6674329-1961_14_14.jpg
Digital In Arbeit

Mikrophon und Kamera

Werbung
Werbung
Werbung

Am Anfang war das Wort. Die es sprachen, waren die „Seher“, jene welche imstande waren, die wichtigen Dinge in ihren Zusammenhängen und Konsequenzen zu erkennen. Daneben machten sich die Menschen Abbilder, um Lücken in ihrer sinnlichen Vorstellungswelt zu füllen —, jene Lücken, die das Wort übrigließ.

Darnach kam das geschriebene und gedruckte Wort auf. Es führte zur Objektivierung der Mitteilungen und damit zu einer Vergeistigung von Sprache und Denken, die sich über die Grenzen und Dimensionierungen der wirklichen Welt erhob und der tatsächlichen Entwicklung der Menschen weit vorauseilte. Die Bildner versuchten zwischen Geist und sinnlichem Erlebnis zu vermitteln: nicht nur im Bild, sondern auch in der Lyrik, in der Musik und im Drama. (Im antiken Drama, ja noch in der Commedia dell’arte wurde der Sprache durch Verhüllung der Gesichter mit starren Masken Vorrang gegeben.) In gewissen Zeiten verringerte sich die Kluft zwischen geistiger und sinnlicher Darstellung, im großen und ganzen wurde sie immer weiter und tiefer.

TUGEND UND UNTUGEND DES BILDES

So erklärt sich der ungeheuere Aufstieg des Films in unserer Zeit als ein Versuch, die Kluft zu schließen. Zum ersten Male wurde die unerhört reiche und in tausenden Jahren zustande gekommene Ansammlung menschlicher Erfahrungen und faktueller Gegebenheiten für die große Masse der Menschen sichtbar gemacht Da sie optisch vor ihnen erstand, schien sie realer als in der bisherigen Darstellung durch das gedruckte oder auch gesprochene Wort. Das ist der scheinbare Vorteil der optischen Darstellung Was man durch das Wort erfährt, muß man selber visualisieren, und dazu bedarf es bereits eigener, subjektiver Anstrengungen und Fähigkeiten. Aus diesem Grund ist das Lesen und Anhören des Wortes eine viel aktivere Tätigkeit als das Betrachten abgebildeter Vorgänge.

Die geistige Begrenztheit bildlicher Darstellung erweist sich durch ihre Abhängigkeit vom erklärenden Wort. So hat unlängst jemand darauf hingewiesen, daß die Abbildungen in den illustrierten Zeitschriften völlig rätselhaft und unverständlich wären, wenn man sie ohne erklärende Texte und Überschriften zu Gesicht bekäme. Ja selbst die großen Darstellungen in der klassischen bildenden Kunst setzen, so stark de uns auch durch meisterhaft geschaffene Formen- und Farbenverhältnisse beeindrucken und beeinflussen, die durch das Wort vermittelte Kenntnis der antiken Mythologie und der Bibel voraus. Man denke ferner an die beschämende Situation, die jedesmal eintritt, wenn im Kino der Ton aussetzt. Freilich gibt es auch große bildnerische Kunstwerke, in welchem die Gestaltung selbst zur geistigen Aussage wird. Das geschah in den großen Werken des Stummfilms, der bereits auf Überschriften verzichten konnte.

SPRACHE KOMMT VON SPRECHEN

Mit dem Hörfunk hat eine prinzipiell hfe'üe Entwicklung für die Sprache und das Wort begonnen. Nach mehreren Jahrhunderten Vorherrschaft des gedruckten Wortes kehrte man wieder zu einem ausschließlich gesprochenen Wort als Mittler geistiger und sinnlicher Werte zurück. Die Betonung liegt auf der Verbindung zwischen geistig und sinnlich. Da die Sprache nun wieder hörbar wurde, mußte sie, wenn sie „ansprechen" wollte, sinnlich bedeutsamer werden und an Kraft gewinnen. Sie wurde direkter und gleichzeitig subtiler und geistiger als etwa die Bühnensprache, welche sich der gröberen Konsistenz sichtbarer Vorgänge auf der Bühne anpassen muß.

Gleichzeitig integrierte die neue hörbare Sprache die geistige und historische Entwicklung, welche uns durch das gedruckte Wort in rund drei Jahrhunderten gegeben worden ist; dazu gehört zum Beispiel unsere nun ungleich stärkere Fähigkeit zur Abstraktion. Jenes sich über alle örtlichen und zeitlichen Grenzen Erheben des im Schreiben und fürs Lesen aktivierten Geistes wird nun zur hörbaren, also sinnlichen Wirklichkeit. Wir können im Hörspiel längst Verstorbene zum Leben erwecken, wir konfrontieren Menschen unserer Zeit mit Menschen früherer Epochen, wir können Tiere mit uns sprechen lassen, die Seele lebloser Gegenstände, ja selbst abstrakter Begriffe erwecken. Selbstverständlich hat man das seit den „Vögeln" des Aristophanes auch auf der Bühne versucht, aber sie waren in Wahrheit nur vermummte Menschen mit menschlichen Eigenschaften, und auch die „Guten Werke“ im „Jedermann“ können sich ihrer Humanisierung nicht entziehen. Bei der Realisierung durch das ausschließlich gesprochene Wort können wir das Wesen, die Seele der Dinge ausdrücken. Nicht ohne Grund hat Kierkegaard das Ohr „das Organ der Innerlichkeit" genannt.

Anderseits behält die Sprache noch im modernen techni schen Übertragungsvorgang viel mehr von ihrer menschlichen Qualität als die bildliche Darstellung. Wir empfinden die Stimme beim Fernsehen viel wirklicher als das Bild, das nur photographisch und als Ab-bild erscheint, nie als der wirkliche Körper selbst.

KANN MAN EIN BEEFSTEAK VERSTEHEN?

Gerade darin, in der Irrealität der Abbildung, nicht in der Nachahmung der Realität, muß das Fernsehspiel seine Haupttugenden finden. Die Sprache und der Ton können ihm dabei nicht viel helfen. Sie müssen sich hier auf jeden Fall (so wichtig sie im Hörfunk sind) dem Bild unterordnen, das gut drei Viertel unserer Aufmerksamkeit und Konzentration in Anspruch nimmt. Deshalb darf und kann der Text beim Fernsehen nie so an- spruchs- und bedeutungsvoll sein wie im Hörfunk.

So dient das Fernsehen vor allem der Darstellung faktischer Gegebenheiten und Vorgänge, und der Hörfunk der geistigen Interpretation. Das gilt sowohl für imaginative als auch aktuell dokumentarische Darstellungen. Ein Sportreporter wird im Fernsehen vor allem das Bild für sich sprechen lassen und es nur erklären; er wird sich hüten, uns seine persönlichen Empfindungen von dem Ereignis aufzudrängen. Im Hörfunk werden wir gerade durch die Schilderung seiner persönlichen Empfindungen das Ereignis besser visualisieren können. Picasso hat das Wesen aller bildnerischen Appreziierung einmal sehr drastisch ausgedrückt. Als jemand beim Betrachten eines seiner Bilder zu ihm sagte: „Ich verstehe es nicht", antwortete der Maler: „Bilder sind nicht dazu da, um verstanden zu werden. Verstehen Sie ein Beefsteak, das Sie auf dem Tisch vor sich haben? Nein, Sie essen es, damit nehmen Sie es in sich auf! Und Bilder nimmt man. durch Ąnschaųen in sich ąuf. Das ist alles.“ mw

.Keiner, der sich des Wortes bedient, auch der feinste Lyriker nicht, könnte das sagen. Das bedeutet nicht', daß das Fernsehen nicht großartige neue Möglichkeiten zur Vermittlung seelischer Vorgänge besäße. Mit einem einzigen Gesichtsausdruck kann viel mehr mitgeteilt werden als durch viele Worte. Und der notwendigerweise intime Charakter des Fernsehens zwingt — wenigstens bei der Darstellung imaginativen Geschehens — zur „Beschränkung" auf das Seelische, auf das Gesicht. „Erst damit kann das Bild im Fernsehen ebenso zur Aussage werden, wie das Wort im Hörfunk bildhaft wird", sagte in einem Aufsatz der deutsche Dramaturg Heinz Schwitzke.

WOHIN GEHÖRT DIE MUSIK?

Daß die Musik, als Hauptursache dargeboten, dem Hörfunk Vorbehalten ist, ist nahezu eine Tautologie. Ebenso wie das Wort, wie eben jeder Ton. kann und soll sie im Fernsehen die bildlichen Vorgänge nur unterstützen, „illustrieren“ beleben. In der letzten Zeit wurde viel darüber diskutiert, ob und auf welche Weise die Oper fürs Fernsehen geeignet ist. „Die“ Oper, wie wir sie bis jetzt kennen, hat mit dem Film viel an äußerer Bewegtheit gemeinsam, ist also nichts fürs Fernsehen; anderseits bedarf sie eines starren Rahmens, daher ist die Oper nicht für den Film geeignet, bei welchem Bewegung die Hauptsache ist. Eine Hörspieloper wäre denkbar, wenn sie fast nur aus sehr subtilen musikalischen Monologen und Dialogen bestünde. Eine Fernsehoper ist vorstellbar, in welcher der Musik und erst recht dem Gesang nur nebensächliche Bedeutung eingeräumt ist. Man verweise nicht auf Erfolge bisheriger Opernübertragungen im Fernsehen! Sie befriedigten nicht das Bedürfnis nach einem künstlerischen, sondern nach dem gesellschaftlichen Erlebnis des „ Aucn-dabei-gewesen-Seins “.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung