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„Scharlach“ in Südamerika

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Scharlach erkennt man an roten Flecken. Sie sind aber nur das Symptom, nicht das Wesen der Krankheit. Durch Überschminken der Flecken kann man die Krankheit nicht heilen. In Lateinamerika gibt es mehr rote Flecken als bloß Kuba, und sie werden bald durch die Schminke durchscheinen.

Britisch-Guyana ist durch einen bösen Witz der Geschichte rot

geworden. Dem energischen Inder Cheddi J a g a n wäre jedes System recht, das ihm zur Macht verhilft. Zufällig hat er eine weiße Amerikanerin geheiratet, die Kommunistin ist. Man muß nicht Kommunistin sein, um einen Farbigen zu heiraten. Portugiesinnen haben das in den portugiesischen Kolonien seit Jahrhunderten getan, in Indien und Haiti gibt es zahlreiche, in Afrika und USA relativ wenige Mischehen mit Farbigen, die durchaus den Zweck der Ehe erfüllen: aus den Gatten mehr zu machen, als sie ohne die Ehe wären. Dazu ist nicht Rassengleichheit, sondern Kulturgleichheit Voraussetzung. Das heißt, beide

Gatten müssen dieselben Begriffe von dem, was recht und schön ist, haben. Eine Ehe kann nicht bestehen, in der nur ein Teil Kommunist oder Faschist oder Nationalsozialist ist. Beide Teile müssen dasselbe Unrecht für recht halten, damit die Ehe gut sei. Jagans Ehe ist gut. Daher mußte er Kommunist werden.

Das Vertrauen, das ihm die zahlreiche indische Bevölkerung Britisch-Guyanas entgegenbringt, hat diese ganze Gruppe rot infiziert. Sie bildet den Mittelstand der Kaufleute, Angestellten, Lehrer. Das widerlegt die Mär, daß Kommunismus nur auf armem Boden wuchert.

Farbe gegen Farbe

Weil aber die Inder Britisch-Guyanas rot geworden sind, stemmen sich seine Neger, die Industrie- und Landarbeiter, unter Führung von Forbes B u r n-h a m, dagegen. Nicht, weil sie es besser wissen, sondern weil sie aus Instinkt gegen das sind, was die Inder wollen. Die wenigen Portugiesen, unter Peter d'A g u i a r, werden von einem Zünglein an der Waage zu einem' Korn zwischen zwei Mühlsteinen werden.

So steht dies an Naturschätzen schöne und an Wirtschaftsschätzen reiche Land, mit dem höchsten Wasserfall der Welt, vor einem Bürgerkrieg, der ein Rassenkrieg sein wird. Nur britische Herrschaft und britisches Militär stehen — noch — vor dem Massenmord. Nun ist England entschlossen, dem farbigen Druck, auch wenn und wo er sinnlos ist und Opfer an Menschen und Kultur fordert, nachzugeben. Die USA haben geglaubt, auch ihm mit Geld vorbeugen zu können. Als sie sahen, daß sie

damit nur ein rotes Regime finanzieren würden, hielten sie mit ihrer Hilfe zurück und erweckten die Empörung des Kommunisten Jagan, der das Geld doch so nötig brauchte, um die Fehlleistungen seines Regimes zu verdecken. Das alles sind aber nur Rückzugsgefechte. Wenn Britisch-Guyana unabhängig wird, so wird es rot.

Fahrplan nach dem Kalender...

Gleiche Gefahr droht an der anderen Grenze Brasiliens, in B o 1 i v i e n, dem Land der Widersprüche. Dieses drittgrößte und jetzt rückständigste Land Südamerikas, einst Zentrum hoher indianischer Kultur, mit der höchstgelegenen Haupstadt der Erde, die von Gletschern umrahmt ist, reicht bis in

tropische Dschungeln hinab. Das Hochplateau ist nur durch seine Minen wirtschaftlich lebensfähig, die aber nur mit viel Kapital und relativ niedrigen Löhnen gegen die malayischen Minen, die mit halben Kosten erzeugen können, konkurrenzfähig erhalten werden konnten. Als man die Eigentümer verjagte, wurden die Minen nationalisiert, richtiger syndikalisiert, unter dem Schlagwort „Die Minen den Grubenarbeitern“. Das ist ein schönes Schlagwort, aber man kann davon nichts abbeißen. Ohne Kapital, mit erhöhten Löhnen, wurde die Konkurrenzfähigkeit zerstört, Inflation gefördert.

Vor vier Jahren wurde die englische Eisenbahn, die höchste der Welt, zur Zeit ihres Baus eine Wunderleistung, die einzige Verbindung Boliviens mit dem Meer, den Eigentümern konfisziert und in Regierungsverwaltung genommen. In diesen vier Jahren wurde sie so heruntergewirtschaftet, daß der Fahrplan sich nicht mehr nach der Uhr, sondern nach dem Kalender richtet: der Passagier wußte nicht, an welchem Tag er ankommen würde. Jetzt hat man die Engländer bitten müssen, wieder die Verwaltung zu übernehmen, und muß sie dafür bezahlen. Sofort hat sich aber der Verkehr gebessert, sehr zum Ärger der Kommunisten, die nun ihre Theorien statt durch Erfolge durch Attentate und Sabotage beweisen wollen.

Trotz aller Geldtransfusionen, trotz aller schönen Studien und guten Plänen von USA und UNO, die die Bolivianer, soweit sie das konnten, stolz und gelangweilt lasen, wurde das Land immer ärmer. USA, Deutschland, internationale Organisationen und Banken haben der aus der Revolution von 1952 hervorgegangenen Regierung mit Riesenbeträgen geholfen.

Moskau, das sich von Unruhen nährt, hat die schwache Stelle im Zentrum Südamerikas wohl erkannt. Es war leicht, das Eindringen kommunistischer Agitatoren in die amorphe Masse der Minenarbeiter zu organisieren. Die Führung der Revolution wurde den „gemäßigten“ Doktoren Paz Estenssoro und Sile S u a r e z überlassen, die in Washington und Bonn Vertrauen genossen. Unterdessen wurden die Schlüsselpositionen in den Minengewerkschaften und Bauernver-,bärAden, 4ne&man bsjvafjJBefce MjJifeyi geststtettisMOB Rotejitfbegetat sHeimtr noch mit Gewalt zu vertreiben wären. Gegen den gezielten Widerstand der Roten konnte die rosa Regierung nichts von dem durchsetzen, was zur Überführung des Landes aus dem Feudalismus in eine moderne Marktwirtschaft nötig gewesen wäre. Der „rechte“ Flügel der Regierung wich gegen den von Vizepräsident Lechin und Arce geführten „linken“ immer mehr zurück. Der Kampf für und gegen den Osten zeichnet sich klar ab.

Zwischen den Zangen...

Zwischen den rotglühenden Zangen Guyana und Bolivien liegt das große Brasilien, eines der reichsten Länder der Erde mit den ärmsten Bevölkerungsteilen. Von seinen 70 Millionen lebt ein großer Teil als Wilde im Dschungel, für den nur eine Kette japanischer Siedler, die sich von Rio bis Lima zieht, eine lose Berührung mit der Zivilisation bildet. Was aus dem Urwald zu machen wäre, zeigt eine Siedlung von etwa 30.000 Japanern am oberen Amazonas, die einen wenig bekannten, gut verwalteten, wohlhabenden kleinen Staat im Riesenstaat bilden. Man brauchte nur von ihnen oder von dem Agrarwunder Formosas lernen, um die rote Gefahr im Nordostteil Brasiliens zu bannen.

Macht durch jedes Mittel

In Südamerika sind nirgends mehr die Reichen maßgebend, sondern die Mächtigen. Das sind die Beamten und die Politiker. Sie kontrollieren einander nicht, sondern folgen der Lehre von der „reinen Hand“: eine Hand wäscht die andere. Jedes Mittel ist ihnen recht, um die Macht zu halten und zu stärken. Im Zeitalter des erweckten Massenbewußtseins gibt es dazu kein geeigneteres Mittel als den Kommunismus oder dessen getarnte Abart, den Faschismus. Beide konzentrieren mit populären Schlagworten die Macht in wenigen Händen und, von diesen abgeleitet, in den Händen des letzten treuen Söldners. Die Paradigmata heißen Stalin, Hitler, Perön, Jimenez, Castro. Im Gedankenaustausch mit den kleinen Aposteln von Marx-Lenin im eigenen Lande oder

mit dessen großen Aposteln bei luxuriösen Besuchen in Peking oder Moskau kommen die Führer von Jieute und von morgen bald darauf, daß es keinen anderen Weg zu Macht und Reichtum als den „roten“ gibt.

Viel Zeit ist versäumt worden, sowohl von den Völkern der bedrohten Länder, wie von denen, die ihnen helfen wollten und den Scharlach mi€ Goldschminke über den roten Flecken heilen wollten. Man könnte höchstens jenen, die in ihrer Machtgier auf die eigene Entrechtung hinarbeiten, die nach Herrschaft streben und doch nur recht- und hilflose Satrapen eines Welttyrannen sein würden, immer wieder und in allen Sprachen, die sie verstehen, einhämmern: „Nur die allergrößten Kälber wählen ihren Metzger selber (“

ler Maßnahmen auf örtlicher Ebene zu überzeugen. JFK selbst hat führende Arbeitgeber, Besitzer von Unterhaltungsstätten, Restaurants usw. zu sich gebeten, sie zur Aufgabe der Sonderbestimmungen für Farbige zu veranlassen. Fast alle Kirchen haben öffentlich die Aufhebung der rassischen Beschränkungen gefordert.

Gerichte haben in zunehmendem Maße von einzelstaatlichen Gremien festgenommene Negerdemonstranten freigegeben.

Aber die .Unruhe hat nicht aufgehört. Fast jeden Tag gibt es Zusammenstöße zwischen Farbigen und Angehörigen weißer Gegenorganisationen, wie des KU KLUX KLAN oder der „White Citizens Councils“, gibt es Demonstrationen auf der einen,

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