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Der Konsument und sein Unterhaltungsvehikel

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Das Wort vom „Unterhaltungsrundfunk’, das Bundeskanzler Bruno Kreisky eher gelassen ausgesprochen hat, hat für kurze Zeit das österreichische Gesellschaftsspiel über das Personenkarussell des ORF überschattet. Tatsächlich ist ja doch wohl noch die Frage wichtiger, wie das neue .Rundfunkprogramm aus- sehen soll, wie also etwa die Meinungsvielfalt verwirklicht werden kann, die ja die Absicht der Gesetzesänderung war. Daß sich da unweigerlich grundsätzliche Überlegungen zur Rundfunkproblematik aufdrängen, liegt auf der Hand.

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Das Wort vom „Unterhaltungsrundfunk’, das Bundeskanzler Bruno Kreisky eher gelassen ausgesprochen hat, hat für kurze Zeit das österreichische Gesellschaftsspiel über das Personenkarussell des ORF überschattet. Tatsächlich ist ja doch wohl noch die Frage wichtiger, wie das neue .Rundfunkprogramm aus- sehen soll, wie also etwa die Meinungsvielfalt verwirklicht werden kann, die ja die Absicht der Gesetzesänderung war. Daß sich da unweigerlich grundsätzliche Überlegungen zur Rundfunkproblematik aufdrängen, liegt auf der Hand.

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Tatsächlich hat der Bundeskanzler — wenngleich sein Extempore ja gleichfalls stark in Richtung auf personelle Überlegungen zielte (nämlich als Engagement des Kanzlers für den Kabarettisten Bronner), den harten Kern der eigentlichen Programmproblematik des Mediums schlechthin getroffen.

Der Zuseher empfindet das Fernsehen tatsächlich als Vermittlungsmedium von Unterhaltung. Alle kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen bringen den Umstand ans Tageslicht, daß der Zuseher nämlich auch Information konsumhaft aufnimmt. Konsumhaft heißt, daß auch Politik als Teil von „Unterhaltung’ empfunden wird, was wiederum den Vorteil jener Politiker ausmacht, die diesen Umstand kennen und das politische Parkett als Showbühne sehen, die durch die bessere Präsentation den Inhalt der Information überdecken und damit täglich das MacLuhansche Prinzip bestätigen, daß das „Wie’ via Fernsehen wichtiger ist als das „Was’.

Die Konsumhaltung des Publikums muß als Faktum registriert werden. Sie ist nicht schulmeisterlich zu tadeln, weil der Durchschnittsbürger sich am Feierabend quasi ja ein Grundrecht auf Unterhaltung erworben zu haben meint. Und es wird Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen sein, wie man diesem nicht verwerflichen Wunsch in den Fernsehanstalten entgegenkommt.

Nun ist Resignation aber nicht Aufgabe für eine Anstalt, die nicht zuletzt durch ihre faktische Monopolstellung Gesetzesaufgaben zu erfüllen hat. Der als „Unterhaltung’ im engeren Sinn umschriebene Bereich des Programmauftrags („einwandfreie Unterhaltung’) steht jedenfalls an Bedeutung den Aufträgen der Information und der Bildung nach.

Das sollte am Beginn einer neuen Rundfunkära deshalb ganz außer Streit stehen: der Hörfunk, insbesondere aber das Fernsehen sind zum nahezu umfassenden und eindringlichsten Bildungsinstitut des Landes geworden. Jede Vernebelung dieses Umstandes schadet der klaren Einordnung aller anderen Ziele der Anstalt. Die „Education permanente’ ist und bleibt eine (erfreuliche) Realität und verpflichtet die neue Rundfunkführung ganz eindeutig zum Vorrang von Information und Bildung vor den engeren Bereichen der Unterhaltung.

Zum anderen geht eindeutig aus dem Sinn des Gesetzestextes und der Absicht des Gesetzgebers hervor, daß die Rundfunkinformation heute ein ganz entscheidender Bereich des demokratischen Lebens ist. Und alle Vorschriften, die das Gesetz statuiert, gehen auch davon aus, daß Hörfunk- und TV-Information als wesentliches Kriterium des demokratischen Willensbildungsprozesses angesehen werden und dieser Aufgabe auch zu dienen haben. Die Medien konstituieren quasi erst die Demokratie, indem sie die Agora, das „Forum’ für das politische Geschehen sind.

Vollständigkeit

Die Demokratie verlangt zum ersten nach der Vollständigkeit der Information, weil jeder über alles (politisch Relevante) Bescheid wissen soll und die Entscheidungsgrundlagen für den Bürger hinlänglich identisch sein sollen, damit nicht Wissende Nichtwissenden gegenüberstehen. Die „New York Times’ haben das bekannte Motto aufgestellt, wiederaugeben, „all the News, that’s fit to print’. Was aber jeweils wirklich „fit to print’ ist, bleibt Ermessensfrage, entscheidet sich überdies an der technischen

Disposition des Mediums und gilt für das Fernsehen in gleicher Weise: an der akustischen Wiedergabefähigkeit des Hörfunks, an der Begrenztheit des Audio-Visuellen im Fernsehen: die Aufnahmefähigkeit des Menschen, der in der gleichen

Zeit erheblich mehr lesen als hören kann, ist im Fernsehen begrenzt; zum zweiten an den Zwängen der optischen Darbietung.

Hand in Hand geht nicht allein die Tendenz zur quantitativen Reduktion — sondern auch zur Reduktion im Inhaltlichen: die Vereinfachung wird Postulat, je größer der Kreis der Informationsempfänger wird. Es wird vereinfacht, anstatt differenziert, weil weder Medien noch Empfänger in der Lage sind, die Informationsflut überhaupt zu bewältigen. Vollständigkeit kann für ein einzelnes Medium zwar wünschbar sein, an sich kann aber nur die Praxis des Zusammenspiels verschiedenartiger Medien zu einer natürlichen und einigermaßen ausgewogenen Informationspalette in einer gesellschaftlichen Gemeinschaft führen.

Es unterliegt dabei zwar keinem Zweifel, daß die Medienwahl für den Staatsbürger im Rahmen des Vorhandenen frei ist, das heißt, daß er selbst auswählt, wie (und auch worüber) er informiert (oder nicht informiert) werden will. Die Annäherung an eine „vollständige’ Information kann aber in der Wirklichkeit immer nur auf die Gesamtgesellschaft in einer Demokratie bezogen werden, nie auf den einzelnen oder eine spezifische Gruppe. Soziologische Untersuchungen lassen überdies darauf schließen, daß der einzelne gegenüber dem Informationsangebot laufend „Sperren’ aufbaut und durch die Brille seines Vorurteils die Medieninformation aufnimmt.

Trotzdem kann man auch bereits modelltheoretisch für das Fernsehen niemals eine wirklich umfassende Berichterstattung erwarten. Was wäre das? Ein monoton ablaufender Spiegel der Wirklichkeit. Vielmehr ist es stets die Ausnahme von der Regel, die erst Meldungswürdigkeit erlangt. Normal verhalten braucht nicht wiedergegeben zu werden — es ist nicht „fit to print’. Mehrere Medien schaffen aber auch immer eine Art Eskalation der Außergewöhnlichkeit.

Deshalb sprechen etwa Medienforscher von einer Neigung aller Medien zur ..Grenzmoral’, was sich aus ihrer natürlichen Konkurrenz auf dem Markt herleitet.

So gesehen, genießen in Demokratien bei Bestehen parteiunabhängiger Medien Äußerungen der Opposition, die sich ja mit den „Abweichungen’ beschäftigen, natürlichen Vorrang vor Äußerungen der Regierung, die die Normalität zu loben pflegt oder von positiven Leistungen spricht: über Fehler wird gesprochen und geschrieben, nicht von kontinuierlicher Tätigkeit oder zumindest limitierten Verbesserungen. Kontinuität schafft Gleichgültigkeit, Gleichgültigkeit wird Selbstverständlichkeit.

Deshalb neigen auch demokratische Regierungen dazu, zuerst einmal die Berichterstattung zugunsten eines „Nachrichtenmonopols’ zu erschweren. Dazu dienen Verbote an Be amte, Auskünfte an ‘JÖurnalisten zu erteilen; die Einrichtung von beamteten Informationsstellen, Informationsbüros oder die Ernennung von sogenannten Sprechern. Vor allem aber ist auf diese Weise das Bestreben von Regierungen zu verstehen. Rundfunkanstalten unter Kontrolle zu bringen, zumindest aber durch Vertrauensleute Einfluß zu nehmen.

Objektivität

Auch das neue Rundfunkgesetz fordert von den Medien Hörfunk und TV als Prinzip der Information Ob- jekitvität. Der wissende Staatsbürger sollte demnach so objektiv, das heißt wahrheitsgemäß informiert werden, daß er sich selbst ein Bild von den politisch-relevanten Sachfragen machen kann. Das wiederum bedeutet, daß die Medien „unabhängig’ — das heißt frei von Zwängen — sein sollen, die sie von der selbständigen Beurteilung politischer Sachfragen abdrängen — und in den Medien wiederum die Journalisten, die sich von nichts außer dem eigenen Streben nach Wahrhaftigkeit leiten lassen sollen.

Dabei haben einige Wissenschaftsdisziplinen, vor allem die Soziologie, längst die Begrenzung wertfreier Information aufgezeigt; und die Umstände, mit denen Objektivität im Journalistischen konfrontiert wird. Aber dennoch hält man an der Gleichsetzung von Objektivität und „Unabhängigkeit’ fest — wobei in Österreich Parteiunabhängigkeit schlechthin als Unabhängigkeit firmiert.

Auch das neue Rundfunkgesetz scheute sich nicht, die Verpflichtung zu objektiver Information durch die Rundfunkanstalt neuerlich zu statuieren. So wundert es nicht, wenn im Dschungel leidvoller Verstrickungen, denen der Rundfunk überall (nicht nur in Österreich) ausgesetzt ist, die Rechtsverletzung quasi über der Türe steht: weil ein unklarer Gesetzesbegriff mehr Schaden stiftet, als er nützt. Und man macht es sich zu leicht, schon dann von Objektivität zu sprechen, wenn nur nicht bewußt manipuliert wird.

Objektivität in einem Medium als Verpflichtung für die Medienmitarbeiter in einer aufgeklärten Demokratie kann es nur eingeschränkt geben:

Als Zielvorstellung, die in der Annäherung durch rechtliche, gesellschaftspolitische und — moralische Hilfen zum Ausdruck kommen kann.

Als unverdächtiger Zeuge darf der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Klaus von Bismarck, gelten: „Tatsächlich ist jede Art von Nachrichtenweitergabe eine Kette subjektiver Entscheidungen.

Objektivität als Ziel Vorstellung kann nur heißen: solide Sachkenntnis des Redakteurs, größere Fairneß seines Handelns und größtmögliche Distanz von der persönlichen politischen Einstellung.’

Und auf das Spezifikum medien gerechter Objektivität (und ihrer Versuchungen) im „bildhaften’ Fernsehen eingehend, meint er: „Die Gefahren der Manipulation mittels bewegter Bilder sind schon wegen ihrer suggestiven Aussagekraft viel größer als bei puren Wortmeldungen.’

Nun treffen Hörfunk und TV angesichts der technischen und zeitlichen Beschränktheit stets aufs neue auf die Tatsache, daß sich komplizierte und verschachtelte Zusammenhänge des politischen Rechts- und Wirtschaftslebens nicht adäquat optisch oder akustisch umsetzen lassen. Außerdem muß der Rundfunk auf die beschränkte Aperzeptions- fähigkeit seines Massenpublikums Rücksicht nehmen, was ihm die Vermittlung von Tatbeständen in ihrer geschlossenen und vollen Tragweite erschwert, manchmal sogar unmöglich macht. Dazu kommt, daß die Summe von Detailinformation, mag sie auch noch so exakt und vollständig weitergegeben werden, beim Zuseher nicht die Aufklärung von Zusammenhängen, sondern ganz im Gegenteil die Stiftung von Verwirrung begünstigt.

Nehmen wir den Bereich der komplexen Wirtschaftspolitik. Hier scheint das Verständnisniveau und die Anwendungsbereitschaft von Wirtschaftswissen besonders niedrig zu sein.

Die Meldung über eine spezifische Währungsmaßnahme trifft auf Zuseher und Zuhörer, denen Kenntnisse über das komplexe internationale Währungsgefüge völlig fehlen. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge zwischen eigener und ausländischer Währung, ohne Grundwissen über die Zahlungsbilanzsituation wird der Zuseher bald desinteressiert und gleichgültig. Bei einer Anhäufung von solchen spezifischen Informationen, die er alle nicht versteht, reagiert er mit einer inneren Protesthaltung, die sich zum Widerstand gegen Wirtschaftspolitik im TV schlechthin ausweiten kann: „Das interessiert mich nicht, das ist mir völlig gleichgültig, das schalte ich ab.’

Somit wird klar, was die Vorausaufgabe der Information sein muß: Schaffung und Vermittlung von Vorinformation, Grundlagenwissen, ein umfassendes „Weltbild’, in das der Zuseher und -hörer neue Informationen ein- und unterordnen kann.

Daran wird daher auch in Zukunft die Programmpolitik des ORF zu messen sein: an seiner Fähigkeit, mehr zu vermitteln als eine Auswahl der täglich einströmenden Nachrichten, mehr als die Wahrnehmung der sterilen „Schleusenwächter’-Funk- tion. Der Sinn des Gesetzesauftrags wird nur dann erfüllt sein, wenn eine „Bewußtseinsveränderung’ im Zuseher eintritt: nicht im Sinne von Gesellschaftsveränderung, aber im Sinne von Gesellschaftsuerständnis.

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