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Eine neue christliche Kultur

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Heute kann es geschehen, daß von völlig entgegengesetzter Seite über ein Schwinden christlicher Inhalte und Werte aus allen Bereichen der Kultur geklagt wird. Bald sind es katholische Traditionalisten, bald kulturbewußte „Auswahlchristen“, die über den Verfall und Ausverkauf „christlicher“ Kultur verzweifelt sind. Die Symptome eines solchen Prozesses sind offenbar unübersehbar geworden.

Auf den ersten Blick scheint sich das Christliche als Thema und als Perspektive vor allem aus der zeitgenössischen Literatur verflüchtigt zu haben. Wo sind die Zeiten des „re-nouveau catholique“ im Roman und im Drama? Wie lang ist es her, daß die Bücher eines Georges Bernanos und einer Gertrud von Le Fort Massenauflagen erzielten und die Dramen eines Paul Claudel an vielen bedeutenden Bühnen gespielt wurden?

Es gibt im deutschen Sprachbereich keinen Verlag mehr, der es sich noch leisten könnte, nur „Dichtung aus dem Glauben“ herauszubringen, selbst wenn er Werke aus fremdsprachigen Literaturen brächte. Auch haben die Kulturzeitschriften „Hochland“, „Wort und Wahrheit“ und „Die Schildgenossen“ keine Nachfolgerinnen mehr gefunden. Ein ähnliches Nachlassen des christlichen Impetus läßt sich auch in der modernen Musik und der bildenden Kunst beobachten.

Nicht viel besser steht es mit der religiösen Volkskultur. Die wenigen Passionsspiele sterben ebenso aus wie das religiöse Volkslied, die überlieferten Prozessionen und Wallfahrten. Wenn Volksandachten nicht mehr Brauch sind, braucht es auch keine Kapellen und Kreuzwege mehr. Da die Marien- und Heiligenverehrung immer mehr an den Rand gerüekt wird, schwindet auch das außerkirchliche Andachtsbild. Ohne Familienliturgie kein Herrgottswinkel, kein Weihwasserkrügel mehr! Advent und Fastenzeit sind keine geschlossenen „heiligen Zeiten“ mehr,-Weihnachten und Ostern aber Höhepunkte des Kommerzes und des Tou-

„Auch die christlich bestimmte Presse hat... schwere Einbußen erlitten“

rismus. Selbst wenn sie fluchen, kommen die Menschen bereits ohne Blasphemien aus.

Aber, so wird man einwenden, werden nicht landauf, landab die kleinsten und bescheidensten alten Kirchen nach den Plänen von Kunstsachverständigen restauriert? Nicht wenige gläubige Menschen sehen jedoch gerade darin eine weitere Mu-sealisierung der Sakralräume. Umgekehrt halten „Lefebvrianer“ die mit der Modernisierung der Kirchen verbundene Vereinfachung der barocken Pracht bereits für eine „Re-•protestantisierung“ der katholischen Gotteshäuser.

Auch die christlich bestimmte Presse hat, wenn man von den Kirchenzeitungen absieht, an Verbreitung und Wirkung in den letzten Jahren schwere Einbußen erlitten. Derzeit kann man noch nicht absehen, ob das kirchliche Büchereiwesen den Rückstand gegenüber staatlichen und kommunalen Büchereien aufholen wird. Filme mit christlicher Problemstellung gibt es nur noch als gelegentliche Reprisen. Noch wird zwar Christliches im weiteren Sinn durch Rundfunk und Fernsehen hinausgestreut, aber doch nur in der Form der „Kultur-Allotria“.

Erlaubt diese skizzenhafte und vereinfachte Ubersicht tatsächlich den Schluß, daß sich die Kirche in vollem Rückzug aus allen Bereichen der Kultur befindet? Eher müßte man von einer wachsenden Kultur-

lindifferenz' der Kirche sprechen. Diese aber läßt sich hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückführen. Zunächst auf die „Säkularisierung“, d. h. auf das weitere Auseinanderrücken von Kirche und Staat, auf das Anwachsen der Zahl jener Menschen, die auf eine religiöse Sinngebung ihres Lebens verzichtet haben.

Es paßt gut zu unserer mehr agno-stizistischen als areligiösen Gesellschaft, wenn heute in Antiquitätenläden barocke Tabernakel als besondere Zierde einer Hausbar angeboten werden.

Die andere Ursache dieses offenbar unumkehrbaren Prozesses bildet zweifellos die innerkirchliche Reform selber, deren erste Zusammenfassung eben das Zweite Vatikanische Konzil darstellt, versteht sich dieses doch als die dialektische Antwort auf die Herausforderung durch eine tiefgehende Krise der Kirche selber.

Wenn sich die Kirche seitdem als „Volk Gottes auf dem Wege“ versteht, wenn sie sich zusehends aus einer Betreuungskirche zu einer Gemeindekirche wandelt, wenn sie sich mit neuer Entschiedenheit auf die Seite der Unterdrückten, Armen und Verlassenen stellt, dann folgt aus diesem neuen Kirchenverständnis eine Schwerpunktverlagerung des gesamten kirchlichen Lebens auf die Feier der Eucharistie, die Spendung

„Auch in ihren besten Zeiten hat die Kirche nie Kultur um ihrer selbst willen betrieben“

der Sakramente, auf ein tieferes Eindringen ins Evangelium und ein überzeugenderes Darleben des Christlichen. Der aus einem reflektierten Glauben lebende und handelnde Christ ist daher zunächst weder an der Erhaltung der überkommenen noch an der Schaffung einer neuen Kultur interessiert.

Die Kirche hat im Laufe ihrer Geschichte schon öfter im Zug ihrer Erneuerung ähnliche Perioden der Vereinfachung, der Befreiung von einem schleißig gewordenen kulturellen Uberwurf erlebt Wie streng gebaut waren doch die ersten Kirchen der Zisterzienser, wie arm muten die ersten der Franziskaner an! Innerhalb des modernen Kirchenbaus gibt es bereits Gotteshäuser, welche die Demutsgestalt einer „Kirche für die Menschen“ ahnen lassen.

Die Luzididät und Prägnanz der bisherigen lateinischen Kultsprache, die nur dem humanistisch Gebildeten verständlich war, mußte, um die ganze Gemeinde der Gläubigen voll mitfeiern zu lassen, den verschiedenen Volkssprachen weichen. Daß damit ein Verlust sowohl von traditionalistischen wie von reinen Kultur- und Brauchtums-Christen verbunden ist, bedeutet das kleinere Übel.

Auch in ihren besten Zeiten hat die Kirche nie Kultur um ihrer selbst betrieben. Gerade indem sie Kultur als solche nie direkt anstrebte, weil kirchliche Kunst nur der Interpretation der Heilsgeschichte zu dienen hatte, erwies sich nur im Endergebnis die übrige jeweilige Kultur als eine von ihr mitgeschaffene.

Eines scheint gewiß: die Kirche zieht sich aus dem brüchig und zu eng gewordenen Gehäuse der europäischen Kultur und deren bereits relativierten Nationalkulturen halb gedrängt, halb freiwillig zurück. Sie muß sich in dieser Geschichtsstunde offen halten nicht nur für den Ein-strom nicht-europäischer Menschen und deren Kulturen, sondern auch für die bereits am Horizont der Geschichte auftauchende Möglichkeit einer Weltzivilisation, deren Zentren dann mehrheitlich nicht mehr in Europa liegen dürften.

Es ist das dritte Mal, daß sich die Kirche im Laufe ihrer Geschichte vom Mutterboden einer gewachsenen Kultur löst. Wer daher als „Alt-glauber“ die Kirche selber mit ihrem bisherigen mittelalterlich-gegenre-formatorischen Erscheinungsbild gleichsetzt, indem er das Wandelbare nicht vom Unwandelbaren zu unterscheiden vermag, hindert den unausweichlichen Fortschritt der Kirche auf ihr eschatologisches Uberflüssigwerden hin.

Inzwischen geht in der westlichen Welt die Entwicklung einer profan gewordenen, auf sich selbst zurückverwiesenen Kultur weiter. In ihrer Spätphase taucht das Phänomen einer neutralistischen Enkulturation auf: „Kultur für das Volk!“, Kultur für die Masse, Kultur als Ersatz für eine religiöse Sinngebung des Lebens,-sonntäglicher Museumsbesuch an Stelle der Messe.

Da aber dieselbe Kirche immer wieder gerade kulturell kreative Menschen zu inspirieren vermag - es sei nur an den „Kirchenkristall“ von Fritz Wotruba erinnert -, bildet sich in seltsamem Umschlag bereits heute eine oft nur unterirdische Kommu-

nikation der Christen mit jenen kulturellen Kräften und Tendenzen der Gesellschaft, welche Zukunft in sich tragen. Weil und soweit sie eine Fortsetzung der Inkarnation darstellt, kann sich die Kirche der weiteren kulturellen Entwicklung, auch wenn sie zunächst im profanen Raum Gestalt gewinnt, nicht entziehen, nicht zuletzt um den Menschen von morgen nahe bleiben zu können.

Die Kirche zieht heute aus einer geschichtlich überkommenen Kultur aller Etagen aus, bald schneller, bald langsamer, aber nicht, um sich weltflüchtig in eine kulturelle Isolierung

„Eine unterirdische Kommunikation der Christen mit jenen Kräften, die Zukunft in sich tragen“

zu begeben, sondern um in ein neues, im Bau befindliches Haus einzuziehen, besser: sich dort zunächst in einem Stockwerk, vielleicht nur noch in einem Zimmer einzumieten.

Wenn man in dieser Perspektive denkt, dann gewinnt jedenfalls der Christ Gelassenheit gegenüber dem Verlust an sakraler, aber geschichtlich überholter Kultur, der sich heute unaufhaltsam vor unseren Augen vollzieht, Gelassenheit gegenüber der damit verbundenen zeitweiligen

kulturellen Verarmung der Gestalt aer Kirche, selbst dann, wenn sich innere Neo-Barbaren mit von außen kommenden verbünden sollten.

Es gibt nun einmal christlich geprägte Kultur, die man - „in Gottes Namen“ - sterben lassen muß; christlich orientierte Kultur, die nur um

,JEs gibt nun einmal christlich geprägte Kultur, die man -in Gottes Namen - sterben lassen muß“

den Preis der Erneuerung weiterleben wird; Kultur endlich, in die - auf Hoffnung hin - Christliches neu,hin-ein gestiftet werden kann. Eine neue, christlich durchsprenkelte Kultur kann freilich nur in einer Gesellschaft entstehen, in der Menschen wieder bereit sind, für unsichtbar Wirkliches wie Wahrheit, Freiheit und Recht und für schlechthin Unbezahlbares wie Liebe, Freundschaft, Ehre, Sitte und Glauben Opfer zu bringen.

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