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Der Friede Gottes in Österreich

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Kurz vor Weihnacht, dem Fest des Friedensfürsten, hatte die Caritas der Erzdiözese Wien zu einer dreitägigen Friedenskundgebung aufgerufen, die auf delr Mariazeller Tagung im Mai beschlossen worden war. Wenn es ein Merkmal für Echtheit und Ernst gibt, dann war es die Stille, Demut, gesammelte Kraft und Sejbstbescheidung dieser Friedenstagung. Der Frieden will ja heute nicht so sehr gesprochen als gelebt werden — in einer Welt, die in Feindschaft zerklüftet ist. Das wurde bereits am ersten Tag der Kundgebung sichtbar.

Einleitend erklärte der Caritasdirektor Drį Ungar: „Die Caritas spricht gewöhnlich nur durch Werke der Barmherzigkeit. Wenn sie in diesem Triduum durch öffentliche Kundgebungen, durch Worte an die Öffentlichkeit herantritt, so will sie nicht, daß diese Worte Worte bleiben, sondern daß sie Fleisch werden, lebendige Wirklichkeit. Sie ist ja nicht nur, wie so oft geglaubt wird, eine tote Organisation, sie ist ein lebendiger Organismus, der durch die schöpferische Liebe das wahre Leben gibt, erhält und, wo es verschwunden oder zerstört ist, pflegt und wiederherstellt.

Diese Tagung ist nicht gedacht als Polemik gegen den Mißbrauch des Wortes Frieden. Sondern als Dienst an denen, die ihn ehrlich suchen, wenn auch vielleicht am falschen Ort. Der Anspruch des Katholiken, den alleinseligmachenden Glauben zu besitzen, kann gar nicht an- geipeldet werden ohne das Bekenntnis, daß der Katholik sich dieser Gnade Gottes unwürdig weiß und daß er sich bewußt ist, in der Vergangenheit gerade in der Verteidigung des Glaubens und durch die Art, wie dies in Kreuzzügen und Religionskriegen geschah, in der Auslieferung der religiösen Interessen an den Klėrikalismus, durch ein übermäßiges Vertrauen auf den „Arm des Fleisches", gegen das größere Gebot der Liebe gefehlt zu haben. Auch diese Kundgebung soll nicht mißverstanden werden als eine Gegenkundgebung gegen die Feinde von heute. Wir würden das eigentlich Christliche, das eigentliche Caritasanliegen der' Stunde verleugnen, wenn in einem buchstäblichen Sinn des Wortes die Konfessionen gegen die Gottlosen Front machen, eine Art gemeinsamer Abwehr organisieren wollten. Wir wollen auch denen, die wirklich ernsthaft um den Frieden beniüht sind, ein Wort des Friedens sagen und am heutigen Tag ein Wort des rėligiosen Friedens."

Dann gedachte als erster Sprecher der evangelische Bischof Dr. May der früher nicht gekannten praktischen Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen, die sich so fruchtbar in Österreich ausgewirkt hat: „Das ist etwas Neues. Hier ist lein vierhundertjähriger Bann gebrochen, der uns nicht zum konfessionellen Frieden kommen lassen wollte, der nicht zuließ, daß wir Christen christlich miteinander lebten. Aber nun erleben wir es: Es geht auch anders. Und so soll es bleiben und immer besser werden." Im weiteren ersuchte Bischof May um Verständnis, wenn in einigen Punkten die Protestanten nicht mit den Katholiken Zusammengehen können. Die protestantische Kirche ist in der Frage der Eheschließung zurückhaltender, da die Ehe für sie keinen sakramentalen Charakter hat. Und was die Schulfrage betrifft, so würde eine Konfessionalisierung des österreichischen Schulwesens die Mehrheit der evangelischen Schulkinder entweder in katholische oder in vermutlich betont achristliche Schulen nötigen. Solche Verschiedenheiten brauchen aber, wie Bischof May betonte, den konfessionellen Frieden nicht zu gefährden.

Anschließend sprach Weihbischof Doktor Leo Pietsch (Graz) zum Thema des Abends. Er erklärte, daß sich die Gęgner Von einst heute in völlig anderer Haltung gegenüberstehen. Man habe entdeckt, daß in den Reihen der Andersgläubigen ebenso Gottsucher und Chri-

stussucher zu finden sind wie in den eigenen. Diese veränderte Haltung ist durchaus vereinbar mit der katholischen Lehre von der alleinseligmachenden Kirche. Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein, die geistige Auseinandersetzung der christlichen Kirchen auszuschalten. Aber es wird möglich sein, jede Gehässigkeit und alle unlauteren Kampfmittel zu vermeiden. Als besonders wichtig bezeichnete ßischof Pietsch, daß die Geistlichen der verschiedenen christlichen Bekenntnisse sich über den Inhalt des anderen Glaubens genaue Kenntnis verschaffen, um die tiefeingewurzelten und oft ungerechten Vorurteile zu überwinden. Es müsse ferner alles vermieden werden, was irgendwie einem Übergriff gegen die Rechte des Seelsorgers eines anderen Bekenntnisses ähnlich geht-

Am zweiten Abend sprach Erzbischof- Koadjutor Dr. J a c h y m über den sozi alen und politischen Frieden. Am Denken Augustins und des heiligen Thomas sowie der Päpste seit Leo XIII. zeigte Dr. Jachym die monumentale Geschlossenheit des christlichen Friedensdenkens auf. Friede ist „Ruhe in der Ordnung", gründet also auf einer wahren Ordnung im Menschen, in Leib und Seele, in der Person, und dann in der Gemeinschaft. Diese wahre Ordnung gar einer Gemeinschaft von vielen Menschen, wo sie im rechten Verhältnis von Befehlen und Gehorchen besteht, wird aber ein drittes Element gründen müssen, wird nur erblühen aus der Gerechtigkeit! Augustinus scheut hier keine Konsequenzen: Wenn die Gerechtigkeit aber fehlt, sagt er, was sind dann Reiche, Staaten anderes als große Räuberbanden! Und schon bei Augustinus ist es bedeutsam — ein viertes Element —, daß eine ständige Wechselwirkung besteht zwischen dem Frieden des einzelnen, der Familie und dem Frieden des Staates, so daß einer ohne den anderen zuletzt nicht denkbar ist. Der Friede der Seelen, die Bemühung um ihn, erhält hier eine gewaltige soziale Bedeutung! — Auf einem besonderen Gebiet der Unruhe, der berechtigten Unruhe, gilt es da vor allem, die wahre Ruhe, den echten Ausgleich herzustellen, wo während der Herrschaft der eisernen Kriegsgesetze eine erzwungene, eine Scheinruhe erreicht war. Es ist die Welt der abhängigen Arbeit, das unübersehbare Heer der Arbeiter und Angestellten. Der Papst lehnt die Lehrsysteme des marxistischen Sozialismus eindeutig ab. „Aber die Kirche kann auch nicht übersehen oder verkennen, daß der Arbeiter beim Streben nach Besserung seiner Lage gegen ein Triebwerk angeht, das weit davon entfernt, der Natur zu entsprechen, vielmehr der Ordnung Gottes und dem von-Ihm in die Erdengüter hineingelegten Sinn widerstreitqt. So falsch, so verurteilenswert und verhängnisvoll die Wege waren und sind, die man beschritt, wer, welcher Christ, vor allem welcher Priester könnte den Schrei aus der Tiefe überhören?" Der Friede ist, so fuhr Erzbischof Dr. Jachym fort, nicht eine Sache der Reden, Resolutionen und Kongresse, nicht irgendein Trick, der durch ein Taschenspielerkunststück hervorgezaubert werden könne, sondern ein wahrhaft sittliches und gesellschaftliches Problem. Wer in seinem Bereich die gerechte Ordnung vertritt, fördert den Frieden. Wer aber vom Frieden redet, und dąbei Haß und Zwietracht sät, ist ein Heuchler und Lügner. Der Erzbischof- Koadjutor beendete seine Rede mit einem Hinweis auf die Bergpredigt, in der die Friedenstäter, die Friedensstifter selig gepriesen werden, diejenigen also, die Taten für den Frieden setzen.

Den Höhepunkt der Kundgebung bildete die Feier am 7. Dezember im Großen Konzerthaussaal. Kardinal Erzbischof Dr. Innitzer führte hier aus: „Angesichts der Schrecken des modernen Krieges wollen wir einfach voraussetzen,

daß jeder Christ, der sich der Welt und Lebensbedeutung des Christentums verpflichtet weiß, ja daß jeder human denkende Mensch sich in seinem Gewissen der Friedensidee verpflichtet fühlt. Die Friedenskämpfer meinen, daß ein Proteststurm von Entrüsteten dem Frieden am besten dienen könne. Wie soll bei der Auseinandersetzung mit einem Gegner die Gewalt, also eben der Krieg, ausgeschaltet werden, wenn die Diskriminierung und Beschimpfung des Gegners ins Abgründige getrieben wird, so daß ein Gespräch überhaupt nicht mehr zustande kommen kann? Als nach Beendigung des zweiten Weltkrieges neue Spannungen die Seelen ängstigen, läßt sich Papst Pius XII. auch von den kränkenden, persönlichen Beschimpfungen, die von wohlbekannter Seite gegen ihn geschleudert werden, nicht davon abhalten, sich um die Entspannung zwischen Ost und West zu bemühen. In seiner Weihnachtsbotschaft 1950 heißt es: Wie sehr wünscht die Kirche mitzuhelfen, dem Kontakt von Volk zu Volk den Weg zu ebnen! Für sie stellen Ost und West keine Wesensgegensätze dar, sondern sie haben Anteil an einem gemeinsamen Erbe, zu dem beide herrlich beigesteuert haben und auch in Zukunft beizusteuern berufen sind. Jene beleidigenden Anwürfe, die jeder Vernunft hohnsprechen, werden nur noch fanatischer. Der Heilige Stuhl läßt jedoch keinen Zweifel darüber, daß er niemals, in keinem Augenblick, den Krieg gewünscht hat und niemals wünschen wird, nicht einmal einen solchen, der unternommen würde, die kommunistische Gefahr zu beseitigen, sondern daß der Heilige Stuhl immer zur Erhaltung des Friedens aufgerufen hat und aufrufen wird, und sei es mit den kommunistischen Mächten, bis an die äußerste Grenze der Notwendigkeiten der Selbsterhaltung. Warum? .Und wenn man selbst von jedem Motiv christlicher Humanität und Moral sowie dem göttlichen Gebot absehen wollte, so erwartet der Heilige Stuhl von einem für die Antikommunisten sogar siegreichen Krieg Weder eine Bewahrung der Religion noch einen Triumph des Christentums und auch nicht eine Erhöhung des Katholizismus, sondern im Gegenteil eine Erschütterung des religiösen Glaubens, eine Negation der christlichen Frohbotschaft. Und was den Kommunismus betrifft, so könnte er in einem neuen Krieg, wie immer der Ausgang wäre, nur seine intensive Förderung finden.

Ich werfe eine Frage auf, die vor nunmehr bald zwanzig Jahren an die Weltöffentlichkeit gerichtet wurde: Warum richten nicht alle Regierungen, die guten Willens sind und einen gerechten und dauerhaften Frieden wollen, an den Träger des Papsttums, der eine so hohe moralische Macht darstellt, die Einladung, ihnen beizustehen bei ihren Bemühungen um die Bel-

legung und Schlichtung ihrer Interessengegensätze und Zerwürfnisse?

Mit großer Freude habe ich vernommen, daß sich nunmehr in Österreich Männer gefunden haben, die die P a x - Christi-Bewegung, unter deren Zeichen in so vielen Ländern eine ständig wachsende Zahl kirchentreuer aufrechter Katholiken nach den Lehren des Evangeliums und der Kirche für den Frieden wirken und arbeiten, die also die Pax-Christi-Bewegung nunmehr auch in Österreich heimisch machen wollen. Es ist eine schöne und dankenswerte Initiative, der ich aus ganzem Herzen den reichsten Segen wünsche in allen ihren Anstrengungen für die Minderung der Gegensätze, die heute unser Leben überschatten.“

Am Ende der Kundgebung, gleichsam um die Worte in die Tat überzuführen, sprach P. Manfred Hörhammer O. M. Cap. über die deutsche Pax-Christi-Bewegung. Der deutsche Pax-Christi-Bischof Dr. Schroffer von Eichstätt und das Berliner Bistum hatten Begrüßungstelegramme zur Eröffnung der Pax-Christi- Bewegung in Österreich gesandt. Flier sprach nun ein Mann von dem einen, was not tut: von der fruchtbaren inneren Umwendung, vom Sprung über den eigenen Schatten zur Begegnung mit dem

Feind. Pax-Christi entstand aus der Erschütterung von sieben französischen Offizieren der Resistance und ihren Frauen während einer Messe 1943, als die plötzlich begriffen, daß sie aufgerufen sind zur Vergebung der Schuld an ihren Todfeinden, den Deutschen. Diese kleine Gruppe von Menschen trifft dann auf einen Bischof, Msgr. Theas, der als KZ-Häftling dasselbe entscheidende Erlebnis hatte: Wir müssen für unsere Feinde leben. Aus Frankreich greift nach 1945 Pax Christi nach Deutschland über, heute wächst es hinein in Europa. Manfred Hörhammer ließ keinen Zweifel darüber offen: Wenn je ein neues Europa als eine Föderation erstehen wird, dann nur aus Menschen, die solches erfahren haben. Die deutsche Pax-Christi-Bewegung bemüht sich, Räume der Begegnung zwischen politischen, sozialen und weltanschaulichen Gegnern zu schaffen und das undankbare Geschäft des Friedens durch Opfer, Gebet, ein sehr reales Mitleben mit dem Gegner zu fördern. Letztlich aber geht es hier um eine innere Erneuerung der Kirche, in der ganz neue Kräfte aufbrechen: alles gerät in Bewegung, wenn irgendwo, und sei es auch im kleinsten Raum der Familie, einer Gesellschaft eine wahre Friedenstat gewagt wird. Hörhammer geht es um eine echte Mitte: in der Tiefe des seelischen Raumes, als eines Ortes, der die immer heftiger auseinanderstrebenden Kräfte unserer Zeit zur Begegnung zusammenführen kann. Er schloß seine ergreifenden Ausführungen mit den Worten einer Botschaft, die ein in den Lagern des Ostens gefangener deutscher Priester dem Westen übersandte: Er werde hier sein Leben als Opfer für das russische Volk auf sich nehmen und sei getrost, sich dafür „kaputt zu lieben".

Hier, an dieser wahren Friedensfront, fallen Worte, die das Zeugentum der Urchristenheit strahlend zur Gegenwart machen. Vor ihrem Angesicht schweigen die Demonstrationen der einen, die Kreuzzugspekulationen der anderen. Hier ziemt nur Schweigeą und dann die Tat. Der neue Anfang im Kleinen, Schlichten, Täglichen. Am Vorabend von Weihnachten, am Vorabend der österreichischen Wahlen rufen heute die Bischöfe Österreichs auf zur Stiftung von Pax Christi in Österreich. Jeder Redner, jeder Politiker, der nun das Wort ergreifen wird, zu Österreichs Volk, steht im Angesicht dieser Realität: Wie verhält sich sein Wort, sein Leben, seine politische Tat zum Frieden Christi. An ihm werden wir alle gemessen werden.

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