischen den einzelner Denominationen, sondern horizontal durch sie hindurchlaufenden Spaltung reden könnte: hüben die sogenannte Jüngere Generation — abei natürlich handelt es sich nicht um ein Generationenproblem —, die ehrlich bemüht prüft, was für die Wanderung mitnehmenswert und was nur Ballast ist — und drüben die sogenannte Ältere Generation — zu der auch viele sehr junge gehören —, die im Hause der Paro- chie festsitzt und die Maginotlinie hält, an der es nichts mehr zu halten gibt, und die meint, daß schon alles recht sei, wenn nur alles funktioniert.

Diesem Konflikt auszuweichen, ist wahrscheinlich unmöglich, für die Kirche ist er auch nicht neu. Und natürlich ist es richtig, daß es beides geben muß, die Erfahrenen, die Rücksicht auf die Fußmaroden nehmen, und Vorwärtsdrängenden, die im Experimentieren neue Wege finden möchten. Und natürlich gehören beide zum gleichen wandernden Volk und haben ihren wichtigen und nötigen Platz ln ihm. Aber darum geht es hier gar nicht. Sondern darum, daß der Aufbruch in die Welt hinaus, ungeschützt, Unwettern ausgeliefert, vielen so riskant und unheimlich erscheint, daß sd€ ihn nicht nur selbst unterlassen, sondern auch anderen untersagen. Und genau das — um beim Bild vom wandernden Gottesvolk zu bieiben

— ist Verkürzung biblischer Wirklichkeit, ist Ungehorsam gegen das Gebot Gottes und kann von daher nicht hingenommen werden.

Gemeinsamer Dienst und gemeinsames Zeugnis?

Und deswegen wird diese Auseinandersetzung in manchen Kirchen so unerbittlich geführt, beide sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Die „Älteren“ wollen nicht — wie die wenigen altgewordenen Manche am Athos — allein an ihren Kirchenburgen Sitzenbleiben, das errechenbare Ende vor Augen, wie sie meinen. Und so zwingen sie die „Jüngeren“ in ihre Form hinein. Die wieder wissen, daß sie nur aufbrechen können, wenn sie Ballast abwerfen, daß sie schuldig werden, wenn sie im Bau bleiben.

Nun geht es um die Entscheidung, ob in diesem Lande gemeinsamer Dienst und gemeinsames Zeugnis der Christen in der Welt verwirklicht wird — oder nicht. Und genau da stehen wir.

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