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Die Presse ist keine Kanzel

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Sollen sich christliche Journalisten berufen fühlen, die Interessen der Kirche in den Massenmedien wahrzunehmen und der pluralistischen Gesellschaft das Wort Gottes zu verkünden? Sind die diesbezüglichen Erwartungen berechtigt oder ist die Aufgabe auch des Journalismus in der Kirche die Mitarbeit am Informations- und Meinungskreislauf? Sollten christliche Journalisten ihre Fähigkeiten in den Dienst der Kirche stellen, anstatt in neutralen Medien zu arbeiten? Muß ein katholischer Redakteur an einer neutralen Tageszeitung den Heroismus aufbringen — womöglich im Alleingang —, zweifelhafte Geschäftspraktiken des besten Inserenten öffentlich zu denunzieren, auf die Gefahr hin, daß er seine Stelle verliert und möglicherweise das Wohlergehen seiner Familie gefährdet? Fragen und Probleme, die sicher nicht nur für diese Gruppe von Christen von entscheidender Bedeutung sind, sondern für die Kirche und die Erfüllung ihres Auftrages in der heutigen Welt.

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Sollen sich christliche Journalisten berufen fühlen, die Interessen der Kirche in den Massenmedien wahrzunehmen und der pluralistischen Gesellschaft das Wort Gottes zu verkünden? Sind die diesbezüglichen Erwartungen berechtigt oder ist die Aufgabe auch des Journalismus in der Kirche die Mitarbeit am Informations- und Meinungskreislauf? Sollten christliche Journalisten ihre Fähigkeiten in den Dienst der Kirche stellen, anstatt in neutralen Medien zu arbeiten? Muß ein katholischer Redakteur an einer neutralen Tageszeitung den Heroismus aufbringen — womöglich im Alleingang —, zweifelhafte Geschäftspraktiken des besten Inserenten öffentlich zu denunzieren, auf die Gefahr hin, daß er seine Stelle verliert und möglicherweise das Wohlergehen seiner Familie gefährdet? Fragen und Probleme, die sicher nicht nur für diese Gruppe von Christen von entscheidender Bedeutung sind, sondern für die Kirche und die Erfüllung ihres Auftrages in der heutigen Welt.

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Die Pastoralinstruktion „Commu-nio et Progressio“ der „Päpstlichen Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation“ (1971) beginnt mit einer recht weltlich klingenden These: „Gemeinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft sind die obersten Ziele sozialer Kommunikation und ihrer Instrumente“. Diese These wird in den weiteren Darlegungen der Instruktion selbstverständlich auch geistlich interpretiert, doch klingt darin schon eine grundsätzliche Anerkennung der Massenmedien an, die nicht erst an die Bedingung geknüpft wird, daß sie „Verteidiger der Festung Kirche“ seien (vorherrschende kirchliche Haltung gegenüber der Presse im 19. Jahrhundert).

In der kirchlichen Diskussion dürfte gegenwärtig die positive Bedeutung einer freien Information und einer freien Diskussion von Meinungen durch die Massenmedien unbestritten sein. Anders verhält es sich mit den Erwartungen, die an christliche Journalisten gestellt werden. Sie sollten sich berufen fühlen — so heißt es etwa —, als Christen die Interessen der Kirche in den Massenmedien wahrzunehmen.

Zur Erörterung des Problems, inwiefern solche Erwartungen gerechtfertigt sind, ist die Unterscheidung zwischen Journalisten nützlich, die an einem kirchlich festgelegten Medium (einem Diözesanblatt, einer katholischen Tageszeitung, einem Kirchenfunk) arbeiten, und Journalisten, die Mitarbeiter eines kirchlich neutralen — weder anti-kirchlichen noch kirchlich festgelegten Mediums — sind. Mit der Wahl des Mediums sind bereits Vorentscheidungen über die Möglichkeiten und Bedingungen christlicher journalistischer Arbeit getroffen.

Noch ein Hirtenbrief der Schweizer Bischöfe aus dem Jahre 1975 ent-hätt -diese--Aufifiass-iHiig -von- der Aufgabe des kirchennahen Journalismus: „Die katholische Presse sowie die katholischen Radio- und Fernsehsendungen wollen die Frohbotschaft verbreiten und die Menschen von heute zum Nachdenken über das Wort Gottes anregen.“ Unter diesen Begriff, der wohl von weiten Teilen des Klerus geteilt wird, lassen sich Sendungen wie „Wort zum Sonntag“, Radiopredigten und Sonntagsbetrachtungen mühelos einreihen. Doch widerstrebt es Journalisten, darin Journalismus zu sehen. Wenn auch Massenmedien benützt werden und die Betrachtungen an Tagesereignisse anknüpfen und wie politische Kommentare aufgebaut sind, entsprechen sie doch in mehrfacher Hinsicht der Gattung „Predigt“: Sie sind meist von kirchlich Beauftragten; verfaßt und haben das Ziel, zu verkündigen und zur Bekehrung aufzurufen. Sie sind Verkündigung, nicht Journalismus.

Journalismus — zunächst im Rahmen der Kirche definiert — hat eine eigenständige, von Verkündigung, Seelsorge und Kirchenleitung unterscheidbare Funktion, einen eigenständigen Sinn: zwischen Kirchenvolk und Kirchenleitung, zwischen Progressiven und Konservativen, zwischen Lehre und Leben, zwischen Orthodoxie und Orthopraxie einen „ständigen, wechselseitigen und weltweiten Fluß von Informationen und Meinungen“ zu gewährleisten (Communio et Progressio, 120).

Dieser Funktionsibeschreibung eines kirchlichen und kirchennahen Journalismus liegen die ekklesiolo-gischen Prinzipien des II. Vaticanums zugrunde. Es hat versucht, die einseitig dominante Rolle der Kirchenleitung und -Verwaltung über den Laien, des hierarchischen Mono-loges über den Dialog aufzuheben.

Indem der Journalist sich mit Meinungen und Ereignissen beschäftigt, mit Initiativen, Leistungen und Fehlleistungen, zeichnet er das vorläufige, wechselnde Gesicht der „Ecclesia peregrinans“. In vermeintlichen Belanglosigkeiten macht er Gemeingültiges sichtbar, in vermeintlich Privatem, was alle betrifft. Die ungeliebte Neugier der Journalisten steht eben häufig im Dienst der legitimen Interessen des Kirchenvolkes. Durch den dauernden Austausch von Informa-

tionen und Meinungen wird erst die Formung eines Konsenses darüber ermöglicht, wie die Kirche ihr eigenes Leben gestalten und ihre Aufgabe in der Gesellschaft wahrnehmen soll. „Communio et Progressio“ (116) fordert die „verantwortlichen kirchlichen Obrigkeiten“ auf, Normen und Bedingungen zu schaffen, damit sich „innerhalb der Kirche auf der Basis der Meinungs- und Redefreiheit der Austausch legitimer Ansichten lebendig entfalte“.

Manche mögen heute geneigt sein, Meinungsäußerungen in der Kirche, zuzulassen, soweit sie kirchliche Disziplin, kirchliche Äußerungen zu politischen Fragen, Verwaltung und Disziplin betreffen, nicht aber in Fragen, die theologischer Kompetenz bedürfen oder gar zum Lehrschatz der Kirche gehören. Die Massenmedien hätten erst nach abgeschlossenem Forsehungsprozeß und nach der Entscheidung des Lehramts über die Ergebnisse der theologischen Forschung zu berichten. Und selbst

theologische Wissenschaftler halten dafür, daß die in der Öffentlichkeit diskutierten Themen zufällig und oberflächlich seien.

Nun stimmt es zwar, daß „sub specie actualitatis“ Probleme des politischen Verhaltens der Kirche mehr interessieren als Probleme der Chri-stologie, Fragen der Sexualmoral mehr als Fragen der Dogmengeschichte. Das kommt daher, daß Sachbereiche, die das Leben des einzelnen in der Kirche betreffen, auf persönliche Erfahrungen stoßen. Der Laie hat — wohl zu Recht — Anspruch darauf, gehört zu werden. Seine ihm eigene Kompetenz sollte zur Sprache kommen. Indem der Journalismus den einzelnen in der Kirche und ihren Erfahrungen Stimme gibt, erleichtert er eine gemeinsame Wahrheitsfindung aller in der Kirche. Er wird dem wissenschaftlichen Theologen gegenüber zum Anwalt der Praxis, den geistlichen Redner erinert er an die Sprache der Welt, der Kirchenleitung gegenüber spiegelt er die Meinungen des Kirchenvolkes.

Es mag nun plausibel erscheinen, daß Journalismus in der Kirche von der Verkündigung als eine eigenständige Funktion zu unterscheiden ist. Wie verhält es sich aber mit der Tätigkeit christlicher Journalisten in Massenmedien, die eine neutrale Beziehung zu den Kirchen haben? Sind sie „Missionare des Glaubens“ in einer indifferenten Umwelt? Sollten sie nicht besser ihre Fähigkeiten in den Dienst der Kirche stellen?

Abgesehen davon, daß die letztere Forderung ebenso absurd ist, wie wenn jemand forderte, die fähigen katholischen Beamten in der staatlichen Verwaltung sollten sich besser der Kircheniverwialtung zur Verfügung steilen, bleibt doch die Frage, ob ein Ohrist nicht einen Auftrag hat, der über das hinausreicht, was journalistisches Ethos ohnehin verlangt: Wahrheitsliebe, möglichste Objektivität, Ausgewogenheit des Urteils. Die Diözesansynode Basel

erklärt: „Die christlichen Medienschaffenden haben in besonderer Weise die Aufgabe, die Medien in den Dienst der ganzen Gesellschaft zu stellen. So sollen sie auch jene Gruppen zur Sprache kommen lassen, die für gewöhnlich vernachlässigt werden. Ohne Rücksicht auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Nachteile haben sie wirkliche Mißstände aufzugreifen und mutig beim Namen zu nennen.“

Kann das heißen, daß ein katholischer Redakteur an einer neutralen Tageszeitung zum Beispiel den Heroismus aufbringen soll, zweifelhafte Geschäftspraktiken des besten Inserenten öffentlich zu denunzieren, auf die Gefahr hin, daß er seine Stelle verliert und möglicherweise das Wohlergehen seiner Familie gefährdet?

In Anlehnung an Grundtendenzen des II. Vaticanums (besonders der Pastoralkonstitution' „Gaudium et Spes“) seien drei Prinzipien genannt, die zwar allgemein für das Verhältnis Kirche—Gesellschaft gültig sind, in der Massenkomimunikation jedoch eine besonders klare Bedeutung erhalten.

Solidarität meint das Bewußtsein jedes einzelnen Menschen, mit der gesamten menschlichen Gesellschaft verflochten zu sein. Diese „Gemeinverstrickung“, die zunächst schlicht eine Gegebenheit darstellt, wird für

den Christen zur Verpflichtung, an Leid und Freude, an Hoffnung und Angst seiner Zeitgenossen teilzunehmen, und zwar ohne Ansehen der Person, der Rasse, der Religion und des Vollkommenheitsgrades. Sie kann der herrschenden Mentalität entgegenlaufen und die besondere Verpflichtung für den Andersdenkenden, den Sünder, den Verfemten bedeuten.

Radikale Solidarität führt den Glaubenden notwendigerweise weg vom Monolog, von Belehrungs- und übertriebener Bekehrungsabsicht und läßt ihn eingehen „in die Tiefe des menschlichen Fragens“ (nach einer Umschreibung des Begriffs „Dialog“ von Karl Rahner). Das Prinzip Dialog treibt den Christen nicht vor allem dazu, seinen eigenen Standpunkt anzubringen, sondern zunächst den Standpunkt des andern zu hören, begreifen zu lernen, warum der andere anders denkt und handelt — und bisweilen handeln muß, als es christliche Überzeugung zulassen möchte.

Da Dialog auf gegenseitiger Anerkennung, geteilter Gewissens-, Meinungs- und Redefreiheit beruht, schließt er die gegenseitige Kritik ein. Kritik bekräftigt und festigt Solidarität und Dialog. Sie versteht keinen Menschen und keine menschliche Organisation als abgeschlossenes, vollkommenes Wesen. Sie sieht im Menschen vielmehr den dauernd Suchenden und Fragenden. Sie stellt vermeintlich Festgefügtes wieder in Frage. Kritik ist insofern ein eminent christliches Kommunikationsprinzip, als wohl kein Zukunftsentwurf das vermeintlich Absolute so radikal in Frage stellt, wie die christliche Eschatologie. Christliche Kritik wurzelt damit in zuversichtlicher Hoffnung. Sie leugnet den Fatalismus, widerstrebt dem Trend zur Resignation angesichts der Weltprobleme, relativiert die politischen Messianis-men.

Die Natur journalistischer Tätigkeit bringt es freilich mit sich, daß ihre Verwurzelung in christlichen Prinzipien nur ausnahmsweise wirk-

lieh sichtbar wird. Erkennbar sind ja nicht die Wurzeln, sondern die Früchte des Journalismus.

Der Zwang zur Gemeinverständlichkeit, der Vorrang von Information und Analyse, das Gesetz der Aktualität, die hierarchische Struktur der Massenmedien prägen die journalistische Tätigkeit und verfremden die Prinzipien, ohne sie freilich aufzuheben.

Journalistische Qualität mißt sich mehr an der Kraft der Analyse als am missionarischen Eifer. Man muß dies sagen, obwohl es unter den Journalisten an „linken“ und „rechten“ Missionaren, an Belehrern, an eitlen Selbstbespieglern, an Amateurtheologen, -moralisten und -Psychologen beileibe nicht fehlt, und obwohl gerade solche Journalisten bisweilen reichen Publikuimsapplaus ernten.

Journalist sein, bedeutet in jedem Fall auch, an einem Informationsunternehmen mitarbeiten. Die Arbeit des einzelnen wird durch die kollektive Anstrengung aller Mitglieder des Unternehmens in die komplexe Einheit eines Massenmediums einbezogen. Mit diesem Kollektiv zusammen unterstellt sich der einzelne Journalist dem ZieJ, der Tendenz, den technischen und unternehmerischen Bedingungen des Mediums. Er wird in eine hierarchische Struktur eingefügt, deren „Hackordnung“ vom Verleger zum Chefredakteur, vom Chefredakteur zum Ressortredakteur, vom Redakteur zum Mitarbeiter verläuft. Es gibt für den einzelnen auf jeder Stufe einen je höheren Willen, der die Bandbreite bestimmt, innerhalb derer beispielsweise Mein-nung geäußert und Kritik geübt werden darf. Dieser höhere Wille begleitet den einzelnen ständig wie ein Uberich; die maßgebende Kritik verläuft immer von oben nach unten.

Das schließt nicht aus, daß innerhalb der Bandbreite die Meinungen relativ frei geäußert und auch publiziert werden können. Über kontroverse politische oder weltanschauliche Fragen wird meist innerhalb der Redaktion diskutiert. Die Meinung der Mehrheit kann dann zur „Meinung der Redaktion“ erklärt werden. Es ist klar, daß dabei die . Berufung auf eine, Kirche oder auf eine kirchliche Moral dem christlichen Journalisten nicht mehr Recht gibt, als jedem andern in gleicher Stellung auch zusteht. Sein Einfluß reicht nicht weiter als seine Fähigkeit, die Kollegen von seinen Anschauungen zu überzeugen.

Dabei kommt es freilich selten vor, daß kirchliche Ereignisse oder Stellungnahmen aus Prinzip nicht berücksichtigt werden. Sie werden lediglich— wie jeder politische „Stoff“ dem Gesetz der Aktualität unterstellt. So gesehen, ist es bedeutend dringlicher, über amerikanische und sowjetische Hilfe an Angolas Bürgerkriegsparteien zu berichten, als über päpstliche Friedensmahnungen an dieselben Parteien. Darüber hinaus ist die bisweilen mangelhafte Berichterstattung über kirchliche Vorgänge in neutralen Medien meist in praktischen Hindernissen begründet. Die Zeitung oder das Radio verfügt über keinen Mitarbeiter, der sich in kirchlichen Bedangen genügend auskennt. Oder die Texte, die von der Kirche angeboten werden (über Pressedienste, Nachrichtenagenturen, Kirchenjournalisten) sind kompliziert oder in einem miserablen Deutsch geschrieben, missionarisch, seüfostrechtfertigend, sub specie aeternitatis statt actualitatis... Es gibt zahllose solcher kirchentypischen Übel.

Im allgemeinen können die neutralen Medien die Kirchen nicht von eigenen Anstrengungen im Bereich der Massenmedien dispensieren. Christliche Journalisten können einen eigenen Kirchenjournalismus nicht ersetzen. Die Funktionen überschneiden sich, aber decken sich nicht. Die Bedingungen journalistischer Praxis setzen dem Missionseifer von Journalisten deutliche Grenzen. Doch können wohl keine äußeren Bedingungen dem christlichen Journalisten das Privileg und die Chance nehmen, seine Tätigkeit heilsgeschichtlich zu interpretieren, mithin die aeternitas sub specie actualitatis zu begreifen, und vielleicht gar zu einer theologischen Exegese der Gegenwart vorzustoßen.

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