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Nicht Hoffnung, sondern Wirklichkeit

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Welch ein Hohn! Die „Eine Welt“, die „Menschheitsfamilie“, die globale Kommunikation mitmenschli-fcher Solidarität! Dieser Erdball voll von Haß und Bitterkeit, Schrecken und Angst, Not und Pein, Hunger und Hypertrophie der Reichen und Superreichen. Diese nahezu kosmisch wahrnehmbare Bedrohung, „Aggression“ schlechthin. Und nimmt man's genau, bedarf es eigentlich gar nicht der analytischen Bewältigung des Nord-Süd-Konfliktes zwischen Industriepotenzen und Habenichtsen der berüchtigten „Vierten Welt“ McNa-maras; bedarf es nicht der wechselseitigen Prognosen einstürzender Sicherheitskonzepte, ausgespielt von West nach Ost und Ost nach West; nimmt man's genau, flammen die Zeichen ungezählter Niederlagen, Debakel, Katastrophen, Widersprüche, Kontroversionen auf wie Glutnester nach einem Weltenbrand. Scheitern nach Erfolgen, Einstürze nach Triumphen, Entleerung nach Erfüllung, „Un-Glück“ nach „Glück“ scheint das diabolisch verderbte Schicksal der species Mensch zu sein. Allen Träumen, allen Sehnsüchten (den legitimsten unter den Süchten) zum Einspruch, zum Trotz, zum Widerpart. Scheint doch Siegmund Freud das Rechte zu sagen: „Die Schicksalsfrage der Menschenart dünkt mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden...“

Aber die „Sachlichkeit“, die Sachprobleme, Sachbezüge, die dreimal maledizierten „Realitäten“, an denen man doch nicht vorbeiphilosophieren kann? Der Zusammenprall von Vorgestern und Übermorgen, die nukleare Bedrohung aneinander und gegeneinander und mitunter miteinander, die ABC-Waffen in den Händen internationaler Terroristen mit und ohne Nervengasattacken, die ideologischen Eigenheiten und Eigengesetzlichkeiten der afroasiatischen Welten, die messianischen Hoffnungen auf die ,,-ismen“ mit der Leuchtkraft endgültiger Befreiung (von allem)? Kann man denn das mit frommen Sprüchen tilgen? Der Clinch, in den die ölproduzierenden Länder Arabiens die westliche Welt preßten und treiben werden, die Labilitäten von Weltwährung und Weltwirtschaft (weiß der Himmel, was Vorrang hat), die Komödie im Glaspalast von New York, dessen dritte, blockfreie Mehrheit sich zu den Siegermächten Indochinas gesellt hat, um den Sitzstaat „USA“ zu „schneiden“, wie man so schön im Wiener Jargon zu sagen pflegt. Muß man diese Faktoren nicht nach arithmetischen Usancen ins Kalkül ziehen, um dann schließlich mit der Bombe zu leben?

Und die Angst, daß „science fic-tion's“ aus Kindertagen von heute zum tödlichen Schrecken der Jahrtausendwende reifen; weiß etwa Ronald Pretty in seinem britischen Jahrbuch über Waffensysteme, Ausgabe 1976, Tröstliches für die Zeitgenossen zu vermelden: Die UdSSR und die Vereinigten Staaten befänden sich zur Zeit in einem „mörderischen Kopf-an-Kopf-Rennen um die Entwicklung von Laser-Waffen, durch die das militärische Gleichgewicht der Welt empfindlich gestört werden könnte“. Militärische Forschungsstätten unter den Zeichen von Pentagon und Kreml bereiten seit langem den Einsatz von Laserstrahlen für die kommende Konfrontation vor, zunächst wohl im Weltraum. Dort vermag man ja sozusagen ungestört einander zu treffen, wie das Apollo-Sojus-Unternehmen Anno Domini 1975 demonstrierte.

Schläft also Gott, schläft der angebliche Herr über die Geschichte, angesichts dieser realbezogfnen Informationsexplosionen? Weiß Er nicht ein und aus: Im Jahre 2000 werde es auf der Erde etwa 7 Milliarden Menschen geben, von denen 63 Prozent in Asien, nur 15c Prozent in Europa leben werden. Werden

die Hekatomben von Leib und Seele einander erschlagen und morden und auffressen vor lauter nacktem Hunger? Hat er recht, dieser Physiker Heinz von Förster, der den 13. November 2026 als den „Tag des Statistischen Jüngsten Gerichtes“ berechnet hat? An diesem glorreichen Datum werde nämlich die Zahl der Menschlein so groß sein, daß sie einander physisch erdrücken könnten oder würden, so sie einander nicht zuvor ausrotten, mit Stumpf und Stiel. Schläft Er, wie damals am See Genezareth? Nimmt er die Verwirrungen nicht wahr? Die Vermischung der Konturen, das Verfließen der Abgrenzungen auf ideologisch-gesellschaftspolitischem Gebiet, zwischen Staaten und Mächten, Kräftegruppen und Ideologien, den weltanschaulich-militanten Formationen unter den Schellenbäumen und Bannern, Sicheln, Hämmern und anderen Symbolen mit und ohne Pentagramm. Zwischen den Konven-tikeln und geheimen Zirkeln, den Logen und Bruderschaften der Dunkelheit, gekoppelt mit dem Glanz internationaler Freiheit, als die sich alleweil noch Geld und Kapital verstehen. Schläft Er zwischen dem Norden Irlands, den Kellerappartements der Baader-Meinhofs, den PLO-Offizien und der Bergwelt iberoamerikanischer Terroristen, den afrikanischen Kriegern im roteinge-färbten Busch und der OPEC-Zentrale am Wiener Dr.-Karl-Lueger-Ring?

Schläft er auch in der tieferen Dimension, die da gekennzeichnet scheint durch die Flucht aus dem Verstand, aus der Vernunft, der Willensfreiheit (einschließlich des gutbürgerlichen Hausverstandes normaler Erdenbürger): in eine trübe schillernde Sphäre der Illusionen, der Spiegelfechtereien, der Täuschungen in die gleißenden Imaginationen der Räusche, der Trancen, paraphysischer und parapsychischer Beschwörungen, fremder Okkultismen, die in ihrer charismatischen Erweckungsemötion in die urchristlich-vermaledeite „Gnosis“ münden ... um das Feld zu öffnen, die Bahn freizugeben jenen Mächten des Bösen, der alten Schlange, dem Widersacher und „Affen Gottes“, den Abtrünnigen und Gefallenen unter den „Ersterschaffenen“ der Geister, des Verwirrers, „Diabolus von Berufe“? Wird sie untergehen, diese unsere nicht mehr „runde, kleine, heitere“ Welt von gestern, im apokalyptischen Feuer, in Pech und Rauch und Schwefel, in der atomaren Feuersbrunst, die hinwegfegt über den Bios, bis er ausgelöscht ist und der Erdball öd und leer vor Ihm liegt, wie vor dem Ersten Tag...?

Mit Romano Guardini wissen wir: „Nicht nur das Dasein des Menschen endet, sondern auch der Bestand der Welt. Wenn aber die Welt untergeht, dann werden durch die Macht des gleichen Christus, der ihr den Untergang setzt, die Toten auferstehen ...“

Die Toten werden auferstehen? Ja, wie kann man das so sagen, wo doch die wissenschaftliche Diskussion (man könnte auch sagen: der religiöse Dialog) über den Prototyp der Auferstehung, Jesus von Naza-reth, noch nicht zu Ende ging? Wo man noch nicht weiß, um graduierte katholische Theologen zu zitieren, ob nicht doch Kreuzestod und Auferstehung und Himmelfahrt „zusammenfielen“ und dem gegenüber das „volle Grab“ kein Widerspruch sein müßte...

Im deutschen Sprachraum schätzt jeder Vierte unter den demoskopisch Belästigten Jesus, den Christus, als eine „große Persönlichkeit“ ein. Etwa so wie Napoleon oder Buddha, den Viscount of Alamein Montgomery oder Cäsar oder Brahms (Lieben Sie Brahms?) oder auch Grillparzer, Schiller, Einstein, Sacharow und den Dr. Wernher von Braun. Unter allen Befragten, die sich als „römischkatholisch“ deklarierten, etikettieren 20 Prozent den Herrn als „ein Märchen, eine Sage, einen Mythos“. Vielleicht wie jenen „des 20. Jahr-

hunderts“. Den „anderen“ bleibt es vorbehalten, zumindest einen Schimmer des Lichtes wahrzunehmen. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch sagt von Jesus: „Ein Mensch wirkte hier als schlechthin gut. Das kam noch nicht vor!“ Und Franz Kafka nennt Ihn einen „Abgrund des Lichts“.

Alfred Verdross, weltweit ästimierter Völkerrechtsgelehrter, klar denkender Höchstrichter der Vereinten Nationen, Altmeister internationaler Jurisprudenz, meditiert über die Zusinnung des „Mythischen“ an den Auferstandenen: „Die biblische Bildersprache hat nichts mit Mythologie gemeinsam. Denn diese beruht auf phantasievoll ausgestalteten allgemeinen Urerfahrungen der Menschheit, während es sich bei den Berichten über die Auferstehung um konkrete, einmalige, zeitlich und räumlich eingeordnete Erscheinungen handelt...“

Wer sich in die Gesetze des Glaubens wirft, gefallen ist, hinemver-senkt wie in ein „nackendes Schwert“ (Gertrud von le Fort) muß die Auferstehung des Herrn als historisches Ereignis ohne jedweden Glaubensabstrich akzeptieren. Akzept, das ist nicht nur in der Geschäftswelt. Das ist Annahme rundweg, Identifikation, unumstößliche Sicherheit, nicht „Hoffnung auf etwas“, sondern „Gewißheit über etwas“. Allerdings. Allerdings: Glaubensgewißheit. Auf die Autorität der Kirche hin, unter Einbezug der Glaubwürdigkeit. Der Credibilität, die dem Credo vorausgeht. Daß hier kein Widerspruch, kein Unsinn, keine Fälschungen und Fälscher, kein Betrug und Betrüger am Werk waren. Und diese Glaubwürdigkeit vermochte apologetische Einsicht noch allemal darzulegen. Es ist ja alles so klar: bei Matthäus 28, 1—7 finden wir den Kontext. Daß es nach dem Sabbat war, ganz früh am ersten Wochentag. Daß die Maria Magda-

lena, begleitet von der anderen Maria, gekommen war, um das Grab zu besuchen. Und daß „gewaltig die Erde erbebte“: „Denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Aussehen war strahlend wie der Blitz, und sein Gewand weiß wie der Schnee. Aus Furcht vor ihm erbebten die Wächter und waren wie tot. Die Frauen aber redete der Engel an und sprach: .Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus sucht, den Gekreuzigten. Doch er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt, seht den Ort, wo der Herr gelegen hat. Und nun geht eilends und sagt seinen Jüngern, daß er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er geht euch voran nach Galiläa. Dort sollt ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt'.“

Das ist alles so einfach, so klar und verständlich, so einsichtig, erhellend und „glaubens-rational“, wenn dieses theologisch-philosophische Paradoxon gestattet sei, daß man glauben kann oder nicht glauben kann. Beide Haltungen sind im Sinne menschlicher Entscheidungsfreiheit legitim, wiewohl die Verantwortung des Gewissens die Folgewirkungen überlagert. Aber „umzufunktionieren“ das Osterereignis in ein zweifelhaftes, von Hoffnung geprägtes Ostergeheimnis, dessen ein-zigte Einsichtigkeit in der Zweifel-haftigkeit äußerer Geschehnisse bestehen sollte, ist nicht mehr christlich. Es ist menschlich. Sehr menschlich, verständlich. Aber nicht mehr christlich. Das Scheitern, das Debakel, die Katastrophe von Golgotha haben zum strahlenden Ostersieg, geführt. Nicht, daß „alles gutgehen werde“, etwa am Tag des „Punktes Omega“, gemäß dem Prinzip Hoffnung. Nein: es ist alles gut gegangen!

Und das ist die persönliche Annahme des Osterglaubens: daß dieser

Jesus von Nazareth eben wahrhaftig Gottes Sohn ist. Nicht der göttlich inspirierte gute und allerbeste Mensch, der ethische Prediger und mitmenschlich motivierte Sozialrevolutionär, sondern der Heiland. Wie wir es früher gebetet und gesungen haben: der Heiland, der erstanden ist. Der das Heil gebracht hat. Aus den Dimensionen der Dunkelheit, aus der Bedrängnis des „Mysterium iniquitatis“. Der nicht wissenschaftlich und verstandesmäßig begriffen werden kann, wie die physikalischen Formen der ABC-und Laserwaffen, wie die internationalen Kodifikationen rechtlicher Normen, wie der Kreislauf des Blutes im Menschen mit allen seinen Abgründigkeiten. Denn Glaube und Wissenschaft sind verschiedene Kategorien. Widersprüche sind von Schein, aber wertnivellierende Brük-ken ein Trug.

Am 13. Dezember 1955 um 11.45 Uhr gingen ein alter Herr und ein Kandidat der theologischen Wissenschaften zwischen den kahlgefegten Bäumen der Wiener Ringstraße auf das Hauptgebäude der Alma mater Rudolfina hin. Der alte Herr war Friedrich Funder, Begründer und Herausgeber der „Furche“. Er gab dem jungen Promovenden der Theologie die Ehre, an seiner akademischen Graduierung teilzuhaben. Funder sagte: „Wissen Sie, daß Ihr größter Studienerfolg darin besteht, zu erkennen, daß Sie in Ihrem Wissen vor Gott ganz leer und armselig sind? Und daß Sie von einem Glaubensgeheimnis abhängig sind, das für uns eine Wirklichkeit, keine Hoffnung allein, ist: von der Auferstehung des Herrn? Vergessen Sie das niemals, wenn Sie sich Doktor der theologischen Wissenschaften nennen“.

Dieses Vermächtnis Friedrich Funders hat das Leben des damals jungen Mannes entscheidend mitbestimmt. So wie die Ostkirche jubelt: „Christ ist erstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Und wie es Werner Bergengruen in der Spiritualität der Kenosis der Menschwerdung, des gehorsamen Kreuzestodes und des Mysterium paschale deutet: „Liebt doch Gott die leeren Hände

und der Mangel wird Gewinn: Immer noch enthüllt das Ende sich • als strahlender Beginn!“

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