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DIE LIEBE ZU ALLEN

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Die Welt ist krank. Das Übel liegt jedoch weniger darin, daß die Hilfsquellen versiegt sind oder daß einige wenige alles abschöpfen. Es liegt im Fehlen des brüderlichen Geistes unter den Menschen und unter den Völkern.

Wir können nicht genug auf die Pfliclft zur Gastfreundschaft hinweisen — eine Pflicht menschlicher Solidarität und christlicher Liebe —, die den Familien und den Kulturwerken der Gastländer obliegt. Vor allem für die Jugend müssen Klubräume und Heime geschaffen werden, um sie vor der Einsamkeit zu bewahren, vor dem Gefühl der Verlassenheit, der Trostlosigkeit, wo jegliche sittliche Widerstandskraft zerbricht. Auch um sie in der ungesunden Situation zu beschützen, in der sie sich befinden, wo sich ihnen der Vergleich zwischen der furchtbaren Armut ihrer Heimat mit dem Luxus und der Verschwendung, die sie oft umgeben, geradezu aufdrängt. Und auch, um sie vor verderblichen Lehren zu bewahren und vor Versuchungen, die sie überfallen, wenn sie an so viel unverdientes Elend58 daheim denken. Schließlich aber, um ihnen in herzlicher brüderlicher Gastfreundschaft das Beispiel eines gesunden Lebens zu geben, sie zu einer Hochschätzung der wahren und wirksamen christlichen Liebe, der Achtung vor den geistigen Werten zu führen.

DEs ist schmerzlich, daran denken zu müssen: Viele junge. Menschen, die in die hochentwickelten Länder kommen, um dort Wissen, Können, Bildung zu erwerben, damit sie ihrer Heimat besser dienen können, erwerben dort zwar ganz gewiß eine Ausbildung von hoher Qualität, aber sie verlieren zu oft die Achtung vor den geistigen Werten, die sich als kostbares Erbe in den Kulturen finden, in denen sie groß geworden sind.

Die gleiche Gastfreundschaft sind wir auch den Gastarbeitern schuldig, die oft unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und ihr Geld sparen, um ein wenig ihrer Familie zu helfen, die im Elend der Heimat zurückgeblieben

Unsere zweite Empfehlung gilt denen, die ihr Beruf in die Länder führt, die erst jüngst der Industrialisierung erschlossen wurden: Industrielle, Kaufleute, Unternehmer und deren Vertreter. Sie empfinden meist durchaus sozial in ihrer Heimat. Warum aber handeln sie in den Entwicklungsländern nach den unmenschlichen Grundsätzen des Individualismus? Ihre überlegene Situation müßte sie doch eigentlich dort, wo sie von ihren geschäftlichen Interessen hingeführt werden, zu Initiatoren des sozialen Fortschritts und des menschlichen Aufstiegs machen. Gerade ihr Sinn für Organisation müßte ihnen zeigen, wie man die Arbeit der Eingeborenen aufwerten könnte; wie Facharbeiter, Ingenieure und Stammarbeiter heranzubilden sind; wie ihrer Initiative Raum geben, wie man sie Schritt für Schritt in führende Stellungen bringen kann, um so mit ihnen in nicht allzu ferner Zukunft die Führungsverantwortung zu teilen. Daß wenigstens die Gerechtigkeit immer die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen regelte! Daß ordentliche Verträge die gegenseitigen Verpflichtunigen ordneten! Daß keiner, welche Stellung er immer haben mag, ungerecht der Willkür eines andern ausgeliefert sei!

Wir freuen Uns darüber, daß immer mehr Fachleute durch internationale, bilaterale oder private Organisationen zur Entwicklungshilfe ausgesandt werden. „Sie dürfen bei ihrem Einsatz nicht als Herren auftreten, sondern sollen Helfer und Mitarbeiter sein59.“ Ein Volk merkt sehr schnell, ob seine Helfer mit oder ohne Zuneigung zugreifen, ob sie nur Technik bringen oder dem Menschen seinen Wert zugestehen. Ihre Botschaft wird nur dann angenommen, wenn sie von brüderlicher Liebe getragen ist.

Zum notwendigen technischen Können müssen also echte Erweise einer selbstlosen Liebe kommen. Frei von jedem nationalistischen Hochmut wie von jedem Anschein eines Rassenvorurteils, müssen diese Fachleute lernen, eng mit allen zusammenzuarbeiten. Sie müssen wissen, daß ihnen ihr Fachwissen keine Überlegenheit auf allen Gebieten sichert. Die Kultur, die sie gebildet hat, enthält zweifellos Elemente eines universalen Humanismus, aber sie ist nicht die einzige und nicht die ausschließliche, und sie kann nicht ohne Anpassung eingeführt werden. Wer sich dieser Aufgabe widmet, dem muß es ein Anliegen sein, mit der Geschichte seines Gastlandes auch dessen kulturelle Kräfte und Reichtümer zu entdecken. So kommt man sich näher, und davon werden beide Kulturen befruchtet.

Der offene Dialog zwischen den Kulturen wie den Menschen schafft brüderliche Gesinnung. Die Entwicklungshilfe bringt die Völker in der gemeinsamen Arbeit zur Verwirklichung von Vorhaben einander näher, wenn alle, angefangen von den Regierungen und ihren Vertretern bis zum letzten Fachmann, von brüderlicher Liebe beseelt und von dem aufrichtigen Verlangen erfüllt sind, eine Zivilisation weltweiter Solidarität zu bauen. Dann beginnt ein Gespräch über den Menschen, nicht über Lebensmittel oder Technik. Es wird fruchtbar sein, wenn es den Völkern, die so ins Sprechen gekommen sind, die Möglichkeit, sich zu erheben und zu vergeistigen, gibt; wenn die Techniker zu Lehrern werden und wenn die Unterweisung von solcher geistiger und sittlicher Kraft ist, daß sie nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den menschlichen Fortschritt gewährleistet; dann bleiben auch nach Abschluß der Hilfeleistung die entstandenen menschlichen Beziehungen. Und wer sähe nicht, welch Bedeutung sie für den Frieden der Welt haben?

Viele junge Menschen haben bereits mit Feuereifer auf den Aufruf Pius' XII. für die laienmissionarische Bewegung geantwortet60. Zahlreich sind auch jene, die sich freiwillig den offiziellen und privaten Organisationen zur Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt haben. Wir fruen Uns zu hören, daß in manchen Nationen der Militärdienst zum Teil als Sozialdienst, als abgekürzter Dienst geleistet werden kann. Wir segnen die Initiativen und die Antworten voll guten Willens. Möchten doch alle, die sich zu Christus bekennen, Seinen Ruf hören: „Ich war hungrig, ihr habt Mich gespeist; Ich war durstig, ihr habt Mich getränkt; Ich war Fremdling, ihr habt Mich beherbergt; Ich war nackt, ihr habt Mich bekliedet; Ich war krank, ihr habt Mich besucht; Ich war im Gefängnis, ihr seid zu Mir gekommen61.“ Niemand kann dem Los seiner Brüder, die in Elend versunken, der Unwissenheit ausgeliefert, Opfer der Unsicherheit sind, gleichgültig gegenüberstehen. Wie das Herz Christi, muß auch das Herz der Christen mit dem Elend mitempfinden: „Mich erbarmt des Volkes61.“

Alle sollen den Allmächtigen bitten, daß sich die Menschheit in Erkenntnis der großen Übel mit Intelligenz und Mut daran mache, sie aus der Welt zu schaffen. Diesem Gebet muß die Entschlossenheit eines jeden entsprechen, sich nach dem Maß seiner Kräfte und Möglichkeiten im Kampf gegen die Unterentwicklung einzusetzen. Möchten sich doch alle Menschen, die sozialen Gruppen und die Völker, brüderlich die Hand reichen, der Starke in seiner Hilfe dem Schwachen gegenüber, indem er sein ganzes Können, seine Begeisterung, seine selbstlose Liebe einsetzt. Mehr als irgend jemand ist der wahre Liebende erfinderisch im Entdecken von Ursachen des Elends, im Finden der Mittel, es zu überwinden und zu besiegen. Der Friedensstifter „geht gerade seinen Weg, entzündet die Freude und verbreitet Licht und Gnade in den Herzen der Menschen auf der ganzen Welt und lehrt sie über alle Grenzen hinweg das Antlitz von Brüdern, das Antlitz von Freunden entdecken68“.

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