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Feindbilder malen heißt Gewalt säen

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Attentate auf Regierungschefs erschüttern die Welt, Parolen der Gewalt-losigkeit feiern Triumphe, während Militäreinsätze gang und gäbe sind. Was bedeutet Gewalt heute?

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Attentate auf Regierungschefs erschüttern die Welt, Parolen der Gewalt-losigkeit feiern Triumphe, während Militäreinsätze gang und gäbe sind. Was bedeutet Gewalt heute?

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„Wir versuchen ja immer Gewalt zu vermeiden, auch Gewalt von Seiten des Staates. Es soll keine Gewaltmentalität in unserem Lande entstehen.“ Das waren höchst bezeichnende Worte von Olof Palme. Und nun haben ihn die Schweden zu Grabe getragen, er wurde selbst ein Opfer der Gewalt, an deren Uberwindung er geglaubt hat.

Wie steht es um diesen Glauben? Und was hat es mit der Gewalt für eine Bewandtnis in unserer modernen Gesellschaft? Gründe, danach zu fragen, gibt es genug. Schließlich leben wir im Zeitalter kaum mehr vorstellbarer Gewaltarsenale, und doch zugleich in einem Zeitalter, in dem die Parole der Gewaltlosigkeit mehr Resonanz und Sympathie gefunden hat als früher.

In der Tat, Kritik und Ablehnung der Gewalt sind weit verbreitet: Es gibt ein völkerrechtliches Gewaltverbot, eine Ächtung des Krieges - seit dem Kellog-Pakt (1928) und erst recht seit der Gründung der Vereinten Nationen. Es gibt, zumindest im moralischen Bewußtsein der heutigen Menschheit, eine Ächtung der Folter, der körperlichen Strafe, auch der Todesstrafe. Gestalten wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King werden verehrt, aus dem Neuen Testament ist die Bergpredigt populärer als vieles andere; Militäraufwendungen sind in vielen Weltgegenden (nicht in allen!) nur noch mit dem Argument legitimierbar, sie würden nicht der Kriegsführung dienen, sondern der Kriegsverhinderung.

Andererseits ist die technische Perfektion der Massenvernichtung ein beklemmendes Merkmal unserer Zeit — die Vernichtungsöfen von Auschwitz gab es nur im 20. Jahrhundert. Auch der Einsatz militärischer Gewalt in politischen Konflikten ist — trotz seiner Ächtung - gang und gäbe geblieben.

Aber es tauchen zunehmend Schwierigkeiten und Fragwürdigkeiten in bezug auf die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung auf.

Vor allem im Hinblick darauf, ob tatsächlich eine Entlastung des Zusammenlebens von der Gewalt erreicht werden konnte.

Man gewahrte, daß es sozusagen unterhalb der Bühne des öffentlichen Lebens - im gesellschaftlichen Unterholz - Gewaltverhältnisse und Unterdrük-kungsstrukturen gibt: in Ehe und Familie, in der Arbeitswelt, in anderen als unpolitisch geltenden Lebenszusammenhängen. Es wurde deutlich, daß manche Befriedungsleistungen nur auf Kosten Dritter erbracht wurden, im Sinne der „Imperialismus“-These von der Auslagerung der Gewalt und der Ausbeutung nach draußen, oder im Sinne des Wortes von der „inneren Kolonisierung“ in der eigenen Gesellschaft. Erst recht wurde die Aussicht auf den Abbau zwischenstaatlicher Gewalt fragwürdig.

Eine Zeitlang hat man in den Atomwaffen auch etwas Positives gesehen — zuerst, bevor ein Gleichgewicht des Schreckens in Sicht war, in der Hoffnung auf moralische Hemmungen, einen Krieg auszulösen, der zum Atomkrieg eskalieren könnte. Später verließen sich nicht wenige auf die stabilisierende Wirkung gegenseitiger Abschreckung. Die Entwicklung der Rüstungsprogramme und der strategischen Doktrinen der Militärblöcke hat indessen Zweifel genährt, ob diese Konstellation noch als „stabil“ gelten kann.

Das alles heißt: das Vertrauen in die Verläßlichkeit der herrschenden Gewalthemmungsvorkehrungen nimmt ab; das betrifft sowohl die Funktionsverläßlichkeit der Mechanismen wie die Vertrauenswürdigkeit der Politik. Es haben sich neue Vorstellungen und Einschätzungen der Gesellschaft und der Politik entwickelt, weithin noch unterhalb der Ebene öffentlich etablierter Kommunikation; seit rund zehn Jahren ist in diesem Sinne eine „schweigende Revolution“ diagnostiziert worden, ein Wer-tungs- und Paradigmenwandel.

Am deutlichsten ist die Abneigung gegenüber dem Staat - ist er doch gerade jene Großorganisation, die zu alledem auch noch das Monopol legitimer Anwendung von Zwangsgewalt in Anspruch nimmt — und das, was am Staat in erster Linie zuwider ist, sind die Gewaltapparate: Militär, Polizei, Justiz, psychiatrische Anstalten und dergleichen.

Man kann vermuten, daß die genannten Institutionen es künftig mit Akzeptanzproblemen zu tun bekommen werden und daß anarchistische Strömungen zunehmen, vor allem in der .„sanften“ Variante.

Uber die Erklärung dieser Tendenzen läßt sich viel spekulieren: Kommen alte Sehnsüchte der Erlösung von aller Gewalt wieder zum Vorschein, verlangen ihre Träger die Einlösung älterer Verheißungen? Handelt es sich um eine moralische Sensibilisierung als Reaktion auf moralische Unzulänglichkeiten in der etablierten Politik? Werden persönliche Probleme der Lebensbewältigimg in die Gesellschaft projiziert? Feiert die Bewegung von 1968 in neuem Gewand fröhliche Urständ'?

Die neuen Einstellungen sind nicht mehr in Ideologien im klassischen Sinn auskristallisierbar, und sie lassen sich auch nicht in Organisationsformen herkömmlicher politischer Art umsetzen (darum funktionieren auch „alternative“ Parteien so schlecht). Sie lassen sich schwer in die gängige Welt der Politik integrieren, das, was gemeint ist, läßt sich nicht einmal leicht in ihre Sprache übersetzen.

Genau hier liegt ein Problem, ein Anlaß zur Sorge. Wo Verständigung nicht mehr möglich ist oder nicht mehr gewünscht wird, entwickelt sich Feindschaft. Der Feind — das ist der existentiell ganz Andere, mit dem es keine verständigungsorientierte Kommunikation gibt — so daß man nicht mehr auf Ubereinkunft hin miteinander verhandelt (abgesehen von bloßer Taktik), sondern nur noch einander als widerwärtigen Gegenpart „behandelt“.

Womöglich besteht die Gefahr, daß jene, die diese Anti-Politik leben, und solche, die dafür kein Verständnis haben, einander als „existenziell Andere“, als Feinde betrachten. Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit bewahren davor nicht; sie provozieren im Gegenteil manchmal geradezu Regungen der Feindseligkeit, wofür es historische Beispiele gibt: Jesu Einzug in Jerusalem, auf einer Eselin, im Zeichen demonstrativer Sanftmut, hat das Establishment mehr provoziert als alles andere.

Martin Luther King, nach seiner Ermordung ein Nationalheros, reizte gerade mit seiner Parole der Gewaltlosigkeit — es gelte, die Gegner „niederzulieben“ -konservative Systemhüter, wie den FBI-Chef J. Edgar Hoover, aufs äußerste.

Andererseits droht eben da, wo verständigungsorientierte Kommunikation abgebrochen wird, wo man einander nicht mehr als Teilhaber an der gemeinsamen Vernunft ernst nimmt, sondern nur noch als Träger kalkulierenden Verstandes, der Umschlag des sanften Anarchismus in einen sehr unsanften — und die innere Entbindung der Macht von Hemmungen und Grenzen. Wenn solch ein Umschlag einmal erfolgt ist, auf der einen oder auf der anderen Seite, dann gibt es „politisch“, das heißt taktisch, Denkende und Agierende, die sich aus diesem Bruch der Gemeinsamkeit strategischen oder taktischen Nutzen versprechen und am Brückenschlag desinteressiert sind. Schließlich weiß man längst, was den Zusammenhalt von Gruppen stärkt und fördert. Ganz zuerst der gemeinsame Feind, schon sehr viel schwächer die gemeinsame Not und noch weit weniger der gemeinsame Vorteil. Erst ganz am Ende, fast nicht mehr von Gewicht, gemeinsame Ideen, Symbole und geistige „Werte“.

Übrigens wirkt sich das nicht erst in solchen Grenzsituationen aus, sondern schon in der „gewöhnlichen“ Politik: politische Führer sind am Zusammenhalt ihrer Mannschaft, ihrer Gruppe, interessiert, und dafür ist nichts so nützlich wie ein gut verpaßtes Feindbild; wo man sich seiner bedient, sät man freilich auch schon die Saat der Gewalt, und das gilt nicht nur für Weltmächte, sondern auch für politische Parteien, und nicht nur für sie, sondern auch Sport-Fan-Clubs und für Religionsgemeinschaften.

Gewalt tritt da auf, wo man keine Alternativen eröffnet — dort etwa, wo man dem anderen die Aussicht auf wirkliche Partnerschaft verweigert. In diesem Sinn ist zum Beispiel die sogenannte Apartheid-Politik prinzipiell etwas anderes als das Auftreten von Menschenrechtsverletzungen — weil ja die anderen von vornherein nicht als Anspruchsberechtigte in bezug auf bestimmte Menschenrechte gelten.

Gewalt tritt aber auch da auf, wo man ihr nicht entgegentritt, wo man zu ihrer Praktizierung geradezu verführt, indem man ihr Erfolgsprämien aussetzt. Denn die Neigung zur Gewalt und ihre Praktizierung verdient nicht nur da eöie Antwort, wo es sich um Extremfälle handelt. Eine Frage, die wir uns stellen müssen, wäre auch diese: Wie kann man in der Politik die Chancen der Reform glaubhaft machen? Denn oft ist gewaltsames Handeln, wenn nicht der Ausdruck psychischer Kurzschlüsse, dann das Resultat der Überlegung: es hat ohnehin alles andere keinen Zweck — das System ist unfähig, wirklich wichtige Probleme zu lösen. Oder auch nur: sie adäquat zu erkennen (wobei jeder nur zu gern seine Probleme für die eigentlich wichtigen halt). „Was ist Gewalt anderes als Vernunft, die verzweifelt?“ fragte einst Jose Orte-ga y Gasset. Gewiß hat er nicht auf alle Fälle recht - aber für manche.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Referat „Gewalt und moderne Gesellschaft“ anläßlich einer Veranstaltung des Grazer Kummer-Institutes.

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