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Im Geiste der Liturgie

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Die Bestrebungen, die Kirchenkunst von der erstarrten Stilform des vergangenen Jahrhunderts zu befreien, reichen schon in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg zurück. Die liturgische Erneuerung, die schon seit rund vierzig Jahren in Österreich einsetzt, hat praktisch alle Gebiete unserer Religion erfaßt und vor allem auch versucht, den Kirchenraum wieder zu dem zu machen, was er eigentlich wirklich sein soll, zur Kult- und Opferstätte. Die Erkenntnis, daß im Mittelpunkt des christlichen Lebens und der christlichen Kultur das Meßopfer steht und daß eine wesentliche Eigenschaft der christlichen Liturgie die aktive Teilnahme des Volkes ist, drückt sich grundsätzlich in den Raumanlagen der meisten neuen Kirchen nach 1945 in der Erzdiözese Wien spürbar aus. Damit wurde auch eine der wichtigsten Forderungen des neuzeitlichen Kirchenbaus beachtet. Die liturgische Erneuerung hat ja gerade in Österreich in den letzten Jahrzehnten der Kirchenkunst tragende Ideen auferlegt. Schon lange vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges setzte in Österreich die bedeutende Erneuerungsbewegung von Dr. Pius Parsch ein, der mit seiner volksliturgischen Bewegung, weit über die Grenzen Österreichs hinaus, die Grundlagen für eine aktive Teilnahme der Gläubigen an der heiligen Messe schuf. Gerade durch seine Bewegung wurde ein neues Gemeinschaftsbewußtsein in der liturgischen Christengemeinde geweckt, und es ist für den Kirchenbau in Österreich nach 1945 von besonderer Bedeutung gewesen, daß Pius Parsch schon 1938 auch eine ganze klare Stellung zur Form und Gültigkeit des katholischen Gotteshauses im 20. Jahrhundert bezog Das 1938 erschienene Werk „Neue Kirchenkunst im Geist der Liturgie“ war damals eines der ganz wenigen Werke, das richtunggebend einen neuen Kirchenstil anzeigte; er soll sich im Wesen dadurch charakterisieren, daß nicht so sehr die Form als der Zweck und Inhalt des Kirchenraumes die Gestaltung diktiert.

In der großen Wiener Diözese wurden in den letzten fünfzehn Jahren zahlreiche neue Gotteshäuser gebaut. Wer unter ihnen besonders kühne und auffallende Lösungen sucht, wird enttäuscht sein. Es scheint, daß in dieser Diözese die Extreme bewußt vermieden wurden, und es hat den Anschein, als würde eher der mildernde Ausgleich gesucht. In dieser Tatsache liegen Vor-und Nachteile zugleich. Die großen Kirchenbauten wurden in der Wiener Diözese überhaupt seltener, und der Typ der kleineren, mittleren Pfarrkirche für richtige Familiengemeinschaften wurde seit 1945 bevorzugt. Nun sind die Kirchen unserer Diözese überhaupt nicht mehr das, was die alten Kirchen oder gar Dome in den früheren Jahrhunderten waren. Heute handelt es sich durchweg um Kultstätten kleinerer Gemeinschaften. Auch sind Kirche und Turm nicht mehr die Dominanten im Stadtbild, denn auch die Städte in unserer Diözese haben sich stark entwickelt, und unsere Kirchen sind nicht mehr stark genug, den mächtigen Baumassen unserer öffentlichen oder industriellen Bauten das Gegengewicht zu halten. Die Baumassen unserer kommunalen und staatlichen Anlagen sind meistens weit imponierender. Sehr oft ist es gar nicht möglich, die Kirche notwendig und sinnvoll in die neugebauten Stadträume einzugliedern, da die erforderlichen Kirchenbauflächen einfach der Kirche vorenthalten werden.

Seit unsere Zeit nun auch in Österreich wieder die eigene Sprache ihrer Kunst gefunden hat, ist auch eine fortschreitende Entwicklung der Kirchenbaukunst spürbar. Dabei scheinen auch konstruktive Dinge auf, die ebenso grundlegend wie der Einfluß der liturgischen Erkenntnisse zu werten sind. Das stoffgerechte Arbeiten und eine sinnvolle Materialsprache werden heute besonders stark zur Geltung gebracht. Der Kirchenbaukunst von heute ordnet sich die gesamte übrige bildende Kunst unter und dient der echten und anspruchslosen Gültigkeit. Die Formensprache ist heute deshalb auch einfach, rein und würdig bis zum kleinsten Kirchengerät. Seit 1945 streben die ernsten Baumeister auch im Kirchenbau wieder ein ehrliches Bauen an. Ob Material oder Forrny kl beiden sollen Wahrheit und Schönheit zusammenfließen, um so dem dienen zu können, für den das Werk geschaffen werden soll. Wenn dieser Zug zum echten, würdigen und zeitgemäßen kirchlichen Bauen heute in der Wiener Diözese auch nicht auf breitester Basis zu spüren ist, so bedeutet dies noch nicht, daß hier der Sinn für die Bewältigung der Probleme unserer Zeit und damit auch der zeitgemäßen künstlerischen Gestaltung etwa verlorengegangen ist.

Der Österreicher, und im besonderen Maße der Wiener, ist mit der Tradition besonders stark verwachsen. Wenn man sieht, wieviel trügerische Anmaßung mitunter Ungekonntes verdecken soll und wie oft man heute versucht, auch Kirchenkunst durch Managerturn ins Geschäft zu bringen, dann kann man auch die Kirche verstehen, wenn sie sich eher zurückhaltend verhält und ein vorsichtiges Zulassen aller Richtungskräfte wünscht, um vielleicht auf diesem nicht unklugen Wege zum Fruchtbaren zu gelangen. Man soll die Kirche als Bauherren nicht kritisieren, sondern sie überzeugen und schulen. Kritiken, denen man Unsachlichkeit, Voreingenommenheit oder gar persönliche Unzufriedenheit deutlich anmerkt, haben fast immer dikta.orischen Charakter, wirken negativ und sind unfruchtbar.

Die positive Arbeit der verantwortlichen Stellen der Kirche in der Wiener Diözese liegt darin, daß diese in den letzten Jahren alles daransetzt, die geistige Not in den angewachsenen Dörfern und Städten, durch das Fehlen von geeigneten Gottesdienststätten, so rasch wie möglich zu lindern. Die aus dieser bestimmt nicht leichten Aufgabe, die ja unter Bedacht-nahme größter Wirtschaftlichkeit durchgeführt wird, erwachsenden Probleme sind naturgemäß sehr groß. Es geht dabei bestimmt nicht um Modernismus oder Traditionalismus. Der negative Teil beim Kirchenbau unserer Zeit liegt eben in der Tatsache, daß die Kirche als geistige Macht ihre Aufgabe der christlichen Kunst gegenüber wohl nicht ganz bewältigt. Diese Macht hat es gerade heute nicht leicht. Die Öffentlichkeit ist millionenköpfig, und nicht jeder ihrer Köpfe ist schöpferisch stark und kann genügend Selbstvertrauen entwickeln, um sich den vielen, gerade heute so schnell wechselnden Stil- und Moderichtungen zu verschreiben. Es wird in Österreich sehr oft von anderen Ländern mit ihren mustergültigen Leistungen, gerade auf dem Gebiet des modernen Kirchenbaus, gesprochen, und man vergißt allzu gerne die Werte des eigenen kleinen Landes. Man rühmt den Nachbarn, weil dort alles größer und vor allem zahlreicher aufscheint. Es werden eben im Zeichen des großen und merklich drük-kenden Wirtschaftswunders in anderen Ländern ein Vielfaches an Kirchen gebaut, als dies bei uns möglich ist. Mehr Aufgaben geben mehr gute, aber auch eine beachtliche Anzahl mehr mittelmäßige Werke. Wenn nun ein ausländischer Professor zum Beispiel in seinem Buch über unser Land schreibt, „er habe dieses in vielen Richtungen durchquert und könne sich nicht erinnern, irgendwo einen neuen Kirchenbau gesehen zu haben“, so kann gerade dieser Professor in seinem eigenen Lande fast auf keinen einzigen beispielgebenden Kirchenbau der letzten

Jahre hinweisen. Es ist anzunehmen, daß der ausländische Professor seine Durchquerung in unserem Lande nicht im genügenden Maße unternehmen konnte, er wäre sonst auf die eine oder andere neue Kirche gestoßen, die doch zumindest einen Hauch vom neuen Geiste spüren läßt.

Der objektive und eingeweihte Katholik wird überzeugt sein, daß auch in der Wiener Diözese ein beachtlicher Beitrag zur Entwicklung des zeitgemäßen katholischen Kirchenbaues, besonders nach dem ersten Weltkrieg, geleistet wurde. Dieser Beitrag wurde in erster Linie vom Liturgischen her bereichert. Den vielen und beunruhigenden Sinneseindrücken, der vielfach sehr billigen Sinneskultur, die den Menschen heute in den meisten Ländern nur noch in seiner oberflächlichen Sinnlichkeit anspricht, stellt der österreichische Sakralbau seine bescheidenen Leistungen entgegen, die sich einer geistigen Ordnung unterwerfen. Die Werke, die so nach echten Bedürfnissen entstanden, schlicht und einfach gebaut sind, und zwar so, daß der äußere Tempelbau in einem großen, sakralen Raum der gläubigen Gemeinde die innere Anteilnahme an dem Opfer der Kirche, die inzwischen geistig gereift erscheint, ermöglicht. Die formalen Gegensätze wurden bei manchen dieser Kirchen zufriedenstellend überwunden. Die Spannungen, die dabei ausgelöst wurden, sind meist von der Kirche fruchtbar gelöst worden. Das große Bemühen der Wiener Diözese um das Zustandekommen gottesdienstlicher Stätten ist dabei nicht geschwunden. Das geistige Ringen der Wiener Diözese wird heute von vielen Gläubigen bestimmt, die naturgemäß dem gewohnten Zug der vergangenen Zeit nicht folgen können. Dies gilt im besonderen Maße auch für den neuen Kirchenbau. Auch hier ist man sich längst bewußt, daß christliche Kunst nicht zeitlos sein darf und daß wir wohl in gotischen und barocken Kulträumen beten und die Liturgie feiern können, heute aber solche Räume nicht bauen dürfen. Das kirchliche Bauen ist hier vom Volke getragen, und es geht dabei um mehr als nur um ein Zusammenfügen von Steinen, sondern um einen wahren Aufbau der unsterblichen Seelen.

Wenn die seit 1945 in der Erzdiözese Wien gebauten neuen Gottesdienststätten beurteilt werden sollen, dann wird man die Meinung vertreten können, daß sicher nicht alles, was in den letzten fünfzehn Jahren gebaut wurde, die Prüfungen der Zeit bestehen wird. Es dürfte jedoch feststehen, daß man auch in der Wiener Erzdiözese der Forderung, dem 20. Jahrhundert seine religiöse Kunst zu geben, in genügendem Maße gerecht wird. Natürlich ist es heute noch sehr schwer, über Erscheinungen zu sprechen oder gar abschließend zu urteilen, die sich praktisch eben erst entwickelt haben. Noch fehlt der notwendige Zeitabstand. Es besteht aber die Hoffnung auf eine weitere erfreuliche Entwicklung des Kirchenbaues in der Wiener Erzdiözese.

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