Ringelspiel mit Negersklaven —1975 in Österreich
Zum österreichischen Nationalfeiertag 1975 ließ sich die im österreichischen Jugendrat für Entwicklungshilfe konzentrierte Jugend des Landes eine feine Idee einfallen, die sie mit einer Plakatwerbung illustrierte. Während sich gleichzeitig die österreichische Nationalwirtschaft, die sich in ihrer schwersten Krise seit 1945 befindet, mit der Einladung: „Kauft österreichische Qualität!“ für den erhöhten Absatz heimischer Produkte und damit für die Erhaltung der zum Teil gefährdeten Vollbeschäftigung sowie für die Mithilfe aller beim Wirtschaftsaufschwung des Landes einsetzte, lenkte der Jugendrat die Aufmerksamkeit auf Probleme der Dritten Welt ab. Auf Problemein antikolonia-listischer, antiimperialistischer und antikapitalistischer, jedenfalls in sozialistischer Sicht. Wie dies dem vorwiegend links orientierten Jugendverband zukommt.
Zum österreichischen Nationalfeiertag 1975 ließ sich die im österreichischen Jugendrat für Entwicklungshilfe konzentrierte Jugend des Landes eine feine Idee einfallen, die sie mit einer Plakatwerbung illustrierte. Während sich gleichzeitig die österreichische Nationalwirtschaft, die sich in ihrer schwersten Krise seit 1945 befindet, mit der Einladung: „Kauft österreichische Qualität!“ für den erhöhten Absatz heimischer Produkte und damit für die Erhaltung der zum Teil gefährdeten Vollbeschäftigung sowie für die Mithilfe aller beim Wirtschaftsaufschwung des Landes einsetzte, lenkte der Jugendrat die Aufmerksamkeit auf Probleme der Dritten Welt ab. Auf Problemein antikolonia-listischer, antiimperialistischer und antikapitalistischer, jedenfalls in sozialistischer Sicht. Wie dies dem vorwiegend links orientierten Jugendverband zukommt.
Unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit für die Dritte Welt“, wurde ein Wiener Ringelspiel abgebildet. Obenauf die Figur des Walzerkönigs Strauß, in den Schleudersitzen je ein männliches und ein weibliches Indi-.viduum spießbürgerlicher Herkunft. Interessant an dem Ganzen war die Antriebskraft des Ringelspiels. Das Bild wurde nämlich nicht von der Figur des Walzerkönigs beherscht, sondern von einem Neger in der Elendskleidung amerikanischer Plantagensklaven des 19. Jahrhunderts. Während hoch oben der Walzerkönig seine munteren Weisen dirigierte und Spießbürger im Walzertakt lustig durch die Luft einer heilen Welt flogen, drehte der in eine riesige Flasche eingeschlossene Neger eine Antriebskurbel. Mittels Drehens dieser Kurbel setzte er zahlreiche Zahnrad-Transmissionen, und damit die Spindel des Ringelspiels, in Bewegung.
Wahrscheinlich haben nur wenige Passanten diese etwas überladene und in kleinste Details gehende Plakatwerbung genauer betrachtet. Und wohl noch weniger die unter der Formel „Gerechtigkeit für die Dritte Welt“ abgedruckten Detailforderunge , der Dritten Welt an die Industrieländer.- Wer sich nach erinnert, wie mit Bildern und Statuetten von Negerknaben für die Mission geworben wurde, wird vielleicht eher auf einen Zusammenhang mit Problemen der Farbigen gestoßen sein. Kaum einer der Betrachter wird sich aber über die Volksverdummung Gedanken gemacht haben, die mit der Tendenz der fraglichen Plakatwerbung verbunden war. So blieb diese Beleidigung Österreichs an seinem Nationalfeiertag 1975 eher ein Ereignis unter Ausschluß der Öffentlichkeit; darum aber nicht weniger bedauerlich.
Wer es seinerzeit erlebt und erfaßt hat, wird sich noch jener Propaganda der fünfziger und sechziger Jahre erinnern, in der ein „rückständiges, rückschrittliches Österreich“ angeklagt wurde, es sei nicht in der Lage und wohl auch gar nicht willens, den „fortschrittlichen Industrieländern des Westens“ zu folgen. Da damals, wie propagiert, in Österreich der Übergang von der „vorindustriellen“ in die „industrielle Welt“ zu sehr auf sich warten ließ, kam es zu einer vieldiskutierten Folge: Fortschrittlich gesinnte junge Menschen, fähige und freisinnige Geister, hatten vielfach keine andere Wahl, als dieses rückständige Österreich zu verlassen, um in einem der westlichen Länder mit vollentwickeltem Industriesystem mehr zu verdienen, mehr Lebensqualität für sich zu haben und anstelle erstarrter österreichischer Kulturtraditionen den westlichen Zivilisationsfortschritt in vollen Zügen zu genießen.
Und während im rückständigen Österreich Jugend- und Hochschülerorganisationen, von denen die meisten einer der beiden Großparteien der damaligen Regierungskoalition nahestanden, bereits anfingen Österreich der Teilnahme an Untaten des Imperialismus und des Kolonialismus zu beschuldigen, blieb vorläufig die Kehrseite des Wunderbildes im Westen noch verdeckt; jene, die nunmehr im Jahre 1975 der Negersklave unter dem Ringelspiel verkörpert.
Daß nämlich die in fortschrittlich orientierten Kreisen Österreichs vielfach gepriesenen westlichen Industrieländer zugleich jene Staaten waren und zum Teil noch sind, die mit ihren Taten die Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus gemacht haben. Die aufs billigste jenen Rohstoff- und Wirtschaftsreichtum aus den heutigen Ländern der Dritten Welt sammeln konnten, von dem sie im Handel und mit enormen Handelsspannen einiges an reine Kontinentalstäaten wie Österreich 4m teures Geld abließen. Die Flotten und die Kolonialtruppen der fraglichen Handelsmächte des Westens haben allerdings in den Zentren der Kolonialmächte nicht nur enorme Reichtümer entstehen lassen. Sie rekrutierten nach marxistischer Ansicht auch jenes „äußere Proletariat“ in den Kolonien, das jetzt der totalitäre wie der demokratische Sozialismus bei seinem Generalangriff und mangels eines „inneren Proletariats“ im Klassenkampf der Industrieländer einsetzt. Niemand dachte wohl bei Anblick des fraglichen Plakats, und noch weniger am österreichischen Nationalfeiertag daran, daß Österreich einmal die einzige unter den europäischen Großmächten gewesen ist, die niemals Kolonien in der heutigen Dritten Welt besessen hat. Österreich mußte die von dorther bezogeojm Rohstqffe und^lan-delswaren Ü^dem Beiahlen, -mSBe-Österreicher mit ihrem Schweiß; und nicht etwa mit dem Schweiß der Farbigen in den Kolonialländern, erarbeitet hatten.
Jahrzehntelang winkte die Freiheitsstatue auf der Reede von New York europäischen Auswanderern entgegen; nicht zuletzt jenen „Unterdrückten“, denen der Text ihrer Inschrift als Willkommensgruß geweiht ist. Unter diesen „Unterdrückten“ waren und sind nicht zuletzt jene Auswanderer aus dem „Völkerkerker Österreich“ gemeint, dessen Zertrümmerung im Jahre 1918/19 zu den geschichtlichen Großtaten des US-Präsidenten Woodrow Wilson gerechnet wird. Man muß eines dabei zugeben: In der Neuen Welt gab es Land, ein weites Land, das sich schließlich quer durch den ganzen Kontinent vom Atlantischen bis zum Pazifischen Ozean erstreckte. Und: es sollte ein freies Land sein. So frei, daß man auf seinem Boden zum ersten Mal jene unveräußerlichen Menschenrechte verkünden durfte, die die Hochwassermarke des Humanitätsideals des 18. Jahrhunderts geworden sind. Ein Humanitätsideal, das allerdings den Negersklaven der USA zunächst wissentlich vorenthalten und ihnen erst 1865 eingeräumt wurde; nicht auf Grund besserer Einsicht, sondern als Folge eines drei Jahre dauernden Bürgerkrieges. Als die Väter der US-Verfassung die Negersklaverei in ihrem neugeschaffenen Staat tolerierten, stand die Ansicht des Klassikers der liberalistischen Nationalökonomie, Adam Smith hoch im Ansehen. Demnach ist bei der Güterrechnung primär nicht die Arbeit, sondern der Nutzen von Bedeutung. Negerarbeit war nützlich; sie war aber vor allem billig im Hinblick auf den mit ihr erzeugten Nutzen. Sie kostete fast nichts oder nur wenig mehr als Tierhaltung ...
An diesem- Punkt der Geschichte könnten junge Österreicher des Jahres 1975 jenen Arbeiter im Negro-Look schuften sehen, soferne ihre Anschauung nicht überhaupt bar jeder Geschichtskenntnis ist, ober vom Historischen Materialismus verzerrt.
Der österreichische Bundesjugend-rat hätte gut daran getan, nicht nur den Neger aus Afrika, sondern zugleich auch den Indianer aus Nordamerika auf der Abbildung des Triebwerkes des fraglichen Ringelspiels zu zeigen. Denn eben diesem Indianer Nordamerikas wurden das weite . Land, dessen unbegrenzte Möglichkeiten und dessen Bodenschätze, für das heutige Industriesystem der USA, abgenommen; gegen Talmischmuck, bunte Stoffe, Whisky verei seit Jahrhunderten nicht mehr gab, aber fortschrittlich gesinnte Politiker dem alten Österreich dessen Rückständigkeit, dessen Boden- und Arbeitspolitik zum Vorwurf machten. Ehe in den USA die Sklaverei endgültig abgeschafft wurde, entstanden in Österreich jene Verfassungsgesetze, auf denen heute noch die Grundrechte auch der Republik Österreich basieren.
Hier sollen der Kolonialismus, die zügellose Ausnützung des Bodens, der Bodenschätze sowie der Urbe-wohner des Landes, wie dies in alten Kolonien der Neuzeit stattfand, nicht einseitig den USA zugeschrieben werden. Anderseits darf nicht verschwiegen werden, daß unter dem Kolonialismus früherer katholischer Großmächte, gegen die sich die „Schwarze Legende“ der angelsächsischen Propaganda richtete, das Fazit am Ende der Kolonialära vielfach doch ein anderes war, als in angelsächsisch kolonisierten Teilen der Erde. Spanier und Portugiesen haben die Ureinwohner nicht ausgerottet; sie blieben jene Minderheit in ihren Kolonien, die den Vertretern der reinen Stimmzetteldemokratie heute das scheinbar moralische Recht gibt, hic et nunc portugiesische und spanische Kolonialisten nach drei- bis vierhundertjähriger Kulturarbeit preizUge-ben. Jenem Aufstand preizugeben, der aus dem Dschungel und dem Busch kommt, wo Menschen, die am Rande der Eisenzeitkultur wohnten, von kommunistischen Ausbildern im Kleinkrieg soweit getrimmt werden, daß ihre diversen Befreiungsarmeen neben der gegenseitigen Bekriegung noch genug Zeit finden, den weißen Mann zu terrorisieren, zu quälen, und zu töten. Und Missionare, die einmal die Welt mit ihren Nachrichten von der angeblichen Unterdrük-kung der Eigeborenen durch portugiesische Soldaten alarmierten, schweigen jetzt; jetzt, da in einem Jahr mehr Schwarze und Weiße in diesen ehemaligen Kolonien umgebracht wurden, als in den 14 Jahren, die vergingen, seit Anfang der sechziger Jahre die USA-Weltpolitik grünes Licht gab für die „Entkolonialisierung“ Afrikas.
Kolonialismus und dessen Folgen sind nicht einfach ein Generalbaß der amerikanischen Symphonie. Sie sind Leitmotiv der Geschichte der „Freien Welt des Westens“. Genauer gesagt: jener Großmächte, die einmal dem „reaktionären Altösterreich“ ihr Image einer Existenz aufgrund der Menschenrechte tadelnd entgegengehalten haben.
Längst hat der Propagandalärm Übe* di6 Greueltaten,die.dfe „deutschen läünnen“ 19*14 in Belgien verübten, die Erinnerung an jene Kongogreuel vergessen lassen, die einmal notwendig waren, um diese reiche Kolonie in den Besitz der belgischen Krone zu bringen. Indien, jenes Land, das im „gewaltlosen Widerstand“ vom Kolonialismus frei wurde, entwickelt als ein freies sozialistisches Land moderne Formen der Diktatur und der atomaren Aufrüstung, die auszurotten in Europa ständiges Bemühen des Antikolonia-lismus ist. Indessen: Indien entstand als sozialistischer Staat und in einem sozialistischen Staat sind Terror und Diktatur nur Entgleisungen, die vorübergehen, wie der Stalinismus.
Aber schon schießen in dem vom Kolonialismus befreiten Afrika Rassismus, Nationalismus sowie alle dem Faschismus zugeschriebenen Greuelmethoden mächtig in die Halme. Und es geschieht das unter den Augen derer, die 1945 die „Pestilenz der Menschheit“, den Militarismus der Deutschen und der Japaner, ausgerottet haben. Kommunisten Moskauer und Pekinger Observanz sehen als Übermächte dem Terrorismus, der in den von ihnen protegierten Staaten Afrikas geübt wird, interessiert, aber tatenlos zu. Und nicht anders verhalten sich multinationale Konzerne des Westens, die ohne Flotten und Kolonialtruppen und ohne ideologische Heilslehren noch immer da und dort den Kolonialismus des Weißen Mannes ausüben. Vergessen ist das drei Jahre währende Massaker und die gleichzeitige Hungersnot in Biafra (1967 bis 1970); wo besagte Konzerne einerseits, Kader des Kommunismus in Moskau und Peking anderseits, jenes furchtbare Feuer unterhielten, das notwendig zu sein schien, um sich darüber klar zu werden, wer die wertvollen Rohstoffvorkommen Biaf ras künftig kontrollieren solle. Aber solche Hintergründe blieben den spendenfreudigen Helfern für Biafra verborgen, weil ölgetränkte Caritas übel riecht.
Um Irrtümern vorzubeugen: Österreich darf und soll sich nicht aus jenen Solidarverpflichtungen lösen, die der ganzen Weltbevölkerung obliegen und die dazu dienen sollten, einseitige Diskriminierungen von Teilen der Menschheit zu überwinden. Dazu bedarf es im Falle Österreich aber nicht der Einimpfung jenes Schuldbewußtseins, das der österreichische Bundesjugendring am Vortag des österreichischen Nationalfeiertags unseren Landsleuten beizubringen versuchte. Die Stunde ist spät, vielleicht schon zu spät, um vollends zu erheben, wann, wie und wo Ursachen für das „äußere Proletariat“ in den ehemaligen Kolonial- und heutigen Entwicklungsländern zu suchen sind. Mag die Wissenschaft, unbeeinflußt von den Ideologien des Historischen Materialismus, in ihrem Suchen nach historischer Wahrheit fortfahren. Für Österreich klang der Stundenschlag der Weltgeschichte an seinem Nationalfeiertag 1975 anders als in London, Washington, Moskau, Peking und an anderen Stätten des traditionellen sowie des Neokolonialismus.
Denn der Nationalfeiertag unseres Landes war in diesem Jahr kein Feiertag der Pharisäer, die zu lange die falsche Demut des Zöllners als Maske trugen. Anderseits ist es an der Zeit, auch in Österreich jenen linksge-drallten Pharisäismus zu entlarven, der unserem Lande genug Schaden in seiner Geschichte zugefügt hat. Dabei ist zumal an jene Pharisäer zu denken, die jenes gewisse Fernglas gebrauchen, mit dem sie aus der Sicht des Kosmopoliten alles im Ausland entstehende Große noch vergrößern, um dann, nach Umkehrung des Fernrohrs, mit einigem Sar-kasmus die richtigen Größen heimischer Leistungen zu verkleinern und herabzusetzen. Am Nationalfeiertag 1975 wäre der Jugend des Landes aufzuzeigen gewesen, welche Leistungen das neutrale Österreich in einer neuerdings von Rassenhaß, Nationalismus und Klassenkampf erschütterten Welt, 30 Jahre nach dem Ende des Hitlerismus, zu leisten imstande ist. Man hätte auch gut getan, ausdrücklich daran zu erinnern daß, die' “Väter der Neutralitätserklärung von '1955' nicht nur jede Zumutung eines Neutralismus von sich gewiesen, sondern, so wie es Julius Raab und Adolf Schärf verstanden, jede Aktionsgemeinschaft mit dem internationalen Kommunismus strikt abgelehnt haben. Es wäre auch besser gewesen, die Österreicher nicht glauben zu lassen, es gebe noch so, wie zur Zeit der Negermissionen in Großmutters Zeiten, unschuldige und hilflose Negerjungen, denen nichts mehr zusteht, als etwa das Wiener Ringelspiel in diesem Straußgedenkjahr im Schwung zu halten. Dermaßen den Rassismus, den Nationalismus und den Klassenhaß in der Dritten Welt unterkühlt zu präsentieren, muß letztlich selbst unter Österreichern Instinkte zur Selbstbehauptung wecken, wo solche unter den heutigen Verhältnissen nicht ganz abgetötet zu sein scheinen.
Acht Tage vor dem Nationalfeiertag brachte das ORF-Fernsehen in großer Aufmachung Wolfgang Bauers Komödie vom Untergang des Bürgertums in einem Meer von Alkohol und Sexualismus. Indessen: diese Großtat des heutigen Pharisäismus wurde noch am Tag der Tat entlarvt. Einer der unglücklichen Jungen, den das letzte Jahrzehnt der Enthemmung von allen „traditionellen, sexuellen und gesellschaftlichen Zwängen“ so atomisiert und hoffnungslos gemächt hat, wie es die Philosophen dieses Jahrzehnts für ihn erdachten, hat es übernommen, nach dem letzten Vorhang von Rauers Stück ein Postludium zu spielen. In dem vom Publikum verlassenen Grazer Theater, in dem Bauers Stück aufgeführt worden war, spielte er den Epilog, um den der Bühnenautor sein Publikum betrogen hatte. Er ließ sich in das leere Theater einschließen, soff die letzte Flasche seines Lebens aus und stürzte sich vom obersten Rang herab ins Parkett. In jene Leere, die nicht selten die zeitgenössische Kunst hinterläßt, wenn ihre staatlich geförderte Präsentation zu Ende ist.
Dieses Spiel vom Tod, nicht das Ringelspiel mit dem Negersklaven, ist das wahre Antlitz des Jahres 1975. Ist aber auch Herausforderung für jene in unserem Lande, die einer Selbstreinigung überhaupt noch fähig sind.