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IM STREIFLICHT

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DER Einfall, gute Literatur in derbe Kolportagebilder einzubinden, um die Angst vor guter Lektüre — von der die „Masse“ offenbar besessen ist — zu mindern, diese idealistische Spekulation auf den schlechten Instinkt also ist schon nicht mehr neu: die Auslagen unserer Buchhandlungen sind voll von den bekannten Ro-ro-ro-Bänden und ähnlichen Editionen konkurrenzierender Verlage. Wir wissen nicht, ob die verschiedenen Versuche, mit gleichen Mitteln wertvolle Literatur auch an die jugendliche Leserschaft der verschiedenen Detektiv-, Wildwest- und Gangsterstories heranzutragen, bis jetzt von Erfolg gekrönt worden sind; der Jugendbuchreihe des Verlagshauses von St. Gabriel jedenfalls — außen etwas zu effektvoll, innen sauber, Titel: „Frische Saait“ — wäre der Erfolg jedenfalls zu wünschen. Sie verdiente ihn schon, weil sie den „Coyote" mit dem Arnim- schen „Tollen Invaliden" aus dem Felde schlagen will.

DURCHAUS solidarisch erklären wir uns mit dem Glossisten der „Presse", der anläßlich einer Leseaufführung von Csokors neuem „Pilatus“-Drama gegen die mehr und mehr einreißende Übung wetterte, solche Lesungen gleichsam als Alibi für nicht stattfindende Bühnenaufführungen zu betrachten. „Immer sprachen in diesen Leseaufführungen Schauspieler des Burgtheaters die Dramengestalten, die darzustellen ihnen verwehrt war" — und als Beispiele werden Stücke Csokors, Lernet-Holenias („Saul und Alkestis“) und Hauptmanns zitiert. Man könnte sich dieser Meinung und diesem Protest ohne weiteres anschließen, würde man sich des fatalen Gefühles nur erwehren können, daß sie eher noch den Leseaufführungen das Dasein erschweren, als Theateraufführungen provozieren...

ENDLICH, endlich: nach jahrelanger Weltreise kehren die Schätze des Wiener Kunsthistorischen Museums zurück; das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum war die letzte Station auf ihrer Fahrt Die Reise war erfolgreich, sie blieb es bis zuletzt; 90.000 Personen haben sie in Innsbruck im Laufe von drei Monaten aufgesucht und bewundert — das ist angesichts einer Einwohnerzahl von 98.316 Menschen eine fast phantastisch anmutende Zahl. Nun ist nur die Frage: Werden die Wiener diesen ihren Bildern in den nächsten Monaten auch soviel Aufmerksamkeit und Respekt entgegenbringen, wie er ihnen von den Einwohnern so vieler europäischer, amerikanischer — und österrichischer Bundeshauptstädte gezollt wurde?

VOR etwa sechs Wochen wurde von der Ravag ein neues „symphonisches Jazzorchester“ angekündigt, dessen vornehmliche Aufgabe sein sollte, das Niveau der Unterhaltungsmusik zu heben, und wir waren voller guter Erwartungen. Inzwischen hat das Ensemble wiederholt an Sonntagnachmittagen konzertiert. Das Programm zeigte wenig „besondere Merkmale" und beinhaltete — leider! — auch jene Chansons mit den teils kindischen, teils indezenten Texten, die man als „Schlager bezeichnet. Wir sind enttäuscht! Wenn dann noch bei der Ansage der einzelnen Nummern die Solisten Vorschußlorbeeren erhalten und das originelle Arrangement — im voraus! — gerühmt wird, so sinkt unsere gute Laune um einige weitere Grade. Das Urteil über die Darbietungen möge man doch dem Hörer überlassen. Denn, wie sagt das Sprichwort: Eigenlob — klingt?

EIN glanzvoller Rahmen, wie ihn vielleicht die ganze, aller Ehren volle vier Jahrzehnte alte Chronik der Wiener Filmpre- mieren bisher nicht gekannt hat, umgab die Uraufführung des Osterreichfilms „1. April 2000". Vom denkbar illustresten Publikum über einen anspruchsvollen Bühnenrahmen bis zum witzigen Programmheft — eine Meisterleistung bedachter Strategie. Schade, daß man dieser noblen Geste nicht auch noch das kindische Wort „Welturaufführung“ geopfert hat. Gewiß, der Jargon des Metiers kennt noch schlimmere Wortungetüme wie „Zweite Uraufführung", „Bezirksuraufführung“, „Grazer Uraufführung", aber hier war doch einmal Gelegenheit (ohne die „deutsche Uraufführung" herabsetzen zu wollen), schlicht und einfach „Uraufführung zu sagen und zu schreiben, und gerade bei so festlichem Anlasse das Wort in seine alten Ehren wieder einzusetzen. Sie ist vertan, und das Echo wird sich fortsetzen bis „Wiederuraufführung" und „Urweltaufführung".

SPRACHSÜNDEN scheinen zum stehenden „Gag" des Filmdialogs zu gehören. Bei der Erstaufführung eines Wiener Lustspiels geschah es vor kurzem, daß ein erstrangiger Darsteller zweimal knapp hintereinander laut und vernehmlich „ohne allem" sprach. Wenn schon nicht von einem beliebigen Otto oder Wilhelm oder Fischer: von einem Angehörigen jener Bühne, aus der man einmal den kultiviertesten deutschen Sprachkanon, das „Burgtheaterdeutsch“, abgeleitet hat, war zu erwarten, daß8er zwischen „ohne mir“ und — „ohne meiner“ unterscheiden könne...

Aus deutschen Filmfachkreieen wird bekannt, daß dem Film in den Kreisen der Erwachsenen ein ehrlicher Achtungserfolg be- sdiieden war. die Gefolgschaft der Jugend aber in sdurferzlichem Ausmaße versagt biieb. Die Wiener Verleihgesellschaft ist bemüht, diese Lücke zu schließen und den Film mit allen Mitteln an die heranwachsende Generation heranzubringen. Das ist lobenswert, als Gegengewicht nicht nur zum Wildwester, sondern auch zu jener Friedensliebe“ mit Wenn und Aber, mit Vorbehalten und Hinterhalten, mit Augenzwinkern und Zur-Seite-Blicken, die in unseren Tagen, sieben Jahre post festům, als fatale Mode wieder einzusidcern droht. Aber über die ehrgeizige, tüchtige Werbeabteilung der Sascha“ hinaus müßten noch andere bemüht sein, der Jugend den Glauben an die fehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit des Friedensprogramms solcher Filme wiederzugeben. Unsere Jugend müßte erst anderes sehen als ihr Konterfei auf Plakaten, ehe sie uns, ehe sie dem Film dieses glaubt: Ruhig, lebensfordernd und in natürlich-harmonischem Takt schlägt das Herz der Welt nur im Frieden. Im Krieg fliegt es, rast es. Oder es steht still.

Für die verschuldeten und unverschuldeten Abweichungen von dem Aufruf, Österreich solle heiraten und nicht säbelrasseln, hat die Historie Land und Volk 200 Jahre lang hart genug mit dem bestraft, was die Geschichtsbücher sehr witzig Friedensschlüsse nennen. Hubertusburg 1763: Verlust von Schlesien: Teechen 1779: Bayern; 1806: die verlorene deutsche Kaiserwürde: 1809: das verlorene Herz von Tirol; 1859/66: Lombardei und Vene- zien; 1918/19: sechs Siebentel des alten Reiches. Den höchsten Preis für den Frieden zahlte Österreich 1945 mit der bis heute hartnäckig andauernden Befreiung. Nicht einmal ein Friedensschluß oder Staatsvertrag wurde ihm bisher als Quittung dafür ausgestellt. Folgerichtig verlängert ein anderer Film unserer Tage, der ,O s t e t r e i c h - F i 1 m“, diesen Zustand permanenter Friedlosigkeit in das Jahr 2000 hinein und droht an einer Stelle durch den Antrag vor einer unfaßbar hohen Weltinstanz, die Bevölkerung Österreichs wegen flagranten Friedensbruches in die Wüste zu evakuieren. Das war das Ende“... Hier aber beginnt die österreichische Tragödie zynisch zu werden und wird, nach den drei tragischen Spielen der griechischen Tetralogie, zum Satyrspiel.

Daß von den vielen, vielen Kritikern, die den neuen UnglÜcksfilm, Film des Unglücks der glücklichen Austria, in den letzten Tagen in Gesprächen und Artikeln klitterten und wogen, hinauflobten oder zertraten, noch kein einziger das Unglückliche, das Verzweifelte hinter seiner Grimasse gesehen hat! Dies muß uns für den Film, für seine achtbaren, sauberen, verzweifelt abgerackerten großen Könner einnehmen: dieses erschütternde österreichische Kompromiß, das Recht nicht in ernsten Tönen verfechten zu dürfen, sondern hinter der Maske einer kommerziell gängigen, international gestatteten und daher höheren Orts unbedenklichen Heiterkeit made in Austria verstecken zu müssen. Jawohl: zu müssen. Jede andere Lösung hätte einen Skandal, ein Unheil heraufbeschworen. Es hieße außerdem die grausige Komik auf die Spitze treiben, wenn wir mit tierischem Ernst bei unseren hohen Gästen mit unserer friedlichen Sendung und militärischen Unbedenklichkeit angeklopft hätten („Darf ich so frei sein, frei zu sein?") — da es „dabei“ in der Wirklichkeit ja gar nicht darum, um Österreich selbst, um seine Geschichte und Kultur, sondern lediglich um unsere sinnlos-zufällige geographische Ver- keiltheit in die Machtblöcke der Großen geht! Jason, ich weiß ein Lied“, ich weiß mich an einen 20 Jahre alten Conny-Veidt-Film zu erinnern, da geht ein hemmungsloses, dröhnendes Lachen in ein gurgelndes Schluchzen über. Es scheint, hier ist es umgekehrt. Und darum achtet, schätzt, liebt diesen Film. Er ist so, wie er sein mußte und nicht anders sein konnte. Redet, schlagt ihn nicht tot, den Hund. Er ist ein Monument.

Am „1. A p r i 1 2 0 0 0“ verkündet der österreichische Premierminister vor aller Welt und den vier Besatzungsmächten die volle Souveränität des Staates und beschwört damit das allerhöchste Einschreiten einer sehr würdigen, mit modernsten Waffen ausgestatteten, von einer scheinbar ungeschlechtlichen Amazone präsidierten Weitschutzkommission (We-Schu-Ko) herauf. Auf der Anklagebank erwägt der Premier blitzschnell, offenbar diplomatischer als die Kritiker von 1952, die Methode seiner Verantwortung. Was imponiert so einer We-Schu-Ko? Die Schlacht bei Akkon, der Türkensommer 1683, der hintergründige Bänkelsang des Lieben Augustin, ein rauschender Akkord bei prunkvoller Hochzeit im Dom? Der Angeklagte probiert es, aber es geht — vor diesem Forum! — eigentlich nicht recht weiter damit. Wahrscheinlich ginge es auch nicht mit dem Vogelweijder und dem Nibelungendichter, mit Beethoven und Grillparzer, Billroth und Wagner-Jauregg, aber das läßt er lieber gleich — wohlweislich! — sein. So fällt die erste Runde eindeutig an die We-Schu-Ko. Die zweite Runde läßt sich schon freundlicher an: Belvedere, Schönbrunn, die Hofburg, die Spanische Reitschule. So was imponiert diesen Demokraten. Einschlägt es aber erst in der dritten Runde. Ach, das trinkt und liebelt und jodelt, der Strauß und der

Millöcker mischen sich drein, alles wiegt und kriegt sich, sogar das Herz der Welt (-Schutz- Kommission) schmilzt unter dem Panzer der Würde, der Ankläger ist k.-o.-gejodelt und der Freispruch Österreichs ist nur mehr eine Formsache. Die Gondel mit der Kommission hebt sich, aber die Präsidentin — tu felix Austria — bleibt zurück, die Kriege führen die anderen, pardon: die Truppen der We-Schu-Ko rotten andere Friedensbrecher aus. —

Die dritte Epoche der österreichischen Filmgeschichte (nach der ersten: der Waschtrogepoche der Sascha Kolowrat, Fleck und Kolm, und der zweiten: einem richtigen, Amerika mehr als der Bibel abgeguckten „Sodom und Gomorrha"), diese dritte war die aetas aurea. Über ihrer Pforte (1933) stand sehr sinnig: „Leise flehen meine Lieder", auf ihrem Gipfel aber wehte — nomen est omen — die Fahne „Maskerade . Also schon damals, 1934: Maskerade ...

Ernst Marboe, Herausgeber des unvergeßlichen „Österreich-Buches“, hat in der vierten, eben währenden Epoche des österreichischen Films diese ehrenvoll zerfetzte Fahne „Maskerade“ wieder aufgenommen und Schulter an Schulter mit dem zweiten Drehbuchautor und Kollegen von der anderen Fakultät, Rudolf Brunngraber, und dem Führer im Streit, Regisseur Wolfgang Liebeheiner, tapfer, das Herz in der Hand, nicht in der Hosentasche, gegen den Feind getragen, in der Flanke gefährlich bedrght von „Christen, Kommunisten und Spiritualisten" , aber mit kampf- und schlagkräftiger Zentrumssicherung: dem Generalaufmarsch erlauchtester Darsteller von sieben Wiener Groß- und Kleinbühnen (voran Hilde Krahl und Josef Meinrad), den Philharmonikern und Sängerknaben, den großen Stimmen und graziösen Beinen der Staatsoper, mit Barock und Heurigem, Dom und Prater, Großglockner und Kaprun.

Er kam, sah Und siegte. Wohl, es gab auch Scharten. Der Film tendiert mehr zu Wiener Werkel und Brettel als zu Aristophanes, Nestroý und Co., manches wiegt zu leicht, mancher Kalauer gar nicht, einige Schnittstellen kamen recht roh, schroff, ja brutal, und der Stoß, von dem man sich offenbar am meisten versprochen hatte — ein aktuelles Österreich-Chanson im Marschtakt —, ging infolge seiner textlichen und musikalischen Harmlosigkeit hörbar in die Weiche. Auch gehört es zur österreichischen Tragödie, daß wir in West-Wien heute über keine Farbfilmeinrichtung verfügen. Gerade dieser Film hätte eine ungeheure Illusionäre Dimension von dieser Seite bekommen.

Trotzdem gab es am 19. November 1952 im Apollo zu Wien, vor einem Forum wie noch nie zuvor, ehrliche, verdiente Ovationen wie noch kaum zuvor. Sie werden noch herzlicher, rauschender sein, wenn dieser Film an die richtigen Ohren gelangt und als Satyrspiel eine österreichische Tragödie zu beenden mitgeholfen hat. Sei es auch erst am 1. April neunzehnhundertixzig.

Diese Würdigung zweier in Art und Rang sehr unterschiedlicher, in ihrem Blick auf den Grund österreichischen Wesens und Schicksals aber sehr verwandter Filme, wohl der bedeutendsten Ereignisse des heurigen Wiener Filmjahres, darf nicht ohne einen persönlichen Hinweis schließen. In diesen Tagen, in diesen beiden Filmen nähert sich die künstlerische Entwicklung einer österreichischen Schauspielerpersönlichkeit einem weithin sichtbaren Höhepunkt von Weltrang, wie er von Filmösterreich seit 18 Jahren nicht mehr erreicht worden ist. Hilde Krahl erreicht im „Herz der Welt" eine Gefühlsskala von atemraubender Spannweite, vorn verliebten Komteßchen zur leidgeprüften, weißhaarigen Matrone; in „1. April 2000" erlöst sie mit sparsamster Mimik und Gestik ein mystisch-utopisches Supermannweibchen von bizarrer Dämonie zu einer liebenden Frau und einem liebenswerten Menschen. Beides vollendete Leistungen der Maskenkunst und des Charakterspiels, die sich leise, ohne arrogant auf Jugend, Ehr und Ruhm zu pochen, aber nach dem unerbittlichen Gesetz der Wandlung und Erneuerung, dem schweigsamen Thron der großen Wessely schwesterlich nähern.

Die am Südostrand des alten großen Donaureiches Geborene, in Wien Entdeckte und künstlerisch Gereifte, ist auch in Hamburg, wie der Österreich-Film eben dartut, die uns- rige geblieben. Möge sie es weiter sein. Hilde Krahl gehört nicht zu jener fatalen österreichischen Emigration, die zu schielen und auf dem Stuhle zu wetzen anhebt, wenn nur die Rede ist von D-Mark und Dollar. Sie hat vielmehr, einem Zug des Herzens folgend, den Norden gleichsam geliebt und geheiratet. Dies aber ist im Grunde keine Tragödie, sondern nur ein Liebesroman. Und ein österreichisches Schicksal. Roman H e r 1 e

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