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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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STOLZ WEHT DIE FAHNE ROT-WEISSROT zwar schon lange Zeit nicht mehr auf den Weltmeeren, aber nach zweimal sieben Jahren wieder auf dem österreichischesten aller österreichischen Flüsse — auf der Donau. Die Vorgeschichte ist bekannt: das sowjetische Element, das sich bisher in seiner Besatzungszone die Donauschiffahrt Vorbehalten hatte, gab diese vor kurzem frei. Ein kleines Zwischenspiel über den Termin der Wiederaufnahme der Reiseschiffahrt Linz—Wien folgte, wobei es wieder einmal einer bestimmten österreichischen politischen Partei Vorbehalten blieb, in ihren Blättern den Ruf „Haltet den Dieb“ auszustoßen. Nun ist das große Ereignis vorüber. Am vergangenen Wochenende fuhren die ersten österreichischen Schiffe in großer Flaggengala stromabwärts. Überall, wo sie anlegten, wurden sie festlich empfangen. Mit Girlanden waren die Landungsbrücken umwunden, Fahnen wehten und Böller krachten. Die Freude war allgemein. Die Österreicher freuten sich, ihre Fahne wieder über ihrem Strom wehen zu sehen… Bescheiden sind wir schon geworden. Eigentlich sollte das alles doch eine Selbstverständlichkeit sein.

EINE AMNESTIE ist das große Vergessen der Gemeinschaft gegenüber jenen Bürgern, die einmal gegen ihre Gesetze oder gar gegen ihre Wesenheit gefehlt haben und dafür Sühne leisten mußten. Zu einem solchen großen Vergessen und Verzeihen war immer nur ein wohlgeordnetes und auf festen Grundpfeilern ruhendes Staatswesen imstande; wenn nicht, dann wurde Nachsicht stets als Schwäche ausgelegt und auch mißbraucht. Die österreichische Volksvertretung hält nun die Zeit für richtig, durch einige Gesetze ungefähr 25.000 von jenen Österreichern, die als „Belastete“ im Sinne der Nationalsozialistengesetze gelten, von ihren Sühnefolgen zu befreien, was unter anderem für einen Teil auch die Rückgabe ihres beschlagnahmten Vermögens bedeutet. Gleichheit des Rechtes für alle Staatsbürger, wirklich ein hohes, ein erstrebenswertes Ideal! Gerade dieses Blatt hat diesen Grundsatz schon zu einer Zeit vertreten, da eine solche Meinung ziemlich einsam war. Aber die kollektive, keinem Einzelfall Rechnung tragende NS-Gesetz- gebung hat es in sich, auch jetzt noch, bei ihrer Liquidierung. Während man zuerst jeden kleinen Mann, der vielleicht aus Überzeugung oder Existenzangst während der sieben braunen Jahre das Parteiabzeichen auf den Rockaufschlag steckte, auf die Proskriptionsliste setzte, scheint man nun —ebenfalls pauschaliter — den Schleier des Verges sens und Vergebens über alles und über jeden breiten zu wollen, sogar über jene, die zum Beispiel als Staatsbeamte lange vor dem schwarzen Freitag des Jahres 1938 ihren freiwillig geleisteten Eid auf dieses Land gebrochen haben. Allein hier wird der aus drei Berufsrichtern bestehende Senat, dem in zweifelhaften Fällen die Entscheidung zukommt, noch zu sprechen haben… Noch etwas anderes fiel auf. Und das nicht angenehm. Die Koppelung zwischen der Revision des Verbotsgesetzes und dem Beschluß über eine Wiedergutmachung an die Opfer der Gewalt mag einem schönen Gedanken entsprungen sein, der vielzitierten „Politik des Schlußstriches“ unter eine böse Vergangenheit. Was daraus nicht zuletzt durch eine gewisse Berichterstattung wurde — Belastetenamnestie ganz groß, Haftentschädigung für NS-Opfer unter „ferner liefen“ —, scheint uns eben im direkten Widerspruch zu jener Politik zu stehen. Ohne Zweifel: das Gespenst der kommenden Neuwahlen ging in dieser Sommersession bereits unhörbar durch das Hohe Haus. Aber glauben maßgebende Kreise wirklich, durch kleine materielle Vorteile Wähler zu gewinnen? Leicht könnte die Abrechnung am Tage X ergeben: Aktiva — nichts gewonnen, Passiva — alte Freunde vergrämt.

EISENHOWER HAT SEINE ERSTE POLITISCHE SCHLACHT GEWONNEN. Die konventionellen Vorwahlen, die in den einzelnen Staaten abgehalten wurden, waren im Grunde nur Geplänkel, und die Erfolge, die der General bei diesen erzielen konnte, vorwiegend taktischer Natur; sein in der vergangenen Woche erzwungener Triumph über Taft aber kommt einem Sieg in entscheidender Schlacht gleich. Es hatte viel mehr auf dem Spiel gestanden als nur die persönliche Auseinandersetzung zweier Bewerber um die republikanische Kandidatur: der Konvent war vor eine ideologische Entscheidung gestellt worden, es ging um die geistigen Grundlagen der ganzen Partei. Sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten der USA gibt es Liberale; sind die der demokratischen Richtung Anhänger eines fortschrittlichen Liberalismus mit stark sozialpolitischem Einschlag, waren die Liberalen des republikanischen Lagers seit jeher konservativer, ja reaktionärer Prägung. Schon am ersten Tag des Konvents trat es klar zutage, mit welcher Unbedingtheit die Anhänger Eisenhowers das politische Programm des liberalen Flügels ablehnten; alle Anstrengungen Tafts und der um ihn gescharten alten Garde der Republikaner, die Mehrheit des Konvents zur Annahme wenigstens der liberalen „Plattform“ zu bewegen, waren vergeblich. Die jungen Republikaner erklärten, sie hielten nichts mehr von den freisinnigen Ideen des neunzehnten Jahrhunderts — sie blicken nicht zurück, sondern in die Zukunft. So blieb auch die ideologische Kompromißformel, die der außenpolitische Experte der Partei, der gewandte Foster Dulles, ausarbeitete, ohne größeren Widerhall: trotz der Konzessionen, die der liberale Flügel im letzten Moment noch zugestehen wollte, wurde Eisenhower, den die Anhänger der fortschrittlichen, evolutionären Richtung auf ihren Schild gehoben hatten, bereits im ersten Wahlgang nominiert. Ein harter Kampf war dieser Wahl vorausgegangen, ein Kampf zwischen alt und jung, eine Auseinandersetzung zwischen orthodoxen Liberalen tmd einer neuen Generation, die nicht länger an die Unbegrenztheit der Möglichkeiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern an die Untrennbarkeit von geistigem, wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt glaubt. Die neue Generation, mit deren Sieg die Republikanische Partei der Tradition und den Ideen des vergangenen Jahrhunderts endgültig den Abschied gegeben hat, hätte diesen Kampf ohne Eisenhower wohl schwerlich gewonnen. Daß aber der General trotz seiner kurzen politischen Erfahrung das Wagnis unternommen hat, persönlich die wichtigste ideologische Entscheidung herbeizuführen, vor welche die Republikanische Partei in den letzten fünfzig Jahren gestellt worden war — diese Tatsache macht seinen Sieg und seine Nominierung doppelt bedeutsam.

GRÖNLAND, die eisbedeckte Rieseninsel in der Arktis, ist zum Leben erwacht. Man hat entdeckt, daß diese Fels- und Eiswildnis Schätze an wertvollen Mineralien birgt, die deren Ausbeute trotz der klimatischen und technischen Schwierigkeiten lohnend machen. An dem eben beginnenden Abbau neuentdeckter Bleivorkommen an der grönländischen Ostküste sind vier Nationen beteiligt, und die Erze sind so gehaltvoll, daß es sich lohnen wird, sie in Transportflugzeugen nach Dänemark zu schaffen. Grönland wird aber auch eine militärische Bastion des Westens. Auf einer Halbinsel nahe von Thule ist ein amerikanischer Stützpunkt entstanden, der mit seinen Flugplätzen, Werkstätten, Treibstofflagern,Wohn- und Verwaltungsgebäuden eine Fläche von der Ausdehnung der Stadt Kopenhagen bedeckt. Im Jahre 1951 war dieses Gebiet noch nichts anderes als eine Eis- und Felswüste gewesen. Die Luftbrücke, die diesen Stützpunkt mit den USA verbindet, soll an Leistungsfähigkeit während der Bauzeit sogar jene nach Berlin zur Zeit der Blockade übertroffen haben. Die Anlagen werden in Friedenszeiten nur eine Besatzung von 1000 Mann erhalten, sind aber für die Unterbringung der zwanzigfachen Zahl eingerichtet. Die Bedeutung dieses „Bluejay“ genannten Platzes liegt darin, daß er nur 1500 km vom Nordpol und 3000 km von Nordsibirien entfernt ist. „Bluejay“ ist der englische Name eines blaugefiederten in der Arktis lebenden Hähers; die Spannungen in der Weltpolitik führen nun dahin, daß in diesem abgelegensten und stillsten V/inkel der nördlichen Erdhälfte eines Tages vielleicht andere, gefährlichere Vögel in die Lüfte steigen werden. Dänemark hat gerade in den letzten Jahrzehnten bei den 18.000 grönländischen Eskimos vorbildliche zivilisatorische Arbeit geleistet. Es ist eine tragische Folge der Zerrissenheit der heutigen Welt, daß diesen Werken des Friedens militärische Sicherungen auf den Fuß folgen müssen.

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