6865129-1977_52_03.jpg
Digital In Arbeit

Nein zur Gewalt- Ja zumFrieden Die Botschaft Papst Pauls VI.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Friede ist ein Geschenk, das den Menschen angeboten wird, das sie annehmen können, ja müssen. Ihn müssen sie an die Spitze ihrer Überlegungen, ihrer Planungen, ihrer Hoffnungen und ihres Glücks stellen.

Der Friede ist, werden wir uns dessen gleich am Anfang bewußt, keine rein ideale Traumvorstellung, keine verlockende, jedoch unergiebige und unerreichbare Utopie. Der Friede ist und muß eine Wirklichkeit sein, die dynamisch ist und in jedem Zeitalter der Zivilisation neu hervorgebracht werden muß, so wie das Brot, von dem wir uns nähren, das eine Frucht der Erde und der göttlichen Vorsehung, aber zugleich auch ein Ergebnis der menschlichen Arbeit ist. So ist auch der Friede kein Zustand allgemeiner Unbeschwertheit, wo jener, der sich ihrer erfreut, von jeder Sorge befreit und von jeder Störung sicher wäre und sich ein beständiges und idyllisches Wohlergehen erlauben könnte. Der Friede ist ein Gleichgewicht, das auf Bewegung beruht und ständig geistige und zur Tat drängende Energien entfaltet. Er ist ein lebendiger Schutzwall, der immer wieder klug gestaltet werden muß. Zwei bedeutsame Phänomene drängen sich bei der Beurteilung des Friedens gleichsam von selbst auf: Das erste Phänomen besteht in der fortschreitenden Entwicklung des Friedens. Der Friede ist eine Idee, die im Bewußtsein der Menschen an Geltung gewinnt. Er ist im Vormarsch begriffen, er geht der Idee des Fortschritts voran und begleitet sie, die ihrerseits auf die Einheit des Menschengeschlechts abzielt. In der Geschichte unserer Zeit entdecken wir schon überall kostbare Blüten mutiger Initiativen zugunsten des Friedens, eines Friedens, der klug ausgedacht, gewollt, planvoll vorbereitet, feierlich bekräftigt und verteidigt wird: Helsinki lehrt das. Diese Hoffnungen werden bestärkt durch die nächste Sondersitzung der UNO, die sich mit der Abrüstung befassen wird, wie auch durch die zahlreichen Anstrengungen einflußreicher und einfacher Leute, die sich für den Frieden einsetzen.

Niemand wagt es heute, Kriege als Grundlage für Wohlfahrt und Ruhm auszugeben. Auch dort, wo die Forderungen eines legitimen nationalen Interesses sich noch nicht mit kriegerischen Mitteln Geltung zu verschaffen vermögen, hegt man die Hoffnung, daß die verzweifelte Zufluchtnahme zum Einsatz von Waffen vermieden werden kann. Das Gewissen der Welt ist geängstigt angesichts der Möglichkeit, daß unser Friede nur ein Waffenstillstand sei und daß ein unermesslicher Weltbrand blitzartig ausbrechen könnte. Wie absurd wäre ein moderner Krieg! Wie ist der Friede eine absolute Forderung geworden, ein Friede, der nicht auf dem Übergewicht der Waffen mit ihrer ungeheuren Zerstörungskraft und auch nicht auf der strukturellen Gewalt, wie einige politische Systeme sie anwenden, begründet werden kann, sondern auf einer geduldigen, sachbezogenen und verständnisvollen Methode in Gerechtigkeit und Freiheit, wie sie von den großen internationalen Institutionen entwickelt und beachtet wird. Die richtunggebende Unterweisung der Päpste Pius XII. und Johannes XXIII. möge hier auch weiterhin die Weisheit der Lehrer und Politiker befruchten.

Das zweite Phänomen ist eine negative Entwicklung, die parallel zur Entwicklung des Bewußtseins vom Frieden verläuft: Das Phänomen der Gewalttätigkeit aus Leidenschaft oder mit ideologischer Begründung. Sie breitet sich immer mehr im modernen, zivilisierten Leben aus und nützt dabei die Möglichkeiten aus, die dem Bürger zur Verfügung stehen, um dem Mitbürger eine Falle zu stellen und ihn meist hinterhältig zu treffen, nur weil dieser legal den eigenen Interessen entgegensteht. Diese Gewalt, noch privat, aber auch schon in geheimen Gruppen und Banden organisiert, nimmt besorgniserregende Ausmaße an.

Die Erscheinungsweisen, unter denen die Gewalt seit einiger Zeit in bestimmten Kreisen auftritt, erfordern eine eigene, vielseitige und schwierige Analyse. Sie entspringt einem Verfall der moralischen Gewissens, das ohne Erziehung geblieben ist, keinen äuße ren Halt gefunden hat und oft von einem Pessimismus gegenüber der Gesellschaft durchdrungen ist, der im Geist des Menschen den Geschmack und die Einsatzbereitschaft für eine selbstverständliche Rechtschaffenheit sowie die Liebe in ihrer wahren, echten und treuen Art zerstört hat. Die seelische Verfassung des gewalttätigen Menschen enthält oft in ihrer Tiefe auf perverse Weise das Motiv einer Rache, also eines Verlangens nach Gerechtigkeit, das noch nicht Erfüllung fand. Das Durchsetzbare tritt an die Stelle des Rechten; die einzige Grenze ist die Furcht vor staatlichen oder privaten Sanktionen. Darum gehören die Aktionen aus dem Dunkel und das feige Handeln durch Hinterlist und Verrat zum Erscheinungsbild heutiger Gewalttätigkeit.

Gewalttätigkeit ist nicht Tapferkeit. Sie ist Explosion einer blinden Energie, die den Menschen entwürdigt, weil sie ihn vom Niveau der verständigen Überlegung auf die Ebene der Leidenschaft herabzieht. Und dort,,wo der Gewalttätige die Selbstkontrolle behält, sucht er doch unwürdige Wege, um sich durchzusetzen, Wege der Hinterlist, der Überraschung, der physischen Überwältigung eines Gegners, der schwächer und vielleicht wehrlos ist.

Auch das System der Gewalt, das als „Gegenseitige Abrechnung“ bekannt ist, enthält Formen des Hasses, des angestauten Grolls, der Feindschaft, die zusammen eine Gefahr für unser Zusammenleben bilden und sogar das Gemeinschaftsleben entwerten, indem sie die Gefühle der Menschlichkeit zersetzen, die doch die vorrangige und unersetzliche Grundlage jeglicher Gemeinschaft bilden, sowohl der Familie wie auch der Nachbarschaft und des Staates.

Die Gewalttätigkeit ist antisozial schon wegen der Methoden, die es ihr ermöglichen, sich in einer Gruppe von Komplizen zu organisieren, bei der die Schweigepflicht den Zusammenhalt festigt und einen Schutzschild darstellt. Sie deckt mit dem Schleier des

Geheimen und durch die Androhung schonungsloser Vergeltungsaktionen gewisse Gruppierungen des kollektiven Egoismus, ist der allgemeinen Legalität gegenüber mißtrauisch und versteht es immer Wieder, sich der Kontrolle zu entziehen, plant kriminelle Handlungen, die mitunter zu Formen eines erbarmungslosen Terrorismus entarten, der bedauerliche Repressionen hervorruft.

Die Gewalttätigkeit führt zur Revolution und die Revolution zum Verlust der Freiheit. Die soziale Zielsetzung, für die die Gewalt ihre unselige Aktivität entfaltet, ist falsch. Wenn sie auch als gewaltsame Reaktion manchmal gewisse vernünftige Beweggründe besitzt, wendet sie sich jedoch schließlich gegen sich selbst und gegen die Anliegen, die solche Initiativen hervorgerufen haben.

Also auch der Krieg verdient unsere Verurteilung, wenn er auch heute von immer mehr Menschen abgelehnt wird. Dazu wird der Krieg durch die Furchtbarkeit der eigenen Waffen abgewehrt. Die Angst, die allen Völkern und insbesonders den stärksten unter ihnen gemeinsam ist, schränkt die Möglichkeit ein, daß der Krieg sich zu einem Weltbrand entfesselt. Zur Furcht, die mehr eine gedankliche als reale Barriere darstellt, kommen jedoch weitere planvolle Initiativen auf höchster politischer Ebene hinzu, die alle darauf hinwirken, daß nicht nur die Kräfte der möglichen Konfliktpartner ausbalanciert werden, sondern auch der äußerste Unsinn eines Krieges deutlich aufgezeigt wird.

Dennoch können wir nicht unsere Augen vor der traurigen Wirklichkeit des begrenzten Krieges verschließen, ob ein solcher in bestimmten Gebieten noch tatsächlich existiert, ob er psychologisch gesehen, aus den bedrohlichen Möglichkeiten der Geschichte noch nicht endgültig ausgeschlossen ist. Unser „Ja“ zum Frieden ist eher noch ein Wunsch als tatsächliche Wirklichkeit. In vielen geographischen und politischen Situationen, die noch keine gerechte und friedliche Lösung gefunden haben, bleibt die Möglich keit künftiger Konflikte bestehen. Unsere Liebe zum Frieden muß wachsam bleiben; viele andere Gesichtspunkte als nur die Gefahr eines neuen Weltkrieges verpflichten uns dazu, den Frieden auch außerhalb der militärischen Schützengräben zu bedenken und als Wert herauszustellen.

Wir müssen heute den Frieden unter seinem metaphysischen Aspekt verteidigen, der ursprünglicher und wichtiger ist als der geschichtliche Fall einer zeitweiligen Unterbrechung der Kriegshandlungen und der äußeren „tranquilitas ordinis“. Unser „Ja“ zum Frieden weitet sich aus zu einem „Ja“ zum Leben. Der Friede muß nicht nur auf die Schlachtfelder gebracht werden, sondern überallhin, wo sich die Existenz des Menschen verwirklicht. Es muß auch einen Frieden geben, der diese Existenz nicht nur vor den kriegerischen Waffen schützt, sondern der ebenso das Leben als solches gegen jegliche Gefahr, jedes Unheil und jedes Hindernis verteidigt.

Das Leben des Menschen ist vom ersten Aufblühen seiner Existenz an heilig. Das Gebot „Du sollst nicht töten!“ soll dieses unaussprechliche Wunder des menschlichen Lebens mit alles- überragender Autorität beschützen.

Ebenso stark setzen wir unsere Hoffnung auf die Eltern, und hier vor allem die Mütter. Wir sind uns zutiefst bewußt, wie unsere Worte hierbei von hoher Achtung und Zurückhaltung, aber auch von großer Kraft geprägt sein müssen. Der Friede hat im Bereich der Geburt eines Menschen seinen ersten Schutzschild: ein Schild, der aus sehr feinen Schutzfunktionen gebildet wird, ein Schild der verteidigungsbereiten Liebe.

Wir müssen deshalb jeden Angriff auf das werdende Leben mißbilligen und jede verantwortliche Einrichtung bitten, mitzuhelfen, daß die Abtreibung verboten bleibe und ihre Ursachen behoben werden. Der Mutterschoß und die Wiege der Kindheit sind die ersten Schutzdämme, die zugleich mit dem Leben auch den Frieden verteidigen, ja ihn sogar aufbauen. Wer gegen Krieg und Gewalt den Frieden wählt, entscheidet sich dadurch für das Leben, für den Menschen in seinen grundlegenden und wesentlichen Bedürfnissen.

Wir fühlen uns gedrängt, ein besonderes Wort für alle Jungen und Mädchen hinzuzufügen, die angesichts der Gewalttätigkeit den verwundbarsten

Teil der Gesellschaft, aber auch die Hoffnung auf ein besseres Morgen darstellen: auch zu ihnen soll diese Friedensbotschäft gelangen, im Namen Christi, der „der Friedensfürst“ in der Welt ist und der gesagt hat: „Wohl denen, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“. Ohne Führung und Hilfe durch Christus ist der wahre, beständige und allgemeine Friede nicht möglich. Der Friede Christi schwächt die Menschen nicht, noch macht er sie zu Feiglingen, die der Übermacht der andern hilflos ausgeliefert wären; im Gegenteil, er befähigt sie, für die Gerechtigkeit zu kämpfen und manche Probleme mit großer Einsatzbereitschaft, mit der genialen Kraft der Liebe zu lösen.

Wenn ihr stark sein wollt, dann seid es mit eurem Mut, mit eurer vorbildlichen Haltung. Versteht es, euch zu beherrschen: lernt, zu vergeben und bald wieder befreundet zu sein, mit jenen die euch weh getan haben: auf diese Weise könnt ihr wahre Christen sein.

Haßt niemanden! Begegnet nicht anderen Kindern, Menschen aus einer anderen sozialen Umgebung oder aus anderen Ländern, mit Stolz und Überheblichkeit! Handelt nicht egoistisch oder aus Verachtung oder schon gar nicht aus Rache!

Wir sind der Ansicht, daß ihr Kinder, wenn ihr erwachsen werdet, die Aufgabe habt, die Denk- und Handlungsweisen der Welt von heute zu ändern, mit denen man immer wieder darauf aus ist, sich von anderen zu unterscheiden, sich von ihnen abzusetzen, sie an die Seite zu drängen. Sind wir nicht alle miteinander Brüder? Gehören wir nicht alle zusammen zu derselben Menschheitsfamilie? Und sind nicht alle Völker verpflichtet, zu möglichster Übereinstimmung zu kommen und so den Frieden aufzubauen?

Ihr als Kinder einer neuen Zeitepoche müßt in euch die feste Haltung wachsen lassen, alle Menschen zu lieben und so der Gesellschaft das Antlitz einer besseren, gerechteren, solidarischen Gemeinschaft zu geben. Seid ihr bereit, wahre Menschen füreinander zu sein und nicht Wölfe? Seid ihr gewillt, die verdienstvolle und frohe Genugtuung zu haben, die darin liegt, das Gute zu tun, dem Notleidenden zu helfen, irgendein wertvolles Werk zu tun, dessen Lohn einzig in eurem Gewissen liegt? Denkt bei all dem an die Worte Jesu, die er während des letzten Abendmahles, in der Nacht vor seinem Leiden, aussprach: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander; wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt zueinander.“ Das ist das Zeichen unserer Echtheit als Menschen und als Christen: die gegenseitige Liebe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung