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Die ungleichen Rosse

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Man wird sich daran gewöhnen, daß man Gott lateinisch und auch deutsch loben kann, daß es sinnvoll ist, wenn der Zelebrant vor oder auch hinter dem Altar steht, daß darum auch der Tabernakel sich auf oder neben dem Altar befinden kann, daß die Engel des Himmels Freude an einem schön gesungenen gregorianischen Choral haben, aber vielleicht auch an modernen Rhythmen. Wir möchten unsere herrlichen Barockkirchen nicht verschandelt sehen, wollen aber auch aus unseren Gotteshäusern keine Museen der Kunst vergangener Jahrhunderte machen. Wir erstreben eine ökumenische Theologie, aber wir verehren deswegen nicht weniger Maria und die Heiligen. Wir lernen, daß es mehrere Wege zu einem Ziel geben und daß Uniformität auch eine geistige Verarmung mit sich bringen kann.

Weihbischof Walther Kampe

„Innerkirchliche Toleranz“ überschrieb Weihbischof Walther Kampe seinen Kommentar zum 80. Deutschen Katholikentag, der seiner Meinung nach zum erstenmal offen die Pluralität des deutschen Katholizismus sutage treten ließ. Pluralität habe es ziwar immer schon gegeben, diesmal aber habe man nicht mehr versucht, diese Pluralität hinter einer Einheitsfassade zu verbergen, sondern sich zu ihr bekannt, „diese Uneinheitlichkeit nicht mehr als Mangel und Gefahr, sondern als einen Ausdruck von Reichtum und Kraft" empfunden. Diese Anerkennung der Pluralität ist aber erst der erste Schritt zu einer echten innerkirchlichen Toleranz, zu der der Autor des Kommentars aufruft. Nun ist die Frage der innerkirchlichen Pluralität nicht nur ein deutsches Problem, sondern eine der Kernfragen der nachkonziliaren Kirche. Wird es gelingen, die Vielfalt an Meinungen, die teils aus der vor- konziliaren Zeit stammen, teils am Konzil ihre Bestätigung gefunden haben, teils auch erst auf dem Konzil entstanden sind, in der Kirche nebeneinander existieren zu lassen, ohne daß diese jede für sich Ausschließlichkeit in Anspruch nehmen?

Eine der bemerkenswertesten Erscheinungen in der Geschichte der katholischen Kirche der letzten Jahrzehnte ist es doch zweifellos, daß die Nonkonformisten heute in der Kirche bleiben. Noch im 19. Jahrhundert suchten jene, die mit der offiziellen kirchlichen Haltung nicht einverstanden waren, ihr Heil zum großen Teil außerhalb der Kirche und sorgten so für eine auf manchen Gebieten immer stärker spürbare geistige Verarmung der Kirche. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten ein entscheidender Wandel angebahnt. Auch wenn man als Theologe oder Vertreter einer anderen Wissenschaft mit seiner Meinung nicht auf Gegenliebe im kirchlichen Bereich stieß, blieb man der Kirche treu, im Bewußtsein, in dieser Kirche eine Aufgabe zu haben, überzeugt, daß man mehr in und mit der Kirche als gegen sie leisten könne. Die Kirche aber, und damit ist im Verständnis der Vergangenheit die Amtskirche gemeint, ließ andere Meinungen als die offiziell gelehrten bestehen und wartete ab — manches hat sich seither als fruchtbar erwiesen und das neue Bild der Kirche in wesentlichen Punkten mitgeprägt. Was auf dem Feld der Wissenschaft gilt, das hat sich aber auch auf den der großen Zahl der Gläubigen näherstehenden Gebieten bewährt, etwa im Bereich der Liturgie — aus der auch Weihbischof Kampe einen Großteil seiner eingangs zitierten Beispiele bringt — oder in der in Österreich in den letzten Jahren immer wieder diskutierten Haltung der Katholiken zur Politik.

Manche sahen die Welt Zusammenstürzen, als am Konzil Meinungen geäußert wurden, die nicht in ihr geistiges Konzept von der Kirche paßten, sie sahen die Kirche in den Händen des Satans bereits umkommen und sie scheuten vor keinem Mittel zurück, die anderen zu verketzern. In Frankreich neigte man hier besonders zu Extremen, in Österreich blieb uns vieles erspart, wenn auch hier manchmal die Wogen hochgingen. Die „andere Seite“ aber stand der ersten kaum nach. Ihr einfachstes Mittel des Kampfes war es noch, den Gegner als verstockten Konservativen lächerlich zu machen, ohne auf seine Eigenart einzugehen, ohne ihn auch nur anzuhören. In diese, je nach Temperament, härtere oder weniger harte Atmosphäre fällt das Wort von der innerkirchlichen Toleranz. Dabei geht es zunächst darum, dem anderen überhaupt zuzuhören, ihn nicht sofort zu klassifizieren — sei es als Konservativer oder Progressist. Nebenbei muß gesagt werden, daß Menschen, die moderne Anschauungen etwa auf dem Gebiet der Liturgie vertreten, im Politischen durchaus rückschrittlich sein können oder umgekehrt, eine Klassifizierung also gar nicht zutrifft. Toleranz bedeutet aber nicht nur, daß ich den anderen anhöre, sondern auch, daß ich ihn zu verstehen suche.

Manches von dem, was oft in Diskussionen gesagt wird, ist nicht mehr als ein leeres Schlagwort, das der Diskussionsteilnehmer nicht einmal erklären kann. Echt verstandene Toleranz würde ihn dazu anleiten, seine Position erklären zu lernen, er müßte freilich erst Sachkenntnisse erwerben, bevor er diskutiert. Hat er aber gelernt, seinen eigenen Standpunkt zu formulieren, wird es ihm viel leichterfallen, die Argumente des anderen zu verstehen, auch wenn er sie nicht billigt. Denn Toleranz bedeutet ja niemals Gesinnungslosigkeit. Sie ist auch kein Mittel zur Erzielung einer alle umfassenden Uniformität, sondern sie ist der erste Schritt zum Gespräch.

P. Mario Gaili hat einmal den Grundgedanken des Konzils das Gespräch genannt. Er meinte damit, daß das wahrhaft Bedeutsame dieses Konzils sei, daß es zu einem Gespräch kam — zunächst zwischen den Bischöfen —, daß damit eine neue Haltung in der Kirche aufgegangen sei, die sich aber nicht auf der Ebene der Bischöfe erschöpfen darf, son-

dem gemeinschaftliches Gut aller Christen werden muß. Ja, er meinte sogar, daß man eine Theologie des Gespräches entwickeln müßte, und daß vom Gespräch her der Weg der gegenwärtigen Kirche gesehen werden muß. Welche Dimensionen ergeben sich von einem echt verstandenen Gespräch her für den Kontakt der Kirche mit der Welt, in der Ökumene, vor allem aber für das tägliche Zusammenleben der Christen? Man hat das Wort Dialog zuviel gebraucht und dadurch auch mißbraucht. Wo gibt es heute schon einen wirklichen Dialog? Man begnügt sich doch vielfach nur damit, sich nicht gegenseitig den Kopf einzuschlagen. Man kennt sich in den gegnerischen Lagern, man tauscht Freundlichkeiten aus, aber man baut nicht aus den Meinungen beider das gemeinsame Ganze, und auf vielen Gebieten ist ein solches Ganzes durchaus zu bauen, bei aller Wahrung der Grundsätze: zwischen den verschiedenen Auffassungen von den notwendigen Änderungen in der Kirche, im Politischen, in der Ökumene.

Aber vielleicht liegt das noch zu ferne. Vielleicht geht es zunächst wirklich erst darum, den anderen ausreden zu lassen, ihn verstehen zu suchen und auch zu versuchen, seine eigenen Äußerungen so weit zu zügeln, daß der andere nicht Ärgernis nimmt, wo es nicht notwendig ist.

Noch eines sagt Bischof Kampe in seinem Kommentar, etwas über die Aufgabe der Bischöfe. Sie sind die obersten Hirten einer Diözese, sie tragen Verantwortung für ihre

Gläubigen. Daraus mag die vielen nicht ganz einsichtige Haltung der Bischöfe erwachsen, die Bischof Kampe so charakterisiert:

„In diesem Gärungsprozeß, durch den sich die Kirche Deutschlands den Weg ins dritte Jahrtausend nach Christus bahnt, haben unsere Bischöfe eine ähnliche Rolle übernommen, wie sie der Papst während des Konzils ausgeübt hatte: Sie sind die ehrlichen Makler zwischen den Fronten. Sie werden ebenso wie Paul VI. dafür sorgen, daß die Schwächeren nicht einfach von der Mehrheit überrollt werden. Das bedeutet in der gegenwärtigen Situation, daß sie ab und zu die Traditionalisten in Schutz nehmen und die Übereifrigen in sanfter Weise ein wenig dämpfen müssen. Mit einer solchen undankbaren Aufgabe macht man sich nicht gerade beliebt, aber sie muß erfüllt werden. Es wäre jedoch völlig falsch, wenn man meinen wollte, die Bischöfe möchten nun in Deutschland verleugnen, was sie in Rom beschworen haben. Man muß sehr oft die Rosse zügeln, nachdem man sie vorher angefeuert hat, eben weil man den Wagen nach wie vor ins Ziel bringen will. Auch das muß noch gelernt werden."

Man kann diese Haltung der Bischöfe — vorgetragen von einem Bischof, der sonst in seinen Äußerungen nicht eben als rückschrittlich bezeichnet werden kann — verstehen, auch wenn die vorwärtsstürmenden Rosse manchmal auch gerne ein freundliches Wort bekämen — nicht nur die zögernden —, damit sie wieder freudig den Wagen ziehen.

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