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Wider die „starken Männer“ und „gordischen Lösungen“

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Wenn hier die Rede von dem österreichischen Beitrag zu einer neuen internationalen Zusammenarbeit ist, so sei das Thema über den Bereich einer sittlich-kulturellen Grundverpflichtung entwickelt und das wirtschaftliche und politische Anliegen der internationalen Zusammenarbeit nur in jenem Ausmaß da und dort erwähnt, in dem es vom Standpunkt des Zentralgedankens notwendig ist.

Oesterreich meldet seinen Beitrag an aus der Bewußtheit, daß Oesterreich einen großen Kulturbesitz der Vergangenheit übernommen hat, dem es selbst auch heute nahezu alles auf kulturellem Gebiete verdankt und der für die übrige Welt das Zeugnis der Erhebung größtmöglicher menschlicher Schaffenskraft bedeutet, und daß Oesterreich in seinen Bewohnern ein Menschentum besonderer Prägung repräsentiert, ein Menschentum, von dem wir glauben, daß wir darin der Welt zwar kein Vorbild sein wollen, daß aber die Welt an unseren Erfahrungen und an dem Leidvollen unserer Geschichte zu unser aller Vorteil etwas gewinnen könnte.

Da erhebt sich natürlich sogleich die Frage, ob wir Menschen überhaupt aus der Geschichte lernen können. Es gibt ebenso viele Geschichtsphilosophen, die diese Frage strikte mit Nein beantworten, wie andere, die darauf mit einem überzeugten Ja antworten. Der Streit geht um einen Erfahrungstatbestand, über den einmal Ortega y Gasset mit C. J. Burckhardt disputiert hat. Ortega meinte, einem bestimmten europäischen Volke würde das Leben in der Gegenwart zu schwer gestaltet, weil es schon fast alles gewesen ist. Alles, was schon ausprobiert ist, ist schwer zu wiederholen. Das Gewesensein kann das Sein in der Gegenwart beschränken. Das Vergessen kann es völlig aufs Spiel setzen, denn das Vergessen der Erfahrungstatsachen bedingt oft tödliche Rückfälle.

Uebersehen, überhören wir daher in dieser ScHicksaJsstünde nicht das Zeugnis”' derer, die gerade aus den Erfahrungen der Vergangenheit eine Hoffnung dafür schöpfen, daß unser Schicksal am morgigen Tag nicht die Vernichtung s e i n m u ß. sondern ebenso ein erneuertes Zusammenleben in einer internationalen Gemeinschaft sein kann. Und diese Hoffnung in die Realität der Internationalität von morgen, die nicht nur auf dem Gefühl, sondern auch auf der Vernunft begründet ist, ist schon sehr viel in dieser Zeit, in der die Angst vor dem Morgen allein schon die größte Bedrohung unserer Existenz provoziert.

Es ist schon sehr viel gewonnen, wenn wir von den fatalen Gedankengängen abrücken, die alle mit einer gewissen Automatik in der Prognose münden, daß das Ende der gegenwärtigen Konflikte und Spannungen nur in einer Katastrophe im Ausmaße der der Punischen Kriege zu erwarten sei. Also: die totale Unterwerfung, Vernichtung und Auslöschung für den einen Kampfpartner, den totalen Sieg für den anderen.

Seit in der politischen Staatengeschichte und in der Kriegsgeschichte der Effekt der bedingungslosen Kapitulation zum Alpha und Omega alles politischen und militärischen Strebens geworden ist, bleibt für ein Volk, einen Kontinent, eine Mächtegruppe angesichts der wachsenden internationalen Interpendenz in jeder Konfliktsituation kein anderes Los mehr übrig als die Angst, daß im Falle des Unterliegens ihre Existenz ausgclöscht würde. Diese Angst verdoppelt sich in dem Zeitpunkt, in dem fast alle Politiker und Strategen voraussagen, der Krieg der Zukunft würde überhaupt keine Sieger und keine Unterlegenen in dem bisher gewohnten Sinn übriglassen, sondern wahrscheinlich mit der Vernichtung der physischen Existenz beider Kampfteile enden. Das aber ist, folgerichtig zu Ende gedacht, die Zukunftsprognose derer, die es der Menschheit absprechen, daß sie aus ihrem Geschick eine Lehre ziehen kann.

Wir Oesterreicher glauben aus der tausendjährigen Geschichte unseres Volkes, die die Geschichte eines Volkes an der Grenze, nicht jene eines Phäakenvolkes ist, den Erfahrungssatz schöpfen zu können, daß es nicht nur die Alternative Sein oder Nichtsein gibt. Daß es bei aller Beständigkeit der Kampfesführung, bei aller Gesinnungstreue, bei allem Mut in der Verteidigung geistiger und heiliger Werte auch möglich ist, einer praktischen menschlichen Verhaltensweise zuzuneigen, die nicht nur auf die Auslöschung des anderen Teiles rechnen will. Die nicht aus der Vernichtung des anderen Lebens den Quell des Lebens ergiebiger machen will, sondern die — auch in den Zeiten des härtesten, ja des barbarischen Konfliktes — nach dem Lebensgrundsatz vor sich geht, daß wir entweder gemeinsam das Morgen erleben oder aber zusammen untergehen.

In dem großen Ringen des alten kaiserlichen Oesterreichs mit der Weltmacht des Islams, in dem Oesterreich so oft allein stand und sein Volk das barbarische Los des Volkes an der Grenze erdulden mußte, haben die Oesterreicher nicht die tödliche Alternative zum Gesetz ihres Handelns gemacht.

So ging über dem österreichischen 17. Jahrhundert — das dem Lande nur drei Friedensjahre und 97 Kriegsjahre gebracht hat — am Ende nicht die Drohung noch größerer und noch schrecklicherer Vernichtung auf, sondern das Wunder des österreichischen Barocks, das am Beginn eines gesegneten Jahrhunderts steht, für das .noch heute die Leistungen der Kunst und der Wissenschaft zeugen.

In dieser Erkenntnis sind wir Oesterreicher seit dem Untergang des alten und großen Reiches, nach Zeiten des Irrens und Verirrens nicht geschwächt, sondern unter dem Druck jüngster Krisen eher gestärkt worden. Wir haben uns eine menschliche Verhaltensweise — nicht ohne Opfer und Irrungen — angeeignet, mit der wir fortan zwei Phänomenen entschieden mißtrauen: den Methoden der sogenannten starken Männer und dem System, wonach es angeblich zu Zeiten besser ist, die Knoten zu zerschneiden, anstatt zu versuchen, mit dem Problem anders fertig zu werden.

Wir mißtrauen nach den Erfahrungen der Geschichte den Methoden der starken Männer. Obwohl die Geschichte dieses Landes reich, ja überreich an großen und heldenhaften Persönlichkeiten ist, kennen wir keine Heldenverehrung und keinen Heroenkult. Deswegen ist aber der Ruf nach dem starken Manne in der Welt noch nicht verhallt. Ich erinnere mich einer Darstellung, die ich im Sommer des Jahres 1945 — in der Gefangenschaft — auf einer Seite der amerikanischen Armeezeitschrift gefunden habe. Dort war eine vom Kriege zerstörte Landschaft — irgendwo in Europa — abgebildet, zerbombt, aufgewühlt, die Häuser verbrannt, die Landschaft verwüstet, öd und leer . . . nur der Rest eines armseligen Anwesens in der Mitte aufragend. Und davor ein altes Weib im Garten arbeitend, um mühselig das heimzubringen, was sie zur Fristung der kärglichen Existenz des Tages braucht. Und an dieser Frau fährt ein Reporter vom Stabe einer der Siegermächte vorbei und richtet an sie die Frage:

„Wie stellen Sie sich den Ausweg aus dieser Situation vor?“

Und da richtet sich die Frau auf und sagt — im Sommer 1945! —:

„Alles, was wir brauchen, ist — wieder ein starker Mann, der uns aus dem da herausführt "

Wir in Oesterreich schätzen die Männer, die — von großem Gottvertrauen getragen — das schwierige Werk des Wiederaufbaues der vom Kriege zerstörten Heimat auf sich genommen haben. Aber: wir mißtrauen einem System, in dem das Volk „sein Sach“ den starken Männern an den Hals hängt, um sich selbst die Verantwortung um die Gemeinschaft möglichst vom Halse zu schaffen, und dann wartet, daß ihm die starken Männer das Glück in dieser Welt bringen. Wir halten nicht viel von den Gemeinschaften, die mit Blut und Eisen zusammengefügt worden sind.

den sind, für den Augenblick die Brillanz des Effektes für sich gehabt haben, daß aber bei diesen glatten Lösungen zu viel Lebendiges weggeschnitten werden mußte, damit diese „sauberen, glatten Lösungen“ zustande kommen konnten. So viel Lebendiges oft, daß man sich fragen mußte, ob die Abschnitzel nicht insgesamt wertvoller und mehr an Wesentlichem für das Leben auf dieser Erde in sich geborgen haben als der Torso der Löwenlösung des Problems.

Um sinnfällig zu machen, was ich hier meine, nenne ich nur zwei moderne Erscheinungen : das Konzentrationslager für den politisch Andersdenkenden und die Aussiedlung für die völkische Minoritätsgruppe, ja sogar für die Majoritätsgruppe des unterlegenen Volkes.

Es gibt gerade in diesen Tagen so viele Situationen, in denen es mehr Stärke, Mut und Ausdauer braucht, die Geduld und die Be

Wir Oesterreicher haben auch Erfahrung genug, um den zweiten Fragepunkt sehr kritisch zu betrachten: Ich meine: das System des Auseinanderschneidens des Knotens. Wir halten eher dafür, daß eine neue internationale Gemeinschaft, ein Zueinander- finden in erster Linie Geduld braucht, die große Tugend der Erzieher, auch der großen Erzieher der Völker. Geduld, die nicht etwa bloß die Abart jener Feigheit ist, die den Problemen aus dem Wege geht und mit der Methode ihrer Vertagung die Konfliktsituation vermeiden will, um eines Tages die Probleme insgesamt, auf einmal am Halse zu haben. Es mag Situationen im Leben geben, in denen der Knoten jeder behutsamen Lösung widerstrebt. Aber es gibt viel mehr Situationen, in denen es falsch wäre, etwas Drastisches zu unternehmen, wo man maßvoll zu Werke gehen muß.

Wenn wir Oesterfeicher auf die Ereignisse der letzten 40 Jahre zurückblicken, dann müssen wir sagen, daß zwar die sogenannten glatten Lösungen, die auf Anhieb getroffen wor-

harrlichkeit zu üben, als zu versuchen, den Knoten mit dem Schwert zu durchhauen, in der Hoffnung, daß man dadurch die Probleme des menschlichen Zusammenlebens los wird und von fortan in alle Ewigkeit glücklich weiterleben kann.

Vielleicht überrascht es, solche Töne gerade hier in Wien zu hören, in der Stadt, auf die der Schatten des Eisernen Vorhanges fällt, der kaum 50 Kilometer von hier niedergegangen ist, in der Stadt, in der erst im November vergangenen Jahres, anläßlich des ungarischen Freiheitskampfes, wie kaum an einem anderen Punkt der Erde nicht nur Hilfsbereitschaft, sondern Treue, Mut und Ausdauer lebendig geworden

«ind. Ich setze eben die Geduld, von der ich vorhin gesprochen habe, mit einem Heldentum gleich. Mit einem Heldentum besonderer Art. Fast möchte ich sagen: österreichischer Prägung. Mit jenem Heldentum, von dem ein Dichter des Ostens spricht, wenn er an einer Stelle seiner Werke den Effekt des klirrenden Heroismus, wie er in einer kurzen, spontanen Tat beschlossen ist, gering einschätzt gegenüber dem Heldentum, das jene Menschen entfalten und beweisen, die von Tag zu Tag die Mühsale der Selbstbehauptung aus einer gläubigen Gesinnung im grauen Alltag trotz Zurücksetzung, Mißtrauen und Scheitern auf sich nehmen und dennoch Mensch bleiben und gläubig sind.

Dieses Heldentum, das ich für meine österreichischen Landsleute sozusagen reklamiere und hinter dem eine seltsame, frohgemute Gesinnung des Herzens und des Verstandes lebt, will ich auch hier nicht zu unserem Lob herausstellen, sondern als ein Mittel preisen, mit dem bei der Behauptung der eigenen Ueberzeugung — die uns heilig ist — ein Kampf geführt wird, in dem wir nicht nur eigenes verteidigen, in dem wir, mit anderen Worten, in Kampf und Sieg nicht nur unser gedenken, sondern der anderen auch, selbst der Feindei

Die Kernfrage in der Situation unserer Tage lautet für uns — auch für uns in Oesterreich — nicht: schwächliches Appeasement, Uebergabe, Aechtung des Widerstandsrechtes — oder Atomkrieg. Alle diese falschen Alternativen entspringen im Grunde den Aengsten und Engen, denen wir, die heute Handelnden, die „Alten“, nachhängen und deren Vorhandensein im Grunde dem Kommunismus recht gibt. Diese

unsere Aengste und Engen sind auch das Kernübel jenes Erziehungsnotstandes allgemeiner Natur in der Gegenwart, mit dem die Erzieher in den Schulstuben nicht fertig werden können, weil diese Aengste und Engen sozusagen die Grundverfassung der jungen Generation ausmachen, bevor sie das erste Wort des Lehrers erreicht.

Also müssen wir aus diesen Aengsten und Engen herauskommen in eine offene Katholizität in Europa und in der Welt, wenn wir etwas gelernt haben von den jüngsten Bürgerkriegen der Nationen.

Deswegen glaube ich, daß die hauptsächlichen Tugenden des Christen in der Gegenwart der Mut und die oben geschilderte humane Art der Tapferkeit im Leben sind. Wir müssen, mit anderen Worten, langsam dazu kommen, nicht nur den Vernichtungskampf mit der bedingungslosen Kapitulation und der Auslöschung des Gegners ins Kalkül zu ziehen, sondern aus christlicher Gesinnung bei der Ueberwin- dung des Bösen in der Welt den anderen, den Gegner und den Feind, nicht als einen beklagenswerten Mangel der diesseitigen Ordnung anzusehen, sondern als den „bitteren Gast“ (wie es Friedrich Heer genannt hat), mit dem wir Christen nicht koexistieren, den wir aber hereinnehmen in unseren inneren Lebensprozeß.

Wir stehen alle noch sehr weit ab von dieser Verhaltensweise. Wir alle sind eher geneigt, in dem gegenwärtigen Konflikt uns in den Lebensprozeß des Feindes zerren zu lassen und damit ihm das Gesetz des Handelns nach seiner Manier zu überlassen: nach den Methoden der starken

Männer — nach dem System der Löwenlösungen. Angesichts der Gewalt der Tatsachen vergessen wir die Macht der Idee.

Wir müssen — wenn wir morgen leben wollen — den geschäftstüchtigen Grundsatz: Do, ut des, zuletzt ersetzen durch den Satz: Do, ut vivasI Nur so haben wir nicht nur die Chance, das Transitorium der Gegenwart zu durchschreiten, sondern das neue Ufer zu erreichen.

Richard Meister hat in einem eben verlautbarten Artikel über die Internationalität als Idee und Verwirklichung vier Fundamente dieser wachsenden Internationalität unseres Lebens aufgezeigt:

Conventio — die vertragliche, förmliche Regelung:

Cooperado — die Zusammenarbeit, getan in der Opinio neccesitatis:

Communicatio — der Austausch materieller und geistiger Errungenschaften;

Consociatio — die echte Vergemeinschaftung, die ihre Legitimation aus der Freiheit und Würde des Menschen erfährt, wie sie der letzte große Oesterreichische Katholikentag formuliert hat.

Unangetastet bleibt bei diesem Großvorhaben der Menschen der Primat des Geistes. Aber wir rufen in dieser Stunde die aus dem Gemüte kommenden Kräfte zu Hilfe. Ueberzeugenwollen, Ueberredenwollen hilft oft wenig: das Erleben macht es aus.

In diesem Sinne möchte der Oesterreicher sein tausendjähriges Erlebnis an der Grenze, im multinationalen Raum als die Erfahrungstatsache anmelden, die der neuen internationalen Zusammenarbeit in der Welt zugute kommen möge.

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