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Hürden in der Zielgeraden

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Als der britische Premier sich Anfang Jänner aufmachte, um fünf Weit entfernte Gliedstaaten des Commonwealth zu besuchen, konnte man wohl fragen, ob diese Tournee wichtig und dringend genug sei, um eine vielwöchige Abwesenheit des Regierungschefs unmittelbar nach dem aufsehenerregenden Rücktritt des Schatzkanzlers Thorneycroft und zu einer Zeit zu rechtfertigen, da im Hinblick vor allem auf die prekäre Finanz- und Wirtschaftslage des Landes Entscheidungen zu , treffen ..waren, die keinen langen Aufschub duldeten. Heute, nach seiner Rückkehr, ist eine andere Frage aktuell geworden: die nach dem Ergebnis seiner Reise. Sie ist zweifellos in positivem Sinne zu beantworten.

Man erinnert sich, daß MacMillan sich kurz vor dem Antritt seiner Fahrt dahingehend äußerte, daß im Interesse einer weltweiten Entspannung der Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen West und Ost in Erwägung gezogen werden könnte. Diese Bemerkung, die übrigens dann von einem Sprecher des Foreign Office weitgehend „entschärft“ wurde, löste beiderseits des Atlantik überall dort Widerspruch aus, wo man sich darüber klar ist, daß ein solcher Pakt — weit entfernt davon, die Sicherheit des Friedens zu erhöhen — dem sowjetischen Bestreben Vorschub leisten würde, die Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft des Westens zu schwächen und das Schutzbündnis der westlichen Nationen zu zersetzen. Heute darf man mit Bestimmtheit annehmen, daß der Premier diese Aeußerung lediglich in der Absicht und zu dem Zweck getan hatte, ein günstiges Klima für seilte in New Delhi abzuhaltenden Besprechungen zu schaffen. Aber welcher Gedanke immer ihr zugrunde lag, jedenfalls war sie das beste Mittel, um Jawaharlal Nehru davon zu überzeugen, daß Großbritannien ehrlich gewillt und entschlossen sei, nichts unversucht zu lassen, um einer friedlichen Verständigung zwischen West und Ost die Wege zu ebnen; was wiederum die Voraussetzung war, um die seit dem Waffengang um Suez geradezu eisigen Beziehungen zwischen Indien und dem Vereinigten Königreich neuerdings freundschaftlich zu gestalten und Gespräche zu ermöglichen, bei denen die vielen gemeinsamen Interessen der beiden Staaten gegenüber ihren Meinungsverschiedenheiten weit überwiegen würden. In Nehru vereinigt sich eben in einer für westliches Denken schwer faßbaren Weise die humanistisch bedingte Ablehnung des Kommunismus als Herrschaftssystem und der kommunistisch-politischen Aspirationen auf indischem Boden mit der Illusion, daß die kommunistische Vormacht keine imperialistischen, die Sicherheit anderer Völker und Staaten bedrohenden Pläne verfolge, sondern im Gegenteil vom aufrichtigen Wunsch beseelt sei, durch friedliche Verhandlungen und rückhaltlose Zusammenarbeit mit den Mächten des Westens, soferne diese nur dazu bereit wären, den Weltfrieden auf eine feste und dauerhafte Grundlage zu stellen: eine Illusion, die den indischen Ministerpräsidenten zu dem Schluß geführt hat, daß das eigentliche Hinder-

nis für die Bereinigung der gefahrvollen westöstlichen Streitfragen im Mißtrauen der Westmächte gegenüber der UdSSR und in ihrem Festhalten an militärischen Bündnissen und Pakten, deren Spitze sich unverkennbar gegen die UdSSR richte, zu suchen sei. Dieser komplexen Mentalität eines Mannes, dessen gewaltiger Einfluß auf die politischen Auffassungen vieler hundert Millionen Menschen und im gesamten afroasiatischen Raum tatsächlich soviel wie eine dritte Kraft neben den beiden großen Machtblöcken bedeutet, hat MacMillan mit Takt und diplomatischem Fingerspitzengefühl Rechnung getragen; und daß es ihm dadurch gelungen ist, die Berechtigung der westlichen Reserve gegenüber sowjetischen Friedensklängen und der jeder Aggressionsabsicht entbehrenden militärischen Defensivbündnisse des Westens dem Verständnis Nehrus näher zu bringen, konnte kaum deutlicher bezeugt werden, als durch die ganz

ungewöhnliche Wärme, mit der jedes Wort und jeder Schritt des britischen Regierungschefs während seines Besuches von den Nehru nahestehenden Kreisen und den Organen seiner Kongreßpartei gewürdigt wurde. Auch machte sich, was besonders bemerkenswert war, selbst dann kein Ton der Kritik hörbar, als der Gast sich anschließend zu einer Staatsvisite nach Karachi begeben hatte; in die Hauptstadt des mit äußerstem Mißtrauen betrachteten Nachbarlandes, Der über jede Erwartung hinaus gelungene Verlauf seiner Besuchsreise, die vertrauensvolle Herzlichkeit, mit der man ihm überall begegnete, das zuversichtliche Gefühl, das Band des Commonwealth an besonders wichtigen Stellen neu gefestigt zu haben, sind, wie man hört, der Persönlichkeit und der staatsmännischen Statur Harold MacMillans sichtlich zugute gekommen. Man muß hoffen, daß diese Beobachtung zutreffend ist, denn der schwierigen Probleme, die sich während seiner Abwesenheit eingestellt oder noch verwickelter gestaltet haben, sind nicht wenige. Besorgniserregend ist vor allem die wirtschaftliche Situation, die sich bei einer eventuellen Andauer des amerikanischen Konjunkturrückganges weiter zu verschlechtern droht. Der erzielte bescheidene Ueberschuß der Zahlungsbilanz und die allmähliche Wiederauffüllung des Gold- und Dollarschatzes auf den Stand vom letzten Sommer, vor dem Schwächeanfall des Pfundes, sind ein geringer Trost, denn diese Reserven würden nicht hinreichen, um einen erhöhten Dollarbedarf des Sterlingblocks, wie er in diesem Jahre erwartet werden muß, zu decken und einen nfeuen Angriff auf das Pfund,

dessen Stabilität nicht dauernd durch die exorbitante Bankrate von sieben Prozent geschützt werden kann, abzuwehren. Die erste Voraussetzung für eine entschiedene Besserung der Situation wäre, die Preis-Lohn-Spirale zum Stillstand zu bringen, aber wie das bewerkstelligt werden könnte, ist eine noch immer ungelöste Frage. Trotz den dringenden Vorstellungen der Regierung und dem mäßigenden Einfluß, den einzelne Gewerkschaftsführer sich auszuüben bemühen, besteht die Arbeitnehmerschaft verschiedener Kategorien, unter anderen bei der Post und im Transportwesen, auf Lohnerhöhungen, die eine neuerliche Steigerung der allgemeinen Lebens- und Produktionskosten bewirken müßten, und schon jetzt, noch vor ihrer Bewilligung, der „schleichenden“ Inflation einen weiteren Auftrieb geben. Um der inflationistischen Tendenz zu begegnen, müßte der Hebel vor allem dort angesetzt werden, wo er am wirksamsten

wäre: bei der Beseitigung der Auswüchse des Wohlfahrtsstaates, der die britischen Steuerzahler in diesem Jahr mit nicht weniger als 1600 Millionen Pfund belastet. Aber zu einer solchen Operation scheint sich die Regierung nicht entschließen zu wollen; vermutlich aus Rücksicht auf die befürchteten parteipolitischen Auswirkungen, obwohl man sich in Whitehall sagen müßte, daß die Chance der Konservativen, bei den nächsten allgemeinen Wahlen zu siegen, so schlecht sei, daß auch die unpopulärste Maßnahme sie kaum noch weiter verringern könnte.

Wie eng die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten Großbritanniens mit außen- und weltpolitischen Fragen verknüpft sind, zeigt sich gerade jetzt im britisch-deutschen Streit um den deutschen Beitrag zu den Stationierungskosten der britischen Rheinarmee. Um nicht mehr als 50 Millionen Pfund, also etwa 560 Millionen D-Mark, handelt es sich da, aber die definitive Weigerung der Bundesrepublik, diesen verhältnismäßig geringen Beitrag weiter zu leisten, würde es nach britischer Auffassung unvermeidlich machen, jene Armee auf einen Stand und eine Gefechtskraft von kaum mehr als symbolischer Bedeutung zu reduzieren. Welche Folgen das für das britisch-deutsche Verhältnis, für die Stärke und die harmonische Zusammenarbeit der NATO, und vielleicht auch für das Gewicht Großbritanniens bei einer etwaigen Gipfelkonferenz nach sich ziehen könnte, ist eine Frage, mit der sich MacMillan und sein Kabinett sehr ernstlich beschäftigen müssen, ungeachtet der Sorgen, die ihnen die drohende Ausweitung des algerisch-tunesischen Gefahrenherdes, die wachsende Gefährdung der britischen Interessen im arabischen Raum durch den ägyptisch-syrisch-jemenitischen Zusammenschluß und ganz besonders — die Liste ist damit nicht erschöpft — das einer„, schweren Krise zusteuernde Problem Zypern bereiten. Eine allseits zumindest erträgliche Lösung dieses Problems, wie sie vor einigen Jahren vielleicht noch möglich gewesen wäre — etwa die Unterstellung der Insel als ein autonomes Territorium unter die übernationale Garantie und Kontrolle der UNO —, ist nicht nur außer Sicht, sondern praktisch undenkbar geworden. Die Positionen Griechenlands und der Türkei haben sich so versteift, daß Großbritannien in eminenter Gefahr ist, sich die bittere Feindschaft zumindest einer dieser beiden ihm traditionell befreundeten Nationen zuzuziehen, was immer es auch unternimmt oder zu tun unterläßt, um einer Lösung näherzukommen; ein um so bedrückenderes Dilemma, als ein etwaiger offener Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei über die ■ Frage Zypern, mit den sich daraus ergebenden unübersehbaren Konsequenzen für das gesamte westliche Bündnissystem, unweigerlich dem britischen Schuldkonto zugeschrieben würde.

Die Regierung MacMillan biegt jetzt sozusagen in die letzte Gerade vor dem Finish ihrer Amtsperiode ein. Niemand kann erwarten, daß sie alle die schweren Hindernisse glatt nehmen wird, die vor ihr liegen. Sie mag aber besser abschneiden, als sie es jetzt selbst zu hoffen wagt, wenn es ihr gelingt, darzutun, daß sie ein ganz bestimmtes Programm hat, welches sie entschlossen ist, durchzuführen. Bisher ist ihr das nicht gelungen.

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