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REVUE IM AUSLAND

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Die amerikanische Zeitschrift „The Atlantic Monthly“ bringt in ihrer Februarnummer einen Artikel des bekannten außenpolitischen Schriftstellers und Journalisten Walter Li pp mann über „Die Rivalität der Nationen“. Lipp- mann, der einst vor dreißig Jahren als Gehilfe des Präsidenten Wilson an der Abfassung der berühmten vierzehn Punkte mitwirkte, stellt in diesem, zuerst als Adresse an sein altes „College of William and Mary“ verfaßten Aufsatz die Frage, warum die Vereinigten Staaten in unserem Jahrhundert außenpolitisch immer wieder versagten, zweimal vergeblich geglaubt hätten, neutral bleiben zu können, zweimal dann nach dem Kriegseintritt von dem Sieg die . Schaffung einer friedlichen, demokratischen Welt erhofft hätten und zweimal bei der Organisation des Friedens nach dem errungenen Sieg gescheitert wären. Der Weg Amerikas zur Weltmacht von der Neutralitätserklärung Wilsons bis zur Gegenwart sei gesäumt von stolzen, aber niemals verwirklichten politischen Erklärungen. Der Grund für dieses Versagen sei gewiß nicht in der Schwäche Amerikas, sondern vielmehr im amerikanischen Denken zu suchen.

„Wir haben aus unserem Unschuldszeitalter, aus dem 19. Jahrhundert, da wir isoliert und vor der Rivalität der Staaten und Reiche beschützt waren, ein ideologisches Bild der Welt mitgebradit, ein philosophisches Gerüst von vorgefaßten Meinungen. Wir glauben, daß dieses Bild der Welt echt und edel sei. Tatsächlich ist es imaginär und falsch."

Daher übersehe Amerika, daß die Ziele der Außenpolitik immer relativ und beschränkt sein müßten und daß die Rivalität der Staaten eine unleugbare Tatsache sei.

„Aber wenn wir die Fragen der auswärtigen Politik prüfen, wie sie unserem Volk vor- gestelilt werden, so finden wir eine überwältigende Neigung, die vor uns liegende Entscheidung nicht als relativ, sondern als absolut zu betrachten. Wir neigen zum Glauben, daß die Entscheidung nur ja oder nein ist, entweder alles oder nichts, entweder Isolationismus oder Globalismus, totaler Friede oder totaler Krieg, eine Welt oder keine Welt, Entwaffnung oder absolute Waffen, fromme Entschließungen oder Atombomben, Abrüstung oder militärische Vorherrschaft, Nidhtinter- vention oder ein Kreuzug, Demokratie oder Tyrannei, Kriegsächtung oder ein Präventivkrieg, entweder appeasement oder bedingungslose Übergabe, entweder Nicht-Widerstand oder eine Vernichtungsstrategie.“

Die Weltdiplomatie aber müsse, solange es keinen Weltstaat gibt, in der Herstellung eines Gleichgewichts und in der Abgrenzung von Einflußsphären ihr Ziel sehen. Unter dem Einfluß der Ideologie wolle das amerikanische Volk jedoch die Rivalität zwischen den Staaten nicht anerkennen.

„Wir bestehen darauf, die Rivalität der Nationen als etwas zu behandeln, was es unter rechtlich denkenden Menschen nicht geben kann. Wir regulieren diese Rivalitäten nicht, weil wir meinen, daß es sie nicht geben dürfte. Und so bleiben uns nur unsere drei außenpolitischen Rezepte: die Rivalitäten zu ignorieren, indem wir unsere Neutralität erklären, sie zu leugnen und zu glauben, daß sie verschwinden werden, wenn die Staaten Mitglieder einer universalen Gesellschaft werden, oder aber Vernichtungskreuzzüge gegen die Löwen zu führen, die sich nicht friedlich neben die Lämmer legen wollen."

In der die ganze Welt bewegenden Frage des Verhältnisses zu Rußland müsse man auch realistisch eine Kombination von Machtpolitik, Abgrenzung der Interessen und Kompromiß, aber keine ideologische Entweder-Oder-Politik betreiben. Der Antagonismus Ost-West sei so alt wie die Trennung der Christenheit zwischen Rom und Byzanz, er beschäftige seit anderthalb Jahrhunderten die englische Außenpolitik und werde wohl nun auch die amerikanische geraume Zeit beschäftigen. Das Ziel könne weder sein „die Russen zu heiraten und mit ihnen dann glücklich und in Freuden zu leben, noch mit ihnen zu kämpfen und dabei die ganze Welt zu zerstören“, sondern nur die realistische Herstellung eines Modus vivendi.

In den „Frankfurter Heften“ (3. Jahrgang, Heft 2) behandelt Walter Dirks das Thema „V a t e r 1 a n d“. Er geht dabei von der Feststellung aus, daß man in Deutschland nicht viel vom „Vaterland“ spreche, daß es aber andererseits auch nicht in politischen Verruf gekommen sei, sondern eher als „altmodisch“ gelte. Dennoch sei die Vorstellung des „Vaterlandes“ bei vielen lebendig, vor allem bei ehemaligen Soldaten und bei der Jugend. Nach einer eingehenden Analyse des Begriffs und seines geschichtlichen Hervorwachsens aus der Vorstellungswelt der „Heimat" sowie der Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber dem Volks- und Nationsbegriff kommt Dirks zu der Feststellung, daß Vaterlandsliebe — bezeichnenderweise kein Ismus — die Liebe zur Wirklichkeit des Vaterlandes in Not, Schuld und Schande voraussetze. Anders als die Nation könne das Vaterland mit der Geschichte wachsen, ähnlich wie es bisher mit der Geschichte gewachsen sei („Albrecht Dürers ,Patria‘ war Nürnberg, nicht Franken oder gar Deutschland“).

„So entsteht die Möglichkeit eines europäischen Vaterlandes. Sie ist nicht ganz neu und nicht unbedingt befremdend. Schon immer gab es Europäer, welche den Erdteil als ,Heimat empfinden konnten, welche die Ahnen des europiäschen Geistes und der europäischen Seele als ihre eigenen Ahnen ansahen, Menschen, die sich ,zu Hause' fühlten in der europäischen Philosophie und Wissenschaft und Kunst und auch in der .Religion“, welche trotz ihrem alles Begrenzte absolut übersteigenden Anspruch und Gehalt durch ihre leibhaftige Geschichte so 9ehr europäisch geworden ist.“

Welthandel und Weltkriege — die mai auch als „europäische Bürgerkriege“ auf fassen könne — hätten doch auch manchen einfachen Mann weit herumgetrieben uf! ihm die Gemeinsamkeit Europas zum Br wußtsein gebracht. Der Weg vom eigene

@@@zum europäischen Vaterland sei heute erst recht nicht ungangbar.

Schon begegnet man hin und wieder jungen Menschen, die ihn zu gehen scheinen: vom Nationalismus über die vaterländische Besinnung zum europäischen Vaterland. Man soll diesen Menschen nichts Unumgängliches ersparen, aber man soll ihnen diesen Weg auch nicht zu schwer machen. Sie sollen wissen, daß sie im neuen europäischen Vaterland, sofern es föderativ gerät, nicht einmal die politische Verfügung über das alte Vaterland ganz aufzugeben haben; vor ollem aber wind ihnen und uns alles andere bleiben, der Heimatgehalt des alten Vaterlandes, das Vertraute und von je Geliebte in ihm, sein Geist, seine Seele, seine Überlieferung, seine Landschaft — und dies alles gesichert und geborgen und nicht mehr so sehr wie bisher in Gefahr, von den unreinen Flammen des Nationalismus überhitzt oder gar verbrannt zu werden. Der Weg ins größere Vaterland enthält freilich Zumutungen. Noch ist das neue Vaterland nicht das Bergende, das Vertraute, das Sichernde. Es ist ein Keim, der uns anvertraut ist; er muß nodi lange wadisen( ehe wir uns ihm anvertrauen können. J , .Europa erscheint zu oft geradezu als das, was uns einengt, stört und hindert: es ist nicht einfach, angesichts der englischen und französischen Demontageliste europäisch zu empfinden; darum will uns das Won vom .europäischen Vaterland' noch nicht recht glatt über die Lippen. Aber die vorgreifende geschichtliche Phantasie, ohne die nichts

Größes entsteht, spürt die größere Heimat der europäischen Menschen voraus, in der auch die Deutschen geborgen sein werden. Das ist keine Gewißheit, sondern eine Hoffnung.“

Itn Märzheft der „Schweizer Rundschau“ untersucht Mario Pensa „Die geistigen Voraussetzungen des zweiten Weltkrieges“ und findet sie in der Vergöttlichung des Men'sdien im nachkantischen Idealismus. Das in. keine Schranken mehr gebannte Ich verliere “jede Orientierung, so daß der Mensch haltlos zwischen den Extremen hin und her schwanke.

„Die Harmonie“ weldie ihm Frieden gab, ist dahingefallen, sein Gravitatiönszentrum, die Vernunft zerstört, und er fühlt sich bald ganz als Materie, bald ganz als Geist. Wenn er sich ganz als Geist fühlt, erscheint er sich selbst herrlich und göttlich; wenn er sich ganz als Materie fühlt, als ein Nichts und ein Sklave der Weltgeschichte. Diesem Schwanken zwischen zwei Extremen entspringen die zwei Grundhaltungen der Kultur seit Kant: Idealismus; lind Materialismus, Übermenschentum und Pessimismus, Pragmatismus und Nihilismus. Der grundlegende Vorzug der abendländischen Zivilisation, Ausgleich der Gegensätze, ist eingebüßt; die Triebkraft der europäischen Kultur, die Vernunft, wird durch zwej andere Faktoren verdrängt: das Gehirn und den irrationalen Trieb. An die Stelle der Kultur tritt die Kultur- losigkeit; das 19. und 20. Jahrhundert sind die kulturlosen Jahrhunderte Europas."

Daher seien die beiden Grundhaltungen des modernen Menschen ein vor allem im Ästhetizismus sich auslebender Narzißmus einerseits, andererseits aber ein Servilismus, vor allem gegenüber den ökonomischen Faktoren. Die gesellschaftlichen Erscheinungen, in denen beide Haltungen sich gegenseitig durchdringen, seien die Maschine und der Kollektivismus.

„Sie (die Maschine) ist Werkzeug in den Händen des Menschen, zugleich aber sein Tyrann. Deswegen ist die Maschine zum Symbol des modernen Menschen geworden. Der Kollektivismus ist nidits weiter als die gleiche Maschine auf die gesellschaftliche Ebene übertragen, wo die Menschen selbst zu Rädern und zu Hebeln werden."

Alle festen Werte, Natur, Raum, Zeit und Kausalität, Sinn des Daseins, Wahrheit, Moral, Gesellschaft, Achtung vor dem Genie, vor der Frau, vor Recht und Eigentum, seien durch die Tätigkeit des modernen Geistes, durch den, absoluten Idealismus, durch Relativismus, Historismus, Biologismus, Psychoanalyse, moderne Gesellschaftskritik und Kollektivismus aufgelöst, zerstört oder zumindest in Frage gestellt worden.

„Schließlich summieren sich alle diese Einzelzerstörungen in einer großen Gesamtzerstörung, an der alle teilhaben, Philosophen, Gelehrte, Staatsmänner, Wirtschaftsführer, Literaten, Wissenschaftler: es ist die Zerstörung der Vernunft! Dies ist das eigentliche Übel, an dem unsere Zivilisation krankt. In der Verneinung der Vernunft besteht die Antizivilisation, an der wir nun schon eineinhalb Jahrhunderte leiden, und der Untergang der abendländischen Kultur, in den wir mithineingerissen werden. Wenn wir heute nach der progressiven Zerstörung aller sittlichen und kulturellen Werte, auf denen die Humanität gründete, die reale Zerstörung von Städten, Kirchen, Museen,

Bibliotheken und Kunstwerken durch den Krieg erleben mußten — was beeindruckt uns eigentlich daran ufid worüber beklagen wir uns? Das Zerstörungswerk, das uns hätte schmerzen sollen, ist schon vorher vollbracht worden ... Heute steht der Mensch am Scheideweg. Er hat z ivei Möglichkeiten vor sich: entweder die Weiterentwicklung des beschriebenen Prozesses, nämlich den Kollektivismus, oder die Geburt eines echten Humanismus.“

Die amerikanische Wochenzeitschrift „T i m e“ berichtet in ihrer Nummer vom

15. März unter dem Titel „Der Neuling“ von der inneren Konversion des Londoner Philosophen und ehemals überzeugten Agnostikers C. E. M. Joad, der während des zweiten Weltkriegs daran zu zweifeln begann, „daß. das Böse etwas sei. was durch Sozialismus, fortschrittliche Schulen und Psychoanalyse geheilt werden könne. Er sagt jetzt lächelnd: ,So gesehen, würde eine Welt von ordentlich psychoanalysierten Kommunisten das Paradies auf Erden sein/ “

Der Krieg habe ihn, so erklärt Joad jetzt, von der realen Existenz des Bösen sowie davon überzeugt, daß die christliche Lehre von der Erbsünde eine tiefe und wesentliche Einsicht in die menschliche Natur ausdrücke.

„Von seinem wiederentdeckten Glauben sagt Joad: ,Er gibt mir ein Licht, bei dem ich in einer sich immer mehr verdunkelnden Welt leben kann/ Die Irreligiosität der Welt wirft er nicht den Kirchen vor, sondern den Menschen, ,die nicht hören wollen“. Er bekennt eine Neigung zum Anglokatholizismus, ist aber ganz un- joadisdi zurückhaltend in der Aussage über seine theologischen Ansichten ,Ich bin so ein Neuling darin', erklärte er, ,daß ich besser vielleicht nichts mehr darüber sage'."

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