Ihr Name ist Kleingläubigkeit

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Hinter der offenen Verweigerung des Dialogprozesses um Reformen in der Kirche steht vor allem die Angst vor einem mündigen Christsein und der Wunsch nach religiöser Absegnung eines traditionalistischen Weltbildes.

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Hinter der offenen Verweigerung des Dialogprozesses um Reformen in der Kirche steht vor allem die Angst vor einem mündigen Christsein und der Wunsch nach religiöser Absegnung eines traditionalistischen Weltbildes.

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Nur kurze Zeit nach der geradezu christlich vorbildlichen Einleitung des Dialogprozesses über Reformen in der katholischen Kirche ist durch die offen ausgebrochene Spannung unter der österreichischen Kirchenführung wieder jenes Bild der Kirche in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerückt worden, das diese nun schon bald bis zur Karikatur verzerrt. Dabei ist der latente Konflikt zwischen dem fortschrittlichen und dem konservativen Kirchenflügel, der manche Christen verunsichert, nicht wenige der Kirche Fernstehende aber überhaupt nicht interessieren oder gar amüsieren mag, weder etwas Außergewöhnliches noch ein Anlaß zu Spekulationen über eine drohende Kirchenspaltung.

Gleichzeitig geht es bei diesem Konflikt aber um wesentlich mehr als die innerkirchlichen Streitfragen, nämlich auch darum, wie und auf welche Weise die christliche Botschaft in der Welt von heute vermittelt wird. Da die katholische Kirche gleichzeitig in den großen Fragen der Menschlichkeit und der Werte nach wie vor als ein zum Teil gewichtiger und geschätzter Faktor in der Öffentlichkeit angesehen wird, ist diese als "Krise der Kirche" bezeichnete Situation durchaus auch von gesellschaftlicher Relevanz.

Einer bequemen Verflachung der christlichen Glaubensinhalte, die gerne den Befürwortern eines kirchlichen Dialogprozesses in die Schuhe geschoben wird, aber im Grunde wohl eher in der unkritischen "guten alten Zeit" stattgefunden hat, soll hier nicht das Wort geredet werden. Vielmehr hat sich die Kirche gerade heute, in Zeiten der Megatrends Wohlstand, Leistung, Erfolg, Konsumismus, Egoismus und Hedonismus, auf ihren eigentlichen Auftrag zu konzentrieren: nämlich ein Zeichen des Heiles zu sein, das nicht von dieser Welt ist, und mit ihrer Botschaft den Menschen Lebenssinn jenseits der modernen Götzen zu vermitteln. Eine Kirche, die die vielen menschlichen Fragezeichen in der durchgestylten Ökonomisierung unserer Gesellschaften und die ewig gleichen Sehnsüchte der Menschen ernst nehmen und im Suchen nach Antworten - natürlich auch in der Sprache der heutigen Zeit - mitreden würde, hätte vielleicht auch Führungsdiskussionen, aber sicher nicht jene Krise, dauernd mit denselben Personalquerelen in den Schlagzeilen zu stehen.

Dazu ist allerdings eine mutigere Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft erforderlich, um nicht aus lauter Exklusivität den ureigenen Verkündigungsauftrag zu vergessen. Um für dieses Wirken vorbereitet und glaubwürdig zu sein, muß es für die Kirche - und das sind überhaupt nicht nur die Amtsträger - darum gehen, die auch in den Augen der meisten Gläubigen offenen innerkirchlichen Probleme offensiv aufzuarbeiten. Wer sich dieser Auseinandersetzung nicht stellen will, hat kein Interesse am Fortbestand der katholischen Kirche. Womit der "Dialog für Österreich" angesprochen ist.

Die beim Dialogprozeß aufgeworfenen Fragen wie jene des Diakonats der Frau, der Zulassung von "bewährten Männern" zum Priesteramt, der Diskriminierung der wiederverheirateten Geschiedenen, der Mitbestimmung der Ortskirchen bei Bischofsernennungen oder der Sexuallehre betreffen alle nicht den Glauben in seinem Kern, sind aber umso mehr vor dem Hintergrund der "Zeichen der Zeit" neu zu stellen. Bei dieser gemeinsamen Spurensuche des Volkes Gottes kann das dialogische Prinzip im Sinne des "Prüft alles, das Gute behaltet!" als geradezu biblische Handlungsmaxime gelten.

Warum aber tun sich manche, Amtsträger oder auch einfache Gläubige, so schwer mit diesen offenen Fragen, über die beim Delegiertentag in Salzburg repräsentative "Meinungsbilder" erhoben wurden? Bischof Krenn steht dabei in seiner mehr oder weniger frontalen Ablehnung des Dialogprozesses nicht allein, sondern als polternde Symbolfigur für eine Gruppe von Katholiken, die ihre Antworten auf die Modernisierung von Gesellschaft und Kirche nicht in der Aufbruchsbewegung des Konzils sucht, sondern eben in einem Zurück in die vermeintlich gute alte Zeit, als "die Welt noch in Ordnung war", und in der es weder Debatten, noch Mitbestimmung oder internen Protest gab. Allerdings eben auch keine so offene und brutale Konfrontation der Kirche mit der modernen Welt, keine daraus resultierenden Probleme der Glaubenskommunikation, kein derartiges Infragestellen von christlichen Glaubensinhalten und ihrer Lebenskultur, keinen Priestermangel, nicht ein solches Kirchenbild wie heute, aber auch nicht eine solche Schar von gut ausgebildeten und engagierten kirchlichen Laien. Rhethorische Frage: War die frühere Zeit denn "christlicher"? Wohl kaum, eher schon autoritärer, widerspruchsfreier, intransparenter.

Heute aber befinden sich die Kirche und die christliche Religion jedenfalls längst im Wettstreit mit einer Reihe von neuen spirituellen Bewegungen, nicht zuletzt der pseudoreligiösen Esoterik, was an Argumentation, Sinn- und Visionskompetenz wohl wesentlich mehr verlangt als es früher der Fall war. So wird die Kirche der Zukunft sicher nicht von unmündigen Befehlsempfängern getragen werden können, die nur Instruktionen weitergeben, sondern das Zusammenwirken von Geistlichen und theologisch gebildeten Laien bitter notwendig haben, um der Kirche wieder jene Geistesgegenwärtigkeit zu verschaffen, die ihr auftragsgemäß zukäme.

Dabei ist es auch längst nicht mehr so, wie Krenn und seine Anhänger - ganz bewußt - meinen, daß beim "Dialog für Österreich" "nicht das einfache, sondern das komplizierte Kirchenvolk" anwesend war. Daraus spricht eine tiefe Skepsis und Furcht vor den theologisch Gebildeten und den mündigen Christen, denen man nur die gestandene Volksfrömmigkeit entgegensetzen kann. Man muß eben zur Kenntnis nehmen - und wer die kirchliche Szene kennt, weiß es ja -, daß die sogenannte Kirchenbasis in ihrer überwiegenden Mehrheit und auch ein Gutteil der Geistlichen sehr wohl so denken wie die Betreiber des innerkirchlichen Dialoges, die so gerne als "Funktionäre" verunglimpft werden. Es ist also keineswegs so, daß - wie das auch manche Außenstehende glauben - die in der katholischen Kirche fraglos kleinere Gruppe der traditionalistisch Konservativen, die sich gerne in der Rolle der qualifizierten Minderheit gefällt, auch tatsächlich ganz auf der Höhe des Glaubens steht. Vielmehr grenzt ihr Alleinvertretungsanspruch der reinen christlichen Wahrheit schon an reinstes Pharisäertum. Abgesehen davon muß es schon sehr verwundern, daß ausgerechnet jene Kreise, die sich im allgemeinen auf blinden Gehorsam einschwören, gerade das wichtigste Ereignis der Kirche in diesem Jahrhundert, nämlich das Konzil, weitgehend ignorieren und am liebsten rückgängig machen wollen.

Dies nährt den starken Verdacht, daß es manchen konservativen Gruppen in der Kirche gar nicht so sehr um den Glauben und die christliche Sache geht, sondern vielmehr um die Absegnung eines traditionalistischen und patriarchalen Weltbildes durch die katholische Kirche. Es ist dasselbe Gottes- und Menschenbild der "Rechtgläubigen", das hinter einem veralteten Frauenbild, einer weder kommunizierbaren noch wirklich seelsorglich begleitenden Sexuallehre, der Verweigerung der Anerkennung der Laien, der mangelnden Bereitschaft zum kirchlichen Dialog wie überhaupt zu einem mündigen Christsein steht.

Dies ist auch der springende Punkt: Vor der Vorstellung eines reifen Glaubens im Zeichen der Freiheit und eines mündigen Christseins - gerade auch der Laien - herrscht mancherorts eine sprachlose Furcht. Daß dieser Rückzug in die Unmündigkeit gerade auch von vielen "einfachen Gläubigen" angetreten wird, läßt sich nur mit der Zumutung erklären, die ein in der modernen Zeit selbständig reflektiertes und kommuniziertes Christsein offenbar darstellt. So wird die notwendige - auch innerkirchliche - Auseinandersetzung mit den Wertvorstellungen der heutigen Zeit und damit auch die Möglichkeit, den Standpunkt der Kirche zu vergegenwärtigen, konsequent unterlassen, offenbar in panischer Angst, damit zentrale Glaubenswahrheiten preiszugeben. Kleingläubigkeit nennt man das in der Sprache der Bibel. Es hat den Anschein, daß der biblische Leitsatz "Fürchtet euch nicht!" gerade jene überfordert, die sehr schnell bei der Hand sind, wenn es darum geht, den im Glauben Mutigeren das Katholische abzusprechen. Es wird aber gerade der Mut zum Christsein und der Mut im Glauben sein, der der Kirche eine tragfähige Zukunft bescheren kann.

Der Autor ist stellvertretender Abteilungsleiter im Familienministerium.

Zum Thema: Prolongierte Krise In keinem der unvermeidlichen Jahresrückblicke durfte das Thema fehlen: "Kirche" sorgte 1998 für Schlagzeilen, zuletzt unter dem Titel "Konflikt Schönborn - Krenn". Die Krise ist keineswegs ausgestanden; Anfang dieser Woche kamen die Bischöfe zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um über die Weiterführung des "Dialogs für Österreich" zu beraten. Hinter der pastoral-harmlos klingenden Formel steht eine tiefgreifende Rat- und Orientierungslosigkeit der katholischen Kirche (nicht nur) Österreichs angesichts radikaler gesellschaftlicher Umwälzungen, die ohnedies erst mit deutlicher Verspätung eingesetzt hat. In dieser Situation gibt die Furche zwei Stimmen Raum, die um eine Reflexion des Christseins in heutiger Zeit abseits tagesaktueller Wortspenden bemüht sind. RM

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