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THEATER ALS FORUM

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Ein Gespräch mit Conny Hannes Mayer über „Die Komödianten“

Ist die heutige Welt auf dem Theater noch abbildbar? Können die Probleme der Gegenwart auf die Bühne gebracht werden? Inwieweit ist das Theater gesellschaftliches Bedürfnis unserer Zeit? — „Die Komödianten“, sicherlich eine der originellsten Wiener Kleinbühnen, haben es sich zur Aufgabe gemacht, in diesen Komplex unbewältigter Probleme hineinzustechen. Was dabei getroffen wird, hat sich zu verantworten. Diskussionen nach den Vorstellungen sollen das Publikum daran interessieren. Conny Hannes Mayer — Lyriker, Regisseur, Initiator und zorniger junger Mann par excellance — möchte Rede und Antwort stehen. „Was wir wollen, ist realistisches Theater. Theater als Notwendigkeit für alle! Aufzeigen allein ist nicht genug — man muß die tieferen Beweggründe kennen“ (Seitenhieb auf das absurde Theater), „es gilt, neue Wege zu finden“ (Seitenhieb auf klischierte Darstellungsform).

Damit hat er in Kürze sein Programm dargelegt. — Wie aber ist die gegenwärtige dramatische Situation? — Ein Chaos, sagen die einen, erstarrt in Normen, die anderen. „Was wir brauchen, ist frische Luft.“ Es gilt, eine Aussage zu finden, die der heutigen Bewußtseinslage entspricht. — Tempo, Betrieb, rascher Wechsel der Geschehnisse sind Symptome unserer Zeit. Die Formen der bürgerlichen Gesellschaft sind zum Teil überholt — und trotzdem die Formen des Theaters geblieben. Selbst das avantgardistische, selbst das absurde Theater ruht mit seinen Wurzeln in einer bürgerlichen Welt. Das Fernsehen, der Film können mit ihrer Flexibilität, mit der Leichtigkeit des Themenwechsels unserer Epoche gerecht werden. Kann es auch das Theater? Oder hat sich dieses nicht vielmehr festgefahren in einer ganz bestimmten Ausdrucksform, bedingt durch die Gesetze einer jahrhundertealten Tradition, während der Film, selbst schon Ausdruck unserer Zeit, weitaus beweglicher ist?

Die Welt läßt sich darstellen, wenn sie alf veränderbar aufgefaßt wird“, meint der enthusiastische Regisseur weiter, und bekennt sich damit zu Brechtschen Formulierungen. Damit jedoch eröffnet sich ein weiterer Problemenkreis. Denn: inwieweit ist Realität überhaupt abbildbar? Ist sie nicht vielmehr gefiltert, übersetzt in eine dem Autor gemäße Form? „Er kann die Welt nur darstellen, indem er sie spiegelt in einer entworfenen Welt“, sagt Max Frisch. „Was abbildbar wird, ist Poesie.“ Also ließe sich der Standpunkt vertreten: Theater ist Abbild der Realität und Ausbruch in die Irrealität. Und sogar Brecht ließ ja nur ganz selten seine Stücke im „gegenwärtigen“ Deutschland spielen, sondern viel häufiger im Dreißigjährigen Krieg, in China, im Kaukasus usw. — Auch C. H. Mayer zeigt bei seiner Stückwahl eine Vorliebe für das Exotische und für längst vergessene lyrische und epische Absonderlichkeiten.

Um a“ber auf Brecht zurückzukommen: inwieweit kann das Theater als erzieherisches Mittel, als Mittel zur Veränderung der Gesellschaft aufgefaßt werden? Hat die Forderung nach einem Theater mit sozialer Zielgebung ihre Berechtigung? C. H. Mayer ist zweifellos dieser Ansicht. Das beweisen auch die schon erwähnten Diskussionen. Er will damit die Kluft zwischen Theater und Publikum überbrücken. Er will eine Beziehung schaflen, die weitgehend verloren gegangen ist. Die Mittel, um zu einer neuen Aussage zu gelangen, sieht er vor allem in der besonderen Betonung des Bewegungselementes, um „auf die bewegungslose und erstarrte Bühne unserer bequemen Theaterleute“ ein wenig Schwung zu bringen. Es äußert sich also auch hier das Mißtrauen gegenüber dem Wort, dem Satz, der so leicht zur Phrase wird. Denn „geredet wird viel...!“ Unterstützung findet die ausdrucksstarke Gestik und Mimik durch Musik, welche bei den Proben als „zwangslose Notwendigkeit“ entsteht, also viel mit reiner Improvisation gemeinsam hat. Jeder Schauspieler muß daher mindestens ein Instrument beherrschen (Trommel,Flöte, Gitarre, Trompete oder Fagott) und in täglichen gymnastischen Übungen den Körper entsprechend elastisch erhalten.

Ein Bewegungstheater epischer Form ist das Ziel. Dabei spielt das Groteske, Abstrakte, Surrealistische, die Verfremdung eine große Rolle. Die Personen identifizieren sich nicht mit den darzustellenden Figuren, sondern versuchen im Gegenteil Abstand davon zu gewinnen, weil es ihnen dadurch möglich wird, „mehr auszusagen, als es die beengende Spieltechnik der Personifizierung zuläßt“, wie es in einem Programmtext heißt. Der dargestellte Vorgang wird dadurch mehrdeutig. Das Derbe, Drastische, Direkte wird betont. Eine Tatsache, welche — und dies besonders in den Anfängen seines Bestehens — dem Ensemble in den Kritiken oft übel vermerkt wurde. Man liest da Ausdrücke, wie: zu expressiv, angreiferisch, übertrieben, makaber. — Jede These schlägt in eine Antithese um. Als Reaktion auf die Anbetung des Klischees folgt die Übertreibung mit Kraftausdrücken und Urigeniertheiten. Der Dämon im Spießer (König Ubu) und das Absurde der Alltagssituation (Beckett) werden auf die Bühne gebracht.

Conny Hannes Mayer war im Jahre 1954 Mitbegründer des Theaters am Lichtenwerd. Um jedoch seine eigenen Pläne kompromißlos verwirklichen zu können, entstanden vor nunmehr bald sieben Jahren „Die Kommödianten“ im Theater am Börseplatz. Ein kleines, aber zähes Ensemble. Ihr Debüt feierte es mit „Trommeln und Disteln“, einem Gedichtzyklus von C. H. Mayer, akustisch von Trommeln untermalt und von vier Sprechern in Bewegung umgesetzt. Die Gedichte, welche bis jetzt in zwei Bänden erschienen sind („Abseits der Wunder“ im Verlag für Jugend und Volk, und „Den Mund von Schlehen bitter“ im Otto-Müller-Verlag), kennzeichnen sich durch eine stark expressionistische, von Brecht inspirierte Aussageform und eine anklagende Bitterkeit; welche von den Eindrücken bestimmt ist, die der Lyriker als Kind in der KZ-Haft empfangen hat. Mit „Banger Oktober“ wurde diese Gedichtreihe fortgesetzt.

Die Zahl der Mitglieder begann sich langsam zu vergrößern. Absolventen der verschiedenen Schauspielschulen, auch des Reinhardtseminars meldeten sich. Es folgte: „Hanjo oder die getauschten Fächer“, die alte japanische Ballade von dem Mädchen, das durch langes Warten auf den Geliebten, mit dem es die Fächer getauscht hat, wahnsinnig wird. Ein einjähriges Studium des japanischen Kabuki-Theaters ging dieser Aufführung voraus, die Bewegungen wurden nach japanischen Bildern abgestimmt, die Masken nach Kabuki-Masken angefertigt, Schminktechnik direkt aus dem japanischen Theaterkult übernommen. Interessant in diesem Zusammenhang die Vorlage: die geschminkten Gesichter der japanischen Darsteller wurden in ein Tuch gedrückt — eines dieser Exemplare befindet sich in Wien. Der recht heiklen Aufgabe, ostasiatischer Auffassung gerecht zu werden, begegnete man durch einen eigenen, expressionistischen Stil und eine stark rhythmisch und choreographisch bestimmte Verfremdung. Der Barockabend „oh all gepeyn verbleychet“, zusammengestellt nach einer alten Hauspostille, zeigt eine lose Foge von Gedichten und Szenen aus der Barockzeit, welche im Laufe der letzten hundert oder zweihundert Jahre vergessen worden sind. Anregungen bildeten wiederum alte Stiche, Porzellanmalereien, Gemälde. „Friederike Kempner: die schlesische Nachtigall“: Prototyp des deutschen Kitsches, von Gattin Ilse Scheer rezitiert. Mit „Rashomon“ wurde abermals ostasiatischem Kulturgut nachgegangen, dabei die nun vertieften Kenntnisse des Kabuki-und No-Spieles unter Beihilfe des damaligen japanischen Kulturattaches angewendet. Die Texte, welche wahrscheinlich von japanischen Studenten ins Deutsche übertragen worden waren, ließen sich als Bühnensprache kaum verwenden und machten eine Umarbeitung notwendig. Bei aller Bezugnahme auf traditionsgebundene japanische Elemente sollte etwas gänzlich Neues dargestellt werden. „Hamlet, oder der gestrafte Brudermord“ führt in das 17. Jahrhundert, die Zeit der englischen Wanderkomödianten. Dann Rezitationen der Gedichte Morgensterns — betont expressiv. „Pomfüne-beren“, eine Groteske von Conny Hannes Mayer, im Kärntnertortheater aufgeführt und von der Kritik stark angegriffen. In jüngster Zeit hat das Puppenspiel nach Georg-Trakl-Stücken einiges Aufsehen erregt. Menschen als Marionetten — ein faszinierendes Ergebnis, getragen von der expressiven, ans Mythische anklingenden Sprache Trakls, unterstrichen durch die ausdrucksvollen Masken Erwin Piplits.

Dieser kurze Einblick in die Programmgestaltung soll das Suchen nach neuen Ausdrucksmitteln an Hand alter Stoffgebiete deutlich machen. Das Ziel C. H. Mayers jedoch besteht darin, unter Mithilfe des Ensembles (fast jedes der Mitglieder ist in irgendeiner Form schriftstellerisch tätig) neue Stücke zu schreiben, Stücke, welche Stellung nehmen zu den Problemen unserer Zeit, und in einem eigenen Theater aufgeführt werden können. Ein immerhin beachtlicher Plan. An Enthusiasmus scheint es nicht zu fehlen. Das zeigt auch der Eifer im Probenraum im Haus der Jugend in der Zeltgasse, welcher C. H. Mayer nebst Bühne zur Verfügung gestellt wurde. Denn auf handwerkliches Können wird großes Gewicht gelegt. Das heißt: Proben vor der Vorstellung, Proben nach der Vorstellung und oft bis spät in die Nacht. Einzelproben, Ensembleproben, Dramaturgie, zwei Stunden Gymnastik täglich, eine Stunde Sprechtechnik. Jedes neue Stück verlangt eine mindestens dreimonatige Vorbereitung — dazwischen dürfen aber auch die alten Stücke nicht vergessen werden, was ein Frischhalten durch weitere Proben erfordert.

Aus dem Zusammenstoß der Konfektionierung einerseits und dem Anspruch auf Qualität anderseits ergeben sich für jeden Theaterleiter kaum zu bewältigende Schwierigkeiten. Er soll gleichzeitig mit seinem Geldgeber verhandeln und mit den Schauspielern, neue Stücke suchen und alte verbessern, Proben abhalten und einteilen. Dabei befindet er sich in einem ständigen Kampf gegen die Sensationslust des Publikums, dem Unbedingt-berühmt-werden-Wollen der Schauspieler und in einem ständigen Wettlauf mit der Zeit. Gerade aber weil das Theater in seinem ganzen Wesen der Automatisierung widerspricht, ist es diejenige Institution, welche am meisten unter ihr leidet. Das Ergebnis: Qualität auf Kosten von Quantität. — Das einzige Mittel dagegen ist: intensive Arbeit.

Ein Blick in C. H. Mayers Probenraum kennzeichnet die Situation: Die eine Hälfte davon wird eingenommen von einer Sprechprobenbühne, die andere ist Schauplatz mimischer und gestischer Übungen. C. H. Mayer beweglicher Mittelpunkt: „Danke — und jetzt noch einmal.“ Hand, Arm und Körper des Schauspielers gewinnen ein, wenn auch genau vorberechnetes. Eigenleben. Er spricht seinen Part. Daneben turnen Leiber in Trikots rhythmische Spiralen. Und dann: „Noch einmal!“ Das Eigenleben verdichtet sich. Doch spricht er jetzt leiser — denn die Stimme muß geschont werden. „Diese eine Stelle — der Schritt ist zu klein — die Bewegung abgehackt. Breiter die Armbewegung — und dabei etwas mehr nach rechts!“ — Gattin Ilse bringt ein Butterbrot — man hat heute noch nicht Mittag gegessen. Auch die Gymnastik darf sich eine Pause gönnen. Dann kommt jemand und will den genauen Auftrag für das Plakat formuliert wissen. Inzwischen wird die Probe für das Ensemble festgesetzt. Im Nebenraum sitzt die Kostümschneiderin und zeichnet neue Entwürfe. Jetzt Telephon bezüglich des Gastspiels in Berlin. Dann wieder ein Butterbrot, denn es kommt ja bald der Abend. Die Programme müssen fertig sein bis nächsten Mittwoch.. „Ja, das war gut. Aber diese Stelle, bitte, noch einmal!“ Es ist 19 Uhr. Um 20 Uhr beginnt die Vorstellung. Noch ist Zeit für ein wenig Sprechtechnik Zeit... Zeit... keine Zeit! — Ein Regisseur ist nicht zu beneiden.

Und wie soll das Theater beschaffen sein, welches den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht? Darauf eine Antwort zu finden ist schwer. Es hieße in die Zukunft schauen und Prognosen über eine völlige Stagnation oder entsprechende Umwandlung stellen. Doch muß jedes Experiment begrüßt werden. „Die Komödianten“ verfolgen eine Spur. Es ist immerhin ein Risiko, diese Probleme zur Diskussion zu stellen. Trotzdem, sollte man sie deshalb verschweigen?

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