6769455-1968_48_09.jpg
Digital In Arbeit

Grenzen der Kritik an der Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Begriffe gehören zu den am meisten mißbrauchten Worten unserer Zeit dort, wo über Glaube und Kirche gesprochen wird: der eine heißt „Anpassung”, der andere „Toleranz”. Das Wort Anpassung ist in den allgemeinen Sprachschatz seit der Stunde eingegangen, als Papst Johannes XXIII. seinen Entschluß begründete, ein ökumenisches

Konzil einzuberufen. Er sprach von dem notwendigen „Aggiornamento” und er meinte damit, daß die Botschaft der Kirche in der Sprache unserer Zeit verkündet werden müsse, so daß sie von den heute lebenden Menschen verstanden werden könne.

Papst Johannes hat ausdrücklich gesagt, er wünsche nicht, daß nur alte Formulierungen wiederholt eht-- sprąčh es. mehr dag,Wahre und Gute auszudrücken, als den Irrtum polemisch zu widerlegen. Niemand kann bestreiten, daß dieses Verhalten in ungeahnter Weise befruchtend und belebend gewirkt hat.

Aber eines haben weder Papst Johannes, dessen Milde immer wieder gerühmt wird, noch sein Nachfolger, Papst Paul, gewollt, und kein Papst der Zukunft wird von dieser Linie abweichen: „Anpassung” der Verkündigung der Kirche bedeutet nicht Preisgabe der Glaubensinhalte! Gerade dies aber, so scheint es, erwarten heute manche von der Kirche.

Bekehrung mißverstanden

Solche allgemeine Hinweise helfen freilich nicht weiter. Der Verlauf des Essener Katholikentages bietet dagegen einige konkrete Beispiele, wo Grenzen verletzt werden, die durch den Glaubensinhalt, der unverrückbar bleibt, bestimmt sind.

Der Theologe Professor Halbfas — man muß sich daran gewöhnen, daß auch Theologen Aussagen machen können, die der Zurückweisung bedürfen — vertritt die Ansicht, es dürfe Mission als direkte Bekehrung Andersgläubiger nicht mehr geben. Dieser Theologieprofessor meint, in Essen wurde das zur Sprache gebracht, der Hindu müsse zu einem besseren Hindu, der Moslem zu einem besseren Moslem und der Buddhist zu einem besseren Buddhisten gemacht werden. Eine solche Ansicht wird zwar die Zustimmung vieler Zeitgenossen finden, aber sie steht in klarem Widerspruch zum Missionsauftrag Christi und zu der beständigen Lehre der Kirche.

Daß dieser Tatbestand heute von manchen ungern angehört wird, hat seine Ursachen, ist aber trotzdem nicht zu billigen. Wohl muß gefragt werden, wie das Evangelium Christi den Nichtchristen in einer Weise gesagt wird, daß sie sich nicht abgestoßen fühlen, aber die Botschaft kann nicht verschwiegen und der Ernst der Entscheidung nicht durch allgemein moralische Besserungswünsche ersetzt werden.

Besonderes Aufsehen erregte — das ist durchaus verständlich — das Thema über Ehe und Familie. Es fand den stärksten Zuspruch. In dieser Arbeitsgruppe wurde auch über die Frage diskutiert, ob die Ehe besser nicht mehr als unauflöslich und lebenslänglich zu gelten habe. Es wurde die Ansicht vertreten, die Rolle, die die Kirche für die Ehe spiele, sei fragwürdig geworden. Wenn damit gemeint ist, daß sich viele nicht mehr von der kirchlichen Ehelehre bestimmen lassen, dann muß man zustimmen. Aber die Meinung, die zu hören war, mit dem Aufhören der Liebe (welcher?) erlösche auch das Sakrament, steht wiederum im klaren Widerspruch zum Glauben der Kirche über die Ehe, die unauflöslich ist.

der Gefahr ausgesetzt, daß sie sich gängigen, aber deswegen noch nicht richtigen Meinungen anpassen? Wenn jemand eine gewiß unpopuläre Überzeugung vertritt, kann er durch fragwürdige Mehrheitsentschließungen von seiner Überzeugung abgebracht werden? Wenn der Papst das täte, dann müßte man ihn der Leichtfertigkeit beschuldigen. So aber hat unser Gewissen auf seine Sachaussagen zu antworten.

Große Mißverständnisse gibt es über die Übereinstimmung von politischen Herrschaftsformen (der Demokratie) und der Ordnung des Zusammenlebens in der Kirche. Unter „Demokratisierung der Kir-

Und wieder „Humanae vitae”

Bekannter geworden ist der Teil der Diskussion, der sich an der päpstlichen Enzyklika „Humanae vitae” entzündete. Bei 90 Gegenstimmen und 58 Enthaltungen wurde eine Resolution von den etwa 5000 Teilnehmern angenommen, in der es heißt, sie könnten „der Forderung nach Gehorsam gegenüber der Entscheidung des Papstes in Fragen der Methoden der Empfängnisverhütung nach Einsicht und Gewissen nicht folgen”.

Es ist richtig, daß auch unter praktizierenden Katholiken dieser Teil der Enzyklika umstritten ist. Aber waren sich die Befürworter dieser Resolution darüber im klaren, daß die päpstliche Enzyklika einen höheren Charakter der Glaubwürdigkeit, wenn auch nicht die Unfehlbarkeit, in Anspruch nehmen kann als die Privatmeinung eines einzelnen? Wissen alle darum, daß ein Katholikentagsgremium nicht autoritativ für den deutschen Katholizismus sprechen kann und will? Vor allem aber bedrückt der Gedanke bei dieser Resolution, daß sie auf das kluge Wort der letzten Bischöfe keinen Bezug nahm.

Was haben sich diejenigen wohl gedacht, die beim Forumsgespräch forderten, der Papst möge die Enzyklika unverzüglich zurückziehen? Glauben sie, daß Paul VI., der mehrere Jahre mit dem Stoff gerungen hat, der eine Entscheidung aus tiefem Gewissensernst fällte, durch eine solche Forderung in der richtigen Weise angesprochen wird? Sind nicht zu viele Menschen eher ehe” kann man sich Richtiges und Falsches vorstellen. Wenn damit gemeint ist, daß ein ständiges Gespräch zwischen den Gliedern der Kirche gepflegt werden soll, daß erfahrene Ratgeber gehört werden, daß eine Weisung in brüderlichem Geiste erfolgen soll, dann entspricht dies ganz dem Willen der Konzilsväter und der Kirche unserer Zeit. Wenn aber damit gemeint ist, daß parlamentarisch-weltliche Formen das Petrusamt, die Kollegialität der bischöflichen Väter, das Miteinander des Diözesanbischofs, seiner Priester und Gläubigen verdrängen sollten, dann muß widersprochen werden.

Auch in der Arbeitsgruppe „Wer macht unsere Meinung?” waren solche abwegigen Tendenzen hörbar. Ein Resolutionsentwurf, der freilich nicht verabschiedet wurde, sprach von der „undemokratischen Struktur der Kirche auf allen Ebenen”. Daß zur Abänderung eines falsch beschriebenen Zustandes dann ein deutsches Nationalkonzil gefordert wurde, betrübt die, die sehr wohl ein solches Ereignis in absehbarer Zeit erhoffen, es aber nicht zu einem Tummelplatz jedweder Meinung machen wollen.

In der Arbeitsgruppe „Schulfrage und kein Ende?” wurde im Plenum die Ansicht vertreten, der Katechismus sei heute in seinen Inhalten unbrauchbar geworden. Gewiß, Katechismen sollten immer wieder in Sprache und Fragestellung dem angepaßt werden, was die Menschen ihres Jahrhunderts beschäftigt. Aber in ihrem eigentlichen Inhalt können und dürfen sie nicht geändert werden.

Absage am Ort

Der Katholik sollte dankbar dafür bleiben, daß die Lehre seiner Kirche ihre gültige Aussage nicht durch Professoren findet, sondern durch das Lehramt der Kirche. Wo aber einzelne Theologen den Glauben der Kirche mißdeuten, da muß Ihnen die „Gemeinde” eine Absage erteilen.

Eine Verwirrung der Geister, die gewiß nicht katholisch ist, zeigte sich auch dort, wo einzelne forderten, daß die Stellungnahmen unserer Bischöfe nicht „auftragslos” erfolgen dürften. Wer soll sie denn „beauftragen”? Niemand wird behaupten, daß alle bischöflichen Verlautbarungen durch die Jahrhunderte hindurch gleich wertvoll gewesen seien. Aber eine Beauftragung mit der Herausgabe von Lehrschreiben und anderen Hirtenbriefen würde zu viel verheerenderen Resultaten führen. Wenn man über den Raum der katholischen Kirche hinausblickt, kann man erkennen, daß der Verlust der Autorität unter nichtkatholischen Kirchenführern, die Aufgabe der Lehrzucht und die ausschließliche Berufung auf das persönliche Gewissen geradezu zu zerstörenden Resultaten führten.

Nicht nur in Essen konnte man spüren, daß eine Schwärmerei in die katholische Kirche einzubrechen droht, die die Notwendigkeit einer „aktuellen Predigt” mißversteht. Das „Wächteramt” der Kirche darf nicht verstanden werden, daß einseitige Tagespolitik die Kanzel beherrscht. Hat es nicht seine tiefen Gründe, wenn in der evangelischen Christenheit in Deutschland die Bewegung „Kein anderes Evangelium” und anderer Sammlungsgruppen gegen Schwarmgeisterei auftreten? Ist es ein Zufall, wenn dieser Tage der Augsburger lutherische Kirchenrat Schlier meinte: „Wir müssen uns klar darüber sein, daß es bereits zwei evangelische Kirchen gibt, eine, die an Heiliger Schrift und Bekenntnis festhält, eine zweite, die, beeinflußt von der Existenzialphilosophie, die gleichen Worte anders auslegt.”

Gefahren für die Ökumene

Eingangs war davon gesprochen worden, daß auch das Wort „Toleranz” mißverstanden wird. Das Verhältnis der getrennten Christen untereinander sollte durch „ökumenische Brüderlichkeit”, nicht durch „Toleranz” bestimmt sein. Freilich, ist auch die Ökumene heute zum Schlachtfeld guter, aber auch gefährlicher Kräfte geworden. Es sei unverblümt ausgesprochen, es gibt auch eine diabolische Ökumene. Sie ist dort zu finden, wo man nicht mehr um die Wahrheit ringt, sondern bedeutsame strittige Fragen als unerheblich abtut. Sie ist dort am Werk, wo sich statt des gemeinsamen Ringens um einen lebendigen Glauben, der sich an der göttlichen Offenbarung orientiert, eine bloße „Mit- menschlichkeit” anbahnt, wo man im Grunde nur die Parole kennt „Seid nett zueinander”. Diese falsche Ökumene ist auch dort am Werk, wo Irrlehren ungehindert sich ausr breiten.

Darum muß gerade von denen, die die Zerrissenheit der Christenheit als einen unerträglichen Skandal empfinden, gefragt werden, ob manche Christen in Deutschland heute nicht mehr in der Gefahr stehen, die Verbindung zu den Vätern der Kirche und zum Offenbarungs- ‘nhalt zu verlieren, als daß sie einer versteinerten Theologie folgen. Auch die Evangelischen kennen die Sorge, daß manches „ökumenische” Zeitdenken mehr zu einer Glaubenszersetzung und zu der Ausbreitung theologischer „Giftstoffe” geführt hat, als zu Fortschritten im Glauben.

Es muß ganz ernst vor dem Mißverständnis eines „angepaßten” Christentums gewarnt werden. Diese Warnung nimmt ihr Recht nicht aus der Trägheit und Unbeweglichkeit, sondern aus der Heiligen Schrift. Die „Heimholung” der Welt darf nicht so verstanden werden, als ob alles Denken und Handeln in der Welt durch den Geist Christi erfüllt werden könne. Es gibt auch den Menschen im Aufruhr gegen Gott. Manche Meinungen vertragen keine christliche Übertünchung, sondern nur die Zurückweisung. Die Christenheit als Minderheit, sie gehört auch zu den Realitäten. Glaube erweist sich nicht schon dadurch als wahr, daß er mehr als 50 Prozent Zustimmung findet.

Schiefe Akzente in Predigten

Wenn trotzdem in diesen Ausführungen andere Gefahren hervorgehoben wurden, dann, weil die Verfälschung der „Anpassung” und der „Toleranz” eine neue Gefahr darstellt, die zu wenig erkannt wird. Es sollte doch nicht so weit kommen, daß es in katholischen Gotteshäusern zu Zwischenfällen kommt, weil die Gemeinde auf eine Predigt mit schiefen Akzenten durch lautstarke Proteste reagiert. Es sollte auch nicht geschehen, daß ein neues „Monitum” aus Rom erst ergehen muß, das dann dort Verärgerung erregt, wo man sich auf falschen Wegen bewegt hat.

Papst Paul hat vor seiner Rückkehr nach Rom am Ferienende in Castel Gandolfo einige deutliche Warnungen ausgesprochen, die rechtzeitig gehört werden sollten. Er bezeichnete Episoden wie die Besetzung von Kirchen (in Lateinamerika), die Gutheißung unannehmbarer Filme (durch die Mehrheit einer katholischen Festspieljury), die Form mancher Proteste gegen die Enzyklika „Humanae vitae” (auch in Deutschland), aber auch die Propaganda zugunsten der Gewalt zur Erreichung sozialer Ziele (in einzelnen katholischen Gruppen in der ganzen Welt, vor allem aber in Lateinamerika) sowie die „Interkommunion” am unerlaubten Ort als der Verantwortung gegenüber dem eigenen katholischen Bekenntnis widersprechend.

Im letzteren Fall meinte der Papst wohl die Vorkommnisse auf der Weltkirchenkonferenz in Uppsala, wo einzelne katholische Teilnehmer während des Abendgottesdienstes zum Tisch des Herrn gingen. Damit nahmen sie, wenn auch in gutem Glauben, die Krönung des Mühens um die Einheit der Christenheit voraus, ohne daß diese Einheit im Glauben bereits besteht.

Glaubensvertiefung das Ziel

Was ist also zu tun, wenn einerseits hier und da innerhalb der katholischen Christenheit Glaubensinhalte verletzt werden, anderseits noch so vieles zu tun ist?

Wenn sich, was niemand verwundern darf, in unverbindlichen Gesprächsformen Spreu neben Weizen findet, dann sollten die Möglichkeiten regelmäßiger und legitimer Gespräche verstärkt werden.

In früheren Jahrzehnten wurde es noch als selbstverständlich empfunden, wenn auch auf etwas anderes hingewiesen wurde — auf die Liebe zur Kirche und die Treue zum kirchlichen Lehramt. Gerade das erscheint in dem Meinungsstreit dieser Tage als befremdend, daß zwar sehr viel kritisiert wird, aber wenig die Einheit im Glauben und die Freude am Glauben herausgestellt wird. Mögen frühere Generationen oft der Gefahr erlegen sein, sich lediglich unterzuordnen und in einem bloß passiven Gehorsam zu verharren, so scheint die heutige Generation vor den Versuchungen zu stehen, alles zu zerreden, nur die Gefährdungen der eigenen Überzeugung zu beschreiben und den Dank für das Hirtenamt durch eine blasse Kumpanei zu ersetzen. Wie empfindlich sind doch viele Christen geworden, wenn erwähnt wird, daß auch der Gehorsam zu den christlichen Tugenden gehört.

Wir können uns nicht in ein Getto einschließen; es hat darum auch keinen Zweck, Verirrungen in dieser Zeit nur zu beklagen. Ein Getto verführt leicht zur Selbstgerechtigkeit. Was wir brauchen, sind unverkürzter Glaube und christliches Handeln. Noch vor wenigen Jahren gehörte es zum guten Ton großer katholischer Veranstaltungen, daß eine Treueversicherung an den Papst gerichtet wurde. Heute ist es um solche Versicherungen stiller geworden. Warum wohl?

Wer auf Gefahren hinweist, gerät schnell in den Verdacht, einer reaktionären Haltung das Wort zu reden. Wer von Glaubensinhalten spricht, die unverrückbar bleiben, dem wird nachgesagt, daß er nur etwas aussagt, was in der Vergangenheit formuliert wurde. Gewiß, es gibt diese Gefahren. Weil der Schreiber aber der Überzeugung ist, daß diese Gefahren zur Zeit nicht so groß sind wie die, daß man nach irgendeinem „Fortschritt” ruft, ohne zu ermessen, wohin er einen führt, wurden diese Zeilen geschrieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung