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Vor-Ostern auf Wiener Bühnen

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Drei leere Stunden im halbleeren verkühlten Haus der Ronacher-Burg: die Premiere von Hasencleve'rs „M ünch- hause n“. Vergebens suchen die wenigen Besucher auf der Bühne etwas Brennstoff für Geist und Seele zu eräugen, vergebens müht sich ein wackeres Ensemble dem langweiligen und allzu lang weilenden Papier des Manuskripts Leben einzuhauchen. Groß und sehr gekonnt überwuchten Judt- manns Bühnenbilder — ein Alptraum des Barocks — das müde, kleine sentimen- talische Stück. Uns fröstelt: dies also ist das Ende Walter Hasenclevers, der so mutig in den Sturmtagen des ersten Weltkrieges, gemeinsam mit einer Elite neuer deutscher Dramatiker, begann: Flucht in den Biedersinn einer Romantik, der weder die Kraft des Gestern noch des Morgen eignet. Vielleicht gibt es eine biographisch-historische Erklärung für diese Peinlichkeit. Hasen- dever, der in der Emigration in Frankreich lebte und daselbst in einem Anhaltelager kurz vor dem Eintreffen der Gestapo Selbstmord verübte, war augenscheinlich sehnsuchtskrank: „Deutschland, das ist

Münchhausen“, so tönt es, den inneren Schmerz des Einsamgewordenen verratend, einmal aus dem Munde eines Rollen trägers dieses quälenden Schauspiels.

Hieronymus von Münchhausen, dieses prächtige Ur- und Sinnbild deutscher Eulenspiegelei und Don-Quichoterie, um dessen erlauchten Namen das Volk jene Dichtungen und Legenden rankte, welche in den Garküchen und Ratstuben der Städte, an den Kaminen der Schlösser, in den Trinkhallen der Patrizier, auf dem Dorfmarkt unter der Linde üppig ins Grün und Blau eines frühlingsstarken Erwachens quellfrischer Phantasie emporschossen — was ist aus ihm bei Hasenclever geworden? Ein matter Greis, der vergebens sein welkendes Leben durch fadenscheinige Histörchen zu zieren sucht: gut, dies wäre ihm zu verzeihen,

wenn er dafür nicht die Bühne der Burg mißbrauchen würde und durch eine unverzeihliche Torheit — die Verheiratung mit einem 17jährigen Gänschen — sehr unanständig versuchte, sein schwaches Bühnenleben auf fünf Akte zu erweitern!

Schade: um die Kosten der Aufführung, das redliche Mühen der Schauspieler, die Kunst des Bühnenbildners — und nicht zuletzt um die Zeit der Besucher.

Diese kommen hingegen sehr auf ihre Rechnung bei dem feinabgestimmten Abend, den das Theater in der Josef stadt seinen Gästen mit dem Schauspiel von T e r e n c e R a 11 i g a n, „D er Winslow -Bo y", bereitet. Eine kultivierte Abendunterhaltung, im Genre einer englischen Mittelstandsfamilie, über das Thema: Der Einzelne und der Staat, das Recht der Persönlichkeit und die Forderung des Kollektivs, die Not des Individuums und der große Notstand der Zeit! Ein Thema also für Deklamationen, für Rebellionen und Revolutionen auf der Bühne vieler Völker und zumal der Weltgeschichte: hier wird es zum Anlaß einer Familiengeschichte, in deren nahsichtig doch nicht nachsichtig dargestellten Enge und Beschränktheit sich die Größe einer Nation spiegelt. 1912 wird der dreizehnjährige Ronnie Winslow (das Stück folgt der Wirklichkeit) nach einem summarischen Verfahren wegen angeblichen Kameradschaftsdiebstahls aus einer königlichenglischen Seekadettenschule ausgeschlossen. Sein Vater, Arthur Winslow, schenkt seinem Kind mehr Glauben als sämtlichen hohen, höchsten und allerhöchsten Instanzen der Admiralität, des Unter- und Oberhauses — er kämpft also um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, um die Einleitung eines ordnungsgemäßen Prozesses und opfert diesem Kampf sein Vermögen, den Frieden seiner Familie, das erste Glück seiner Tochter. 1914 ist es V weit: während die Schatten des kommenden Krieges die Köpfe der Admirale, der Unter- und Oberhausmitglieder bereits zusehends zu verdüstern beginnen, nimmt die Öffentlichkeit erregt Anteil am Schlußakt dieses Prozesses: es geht um eine Verwirklichung des schwererkämpften Grundgesetzes des englischen staatspolitischen Lebens, der Petition of Right: „Laßt Recht walten.“ Ein sehr feiner Instinkt des englischen Volkes feiert nun einen Triumph. Es weiß, daß Kriege, welche angeblich oder auch tatsächlich für die Erhaltung der äußeren Freiheit geführt werden, seit Jahrhunderten in Europä dazu gedient haben, die innere Freiheit zu unterdrücken.

Als sich die Admiralität vor dem Wins- low-Buben beugt, hat das englische Volk eine Schlacht gewonnen, welche die innere Voraussetzung für den äußeren Sieg herstellt. An Gedanken und Problemstellungen, die unserer Zeit etwas zu sagen haben, fehlt es also in diesem Stück gewiß nicht. Um so dankbarer ist das Publikum für die hohe Bescheidung, Nüchterheit und phrasenlos schlichte Art der Darstellung. Die Menschen und Geschehnisse sollen für sich selbst sprechen. So sprechen hier für England ein großer Politiker und Rechtsanwalt (Sir Robert Morton) und — ein Kind.

Das Studio der Hochschulen hat sich an die Uraufführung der „dramatischen Phantasie“ von Hans Weigel, „D i e Erd e“, gewagt. Weigel ringt hier mit einem Problem, das seit geraumer Zeit ein Anliegen moderner Kunst ist: um die Einholung der großen Taten und Symbole des biblischen und religiösen Geschehens in Gewand und Vorstellungsform unserer Zeit.

Als Ahnherr dieses Mühens und seiner zweideutigen Problematik darf vielleicht der Spanier Unamuno angesehen werden. In einer Novelle, „Der Heilige“, schildert er einen Priester, der in einer „gottverlassenen“, in Armut und Verkommenheit versunkenen Wüstenei des inneren Spaniens seinen Bauern, ja allen Bresthaften und Unterdrückten des Landes zu einer Art Erlöser wird. Dieser Priester reibt sich in rastloser Arbeit, Mühe und Sorge auf, allen anderen, allen Mitbrüdern nimmt er die Sorge, nur sich selbst kann er nicht erlösen, nicht befreien: im Tiefsten glaubt er nicht an seine Seqdung, ja er ist ein Verzweifelt- Ungläubiger, der sich verzweifelt müht, seinen Mitmenschen den Glauben zu bringen, den er selbst nicht tragen kann. — Ist es Zufall, daß durch Unamunos Kierkegaard-Übertragung das Wort „Existentialismus“ Eingang in den französischen Sprachschatz fand?

Dieselbe verzweifelte (da auf einem tiefen inneren Zwiespalt ruhende) Ausgangsposition bezieht der Amerikaner Th. Wilder in manchen seiner „Drei-Minuten.Stücke für drei Personen“: hier agieren Menschen,

welche den festen Boden der Erde unter ihren Füßen verloren haben, weil sie weder im Himmel noch auf Erden beheimatet sind. Ehedem nannte man solche Menschen teils „Dichter“, teils „Phantasten“, teils „Narren“, auf keinen Fall jedoch sollte man sie „Heilige“ nennen. Dies aber intendiert Weigel in seinem Stück „Die Erde“. — Der Versuch, ein christusförmiges Leben in unserer Zeit, in unseren Tagen darzustellen, wobei als Anleihe und Zwischenmusik ver sucht wird, die Essenz von zweitausend Jahren Geschichte der Kirche und der Christenheit in einer etwas gewaltsamen Abbreviatur darzustellen. — Schade, der unleugbar gute Zweck wird durch die Unzulänglichkeit der Mittel weithin erschlagen. Dieser junge Mann Justus, der seinen „Vater“ im Himmel sucht und für seine „Brüder“ auf Erden Liebe, Gerechtigkeit, Erlösung wirken will, ist weder ein Heiliger noch auch ein Christ, obwohl er reichlich Anleihen aus dem Wort- und Erfahrungsschatz beider zu tätigen sucht. Vielleicht will er beides gar nicht sein — wie seltsam mißlingt ihm aber auch das Grandanliegen seines Lebens: das große Trösten, das Trostbringen. „Die Erde“, das Spiel von einem „Gerechten“, der den Menschen der Gegenwart die Kunde vom „Vater“, vom „Reich“ der Gerechtigkeit, der Liebe und Versöhnung bringen will, ist der sehr zaghafte Versuch eines modernen Osterspiels in neuen Formen. Er ist nicht geglückt, weil die innere Substanz fehlt —, der Schleier der Worte birgt kein Geheimnis.

Die Gesellschaft der Förderer neuer österreichischer Drama- t i k veranstaltet im Studio der Josef stadt die Uraufführung des von ihr preisgekrönten Schauspiels „Audienz bei der Gottheit“ von Del a Geyer. Philipp Zeska führt Regie, ein Ensemble von Schauspielern der Burg und der Josefstadt spielen mit Verve, das Publikum geht lebhaft mit — der Erfolg eines geglückten Experiments.

Ein Lust-, ein Scherzspiel, durch dessen historische Kulisse und heiter-amüsante Maske sehr deutlich das bitterböse Antlitz sehr zeitnaher Vorkommnisse durchblickt. In Rom herrscht, als Gottkaiser und Welttyrann, Caligula. Das Volk, der Erdkreis zittert vor ihm. Intriganten, Betrüger und eitelschwache Menschen, welche um ihre hohe Stellung bangen, nähren seine Gelüste, steigern die Maßlosigkeit seiner Leidenschaften zur Siedehitze. Arme Welt, armes Rom des Jahres 39 nach Christi... Das Publikum, welches dem neronischen Narren noch 1900 Jahre zugibt, lächelt verständnisinnig.

Ein heikles Thema also und doch wird es hier in statthafter Weise angepackt, die Komödie des Dux, des Gottführers des ersten, welche die Tragödie um die Duces des 20. Jahrhunderts durchschimmern läßt, entgleist nicht. Es rollen auch keine Köpfe, der drohende Krieg findet nicht statt, denn es findet sich — in der Komödie — ein Mann, der es versteht, den von Eitelkeit und Machtsucht zerfressenen Großtyrannen, wenigstens für Stunden, der Stimme der Menschlichkeit zu erschließen. Dies ist Philon von Alexandrien, der große Philosoph des hellenistischen Judentums. Aus seiner Vaterstadt war er nach Rom geeilt, um Caligula zur Lehre des Logos, der Weltvernunft und der Humanität zu bekehren. Da dieser Philon (bei Dela Geyer) nicht nur Weisheitslehrer, sondern auch Menschenkenner ist, sieht er bald die Unmöglichkeit seines Unterfangens ein. Schnell entschlossen begnügt er sich, um wenigstens etwas zu retten, damit, einigen Menschen und einigen Weltstunden Furchtlosigkeit,

Sicherheit, Frieden zu mittein und kehrt dann nach Alexandrien zurück.

Die Komödie maßt sich also nicht an, mehr als die Tragödie der Wirklichkeit zu geben. Schöne Bescheidung — und hier darf auch ein Erfolg dieses Stückes gesehen werden — es will nicht mehr geben, als ein kluger, geistreicher und sehr warmherziger Mensch zu geben hat — ist dies aber nidit schon sehr, sehr viel?

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