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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Terminstellungen für kritische Verhandlungen tragen stets eine Tendenz des Versagens an sich. Denn sie können einen Verhandlungspartner nötigen, zwischen unfreiwilliger Räumung seiner Position oder der Terminüberschreitung zu wählen. Es war nicht zu erwarten, daß der russische Unterhändler in den Londoner Staatsvertragsverhandlungen sich zu einer Kapitulation unter dem Druck eines Termins entschließen würde. Wozu also? Die Verhandlungen haben ganz wesentliche Fortschritte gebracht; sie wurden erzielt, obwohl das Klima zwischen Ost und West gerade nicht milder geworden ist. Man kann deshalb jenen englischen Stimmen beipflichten, die trotz der Nichtfertigstellung des Vertrages mit einem baldigen Abschluß in einer neuen Konferenz der Sonderbeauftragten rechnen. Das Argument ist richtig, daß die fortdauernde Unsicherheit für Österreich eine größere Last ist, als der Preis, um den noch gekämpft wird.

Die „Furche“ ist noch ohne Antwort auf ihre an Dr. Kraus als Führer des VdU gerichtete Anfrage vom 5. September 1949. Die Anfrage betraf eine „an maßgebender Stelle von M’s-Freunden“ von Vertretern des VdU eingegangene Verbindlichkeit, „nichts mehr zu bringen, was als Angriff gegen M’s-F r eund e, sowohl das Land wie einzelne Personen gewertet werden könnte“. Die von dem Blatte des Herrn Dr. Kraus gebrachte Interpretation, jene Vorsprache an der geheimnisvoll umschriebenen „maßgebenden Stelle“ habe nur einfach ein bei der russischen Besatzungsmacht abgegebenes Versprechen auf „strikte Einhaltung einer alliierten Verordnung über Presseangriffe gegen Besatzungsmächte“ betroffen, vermag als Erklärung nicht zu genügen. Nun liegt überdies ein von Staatssekretär Graf veröffentlichtes Abkommen des VdU mit den Kommunisten vor, in dem sich der VdU „verpflichte, wenn der Staatsvertrag abgeschlossen und Österreich unabhängig wird, den Kommunisten in Zukunft eine gewisse Einflußnahme auf Verwaltung und Exekutive einzuräumen.“ Technische Gründe mögen bisher Dr. Kraus abgehalten haben, die angesprochene Stellungnahme zu beziehen. Aber jetzt kann es kein Säumen mehr geben. Es steht für ihn und seine Partei mehr auf dem Spiele als der mehr oder weniger glückliche Ausgang einer wahlzeitlichen Auseinandersetzung. t

In den Wiener Fleischhallen in St. Marx streikten 215 Markthelfer, weil sie infolge der mangelhaften Fleischversorgung der Stadt einen zweiwöchigen Verdienstentgang zu beklagen hatten. Die Gewerkschaft, ein Minister und andere Funktionäre schalteten sich ein; Konferenzen und Verhandlungen führten zu einem günstigen Ergebnis: den Markthelfern wurde eine Uberbrückungszulage gewährt, bis der Markt wieder auf gefüllt ist. Durch den Erfolg ermutigt, stellten die Markthelfer ihre eigenen Vertrauensleute, welche die Verhandlungen geführt hatten, bloß und streikten weiter. Das aufgetriebene Vieh blieb ungefüttert, mochte es brüllen, soviel es wollte. Der Tierschutzverein, der mit einer Fuhre Heu der hungernden Kreatur zu Hilfe eilte, wurde verhindert, abzuladen.

Am selben Tage, als diese Meldung durchgegeben wurde, berichtete der ÖVP-Presse- dienst wieder einmal über das Akademikerelend und belegte seine Ausführungen mit einer Gegenüberstellung von Zahlen: der noch nicht definitiv angestellte Spitalsarzt erhält monatlich 550, seine Krankenträger 700 Schilling, der Hochschullehrer 1300, der Feinmechaniker 1600, wissenschaftliche Hilfskräfte in Universitätsinstituten 200, der Elektriker 1600 Schilling — und so weiter. Diese Tabelle ließe sich beliebig vergrößern. Ob hinter einer Entwicklung, wie sie hier ersichtlich wird, Methode steckt oder nicht — jeder Satz, der über den Wert des Leistungsprinzips gesprochen oder geschrieben wird, muß angesichts der krassen Unterschätzung der geistigen gegenüber der manuellen Arbeit, angesichts der Not der geistig Schaffenden zur Farce werden.

Wir sollten uns vielleicht öfter an die noch nicht so ferne Zeit erinnern, in der Brot unsere einzige und knapp bemessene Nahrung und die Bitte um das „tägliche Brot" noch von sehr wörtlicher Bedeutung war. Die Nachricht von der bevorstehenden Aufhebung der Brot- und M ehl- bewirtschaftung wäre dann nicht nur von den Hausfrauen aufmerksam entgegengenommen worden. Sie besagt immerhin, daß uns die Grundlage unserer Nahrung sicher ist. Und das ist viel; das bedeutet mehr, als die exotischen Konserven in den Auslagen der Lebensmittelgeschäfte, die teuren Delikatessen in den Nobelrestaurants, die von Besuchern aus den sparsamer wirtschaftenden Ländern des Westens überrascht und — verstimmt betrachtet werden. Nicht ganz mit Unrecht übrigens; wir gestatten uns mit verschiedenen Lebensmittelimporten so manchen Luxus, der keineswegs der finanziellen Lage der privaten und öffentlichen Haus- halteangemessenist. Wie gesagt, wir sollten das Ende der Brotrationierung nicht so ohne weiteres als selbstverständlich hinnehmen. Daß hingegen in trockener amtlicher Diktion eine Meldung als Selbstverständlichkeit ausgegeben wurde, die andernorts den Propagandamaschinen Material zu blumigen Lobpreisungen weiser Staatskunst geboten hätte — das steht auf einem anderen Blatt. Das fällt unter das Kapitel „österreichische Bescheidenheit“.

Die Demontage deutscher Fabriken erlebt mit dem Abbruch der Stahlwerke des ehemaligen Hermann-Göring-Konzerns in W a- tenstedt-Salzgitter ihren Fortgang. Die abmontierten Anlagen werden — man wird nicht einmal mehr staunen! — nach Jugoslawien gebracht und sollen es diesem im Verein mit ergänzenden Neulieferungen aus dem Saargebiet ermöglichen, im Hüttengebiet von Zenica eine moderne (Hochöfen und ein Walzwerk umfassende) Industrieanlage zu errichten. Und zwar unter der Anleitung deutscher Ingenieure. Auf Grund letzter Erklärungen des Leiters der ECA bestehen angeblich auch amerikanischerseits keine Absichten, die bestehenden Listen noch zu revidieren. Was geschieht, ist also beschlossene Sache. Londoner Pressestimmen erteilen den Deutschen den Rat, ihre Energien „besser“ — anstatt Protesten — konkreten wirtschaftlichen Aufbaufragen zuzuwenden. Für Salzgitter wenigstens ist dies wahrlich leichter gesagt als getan. Mehr als 12.000 Menschen kommen hier um ihre Arbeitsplätze. Die soziale Not, die mit einem Schlage über sie und ihre Familien hereinbricht, droht mit dem Rest der Bevölkerung 100.000 in Mitleidenschaft zu ziehen. Mit anderen Worten, eine ganze Stadt hat über Nacht ihre Existenzgrundlage verloren. t

Werden die TagungsStätten der Straßburger Konsultativversammlung des Europarates in Hinkunft nicht mehr nationales Gebiet sein, sondern Europa? Fast möchte es in der Tiefe wie ein Widerspruch aussehen, daß Frankreich der Ratsversammlung in Straßburg nunmehr Exterritorialität eingeräumt hat. Die Symbolik dieses internationalen Gepflogenheiten heute nun einmal entsprechenden Verfahrens könnte Hoffnungen wachrufen. Jedoch besitzt die Straßburger Versammlung gegenüber dem Ministerkomitee noch nicht die Befugnisse eines Parlaments oder selbst nur die einer zweiten Kammer gegenüber der ersten. Aber etwas Entscheidendes ist in Straßburg vielleicht doch schon zustande gekommen. Es ist der Beschluß einer Kollektivgarantie zur Sicherung der menschlichen Grundrechte. Mit der verbindlichen Kodifizierung dieses Prinzips und einer ernstlichen Anerkennung seiner Verbindlichkeit wird auch das Konzept, das die europäischen Vertreter in der Rheinstadt versammelt hat, in Zukunft stehen und fallen.’ Die Möglichkeiten solcher Versammlungen, ihr wesentliches Anliegen früher oder später zu verfehlen, sind zahlreich. Ein einiges Europa würde nichts anderes bedeuten als ein Kerngebiet gelebter Verwirklichung der „Menschenrechte“ — besser gesagt einer erneuerten Christenheit. Jeder Schritt, der näher heranführt, ist ein großer Gewinn. ,

Der Jahresbericht der UNO weist mit Stolz darauf hin, daß es den Vereinten Nationen gelungen sei, während der vergangenen zwölf Monate Kriege, die 500 Millionen Menschen betrafen, zu beenden oder zu verhindern. Leistungsstatistiken dieser Art werden allerdings nicht völlig ohne Bedenken hingenommen. Gewiß ist richtig, daß die UNO für die erfolgreiche Rückführung der indonesischen Frage vom Stadium des offenen Konflikts an den Beratungstisch ein Verdienst beanspruchen kann. Auch das Vermittlungswerk in Palästina oder bei den zwischen Indien und Pakistan bestehenden Gebietsstreitigkeiten verlangt Anerkennung. Das Vorhandensein einer Plattform erwies sich bei der Einleitung des Gesprächs der Mächte zur Beendigung der Berliner Blockade vorteilhaft. Wird man so weit gehen dürfen, alle diese Dinge wirklich vor allem der UNO gutzubuchen? Eine Feststellung wie die „daß die Entstehung des Staates Israel ohne einen allgemeinen Krieg ein episches Geschichtsereignis dargestellt“ habe, ist doch wohl etwas übertrieben. Die Maschinerie der UNO hat sich in vielen Fällen erfolgreich und nützlich gezeigt. Genug andere Probleme aber sind im Verfahrensmodus stecken geblieben, wieder andere haben sich infolge der prinzipiellen Unmöglichkeit ihrer Lösung in Lake Success in die Ebene regionaler Auseinandersetzungen verlagert. Vielleicht aber wäre eine Selbstkritik der Unzulänglichkeiten, an dem das Forum der Vereinten Nationen leider krankt, ebenso angebracht wie ein um guten Eindruck bemühter Bericht.

Der Präsident des „Libyschen Befreiungs- komitees“, Beshir Saadawi, bat die Arabische Liga aufgefordert, mit allen Mitteln die Verwirklichung des Projekts des Emirs Idriss zu verhindern und energisch durch alle arabische Staaten bei der UNO gegen die Unterstützung der Engländer für einen unabhängigen Staat der

Cyrenaika zu protestieren. Die Araber Libyens seien bereit, mit allen Mitteln die administrative, politische und ethnische Einheit des Landes zu verteidigen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Azzam Pascha, erklärte, die arabischen Staaten würden den Beschluß der Teilung Libyens und die Schaffung einer unabhängigen Cyrenaika für sich als nicht verbindlich betrachten und für die Einheit und Unabhängigkeit ganz Libyens eintreten.

Wenn die Senussiproklamation von. Ben- gasi und die britische Zustimmung dazu delikate und vielgestaltete Probleme hinsichtlich der Beziehungen des neuen islamitischen Staates — die diplomatischen Interessen werden durch London wahrgenommen — zu den europäischen und außereuropäischen Mächten, ja selbst zu Ägypten und den änderen arabischen Staaten stellt, wirft sie auch für die Cyrenaika selbst eine gewichtige Frage auf. Wie wird der große Senusso — man nannte ihn den schwarzen Papst, das Haupt der großen Sekte der Senussi — den Pflichten und Erfordernissen eines modernen Staates gerecht werden können?

Die Italiener machten aus der Cyrenaika ein ziviles und kultiviertes Land mit Straßen, Siedlungen, Spitälern, Schulen, Hotels. Nun, da die Italiener nicht mehr da sind, wird der große Senusso imstande sein, zu verhindern, daß die. Cyrenaika wieder zu der Wüste wird, als die sie die Italiener vorgefunden haben?

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