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Randbemerkungen zur woche

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DIE BILDUNG DER REGIERUNG RAABSCHÄRF beendet das etwas ausgedehnte politische „Interregnum“. Ueber allen Aktionen und Kombinationen des Tages hinweg haben sich die Kräfte, die Oesterreich in seiner heiklen weltpolitischen Lage keinerlei innerpolitischem Abenteuer aussetzen wollen, durch' gesetzt. Die in acht Jahren des Ausbaues erprobte Arbeitsgemeinschaft der beiden großen Parteien wurde, wie es zu wünschen war, auch als ein tragiähiges Gerüst lür die Konsolidierung der wirtschaftlichen Grundlagen befunden. Außerdem: ein Blick auf die Landkarte lehrt, in welcher weltpolitischen Geiahrenzone wir nach wie vor leben. „Einigkeit“ ist daher iür die Oesterreicher aller Farben, Parteien und Klassen nach wie vor ein über Tod und Leben entscheidendes Gebot. Das Bekenntnis des neuen Regierungschefs, „keine Sonderinteressen — alle Kraft iür das Volksganze“, zeigt, daß man an der Spitze das Gebot der Stunde wohl versteht. Der Umsetzung dieses Leitgedankens in die praktische Politik werden auch die mit dem Koalitionspartner abgeschlossenen Vereinharungen dienen, denn Vereinbarungen über das, was zu tun und das, was zu lassen ist, gehören einlach zu einer arbeitslähigen, von mehr als einer Partei gebildeten Regierung; Ireilich brauchen und dürten sie niciit so angelegt sein, daß sie als Fesseln empfunden werden. Wenn Bundeskanzler Raab in diesen Tagen mit seinem Kabineft vor das Parlament und die breite Oeffentlichkeit tritt, so sind die Bundesminister aus dem vergangenen Kabinett Figl-Schärf alle bekannt. Von einigen allerdings hört man, daß sie nur in die Bresche gesprungen sind und unter Umständen in näherer oder weiterer Zukunft ihr Amt abgeben werden. Die Beiürchtungen, im Zeichen der Rationalisierung eine Hypertrophie von Staatssekretären zu erleben, haben sich nicht bestätigt. Zwei Staatssekretariate wurden aulgelassen, zwei neue gebildet. Auch berührt es angenehm, daß ihre beiden Inhaber zwar zweifelsohne Männer des besonderen Vertrauens der SPOe, aber keine Parteihierarchen, sondern Fachleute sind, die nun zu politischen Aemtern berufen wurden. Die Scheinwerter der “Wochenschau sind erloschen, die Schlagzeilen von den Zeitungen verschwunden, die Türen zu den Sitzungssälen und Beratungs-zimmern ötinen sich. Die Tagesordnung, die in diesen Frühlingsmonaten der Erledigung durch das neue Kabinett wartet, ist nicht gering.

WELCHE POSTSENDUNGEN FALLEN DER ZENSUR ZUM OPFER? Jedem Oesterreicher, der seine Ausländsbrief mit dem beschämenden Signum der „Alliierten Zensurstelle“ — beschämend iür jene, die diese Schnürte! instanz über ein befreites Volk eingerichtet haben und dural acht Jahre am Leben erhalten — ins Haus zugestellt bekommt, hat sich sicher schon einmal, getragt, welche Sendungen es sind, aui die die Herren mit der großen Schere ein wachsames Auge haben. Nun, wir konnten dieser Tage einmal die Probe auis Exempel machen. Kamen da gleich zwei Sendungen einer internationalen katholischen Nachrichtenagentur nach Oesterreich. Eine nach Wien, die andere nach Innsbruck. Der nach Wien lag der ominöse Zettel „wegen Verstoß gegen die Zensurbestimmungen“ bei und verriet, daß der Briet um einen Teil seines Inhaltes erleichtert worden war, und zwar lehlte die Meldung über den Tod des 1948 ohne lormelle Gerichtsverhandlung zu 20jähriger Halt verurteilten Erzbischois von Durazzo, Msgr. Nicola Premushi im Kerker und über weitere Priesterverlolgungen in Albanien. Warum wohl? Geschah das nur, um ein „Plansoll“ zu eriüllen oder wollten die Zensoren damit ihren Abscheu über das, was in Albanien geschieht, zum Ausdruck bringen? Wir hoffen letzteres.

EINE SCHWALBE BRINGT NOCH KEINEN SOMMER. Einige Gesten und versöhnliche Gebärden des Kremls beenden noch nicht den kalten Krieg. Dennoch hat wohl mit Recht die Iriedens- und irühiingswillige Bevölkerung Westeuropas etwas aulgeatmet in diesen Tagen um Ostern, als die Verhandlungen über einen Watlenstillstand in Korea wieder begonnen, als Moskau mit überraschendem Freimut den „Aerzteiall“ öffentlich liquidierte, als, nicht zuletzt, nach langen fruchtlosen Auseinandersetzungen eine Einstimmigkeit über die Wahl des neuen Generalsekretärs der UNO erzielt wurde. Gerade dieses letztere Faktum verdient Beachtung. Die UNO hat, . trotz ungeheurer Belastungsproben, in den letzten Jahren eine Bewährungsprobe bestanden. Nicht, weil in ihr Beschlüsse getätigt wurden, die bei der gegenwärtigen Verkrampiung der internationalen Situation gar nicht zustande kommen konnten, wohl aber, weil an ihren Tischen sich immer noch die erbitterten Gegner zu mondenlangen Wort geiechten zusammentraien. Es gab also immer noch eine Platttorm, die gescheut und die von den großen Kontrahenten reichlich benützt wurde, um der Weltöffentlichkeit ihren Standpunkt zu übermitteln. Und die UNO besteht, im Ernstiall, das hat Korea gezeigt, praktisch aus einem Mann: aus dem Generalsekretär, von dessen raschem Handeln (Ein-berulung des Sicherheitsrates usw.) sehr, seht viel in Krisenmomenten abhängt. Es wird in ganz Europa wohltuend emptunden, daß ein Europäer, ein Schwede, nunmehr wiederum dieses heikle Amt, das höchste Verantwortungen birgt, übernimmt. Schweden hat sich nicht zuletzt durch den tragischen Tod Gral Berna-dottes in Palästina prädestiniert lür diese heikle Aulgabe, die einen bedingungslosen Friedenswillen voraussetzt. Ebenso wohltuend wird es emptunden, eben, daß die Russen einmal ja gesagt haben. Also will man iür den Frühling und iür den Frieden hofien, daß sich die Schwalben aus Moskau mehren. Sie sehen jedenialls besser aus als die Tauben der Vergangenheit, da sie erste Verheißungen von Friedenstaten im Schnabel tragen.

IN DER ÖSTERLICHEN FESTZEIT hat in Ostdeutschland die bisher in latenten Spannungen verborgene Verfolgung der evangelischen und katholischen Christen sichtbarere und scharlere Formen angenommen. Seit den heiligen Presscangrifien gegen Bischol Dibelius im vergangenen Herbst wartete man in kirchentreuen Kreisen aul das Losbrechen des Sturmes. Ist es nun soweit? Mehrlache Anzeichen sprechen dalüt; die Ueberwachung, die Einschränkung, die Verhaftungen bekannter Christen nehmen zu. Nach dem Verbot der letzten Reste einer kirchlichen Presse, nach der Verhinderung jeder Tätigkeit christlicher Organisationen und Vereine scheint man nun zu noch massiveren Maßnahmen auszuholen. Das ist ein ernstes Mahnmal für die Kirchen und die Christen des Westens, besonders der Bonner Bundesrepublik. War bereits am Berliner Katholikentag der Gegensatz zwischen den saturierten, vielredenden, betriebsamen, wohlgekleideten und gutgenährten Westchristen und ihren östlichen Brüdern, die oll aussahen, als wären sie soeben den Katakomben entstiegen, aulfallend und wurde von vielen einsichtigen Besuchern als das dramatische aufwühlende Ereignis der großen Tagung angesehen, so kann der jetzige Druckunterschied des seelischen Klimas die Entfremdungen noch verschärfen, wenn nicht ein Erwachen im Westen einsetzt. Selbstkritik an der eigenen Geschäitigkeit im Kampf um weltliche Positionen und eine vermehrte Sorge, Fürsorge für die östlichen Brüder sind das erste, was not tut. Es ist gut zu wissen, daß es in Westdeutschland führende Köpfe in beiden Kirehen gibt, die das wissen. Das Gleichgewicht Europas, seine innerste Substanzbildung hängt davon ab, ob der Waagschale des Zornes und Hasses, der Verfolgung und Opfer im Osten eine positive christliche Arbeit, ein Einsatz lür alle, im Westen entspricht. Die Entstehung von z w e i in Lebensgefühl und Geistigkeit völlig verschiedenen Christenheiten in Ost- und Westeuropa wäre eine der furchtbarsten Folgen der gegenwärtigen Weltlage.

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DER DEUTSCHE BUNDESFINANZMINISTER DR. SCHAFFER hat im Bonner Bundestag einen Plan vorgelegt, der die Schältung gerechter und vernünltiger Steuerverhältnisse zum Ziel hat. Aul eine „kleine Steuerreform“, die schon im Mai dieses Jahres in Kratt treten wird, soll bis 1955 die „große Steuerreform“ mit noch umwälzenderen Aenderungen folgen. Dr. Schäffer erhofft sich nach ganz kurzfristigem Steuerverlust, der durch ein „Notopfer“ der Länder ausgeglichen werden soll, bedeutende Steuermehreinnahmen durch Anreiz zur Leistungssteigerung. (Die gleichen Probleme kennt auch Oesterreich, das genau so wie die Deutsche Bundesrepublik im wesentlichen die deutschen Steuergesetze aus den Jahren 1938139 handhabt.) Die deutsche Steuerreform will zunächst jene Ehepaare, die mitsammen mehr-als 626 DM im Monat verdienen, gemeinsam-zur Steuer veranlagen. Die volle Gleichstellung soll bis 1955 durch Einführung der in den Vereinigten Staaten von Amerika üblichen Methode der Steuerspaltung („Splitting“) er-, reicht werden: die Ehepaare können dann ihr gemeinsames Einkommen zur Steuerveranlagung nach ihrem Gutdünken verteilen. Es liegt auf der Hand, daß erst nach dieser Methode der Familie wirksam geholfen wäre: Ein Ehepaar, das ein versteuerbares Einkommen von 1048 S im Monat hat und jetzt dementsprechend jährlich 679.20 S Lohnsteuer, zahlt, würde noch steuerfrei ausgehen. Bei einem Einkommen von 2000 S monatlich beträgt die jetzige Steuerleistung 3242.40 S im Jahr, während sie nach Durchführung der Steuerspaltung 1819 S ausmachen würde. Es spielt dabei kaum eine Rolle, daß diese Einkommen dann alle nach der Steuergruppe I versteuert würden. Für Kinder gäbe es darüber hinaus absetzbare Freibeträge. Der Mut, mit dem die Regierung der Deutschen Bundesrepublik an die Lösung dieser Probleme herangeht, ist anerkennenswert. Man darf hoiien, daß auch unser neugewähltes Parlament Zeit findet, durch Herstellung gerechter Steuerverhältnisse den wirtschaftlich arg bedrängten Familien zu Hille zu kommen.

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