6649046-1958_42_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN zu. woche

Werbung
Werbung
Werbung

„HASELORUBER UND DIE FOLGEN“, 2. AKT. Während die Oesterreichische Volkspartei eben Vorbereitungen zu einer vollkommenen persönlichen Renovierung ihrer Wiener Filiale trifft, klirren eben erst im Laden des Nachbarn die ersten Scherben. „Haselgruber und die Folgen“ ist aber nicht nur, wie man von sozialistischer Seife gerne behauptet hat, ein „bürgerliches Trauerspiel“. Der zweite Akt dieser kleinen Tragödie unguter neuösterreichischer Verflechtung von Politik und Kommerz sieht in der Hauptrolle den bisherigen SPOe-Verwalter bei der Alpine Monfan AG., der in diesen Tagen seine Demission gab. Es tut eben nicht gut, allzu selbstsicher vor der Oeffentlichkeit auf seine weifje Parteiweste zu pochen — besser ist es, gemeinsam dem Uebel zu steuern, bevor es zum Krebs wird, der das Mark unserer Demokratie — das Vertrauen des Volkes — zersetzt.

EINER REDET SICH AUF DEN ANDERN AUS.

Seif dem 9. Oktober bekommt der Verbraucher die Inlandkohle zu einem Preis, der sechs Prozent über der bisher festgelegten Höchstgrenze liegt. Fragt man den Bergbau, in dem bekanntlich nach dem Kriege bedeutende Summen investiert wurden, nach dem Grunde, verweist er auf die Einführung der 45-Sfunden-Woche bei gleichbleibenden Löhnen, was einer indirekten Lohnerhöhung von sechs bis sieben Prozent gleichkäme, die man aus eigenem nicht tragen könne. Fragt man die Paritätische Preiskommission, erklärt sie den Bergbau für verantwortlich. Horcht man bei der Metall- und Bergarbeifergewerkschaft, so beißt es, daß man nur unter der Bedingung gleichbleibender Verbraucherpreise die 45-Stunden-Woche abgeschlossen habe. Wer nun die verteuerte Kohle kauft, wird sie bei den Gestehungskosten der Fertigware einkalkulieren. Bahn frei für Ausreden nach drei Seiten!

ALTE KAMERADEN. Die Soldatenverbände in der Deutschen Bundesrepublik versuchen, wie einst, bereits wieder Politik zu machen. Nicht so sehr aus Stärke, sondern mehr, weil sie sich in einem Zwiespalt befinden. Die Pflege der Kameradschaft, ehedem der einzige Anlaß zur Bildung von Soldatenverbänden, wurde in der Weimarer Regierung ergänzt durch die Versuche der Soldatenbünde, unmittelbar Politik und schliefjlich sogar Parteipolifik zu machen. Von den Traditionsverbänden ist der „Stahlhelm“ wieder errichtet worden, hat aber nur 3500 Mitglieder. Der „Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermifjtenangehörigen“ hat 500.000 Mitglieder, der neuerlich gegründete „Kyffhäuserbund“ hat 70.000 Angehörige und der „Verband deutscher Soldaten“ 150.000. Daneben gibt es noch 1200 kleinere Soldafenver-bände, die vor allem die Tradition einzelner Waffengattungen und Truppenteile pflegen. Diese Verbände haben 800.000 Mitglieder. Ungefähr 150 dieser Verbände stehen in Beziehung zum Heer des ersten Weltkrieges, 16 zur alten Reichswehr. Der Rest ist in Verbindung mit der Wehrmacht des letzten Weltkrieges. Alle Bemühungen der einzelnen Verbände, einen gemeinsamen Dachverband zu bilden, sind bisher gescheitert. Da nun einzelne Verbände sich mit Versorgungsfragen der Kriegsteilnehmer befassen, ist es so, dafj mit der Befriedigung der Versorgungsansprüche das Organisationsziel erreicht ist und die Mitglieder den Verband verlassen. Bemühungen, zur neuen Bundeswehr in einen besonderen Kontakt zu kommen, sind gescheitert. Dadurch entsteht nun da und dort eine Spannung gegenüber der Bundeswehr, die sich wieder in eine Staats-, zumindest in eine Regimefeindlichkeit umzuwandeln beginnt, wozu noch kommt, daß auch die Ressentiments derer spürbar sind, die, obwohl sie sich als geeignet glaubten, nicht mehr Aufnahme in der Bundeswehr finden konnten. Zum Unterschied von der Bundesrepublik haben in Oesterreich die Kameradschaftsverbände nach dem Weltkrieg II weithin den Anschein einer Einflußnahme auf die Politik vermieden, wenn auch zuweilen von verbandsfremden Elementen Versuche unternommen werden, das gute Recht alter Soldaten, die Kameradschaff zu pflegen, parteipolitisch zu mißbrauchen und unter Pflege der Tradition etwas zu verstehen, was mit Oesterreich schon gar nichts zu tun hat und was man längst überwunden glaubte. Die zuständigen Stellen des Innenministeriums werden gut tun, vor allem der Aktivität der sogenannten „Kameradschaft II“ (unter diesem schlichten Namen werden die ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS gesammelt) zeifgerechf Schranken zu setzen.

KONSERVATIVE ZIELE. Nach dem Jahreskon-greß der englischen Sozialisten in Scarborough folgte der Parteitag der Konservativen in Black-poo'l. Große, zur Schau getragene Begeisterung hier wie dort; fröhlicher Optimismus und eine Polemik, die weniger durch Schärfe als durch die geistreiche, sarkastische Art auffiel. Die Führer der beiden Parteien standen ohne parteiinterne Gegner da. Dies galt bei den Konservativen nicht nur für Premierminister MacMillan, sondern auch für Selwyn Lloyd, den lange umstrittenen Außenminister des gegenwärtigen

Kabinetts, der das außenpolitische Programm der Lobour Party als „voll von Platitüden“ bezeichnete. Die Idee eines Disengagments in Europa sei „total unrealistisch“, denn das würde letztlich das Ende der NATO bedeuten. Hingegen umriß sowohl Selwyn Lloyd als auch in seiner großen Schlußrede MacMillan die Züge einer konservativen Außenpolitik, die auf „Stärke, Einigkeit und Verständigungswillen“ beruhen müsse. In der Fernostkrise sei London für Verhandlungen und für eine friedliche Lösung. Lloyd wiederholte ungewöhnlich bestimmt eine Erjdärung der britischen Regierung aus dem Jahre 1955, wonach die Inseln Quemoy und Mafsu von London als Teile des chinesischen Festlandes angesehen werden. MacMillan versicherte, er sei nach wie vor zu einer Gipfelkonferenz „innerhalb und außerhalb der UNO“ bereit. Alle diese Erklärungen wurden von den Delegierten in Blackpool ebenso einmütig mit lautem Jubel gutgeheißen wie etwa des Premierministers Befeuerung, gegen die Arbeitslosigkeit zu kämpfen, „solange er Verantwortung trage“. Auch der Kongreß in Blackpool bestätigte, daß Großbritannien gegenwärtig in einer Periode innenpolitischer Stabilität lebt — wodu'ch sich sein Gewicht in der Weltpolitik, und da vor allem sein mäßigender Einfluß, in Zukunft noch erheblich verstärken dürfte.

DIE AMERIKANISCHE MONDRAKETE. Am

12. Oktober 1958 hat erstmalig in der Geschichte unserer Erde ein Werk aus Menschenhand den Bereich der Erdanziehung durchstoßen und ist in den Weltraum vorgedrungen. Daß das Mondschiff „Pionier“ den Mond nicht erreicht hat, ist dabei von sekundärer Bedeutung. Welche militärische Bedeutung diesem ersten und den ihm folgenden Experimenten zukommen wird, vermag erst die Zukunft zu zeigen. Heute ist kurz festzuhalten: der Mensch hat ein neues Abenteuer begonnen, eine Ausfahrt zu fremden Ufern, deren Folgen heute so wenig erahn! werden können, wie die der ersten Ausfahrt des Kolumbus in die „Neue Welt“. In diesem Sinne hat es einen guten geschichtlichen Sinn, daß die erste Raumfahrt von Amerika aus begonnen hat: von der kleinen „Neuen Welt“ unserer Erde in die große Neue Welt des Weltraumes. Ungeheure Möglichkeiten, im Bösen wie im Guten, öffnen sich hier dem Menschen. Da ziemt uns zunächst ein Schweigen. Die Raumfahrt an sich kann wohl nicht so einfach als Hybris abgetan werden, als Frevel, Hochmut, Uebermul des Menschen: als der frühe Mensch das Feuer 'fand und im ersten Schiff das Weltmeer bei zwang, begann bereits diese Odyssee, die mit der Geschichte der Menschheit untrennbar verbunden ist. Bedenklicher, sachgerechter ist ein anderer Gedanke: der Mensch wagt sich in das Weltall in einem Augenblick, in dem sich erschreckend zeigt, wie wenig er noch hier auf Erden Meister seiner selbst und der Erde geworden ist. Damit stehen wir bereits vor dem zweiten Moment, das gegenwärtig bereits vermerkt werden muß: diese Mondrakete vom 12. Oktober 1958 hat zunächst eine eminent politische Bedeutung, denn sie stärkt das gesunkene amerikanische Selbstbewußtsein und wird ihren Eindruck auf die Chinesen und Japaner, uralte Verehrer des Mondes, nicht verfehlen.

EINE GESCHEITERTE MISSION. Der letzte Akt der anglo-amerikanischen bewaffneten Intervention im Nahen Osten hat begonnen. Die vor drei Monaten in Beirut gelandeten amerikanischen Marinetruppen sind bereits wieder an Bord ihrer Transportschiffe, und auch die nach Jordanien entsandte britische Fallschirmjägerbrigade wird, wie London jetzt bekanntgab, am 20. Oktober zum Rückflug antreten. Es wird also bald der Schlußstrich unter ein Unternehmen gezogen sein, welches kaum als ein Musterbeispiel gründlicher Ueberlegung und staatsmännischer Voraussicht in die Geschichte eingehen dürfte. Die Anwesenheit amerikanischer Panzer hat die Weiterführung der brudermörderischen und wohlsfandzerstörenden Unruhen im Libanon in keiner Weise behindert; die innere Spannung dort ist unverändert geblieben, nur daß die Anhänger und die Gegner der Regierung ihre Rollen vertauscht haben. Und was Jordanien anbelangt, so gehört wohl ein sehr naives Gemüt dazu, um anzunehmen, daß der vorübergehende „Besuch“ einiger Tausend britischer Soldaten dazu beigetragen hat, die prekäre Position des Königs Hussein zu stärken und die Unabhängigkeit des Landes vor einem Zugriff des Nasserschen Imperialismus zu schützen. Das Gegenteil liegt auf der Hand. Mit der von Anfang an sichtbaren Planlosigkeit ihrer Aktion und der nunmehrigen Eile eines Rückzuges, dessen von der UNO einstimmig akzeptierte Voraussetzungen nicht im entferntesten erfüllt sind, haben Washington und London den letzten, nach der Suezaffäre kaum noch nötigen Beweis dafür geliefert, daß der Westen nicht mehr weiß, was er im arabischen Raum erreichen will, oder jedenfalls nicht mehr imstande ist, seinen Willen durchzusetzen. Die Folgen dieser Demonstration können nicht ausbleiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung