6568047-1950_06_13.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur wo che

Werbung
Werbung
Werbung

Die Ernennung des Universitätsprofessors Dr. Franz J a c h y m zum Erzbischof-Koad-jutor in Wien wurde von der Öffentlichkeit mit geziemender Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Selbst aus der akademischen Lehrtätigkeit auf den Stuhl des Wiener Erzbistums berufen, hatte Kardinal Dr. Innitzer den jungen; als starke Hoffnung der theologischen Wissenschaft schon sehr geachteten Moraltheologen mit anderen hochangesehenen Priestern in seinem Dreiervorschlag genannt. Dieser aus dem Wunsche des Kardinals, einen jüngeren Mitarbeiter zu erhalten, entsprungene Antrag war in weiteren Kreisen begreiflicherweise noch nicht bekanntgeworden, so daß die Nachricht von der Ernennung Dr. Jachyms viele überraschte. Der neue Kirchenfürst bringt mit seinem ungewöhnlichen Wissen, seinem vorbildlichen priesterlichen Leben und seinen hohen Geistesgaben ein aus eigenem Erleben gewonnenes Verständnis für die Nöte der in bedrängter Lage lebenden Volksschichten in sein verantwortungsschweres Amt mit.

Man soll den Zwis chenf all bei der ersten Arbeiterkammertagung, den Exodus der ÖVP-Mandatare zum Protest gegen ihre Benachteiligung durch eine allzu starre Mandatsmathematik, gewiß nicht überschätzen. Aber es ist doch ein bedenkliches Zeichen, daß der Koalitionsgedanke, zu dem sich die politische Führung der beiden großen Parteien bekennt, in einer der wichtigsten Standesvertretungen leicht fertig aufs Spiel gesetzt wird. Ob das nun daran liegt, daß die eine Gruppe Sich stark genug fühlt, um sich über jeden Wunsch der Minderheit einfach hinwegzusetzen oder daran, daß in den sozialistischen Gewerkschaftskreisen der integrale Marxismus und Klassenkampfgedanke noch die Geister beherrscht? Es war einst so, daß die sozialistischen Gewerkschaftsführer einen stärkeren Sinn für die Realitäten des Lebens hatten, während die politische Führung sich streng an die Linie der marxistischen Doktrin hielt. Heute scheint es umgekehrt zu sein. Hier liegt eine Gefahr für das Funktionieren und Wachstum der österreichischen Demokratie, der sich die verantwortlichen Männer beider Lager bewußt werden sollten.

Das Ergebnis der an der Universität Graz durchgeführten Untersuchung des Verhältnisses der sozialen Schichten zur akademischen Bildung in den verflossenen hundert Jahren ist überraschend. Es zeigt, daß die von vielen Sozialreformern angestrebte Ausdehnung akademischen Wissens auf alle Schichten des Volkes so gut wie nicht eingetreten ist und der Anteil der einzelnen Bevölkerungsschichten am Akademikertum sich in dieser Zeit fast gar nicht verschoben hat. Der Anteil der Beamtensöhne in der Studentenschaft beträgt 27,7%, jener der Akademiker 18,4%. Die Söhne von Gewerbetreibenden stellen 10,3%, die Bauernsöhne 4,2% und die Arbeitersöhne 3,9%. Der Anteil der Bauernsöhne nahm gegenüber der Vorkriegszeit stark ab, er betrug damals 7,1%, jener der Arbeitersöhne war ursprünglich 2,1%, hat sich demgemäß etwas erhöht. Wie man sieht, wirkt das akademische Studium heute, obwohl seine Kosten für viele Eltern zwar nach wie vor schwer zu tragen, aber nicht mehr unerschwinglich sind, nicht sonderlich verlockend auf breiteste Kreise der Bevölkerung. Die schlechteste Erklärung dieser bedeutsamen soziologischen Erscheinung ist wohl die, die in einer Anklage des „Bildungsprivilegiums“ von Zeit zu Zeit ihren Ausdruck findet. Abgesehen davon, daß auch Schlagwörter durch ihren wiederholten Gebrauch abgenutzt werden, ist es nämlich gerade die materielle und finanzielle Lage der „bil-dungsprivüegierten“ Kreise — ihr einziges Vorrecht: ein Privilegium odiosum, eine nachteilige Sonderstellung —, die wirklich nicht zu einem Beschreiten akademischer Laufbahnen lockt. Wer die Chance hat, in einem Alter, in dem der Student noch die Schulbank drückt, als ausgelernter Facharbeiter das Einkommen eines Universitätsprofessors heimzutragen, der wird nun einmal lieber Möbel tischlern, als etwa vorgeschichtliche Gräber aufdecken. Wenn zum Beispiet zur Zeit erfolgreich über die Abgabe von 200 Ärzten samt Familie an Schweden verhandelt wird, so ist das für so praktisch denkende Volksschichten Wie gerade für die Bauern und Arbeiter bestimmt der mindeste Anreiz, ihre Söhne auf die Hohen Schulen zu schicken.

Zur Zeit finden in allen österreichischen Städten die bekannten „Inventurausverkäufe“, „Billigen Wochen“, „Ausverkaufstage“, „Restverkäufe“ Statt, eine Gelegenheit, Waren zu billigeren Preisen zu erstehen. Der tiefere Sinn der Inventur ist die Säuberung des Lagers von Ladenhütern und anderen kostenverzehrenden Ansammlungen, wobei — Verbindung des Ni&te-

Uchen mit dem Angenehmen — der Verkauf in die geschäftsschwache Zeit nach Weihnachten gelegt wird, um den Kunden trotz kassenmäßiger Erschöpfungszustände nicht aus dem Kreislauf der Wirtschaft zu verlieren. Das Problem der Preisbildung wird dabei nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage gelöst, und da in diesen Wochen das Geld rarer ist als sonst, rutscht auch manches nicht ladenhütende, sondern sorgsam gehütete Produkt in den Ausverkauf zu vorübergehend billigeren Preisen. Die ewige Rätselfrage des Kunden, warum der billige Preis nicht auch nach Ablauf dieser Wochen erhalten bleibt, da er doch sichtlich den Erfolg der Umsatzsteigerung nach sich zieht, ist noch nie beantwortet worden.

Jedesmal, wenn ein Transport mit Kriegsgefangenen aus dem Osten eintrifft, erhebt sich die Frage nach den Verbliebenen, und immer klaffen ziffernmäßige Differenzen zwischen der Zahl der noch zu Erhoffenden und jener Zahl, die uns als tatsächlich angegeben wird. Der Grund liegt in den Listen der Gefallenen. Das Informationsamt der Sowjetzonenregierung Deutschlands hatte behauptet, daß auf Veranlassung der West-mächte die Namen von fast eineinhalb Millionen gefallener deutscher Soldaten geheimgehalten werden. Diese Behauptung geht auch uns Österreicher an. Wie liegen nun die Tatsachen? Auf Grund eines Kontrollbeschlusses ist die Aufsicht über die „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ an Frankreich übertragen Worden. Das französische Hochkommissariat betont seinerseits, daß Beauftragte der Roten Armee im Jahre 1946 in der deutschen Dienststelle mitgearbeitet und ihr Material in Anspruch genommen hätten, hauptsächlich um die Zahl der sogenannten Wlassow-Leute aufzuklären. Als Gegenleistung hätten die Sowjetorgane sich schriftlich verpflichtet, die umfangreichen G e-f allen enunt erlagen herauszugeben, die sie in Meiningen (Thüringen) erbeutet hatten. Man hat den schon legendär gewordenen Artikel 53 der Haager Landkriegsordnung für alle möglichen — und unmöglichen — Beutegüter in Anspruch genommen. Neu aber, ist wohl, daß anscheinend auch die Namen der Toten in diese Rubrik fallen. Anders könnte man sich es nämlich nicht vorstellen, daß heute, fast fünf. Jahre nach dem letzten Schuß, noch immer die Angehörigen in Österreich, und Deutschland auf eine Gewißheit, auf irgendeine Gewißheit, und sei sie auch die traurigste, warten müssen.

Die Bildung der sechsten italienischen Regierung De Gasperi wurde mit jener Ruhe und wohlüberlegten Bedachtsamkeit durchgeführt, die für den persönlichen politischen Stil dieses bedeutenden Staatsmannes kennzeichnend ist. Den „Mann, der warten kann“ — hat man De Gasperi mit Recht genannt. So hat er sich auch bei der Lösung der von ihm schon Wochen vorher, angekündigten „Regierungskrise“ — sofern man dieses Wort hier überhaupt anwenden kann — Zeit gelassen, und selbst die von der extremen Linken unternommenen Versuche, aus den Zusammenstößen zwischen Polizei und Streikenden, in Modena politisches Kapital zu schlagen, vermochten ihn nicht aus dem Konzept zu bringen. Die lange Wartefrist hat aber auch dazu beigetragen, daß sich die Heißsporne im eigenen Lager des Ministerpräsidenten, die eine Einparteienregierung forderten, inzwischen beruhigt haben und De Gasperi jener Linie, treu bleiben konnte, die er nach dem Wahlsieg vom 18. April 1948 vorgezeichnet hatte: Zusammenarbeit aller staatsbejahenden Kräfte angesichts der stets von der äußersten Linken drohenden Gefahr. Dementsprechend haben die Republikaner und die Rechtssozialisten auch im neuen Kabinett wieder stärkere Positionen erhalten, als ihrer zahlenmäßigen Bedeutung entsprechen Würde — vor allem das Außen- und das Heeresministerium. Daß die kleine Liberale Partei — von der man schon zur Zeit der letzten Regierung sagte, sie mache über die Frage ihres geplanten Austritts aus der Regierung De Gasperi nur deshalb soviel Lärm, damit man bemerke, daß sie bisher in der Regierung vertreten war — nun endgültig nicht mitmachen will, bedeutet keinen wesentlichen'Verlust, sondern Wird der Regierung in der wichtigen Frage der regionalen Autonomie sogar freiere Hand lassen, als bisher, da sie auf die zentrali-stischen Wünsche der Liberalen Rücksicht nehmen mußte. Das „Wort des Tages“ zur Regierungsbildung aber sprach wohl der Führer der Rechtssozialisten Saragat, da er De Gasperi als „tatsächlich den würdigsten Mann“ bezeichnete, „an der Spitze einer demokratischen Regierung zu stehen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung