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Nicht einmal das Minimum

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Vom kirchlichen Fasten ist heute beinahe nichts übriggeblieben. Auch das Gebet und die Verkündigung, wie sie früher in Fastenpredigten und Fastenandachten zum Ausdruck kamen, sind auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Das christliche Leben in der Gemeinde erschöpft sich fast ausschließlich in der Eucharistiefeier. Das ist an sich doch wieder eine erfreuliche Erscheinung, sofern diese Eucharistiefeier in ihrer ganzen Fülle wirklich der christlichen.Gesinnung und Erneuerung diente und sich nicht bloß in der Erneuerungssucht der äußeren Formen erschöpfte. Aber die Buße müßte in der Fastenzeit doch in besonderer Weise sichtbar und fühlbar werden. Uniser Leben ist hastig und unruhig geworden, so daß für alles, was christliche Besinnung und Prägung des Lebens bedeutet, weder Raum noch Zeit bleibt. Man fragt aber selten, woher diese Hast kommt. Man schreibt sie einfach dem Leben in einer hochzivilisierten und technisierten Welt zu. Diese Auffassung ist aber in Wirklichkeit oberflächlich. Die Hast und Unruhe sitzen im Inneren des Menschen. Der moderne Lebensrhythmus ist nur ein auslösender Faktor.

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Vom kirchlichen Fasten ist heute beinahe nichts übriggeblieben. Auch das Gebet und die Verkündigung, wie sie früher in Fastenpredigten und Fastenandachten zum Ausdruck kamen, sind auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Das christliche Leben in der Gemeinde erschöpft sich fast ausschließlich in der Eucharistiefeier. Das ist an sich doch wieder eine erfreuliche Erscheinung, sofern diese Eucharistiefeier in ihrer ganzen Fülle wirklich der christlichen.Gesinnung und Erneuerung diente und sich nicht bloß in der Erneuerungssucht der äußeren Formen erschöpfte. Aber die Buße müßte in der Fastenzeit doch in besonderer Weise sichtbar und fühlbar werden. Uniser Leben ist hastig und unruhig geworden, so daß für alles, was christliche Besinnung und Prägung des Lebens bedeutet, weder Raum noch Zeit bleibt. Man fragt aber selten, woher diese Hast kommt. Man schreibt sie einfach dem Leben in einer hochzivilisierten und technisierten Welt zu. Diese Auffassung ist aber in Wirklichkeit oberflächlich. Die Hast und Unruhe sitzen im Inneren des Menschen. Der moderne Lebensrhythmus ist nur ein auslösender Faktor.

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Betrachtet man den Zustand des modernen Menschen etwas gründ-lidier, so sind es die inneren Einstellungen und Triebe des Menschen, die seine Haltung primär bestimmen. Das Leben in unserer Gesellschaft fordert nicht nur mehr Zeit und Kraft, sondern es bietet auch viel mehr Möglichkeiten des Lebensgenusses, mehr Arbeit bringt mehr Geld, und mehr Geld bringt ein ständig steigendes Verlangen nach mehr äußeren Lebensgütem. Der steigende Lebensstandard — Wohnungsluxus, Reiseluxus, Erholung imd Sport — bieten sidi dem Menschen in reichlicherem Maße an. Und hier liegt nun die wesentliche Lebensentscheidung des Christen heute. Die oberste Maxime des Diesseitsmenschen »heißt: Alles jrnęiden, was weh tiit, Bequemlichkeit, weichlichung und Genuß bietet. Dadurch erhalten viele Äußerungen des christlichen Lebens einen anderen Stellenwert. Opfer und Buße scheinen für sich allein völlig wertlos und sinnlos, Arbeit und Bildung, körperliche Ertüchtigung sind die ersten Forderungen, denen alles andere untergeordnet werden muß, weil sie Lebenssteigerung bewirken. Was scheinbar oder wirklich der Mehrung der Arbeitskraft, aber auch der Mehrung der Genußfähigkeit dient, wird zum Höchstwert erklärt.

Man wirft der Kirche vor, daß sie mit dem Fortschritt nicht Schritt halte. Aber obwohl sie sich bemüht, Kirchen mit modernster Heizung, mit bequemen Sitzgelegenheiten zu bauen, obwohl sie den Menschen in der Festsetzung der Gottesdienstzeiten weitestgehend entgegenkommt, wie durch die Erfüllung der Sonntagspflicht am Samstagabend, durch die Abendmessen und durch vieles andere, obwohl sie ihre Forderungen den Maßstäben des modernen Lebens ständig,neu anzupassen versucht, erreicht sie nicht mehr Gläubige und wird sie nicht anziehender, als sie es von jeher war. Gewiß wäre es nicht sinnvoll. Kirchengebote unter schwerer Sünde aufrechtzuerhalten, wie das Fastengebot in der alten Form, wenn diese von einem Großteil der Christen nicht erfüllt werden können, oder auch, wenn der überwiegende Teil der Christen infolge moderner Lebensgewohnheiten nicht mehr bereit ist, diese Forderungen zu erfüllen. Das kann aber niemals ein Grund sein, die Predigt von der Notwendigkeit der Buße außer Kraft zu setzen.

Aufstieg und Verfall

Hier liegt nun eigentlich der springende Punkt: in der Verkündigung der Kirche und in der Bereitschaft des Christen.

Der Vorgang ist kurz gesagt folgender: Mit dem materiellen Aufstieg gehen Hand in Hand ein religiöser und gedßtiger Zerfall. Der Materialismus ist die eigentliche Irrlehre unserer Zeit. Im Osten tritt er uns als Häresie offen und mit Gewalt entgegen, den Westen vergiftet er ails nackter Pa-ganismus. Die religiösen Werte schwinden mehr und mehr. In der Kirche nehmen die Priester- und Ordensberufe ständig ab. Die verschiedenartigen kirchlichen Institutionen sind in Gefahr, zu versanden. Es fehlen geeignete Seelsorger, es fehlen opferbereite und großmütige Mitarbeiter, es fehlen starke religiöse Eldte-gruppen. Kirchliche Caritas wird entpersönlicht. An Stelle des Einzeleinsatzes tritt die Zentrale, die Organisation. Die religiöse Kraft der Familie ist im Schwinden. Gerade sie wäre nötig, um die Jugend für den Kampf gegen den Materialismus zu befähigen. In dieser Gefahrensituation .versagt auch ein Großteil der gutgesinnten Katholiken. Dieses Versagen hat eine mehrfache Ursache: voran die Unwissenheit. Viele können nicht helfen, weil sie nicht wissen, wo und wie sie helfen sollen. Die Eltern wissen nicht, wie sie ihre Kinder für das Leben zu erziehen haben. Mädchen und Jungmänner wissen nicht, wie sie sich auf die Ehe und die christliche Erziehung ihrer Kinder vorzubereiten haben. Akademiker wissen nicht, welche Verantwortung sie in ihrem Beruf zu tragen haben. Was hier unbedingt nottut, ist die zeitgemäße Schulung, und zwar nicht nur die intellektuelle Schulung, sondern die Schulung der Gesamtpersönlichkeit, die im religiösen Leben nicht nur das Wissen, sondem vor allem das Leben aus dem Glauben, das auch eingeübt und gepflegt werden muß, umfaßt.

Je mehr man zu einem religiösen Minimalismus tendiert, desto mehr wird das religiöse Leben erlahmen. Es ist also die Opferbereitschaft vor allem dazu einzusetzen, diesen religiösen Minimalismus zu bekämpfen und mehr Zeit für das religiöse Leben zu opfern.

Zweiherrendienst

Das Versagen auch der gutge.sinnten Kpthal.ken hat seine Wurzel im Zwp’herrendienst, den schon Chri-.«itus verurteilt hat. Man kann nicht Gott und der Welt in gleicher Weise gefallen. Man kann nicht sich selbst zum Maßstab aller Dinge machen.

" Gewiß leben wir in dieser Welt und müssen uns in ihr zurechtfinden, aber wir müssen auch einen ganz bestimmten, und zwar den christlichen Standpunkt in dieser Welt einnehmen. Wir dürfen uns nicht unterschiedslos von dieser Welt beherrschen lassen. Das verlangt aber auch Distanz und Beschränkung. Der modeme Mensch verliert mehr und mehr alle Maßstäbe im sittlichen und geistigen Leben und wird somit ein Spielball aller Verirrungen. Der einzige Maßstab, der heute noch anerkannt wird, ist die sogenannte freie Persönlichkeitsenitfaltunig, die man in einer völligen Schnanken-losigkeit zu erreichen glaubt. Bindungen, die die gesunde Menschennatur und das geordnete gesellschaftliche Zusammenleben auferlegen, werden nicht mehr anerkannt. Gegen sie beruft man sich womöglich auf das eigene Gewissen. Der Christ kann durchwegs an der Entwicklung des kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens teilnehmen. Er müßte aber in sich selbst jene Maßstäbe tragen, die ihm helfen, die Zügellosigkeit zu vermeiden. Fa.sten bedeutet heute, sich Schranken auferlegen gegenüber dem ungezügelten Streben nach Geld. Die rechten Maßstäbe liegen hier in der Ordnung der Werte. Ein gesundes Familienleben verlangt, daß man nicht die Erziehung der Kinder und damit auch die Selbstbildung dem Gelderwerb opfert. Christsein verlangt, daß man die geistigen und geistlichen Güter höher wertet als die materiellen und daher bereit ist, dias Streben nach steigendem Lebenisstandard und Luxus einzuschränken, um die Kräfte der Seele und des Geistes für höhere Aufgaben freizumachen.

Um so mehr…

Von allen, die Christen bleiben wollen, ist heute tatsächlich mehr verlangt, als von früheren Generationen verlangt war. Solange die Möglichkeiten der Lebensentfaltung nicht so groß waren wie heute, mochte es genügen, am Fredtag kein Fleisch zu essen und in der Fastenzeit noch eindige Opfer dazu sich aufzuerlegen. Heute aber liegt das Feld der christlichen Opferbereitschaft und des Fastens schon vor diesem engen Bezirk und umfaßt viel mehr Bereiche. Wer nicht bereit ist, gegenüber dem materialistischen Verhalten der Masse strengere Maßstäbe an sich selbst anzulegen und an eine Wertordnung sich zu binden und ständig nach dieser Wertordnung sein Tun und Handeln zu prüfen, muß notwendigerweise seine christliche Gesinnung verraten. Und wenn man Tag für Tag diese christliche Gesinnung verrät, bleibt der Regt — die Messe am Sonntag, ein Caritasopfer, die kirchliche Ehe und die Taufe der Kinder — nur noch ein pharisäisches Christentum. In dem stürmischen Wandlungsprozeß des gesamten gesellschaftlichen Lebens ist es der Kirche nicht mehr möglich, Einzelnormen in allen Bereichen zu geben. Der einzelne Christ muß so weit die Unterscheidung der Geister üben, daß er in den verschiedenen Bereichen des Lebens mit seinen festen Maßstäben jene Grenz-überschredtungen selibst zu erkennen vermag, die mit einer christlichen Lebensgesirmung nicht mehr vereinbar sind. So betrachtet, kann man heute wohl von einem tiefgehenden Mangel an Bußfertigkeit sprechen und ist die Predigt von der ständigen Umkehr nötiger denn je.

Die wahren Wurzeln

Gute Katholiken hört man heute oft klagen über den sittlichen Verfall, über die vielen Verbrechen, über eine aufsässige Jugend, und ohne Zweifel geben viele Erscheinungen Anlaß zur Sorge. Leider vergessen die meisten, sich die Frage zu stellen, wo denn die Wurzeln dieser verschiedenen sittlichen Degenerationsenscheinun-gen liegen. Sind sie nicht bei den Erwachsenen zu suchen, in ihrer unersättlichen Geldgier, in ihrem Egoismus? Wie viele nehmen sich nicht Zeit, ihren Kindem die genügende Liebe und Sorge zuteil werden zu lassen! Wie viele versagen in ihrer ehelichen Treue und Liebe aus Egoismus, weil sie nicht bereit sind, die geringsten Opfer und Leiden zu tragen! Aus diesem Versagen der Erwachsenen, die ja meistens Christen sind, erwächst die Krise der Ju^nd. Was die Menschen brauchen, 1st nicht in erster Linie Geld, Luxus und Genuß, sondem Liebe. Es ist viel zuwenig Liebe unter den Menschen. Liebe aber kann ohne Opfer nicht bestehen und bewährt sich erst im Opfer. Die mangelnde Bußbereitschaft, die ja eben eine mangelnde Opferbereitschaft ist, führt notwendigerweise auch zu einer mangelnden Liebe.sbereitschaft. Die Kraft der Liebe kommt aus dem Opfer und Verzicht, wie umgekehrt echte Liebe wieder fähig zum Opfer und Verzicht macht. Beide hängen unzertrennlich zusammen. Man spricht heute viel von Brüderlichkeit und Mitmenschlichkedt, aber wagt kaum das Wort Opfer und Buße auszusprechen. Wenn das eine ohne das andere nicht bestehen kann, dann wäre es notwendig, wenigstens ebensoviel über Opfer und Buße zu sprechen, will man nicht bloß klingende Phrasen machen. Das Gerede von Brüderlichkeit und Mitmenschlichkeit ist heute im Munde vieler nur eine tönende Phrase. Sie beden-t’kenį\gar nicht, WaS sie damit eigentlich meinen und sind gar nicht fähig und bereit, Opfer zu bringen. Die Predigt von der Buße wird heute klein geschrieben. Sie gehört zu den vergessenen Wahrheiten.

Gewiß, man kann das Bad der Geschichte nicht zurückdrehen. Mit den ungemein raschen technischen Fortschritten geht ein Wandel des menschlichen Einzel- wie des gesellschaftlichen Lebens vor sich. Letzteres vermag mit dem Tempo des technischen Fortschrittes ohnehin nicht Schritt zu halten. Man muß also einsehen, daß sich auch die Formen des kirchlichen Lebens ändern und daß starre Gesetze diesem Wandel nicht Rechnung tragen. Deshalb liegt die Verantwortung heute mehr denn je am einzelnen Christen. Es ist nicht so schwer, jene Situationen zu erkennen, in denen christlicher Buß-und Opfergeist heute wirksam werden müssen, aber es ist schwer, sich nicht vom allgemeinen Trend fortreißen zu lassen. Darin aber müßte christlicher Geist spürbar werden, nicht nur im Leben des einzelnen, sondem auch in den gesellschaftlichen Lebensformen.

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