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Verwirklichung der Pläne Gottes

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Die meisten Christen verfolgen in ihrem Leben den aktiven Weg. Es geht ihnen nicht darum, aus der Welt ein Reich Gottes auszusondern; es geht darum, die Liebe Gottes zu leben, wodurch dieses Reich aufgerichtet wird, in einer aktiven Liebe zu den Menschen gerade dort, wo sie unserer Liebe begegnen und so wie sie uns begegnen, indem wir uns mit ihnen im Kampf um die Existenz engagieren. Es geht darum, zur Verwirklichung der Pläne Gottes beizutragen, wie sie sich in und durch die irdische Geschichte erfüllen, dadurch, daß wir in dieser Geschichte mitarbeiten. Denn die Welt ersteht jeden Tag neu, die Kirche besteht aus Menschen und die Pläne Gottes verwirklichen sich durch die Menschen in dieser Welt, die jeden Tag neu ersteht.

In welchem Ausmaß decken sich die Pläne Gottes und die Geschichte der Menschen? Wir sind uns alle einig, daß Gott Seine Pläne in unserer Geschichte ausführt, aber können wir so einfachhin sagen, daß unsere Geschichte die Pläne Gottes verwirklicht?

Es erscheint uns nötig, zu unterscheiden zwischen Handlung oder Ereignissen, insofern sie die Gelegenheit oder den Inhalt unseres Engagements darstellen, für uns, die wir Gott lieben und mit derselben Liebe die Brüder, und jenen Handlungen und Ereignissen, die sich von sich aus darbieten.

Was das erstere betrifft, besteht kein Zweifel: sie stellen einen Anruf Gottes dar, sie kennzeichnen unseren Dienst und unser Zeugnis. Sie fordern uns an und durch uns das Evangelium. Sie verlangen von uns eine Antwort, die wir zu geben versuchen, indem wir auf die Antwort des Evangeliums hören. Auf diese Weise müssen wir eine doppelte Haltung des Hörens einnehmen: Hören auf die Ereignisse und Hören auf das Evangelium. Es ist nicht notwendig, Beispiele anzuführen. Ich bin angefordert, also durch Gott angerufen, auch durch meinen Ehegatten und durch meine Kinder.

Es handelt sich dabei um Bewegungen und Veränderungen, die insgesamt die heutige Welt angehen. Von diesen hat Gaudium et spes in seiner Einleitung ein Bild entworfen und darin sieht es auch die „Zeichen der Zeit“. Wir führen nur einige an, das Phänomen „Masse“ und vor allem das „Massenbewußtsein“; der soziale Aufstieg der Frau; das Phänomen der Sozialisation; der Prozeß der Säkularisierung der Strukturen, der Kultur, der Existenzformen und sogar der Geisteshaltung; die Entwicklung der Technik und das neue Bewußtsein, daß der Mensch von sich, von seinen Taten in der Welt hat usw.

Die Haltung der Aufnahme

Ob man es so oder so auffaßt, so ist es doch klar, daß diese Tatsachen von universeller Weite wie ebenso die angeführten Beispiele von mehr eingeschränkter Natur von uns eine Haltung des Hörens, der Offenheit und der Aufnahme verlangen, und zwar um so mehr, als Veränderungen vorliegen. Man kann sogar im vorhinein sagen, daß eine globale Zurückweisung, eine erklärte Haltung des Immobilismus radikal und strukturell jede Möglichkeit ausschließt, sich dem Anruf Gottes zu öffnen, der in der menschlichen Geschichte ergeht. Das Volk Gottes ist heute in dieser Form der geistlichen Armut angerufen, die in der Annahme der Ungesichertheit und des Unerwarteten besteht. Die Enzyklika Ecclesiam suam hat die Notwendigkeit des Dialogs aufgezeigt als Bedingung, unter der die Kirche heute ihre Sendung zu erfüllen hat. Der Dialog ist Öffnung auf den anderen hin, ist Annahme des Neuen und des Unerwarteten. Dadurch müssen wir keineswegs unsere Sicherheit aufgeben, sondern der Dialog bedeutet, daß wir uns auf den anderen einlassen; er bedeutet, daß uns der andere etwas zu sagen hat.

Durch das Studium der Geschichte haben wir die Überzeugung gewonnen, daß es keine vollkommene und endgültige Formel für die Beziehung zwischen dem Zeitlichen und dem Geistlichen gibt, besonders wenn man unter dem Zeitlichen die Tätigkeit der von der politischen Macht geregelten sozialen Strukturen versteht. Alle Grundsätze, die man zur Formulierung dieser Beziehungen vorgeschlagen hat, müssen kritisch untersucht und vervollständigt werden oder es muß von ihnen sogar abgegangen werden. Jacques Maritain hat unlängst eine interessante Unterscheidung getroffen, die man annehmen kann, wenn man sie auch wahrscheinlich ergänzen muß, näm lich: „christliches Handeln“, das für jeden Bereich, sogar für den streng politischen, Geltung hat, aber es würde nur die persönliche Verantwortung anfordern, und „Handeln als Christ“, das die Kirche als solche betrifft und das auf Grund der Unterscheidung beschränkt werden müßte auf das, was die öffentliche Autorität der Kirche zulassen würde.

Die Christen sind manchmal Erben einer Situation des Christentums, die sie nicht mit einem Schlag ändern können, außer wenn sie sich unter äußerem Druck mit der Gewalt verbinden; manchmal müssen sie sich verteidigen; manchmal sind sie praktisch die einzigen, um bestimmte menschliche Aufgaben zu übernehmen, um bestimmte Initiativen zu ergreifen, die von sich aus das Zeitliche betreffen, aber den Forderungen des Evangeliums nach- kommen. Man darf nun nicht die historischen und konkreten Formen des Engagements der Christen, um die Welt nach Gott und auf Gott hin auszurichten, verabsolutieren wollen, als ob sie ein unveränderliches Ideal darstellten. Dieses Engagement geschieht in ganz verschiedenen Abstufungen der Aktivität. Das Apostolat der Kirche als Kirche, mit offizieller pastoraler Autorität, erschöpft keineswegs die Tätigkeit des Volkes Gottes. Es gibt noch das Handeln der Christen als Christen in den Strukturen der ganzen Gesellschaft gemäß ihrer persönlichen Verantwortung. Dies ist durchaus nicht ein Engagement der Kirche als solcher und doch ist die Kirche bereits in jedem von ihnen anwesend, wenn es wahr ist — nach dem bekannten Ausspruch Pius’ XII. —, daß die Christen die Kirche darstellen, insofern diese die Seele der menschlichen Gesellschaft ist. So kommt es, daß die Christen sich zusammentun, nicht nur um christlich, sondern um als Christen zu handeln, ohne Anweisung durch die Hierarchie, sei es auf rein religiösem, oder auch auf weltlichem Gebiet, in der allgemeinen Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Glaubens und der katholischen Disziplin.

Das Evangelium gibt freilich nur allgemeine Anweisungen; die Umstände und Situationen sind komplex und können verschieden beurteilt werden. Dadurch sind mehrere konkrete Lösungen möglich. Das muß man beachten. Es erhebt sich dann allerdings das Problem der Einheit unter den Katholiken. Wollte man diese erreichen, indem man allen, wenigstens faktisch, eine Uniformität des Verhaltens auferlegt, so wäre das Tyrannei. Die Tätigkeit der Katholiken auf den Bereich der Kirche als solcher einschränken zu wollen, wäre unsinnig; das würde geradezu zu einer „Entmannung“ der Katholiken führen und einen Teil ihrer Sendung unberücksichtigt lassen. Man muß in aller Offenheit das Risiko der Freiheit eingehen und es darf nicht die Uniformität, sondern es muß die Einheit der Katholiken angestrebt werden, indem man drei wichtige Dinge berücksichtigt:

• Eine große Vitalität jenen Elementen sichern, wodurch sich die Einheit oder besser die Gemeinschaft verwirklichen läßt im Bereich der Kirche als solcher; es sind die klassischen Elemente (vgl. Apg. 2, 42); der Glaube und das Wort Gottes (die

Bibel), Liebestätigkeit, Eucharistie und Liturgie;

Elemente, die sich später im Leben und im Unterricht der Kirche entwickelten. Je mehr die Gläubigen am Leben der Welt als Welt in der Zerstreuung teilnehmen, um so mehr muß ihnen der Klerus die größtmögliche Vitalität und Authentizität dieser Elemente für die Gemeinschaft in der Kirche zusichern;

• daß jeder von der Sorge erfüllt sei, auf der Seite, die er schreibt, Platz zu lassen für das, was man sehr glücklich „den Rand der Brüderlichkeit“ genannt hat;

• die wechselseitigen Anregungen annehmen und gut benutzen. Gewiß, der Dialog kann nicht alles leisten und es geht auch nicht darum, legitim verschiedene Positionen zu einer seichten Pseudo-Verständigung zu führen. Aber die Tatsache, daß man sich gegenseitig annimmt, daß man sich wirklich begegnen und seinen eigenen Standpunkt darlegen will, daß man versucht, auf die Gründe des anderen einzugehen, ist ein positiver Beitrag für die nicht gleichförmige Einheit der Katholiken. Wenn man sich also auf solche Weise begegnet ist und sich ausgesprochen hat, kann man sich nicht wie vorher gegenüberstehen.

Einige wichtige Forderungen für die Kirche

Was wir dargelegt haben, kennzeichnet gewisse relativ neue Entwicklungen in der Katechese und Predigt, in der Erziehung der Gläubigen und vor allem in der Theologie.

Durch die Entscheidung Johannes’ XXIII. und unter dem Druck der Gegebenheiten wollte das Konzil ein pastorales sein, darum aber nichtsdestoweniger lehrhaft, wie man gesehen hat. Als Papst Paul VI. am 29. September die Mitglieder des theologischen Kongresses in Rom empfing, sagte er ihnen: „Das Konzil fordert die Theologen auf, eine Theologie zu entwickeln, die zugleich pastoral ausgerichtet und wissenschaftlich ist; die auf den Kontakt mit den Quellen der Patristik und der Liturgie und vor allem mit den biblischen Quellen bedacht ist; die die Autorität der Kirche und besonders jene des Stellvertreters Christi respektiert; eine Theologie, die in Berührung steht mit der Menschheit, so wie sie in der Geschichte und konkreten Aktualität herangewachsen ist.“ Wenn sich die Theologie, ohne von der Betrachtung der Geheimnisse abzugehen, in diesem Pastoralen Sinn entwickeln soll, „in Berührung mit der Menschheit, so wie sie in der Geschichte und konkreten Aktualität herangewachsen ist“, dann ist es aber klar, daß dies gewisse Forderungen hinsichtlich ihrer wissenstheoretischen Lehre mit sich bringt: nicht bloß eine volle theoretische Anerkennung der Geschichtlichkeit des Menschen und der Kirche, sondern eine volle Anerkennung der Kontaktmittel und induktiven Erkenntnis, nachdem die Theologie so oft deduktiv vorangeht.

In diesem Zusammenhang sei die ungeheure Wichtigkeit für die Theologie und die theologische Wissenslehre unterstrichen, daß in Rom als logische Frucht des Konzils an der Seite 'der traditionellen Dikasterien fünf neue Organismen geschaffen wurden: das Sekretariat für die Einheit der Christen, für die Nichtchristen, für die Ungläubigen, der päpstliche Laienrat, und die päpstliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden.

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