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Eine ortsgebundene Weltkirche?

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,, Une fausse idee claire" sagte Alexis de Tocqueville vor 150 Jahren. Eine solch „klare, aber falsche Idee" steckt auch in dem naiven Glauben, daß viel, ja vielleicht alles gewonnen werden könnte, wenn man die katholische Kirche in viele Kultur- und Nationalkreise aufbräche, um so dem ortsgebundenen Geist der Gläubigen stärker entgegenzukommen. Viele Konversionen und eine vertiefte Religiosität wären die Folgen . . .

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,, Une fausse idee claire" sagte Alexis de Tocqueville vor 150 Jahren. Eine solch „klare, aber falsche Idee" steckt auch in dem naiven Glauben, daß viel, ja vielleicht alles gewonnen werden könnte, wenn man die katholische Kirche in viele Kultur- und Nationalkreise aufbräche, um so dem ortsgebundenen Geist der Gläubigen stärker entgegenzukommen. Viele Konversionen und eine vertiefte Religiosität wären die Folgen . . .

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Völlig falsch ist dieser Gedanke, auf alle Zeiten bezogen, allerdings auch nicht, denn für glückliche Entscheidungen ist nur zu oft ein Kairos, also ein richtiger Zeitpunkt, erforderlich. Was aber gestern als Einrichtung sinnvoll gewesen wäre, könnte heute ein Unsinn sein - und umgekehrt. Strategien sind stets zeitbedingt.

Man kann sehr wohl argumentieren, daß es vor drei- bis vierhundert Jahren vielleicht ein brillianter Schachzug der Kirche gewesen wäre, wenn sie je einen echt indischen und einen fernöstlichen Ritus, auf Sanskrit und klassischem Chinesisch, gegründet und in diese auch eine Anzahl von indischen und chinesi-

,,Nun ist die katholische Kirche zwar an keinen Kulturkreis gebunden, aber sie zeigt wie ein Baum Ringe, und diese sind bleibend."

sehen Traditionen und Gedankengänge organisch eingebaut hätte.

Es sollte genügen, die Namen der Jesuiten de Nobili und Ricci Tür Indien und China zu erwähnen. Häßliche Intrigen in Rom zerstörten diese vielver-heißenden Anfänge.

Nun ist die katholische Kirche zwar an keinen bestimmten Kulturkreis gebunden, aber sie zeigt wie ein Baum Ringe, und diese sind bleibend. Pius XI. hat uns daran erinnert, daß wir spirituell alle Semiten sind, aber wir sind auch Griechen und Römer, und gewissermaßen auch Germanen, Slawen, Ural-Altaier.

Sicherlich werden noch weitere Völker in allen Erdteilen zur Katholizität der Kirche „bei-tragen", aber die einmal vorhandenen Ringe bleiben für immer und werden stets eine zentrale Rolle spielen.

Heute aber entsteht - ich schreibe das als ein Weltreisender in Semiper-manenz - eine Weltkultur, und diese wird in ihrer Grundlage europäisch beziehungsweise „euramerikanisch" sein. Man kann das begrüßen oder bedauern, doch daran ist kaum etwas zu ändern - außer durch ungeheure, physische Katastrophen.

Diese EntwicklungkönnenauchJüng-linge mit rasiertem Kopf, die für die Hare-Krishna-Bewegung werben, populär gewordenen Yoga-Übungen oder auf eine meist höchst naive Art betriebene Zen-Studien nicht aufhalten.

Leider aber hat die Euramerikanisie-rung des Erdkreises nicht nur positive, sondern auch negative Aspekte: wenn man heute in China immer noch den neurotischen Bücherwurm aus dem British Museum Reasing Room verehrt, der antisemitische Phrasen im Stil des „Stürmers" drosch, oder man in Japan die instrumentalistische Philosophie John Deweys (wenn nicht gar die Ideen von Burrhus F. Skinner) totenernst nimmt, dann wird es allerdings offenbar, daß wir auch nur zu oft unseren ärgsten Mist zum Schaden der weiten Welt exportiert haben. (Von der Verehrung für meinen verblichenen Kompa-trioten Adolf Hitler in der arabischen Welt wollen wir lieber ganz schweigen.)

Doch die Euramerikanisierung des Globus hat einen zwanghaften Charakter. Wir müssen uns einmal vor Augen halten, daß der Ingenieur ein Produkt der christlich-hellenischen (aristote-lisch-cartesianischen) Welt eines ratio-

nalen Realismus, also eines „ausschließlichen" Denkens ist,, das im Rück- und Weitblick keinen globalen Charakter hat.

Und auch weder der Fideismus Luthers noch die Prädestinationslehre Calvins haben den Intellektualismus und den Voluntarismus unserer Kultur je ernstlich in Frage gestellt. Die Technik und die Naturwissenschaften (auch im Sinne der Aufforderung, die Erde zu beherrschen - Genesis 1,28!) haben unser Ansehen gegründet.

Es ist also primär die Technik mit allem, was mit ihr zusammenhängt (Medizin, Pharmazeutik, Chemie, Industrie, Wohnbau, Verkehr, Rüstung, moderne Landwirtschaft), die ein Denken und eine Disziplin erfordert, die mit den niedrigen, oft aber auch hochstehenden Urkulturen nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind.

Die „Farbigen" (um einen Ausdruck Spenglers zu verwenden) wurden von uns genau so in die Knie gezwungen, wie seinerzeit auch die Antike nach der Völkerwanderung und der physischen Zerstörung des Römerreiches über unsere Vorfahren aus den nördlichen Wäldern und Steppen kulturell siegte.

Das sind Prozesse, die schmerzhaft und schwierig sind, die aber kaum rückgängig gemacht werden können. Auch die leichtfertige Annahme, daß man zwar die Zivilisation akzeptieren, aber die Kultur zurückweisen könnte, ist ein weitverbreiteter Irrtum. Der Indonesier, der sich ein Auto zulegt, hat „Ja" zu Aristoteles gesagt.

Man sieht das deutlich im Kongo, wo zum Beispiel ein Arbeiter im Katanga-Gebiet (oft in der vierten Generation mit der Technik vertraut) bei der Panne seines Wagens methodisch überlegt und nachforscht, wo die Quelle des Versagens sein könnte, während der unglückselige Wagenbesitzer in der Kiwu-Provinz sich noch oft einen Medizinmann holt.

Arthur Koestler aber hat treffend gesagt, daß Kulturen und Zivilisationen package deals darstellen, aus denen man sich nur mit den größten Schwierigkeiten Einzelstücke ungestraft herausnehmen kann. (Das gilt auch für Ostasien, wo dank des Konfuzianismus

,,Die Technik und die Naturwissenschaften haben unser A nsehen begründet.

eine uns sehr ähnliche Arbeitsmoral herrscht.)

Diesen Europäisierungsprozeß mit all seinen Problemen sieht und fühlt man sehr deutlich, nur um ein Beispiel zu nennen, in Abidschan, wo ganz allgemein zu Mittag die Ankunft der Pariser Morgenblätter ungeduldig erwartet wird, wenn man eine indische Fabrik besucht, in der man den „protestantischen Arbeitsethos" nicht kennt, oder an Diskussionen in den geistigen Zentren der Dritten Welt teilnimmt, wo die Disziplin unserer Logik fehlt.

Ohne die vielgelästerte westliche Technik gibt es keine moderne Landwirtschaft, und ohne diese wiederum nur Hunger und Tod. Die „Antitechno-logie" ist zwar manchmal, aber nicht immer realistisch. Und erst die westliche Medizin! Ohne sie wäre nur ein Bruchteil der Bewohner der Dritten Welt am Leben!

Diese Urverbindung des Christentums mit der westlichen Kultur hat aber auch zur Folge, daß die zum Christentum konvertierten Nichteuropäer oft nicht „echte Christen" sind (was freilich vorkommt), oder spätestens in der Generationenfolge sehr andere, von ihrer nichtchristlichen Umgebung sich

„Gerade in der Frage einer zu weitgehenden Lokaladaption hüte man sich vor der großen katholischen Schwäche des mangelnden Zeitgefühls!"

streng unterscheidende Menschen werden.

So ist es nun einmal! Ein Däne, der allen Ernstes ein Moslem wird, hört eben auf, ein typischer Däne zu sein; die Liebe zum Nächsten (anders als die Barmherzigkeit oder Wohltätigkeit) ist im Koran nun einmal nicht enthalten, und er würde sich nicht scheuen (wiewohl es ungesetzlich wäre) vier Frauen zu ehelichen.

Auch ein katholischer Inder, Japaner oder Zentralafrikaner ist ein „anderer Mensch". (Kein Wunder, denn wir wurden ja aufgefordert, den „alten Adam" auszuziehen!) Und da sieht man auch deutlich, was die (engen) Grenzen der Rasse bedeuten.

Mit Kardinal Mälula (Kongo) rede ich wie mit einem Menschen „meinesgleichen", unter japanischen Christen bin ich ganz zu Hause, aber mit einem Landsmann, der ein „Agnostiker des höflichen Zweifels" ist, den ich bestenfalls als „anonymen Christen" betrachten kann, komme ich unmöglich auf die gleiche Wellenlänge, wenn es um tiefere Dinge als das Wetter, die Kfz-Steuer oder die Radioprogramme geht.

Allerdings darf man hier auch nicht vergessen, daß der christliche Glaube Jahrhunderte braucht, um nicht nur Herz und Blut, sondern auch Mark und Knochen zu durchdringen. Im Hochmittelalter hatten wir große Heilige und hervorragende Intellektuelle, aber heidnische Grundhaltungen, Traditionen und Praktiken gab es noch in rauhen Mengen. Es dauert zum Beispiel auch Generationen, bis chinesische Christen christliche Reflexe bekommen - also im Auto eher an einem Baum zu zerschellen als über ein Kind zu fahren, das einem plötzlich über die Fahrbahn rennt. (Wir sprachen von Reflexen, nicht Überlegungen!)

Wie dem auch sei: vielleicht war es kein so großes Unglück, daß sich die zusätzlichen Riten nicht realisierten. Als vor ungefähr 25 Jahren führende katholische Geistliche Japans darüber berieten, ob man das scheußliche Wort kaiorishizumu (vom englischen Catho-licism) mit Tenshukyokai („Kirche des Himmlischen Herrn" nach chinesischem Muster) ersetzen sollte, lehnten dies die gebürtigen Japaner mit dem Hinweis ab, daß der europäische Ausdruck viel faszinierender wirke.

In Nara protestierten Katholiken, als man ihnen eine Kirche im buddhisti-

schen Tempelstill baute. Daher ist auch die neue Kathedrale von Tokio hochmodern, „international", von einem progressiven japanischen Architekten entworfen. Mehr und mehr leben wir in einer Welt.

Hätten nun die Schöpfer der neuen Riten vor 300 Jahren ihre Chance erhalten, würde die Kirche heute vor sehr subtilen, wenn auch anderen Problemen stehen. Die Abschaffung dieser Riten würde heute ebensowenig in Frage kommen wie die Abschaffung der vom Westen so oft stiefmütterlich behandelten Ostriten.

Man könnte da wieder sagen, daß Gott oft auf krummen Linien gerade schreibt, denn die Feinde dieser geplanten Riten haben seinerzeit wahrlich krumme Wege benützt. Im Rückblick sind alle diese Bewertungen keineswegs einfach. Daß die neuen Provinzen des Christentums große, für die Kirche höchst wertvolle Beiträge leisten könnten, ist selbstverständlich, auch dann, wenn ihr harmonischer Einbau nicht immer leicht sein wird.

Folklore, Ritus und Lehre müssen immer deutlich unterschieden werden. Das Christentum im allgemeinen und der katholische Glaube im besonderen ist für den Synkretismus nicht geeignet. Niemals dachte man im frühesten Christentum den Astartekult, die Mithras-religion oder die Götter Altägyptens zu „adoptieren".

Das erste Gebot ist stets das allererste Gebot geblieben.

In der rein liturgischen Domäne sind lokale Äußerlichkeiten keineswegs unerwünscht. Warum nicht in Afrika Tanz und Trommeln? Doch wenn man den Papst kritisiert, weil er sich auf seiner afrikanischen Rundreise gegen die Polygamie ausgesprochen hat.bleibt einem der Verstand stehen.

Eine ideale Lösung der Sprachenfrage gibt es allerdings auch nicht. In Nairobi störte mich das Englisch, das man den Gläubigen der verschiedensten Herkünfte brutal vorschrieb. Als ich das letztemal in Ghana mit seinen 12 Stammessprachen war, wurde dort das Lateinische mit Recht weitergepflegt.

Die japanische Untergrundkirche hatte durch 260 Jahre die lateinische Messe mündlich, wenn auch nicht fehlerlos weitergegeben! Und da muß man auch an die stets größere Mobilität des Menschen von morgen denken: vielleicht werden Filipinos zum Wochenende nach München und Iren nach Ceylon kommen. Der Turmbau von Babel war bekanntlich kein großer Erfolg.

Gerade"in der Frage einer zu weitgehenden Lokaladaption hüte man sich vor der großen katholischen Schwäche des mangelnden Zeitgefühls. Immer wieder hat die Kirche den Hund nachgeahmt, der auf den Baum bellt, nachdem das Kätzchen längst auf und davon gelaufen war.

Das ist allerdings das kleinere Übel. Viel ärger wäre es, wenn die Kirchejede Modetorheit mitmachte. Dann wäre sie ein spiritueller Modesalon und keine Kirche mehr.

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