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Ein Volk fraucht eineu glaufen

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Das ist die Meinung der überwiegenden Mehrheit des Volkes in Österreich, das in der Religion Antwort auf die Fragen des Menschen nach seinem Woher, Wohin und Wozu zu finden sucht. Die lange Geschichte des Christentums in diesem Land hat bewirkt, daß fast alle Menschen Mitglieder der christlichen Kirchen wurden, durch einen volkskirchlichen Religionsdienst mit den Wahrheiten der christlichen Religion bekanntgemacht und angeleitet wurden, ein christliches Leben zu führen. Die weitgehende Einheit von Religion, Kultur und Gesellschaft, auch die Zusammenarbeit von weltlicher Macht und kirchlicher Institution war für das Ausmaß der Kirchenmitgliedschaft und der Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche mitbestimmend. Noch heute empfangen fast alle Menschen Sakramente und Sakramentalien bei Geburt und Tod, das Selbstverständnis, ein Christ zu sein, die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht und das Feiern des Weihnachtsfestes in der Familie gehören für die meisten Menschen zu einem sinnvollen Leben.

Aber es gibt - nach Lebensumständen und Landesteilen sehr verschieden - Änderungen in der Beziehung der Menschen zur Religion und zur Kirche. Religion und christlicher Glaube haben heute für viele Menschen nicht eine selbstverständliche, das Leben in Familie, Beruf, Gemeinschaft und Gesellschaft von Tag zu Tag gestaltende Kraft. Denn Glaube ist vielfach eher eine inhaltlich unbestimmte Grundhaltung allgemein-religiöser Art als eine persönliche feste Überzeugung, das Leben auf Gott hin nach dem Vor-bild des Jungen Mannes aus Galiläa“ - Sohn Gottes - gestalten zu sollen. Es ist ein unbestimmtes Wissen von einem Gott, für viele ein Herr-Gott, ein Höheres Wesen, eine Schicksalsmacht, und nicht ein Vater-Gott, der die Menschen liebt, von Tag zu Tag am Leben erhält und schließlich in Gemeinschaft mit ihm zur Vollen- dung dieses Lebens über den Tod hinaus fuhren will. So ist Religion und Glaube wirksam eher im Ausseralltäglichen, als Trost und Hoffnung in Krankheit und Schicksalsschlägen und als Quelle der Unterscheidung zwischen Gut ünd Böse bei der Erziehung der Kinder. Es gibt viele Gründe, warum Religion und Glaube heute vielfach eine eher geringe lebensgestaltende Kraft haben. Für den einzelnen Menschen etwa war früher die Erfahrung der Nähe des Todes ein Grund, sich mit Religion und Glaube zu beschäftigen. Heute leben die Menschen in der Regel viel länger, Krankheiten kann man häufiger heilen und wenn ein Mensch krank ist, denkt er eher nicht an seinen Tod, sondern er hofft, wieder gesund zu werden. Die im allgemeinen vermehrten Lebenschancen durch breiteren Zugang zu Wissen und Bildung, materiellen Gütern und zu einem Mehr an Lebensraum durch größere Bewegungsfreiheit tragen zu der Vorstellung bei, daß das Lebensglück in diesem Leben vor dem Tod gefunden werden kann, so daß die Fragen nach dem Tod, nach einem Leben nach dem Tod für den Menschen an Unmittelbarkeit ihrer Bedeutung verloren haben. Dies dürfte immer noch gelten, obwohl z. B. ein Rückgang im Wirtschaftswachstum und seine Auswirkungen auf die Lebenslage vieler, vor allem junger Menschen, bereits eine andere Einschätzung der Lebenschancen mit sich bringt. Auch wenn die äußeren Lebensbedingungen sich für viele Menschen verschlechtern, erlebt sich der Mensch doch mehr als auf sich selbst gestellt, so sehr, daß er auch glaubt, die Frage der Schuld, des Scheiterns, durch ein Mehr an eigener Anstrengung im „Bessermachen“ oder durch Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse lösen zu können. Das Verlangen nach Erlösung und Heil im christlichen Verständnis und der Sinn für Gott scheinen geschwächt.

Der soziale und kulturelle Wandel tragen dazu bei, daß sich die Stellung der Religion und damit der Kirche in der Öffentlichkeit geändert haben. Soweit nicht ideologisch-politische Vorstellungen am Werk sind, sind die gesellschaftlichen Ziele und Institutionen sachlich bestimmt. In den die lokalen Gesellschaften übergreifenden Strukturen werden nur Teilbereiche des Lebens wie Wirtschaft, Technik usw. gestaltet. Sie haben mit der Ganzheit des menschlichen Lebens nichts zu tun und daher entziehen sie sich der Religion. Die von der Religion geprägten lokalen Gesellschaften aber verlieren ihren früheren Totalitätsanspruch für die Lebensgestaltung in dem Maß, in dem der Mensch nicht mehr nur in ihnen beheimatet ist, sondern auf vielfältige Weise über die Bereiche Ärbeit, Freizeit usw. in größere soziale Beziehungssysteme hineingebunden ist. Diese Abnahme des Einflusses lokaler Gesellschaften aber eröffnet dem Menschen - trotz vermehrter neuer Zwänge und Abhängigkeiten z. B. im Berufsbereich - auch neue Freiheitsräume und Wahlmöglichkeiten bezüglich der Lebenswerte und der Lebensgestaltung und diese neue Freiheit nimmt in der Wertordnung der Menschen einen ganz hohen Rang ein.

Dieser Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung zeigt sich im Bereich der Religion durch eine Lockerung der Bindungen an die Kirche und in einer subjektiven Auslegung religiöser und ethischer Normen. Die überwiegende Zahl der Kirchenmitglieder ist z. B. der Meinung, daß „man auch ohne Besuch der Sonntagsmesse ein guter Christ sein könne“. Die Nichtübereinstimmung mit der Lehre der Kirche zeigt sich weiters drastisch in ethischen Fragen wie beim Schutz des Lebens. Dissonanzen mit der Kirche bezüglich der Unauflöslichkeit der Ehe behindern einen beträchtlichen Teil der Mitglieder der Kirche an der vollen Teilnahme an der kirchlichen Gemeinschaft.

In einer Großkirche besteht immer auch die Gefahr, daß sich im kirchlichen Leben Routine ausbreitet, daß sich Theorie und Praxis voneinander entfernen, daß sich die Rede über den Glauben der Christen in viele Details seiner Geschichte und systematischen Darstellung verliert und daß sie dem Denken, der Sprache, dem Bewußtsein und der Lebensweise einer zum Teil schon vergangenen Kultur verhaftet ist bzw. einer Kultur nur bestimmter sozialer Schichten.

So besteht die Gefahr, daß diese Rede unverständlich wird und ohne Kraft ist und ihre Wahrheit erblindet, weil die alten oder fremdartigen Begriffe den Inhalt der Botschaft nicht erschliessen. Es kann sich die Situation ergeben, daß Menschen, die am Leben der Kirche teilnehmen, gar nicht mehr wissen, über welche Leben spendenden Wahrheiten die Kirche verfügt und daß distanzierte und vor allem auch junge Menschen, die oft in voraussetzungsloser und radikaler Weise wieder nach dem Sinn des Lebens und den Ordnungen der Welt des Menschen fragen, die gesuchte Wahrheit in der Kirche von außen her nicht erkennen können. Autorität der Institution und der gewohnte Zugang aus der Tradition garantieren den Zugang zu dieser Wahrheit oft nicht mehr.

Es besteht die paradoxe Situation, daß das Wissen über den christlichen Glauben einerseits prinzipiell allen zugänglich ist, aber andererseits trotz der fast allgemeinen Kirchenmitgliedschaft vielfache Immunisierungserscheinungen und Entfremdung festzustellen sind. In dieser Situation muß das Evangelium und der Glaube der Christen neu erklärt werden.

Die Verkünder des Evangeliums müssen eine ungeheure Anstrengung unternehmen, daß mit dem Vergehen einer Kultur nicht die Wahrheit des Evangeliums selbst, das so lange Zeit mit dieser Kultur auf das engste verbunden war, untergeht und der Zugang zu der Person Jesu - des .jungen Mannes aus Galiläa“ - verschüttet wird, weil er nur mehr als historische Gestalt gesehen wird, über deren geschichtliche Existenz man informiert ist, die aber für viele heute nicht mehr als Weg zu Wahrheit und Leben erkennbar ist.

Die Verkündung des Evangeliums erfolgt immer im Rahmen einer bestimmten Kultur, ist abhängig von den jeweiligen Vorstellungen über die Welt, über den Menschen, von seinen Denk- und Sprachgewohnheiten, von seinen Erfahrungen. Es gibt ein rationalistisches Mißverständnis, daß es nämlich genüge, daß ein Mensch eine objektive Wahrheit vorgesetzt bekommt und daß er sie deshalb annehmen muß, weil sie von Amts wegen vorgetragen wird und die Kirche eben recht hat.

Lebensnotwendige Wahrheiten kann keine Institution als solche vermitteln, sondern nur ein Mensch, der selbst die Lebensnotwendigkeit dieser Wahrheit erfahren hat und diese seine eigene Glaubenserfahrung mitteilt. Diese Mitteilung wird dann nicht „Wissensstoff betreffen, sondern eine Lebensorientierung angeben, einen Weg, den man gehen kann, ein Vorbild, nach dem man sein Leben gestalten kann. Diese Mitteilung geht eher nur von gleich zu gleich, sie ist behindert, wenn Privilegien, Machtansprüche, Besitz und Bildungsunterschiede dazwischenstehen. Die Evangelisierung muß bei der Kirche selbst beginnen. Wenn die Menschen die Kirche eher als Organisation erfahren, denn als Gemeinschaft des Glaubens, in der der Mensch das, was er eigentlich sucht, ohne es recht benennen zu können: Wahrheit und Sinn, Freiheit und Zuwendung, Brüderlichkeit und Schuld vergebung erfahren kann, werden viele Menschen den Weg zu ihr nicht finden können. Die Christen müssen sparsam mit dem Wort umgehen und mehr durch das Tun die Wahrheit bezeugen. Sie müssen das Leben der Menschen teilen, um es zu verändern. Lehrer heißt in der Sprache Indonesiens „Vorleber“. Ein deklamatorischer, selbstgerechter

Weg ist kein Weg zu den Menschen. Nur wenn der einzelne Christ und die kirchlichen Gemeinschaften sich beharrlich, selbstlos und ohne Vorbehalte für die Menschen einsetzen, können diese erkennen, daß die Wahrheiten der Christen eine lebensspendende Kraft haben. Viele Menschen’ werden vielleicht den Zugang zu den Gemeinden der Christen, zur Feier der Liturgie nicht finden können. Aber wenn die Christen durch ihren Einsatz für Leben, Gerechtigkeit und Friede erkennbar sind, wenn sie in schöpferischer Phantasie die verschiedensten Wege gehen, um allen alles zu werden, dann wird dem Volk deutlicher werden, daß die Religion und der Glaube der Christen mehr ist als das fremde, ferne, Anfang und Ende des Lebens umrahmende Etwas, das man in einer gewissen ratlosen Hilflosigkeit verehrt, weil es mit dem geheimnisvollen Bereich zu tun hat, woher das Leben kommt und wohin es geht, aber mit dem man mitten im Leben nichts anzufangen weiß.

Dkfm. Hugo Bogensberger ist Direktor des Instituts für kirchliche Sozialforschung

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