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Was nun?

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Die schleichende Krise, die unsere Innenpolitik seit geraumer Zeit befallen hat, geht in den Wahlkampf über, besser gesagt: sie wird von dem Lärm der zur Wahlschlacht links und rechts aufbrechenden Kolonnen überdeckt.

Um so wichtiger scheint es deswegen noch, eine Zwischenbilanz anzustellen, wie es um die Stellung unseres Staates in der internationalen Politik beschaffen ist. Die vor kurzem abgeschlossenen Kanzlerreisen nach West und Ost sind dafür ein gegebener Anlaß. Nachdem die offiziellen Bulletins veröffentlicht sind, die parteiamtlichen Kommentare geschrieben wurden und eine bestimmte Berichterstattung unser Wissen dadurch bereicherte, indem sie uns mitteilte, welche Weine bei diesem Mittagessen getrunken, welche Witze bei jenem Nachtmahl erzählt wurden, mag man auch nach den Erfahrungen und Erkenntnissen fragen dürfen, die der österreichischen Politik aus den politischen Reisen dieses Frühjahrs und Sommers erwachsen sind.

Es begann alles sehr harmlos: als eine geplante Vorstellungstour des damals neuen Regierungschefs bei der benachbarten Schweiz und bei den vier Signatarmächten des Staatsvertrages. In Bern gab es freundliches Händeschütteln, was den — um in der Umgangssprache unserer eidgenössischen Nachbarn 2U sprechen — Schulterschluß der beiden neutralen Staaten im Alpenraum auch nach außenhin dokumentierte. Auch London wartete mit keinen Problemen auf, obwohl dort wohl auch Gelegenheit war, ein offenes, vielleicht sogar ein wenig bitteres Wort darüber zu verlieren, daß Großbritannien Österreichs EFTA-Treue doch nicht immer und überall mit gleicher Münze honoriert hat. Spätestens in Washington aber reifte die Gewißheit, daß aus der geplanten Vorstellungstour ein Gang mitten durch die Minenfelder der internationalen Politik geworden war. Die Frage des Verhältnisses Österreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der von vornherein im Gepäck des Kanzlers ein großer Platz reserviert war, wurde das zentrale Thema der merito-rischen Gespräche. Worüber man bisher nur gemunkelt hatte, wurde offenkundig: Die Vereinigten Staaten stehen derzeit einer Assoziation des neutralen Österreich an die EWG gewiß nicht ablehnend, aber doch eher gelassen gegenüber. Die Gründe, die die große Vormacht des Westens in dieser Frage der bekannten „Moskauer Linie“ annähert, entspringen selbstverständlich entgegengesetzten Motiven. Der Regierung in Washington ist vor allem am beschleunigten politischen Zusammenschluß der Länder Westeuropas gelegen. Der politische Wein der EWG soll durch das Wasser 'der Neutralen nicht übermäßig verdünnt werden. Daß daneben die Regierung Kennedy, die sich offenkundig darum bemüht, Krisenherde zu sanieren, eine auch nur mögliche Reibungsfläche mit den Sowjets von vornherein zu vermeiden wünscht, wurde nicht ausgesprochen, liegt aber auf der Hand. Selbstverständlich kann es Washington nicht wollen, daß Österreich vom Zug der freien Staaten „abgekuppelt“ wird. Deshalb als Folgerung aus beiden Überlegungen auch der Ratschlag, von vornherein neben der offiziellen Assoziationsformel auch alle anderen Möglichkeiten einer Übereinkunft mit der EWG, die dem wirtschaftlichen Wohl und dem politischen Status unseres Landes in gleicher Weise Rechnung tragen, zu prüfen.

Mit diesen Washingtoner Erfahrungen bereichert, ging die Reise weiter. Paris war dabei mehr als ein Zwischenaufenthalt. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen, möchten unsere Blicke aber zunächst auf Moskau konzentrieren. Wer hier aus verschiedenen sowjetischen Pressepräludien und auch offiziellen Noten einen Empfang mit Blitz und Donner erwartet hätte, wurde überrascht. So plump ist die russische Diplomatie im nach-stalinistischen Zeitalter keineswegs. Diese zeigte sich vielmehr von ihrer geschmeidigsten Seite. Persönliche Liebenswürdigkeit gegenüber den österreichischen Gästen verband sich mit der bei jeder Gelegenheit wiederholten bekannten These, die Sowjetunion sehe in der EWG nach wie vor nichts anderes als die wirtschaftliche Basis für die NATO. Die künftigen Beziehungen UdSSR—Österreich würden sich umgekehrt proportional denen Österreichs zur EWG gestalten. Ein auch völkerrechtlich unzulässiges „Verbot“ jeglicher Verbindung wurde dabei freilich ebensowenig ausgesprochen wie jene in einem gewissen Teil der Weltpresse herumgeisternde Drohung mit dem Einmarsch russischer Truppen — die Nachricht einer westlichen Agentur, mit deren Dementierung Bundeskanzler und Außenminister in der letzten Woche beschäftigt waren. Am besten hat der die Regierungsdelegation begleitende Berichterstatter der ..Presse“ die Situation charakterisiert, wenn er schrieb, die Russen legten nach wie vor einen „Feuervorhane“ vor einen Beitritt Österreichs als Vollmitglied der EWG. Sie überlassen es aber der Kühnheit und auch der Klugheit der Österreicher, wie weit sie sich mit einer Assoziation, einem Arrangement oder wie immer eine sonstige Verbindung auch heißen mag, dieser Feuerzone nähern. Die österreichische Regierung hat für ihre künftigen Schritte freie Hand, die Sowjets aber nehmen selbstverständlich dasselbe für sich in Anspruch. Das Bedeutsamste an den Moskauer Tagen scheint uns der persönliche Vertrauensgewinn, den der Bundeskanzler bei den Machthabern im Kreml erzielt hatte. Wer weiß, wie sehr die Sowjets persönliche Vertrauensverhältnisse in Politik umzusetzen verstehen, wird dieses Ergebnis der Moskauer Good-will-Tour nicht gering einschätzen.

Wir sprachen davon, daß der Aufenthalt der österreichischen Regierungsdelegation in der französischen Hauptstadt mehr war als eine Zwischenstation zwischen Washington und Moskau. Vielleicht war der Besuch in Paris überhaupt das wichtigste Glied in der Kette der Staatsbesuche, obwohl er dank der spröden Persönlichkeit des Gastgebers wenig spektakulär war und den Massenmedien kaum etwas „Interessantes“ zu bieten hatte. Ohne Zweifel ist Frankreich die politische Vormacht jener europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, mit der sich Österreich anschickt, in Gespräche zu treten. Ohne Zweifel ist der französische Staatschef ein Mann, von dem viele und nicht nur in Österreich beheimatete Politiker historisches Denken und Politik mit weiten Perspektiven lernen können. So würde es uns gar nicht verwundern, wenn gerade bei de Gaulle, so er nur richtig angesprochen wird, waches Interesse für Österreich zu erzielen ist: für ein Österreich freilich, das nicht nur als ein kleiner Bittsteller um ein möglichst großes Stück vom europäischen Wirtschaftskuchen auftritt, sondern für ein Österreich, das auch überzeugend zu dokumentieren versteht, daß es als neutraler Staat im Herzen Ei opas in gewandelter Form seine ihm von Geschichte und Geographie zugewiesenen Aufgaben weiter zu erfüllen bereit ist.

Zu einem solchen neuen Dialog Paris—Wien ist ein Anfang gemacht. Er sollte wieder nicht so bald zum Stillstand kommen. Erinnern wir uns doch, daß gerade in den ersten Jahren nach 1945 das französische Element reges Interesse und große Aufgeschlossenheit Österreich gegenüber bekundete. Nach 1955 kamen leider allmählich andere Zeiten. Frankreich war an anderen Orten und Problemen stärker engagiert; auch sah es gewiß nicht nur mit Wohlwollen Wien auf der Einbahnstraße nach London wandern. Eine beiderseitige langjährige Fehlbesetzung in der Leitung der Botschaften trug gewiß auch das Ihrige dazu bei. Gerade hier aber ist in den letzten Jahren sowohl in Paris wie in Wien ein Wechsel zum Besseren eingetreten. Hier wie dort wirken Botschafter, die zur Spitzengruppe der Diplomaten ihrer Länder zu zählen sind. Frankreich weiß, welche Rolle einem wirklich freien und eigenständigen Österreich in der Gesellschaft der europäischen Nationen zuzumessen ist. Heute und viel stärker noch vielleicht morgen, wenn eine größere europäische Lösung mehr ist als eine politische Doktrin. Es weiß aber gewiß auch, daß nur ein wirtschaftlich gesundes Land solchen Aufgaben gewachsen ist. Aus beiden Erkenntnissen kann sich eine wertvolle Mittlerrolle bei den Gesprächen mit den Männern von Brüssel ergeben.

Wie werden sich jene Gespräche gestalten? Dies heute in allen Details voraussagen zu wollen, erforderte die Gabe politischer Hellseherei. Für uns war die EWG nie ein „kapitalistischer Block“, sie war und ist aber auch keine „Endstation Sehnsucht“ aller österreichischen Politik. Hier wird klug und zäh voll Bedacht auf die wirtschaftlichen Belange, aber auch auf die politischen Interessen unseres Staates zu verhandeln sein. Eine Kapitulantenmentalität ist ebenso falsch am Platz wie es Oberflächlichkeit und nicht genügender Ernst wären. Sollten aber selbst die Gespräche — was wir nicht hoffen — eines Tages einem Engpaß zuführen, so heißt es auch dafür rechtzeitig Sorge zu tragen, daß keine „Götterdämmerungsstimmung“ hierzulande um sich greift.

„Assoziation ist das, was herauskommt.“ So ein dem Bundeskanzler zugeschriebenes treffendes Bonmot. Ohne Prophet sein zu wollen, darf man schon heute annehmen, daß die Verbindung Österreichs zur EWG eher lockerer und weitmaschiger als starr ausfallen dürfte. Und das muß letzten Endes gar kein Unglück sein. Nochmals: Wir bejahen beim gegenwärtigen Stand der Dinge ehrlich und ohne Rückhalt eine Übereinkunft mit der sich bildenden wirtschaftlichen europäischen Gemeinschaft. Es kann aber die Absicht keines ehrlichen Österreichers sein, einer Einschmelzung der österreichischen Volkswirtschaft ohne Rücksicht auf politische und andere Verluste das Wort zu reden.

Denn das sind die Folgerungen und Erkenntnisse der internationalen Besuchstournee der österreichischen Politiker dieses Frühlings und frühen Sommers:

Die österreichische Neutralität hat an ihrem Wert nichts eingebüßt. Im Gegenteil. Ohne in eine falsche Liebedienerei gegenüber einer bestimmten Himmelsrichtung zu verfallen, ohne aber auch mit Augenzwinkern als „Zwangsneutraler“ in der anderen zu werben, wird Österreich — so es von Männern geführt wird, die das Wohl und Wehe der Menschen dieses Landes vor alle anderen Überlegungen setzen — seinen Weg gehen. Und es wird ein guter Weg sein. Skeptiker im Lande aber seien auf ausländische Wortmeldungen hingewiesen. So gestand erst vor wenigen Monaten die bekannte Schweizer Zeitung „Die Tat“ in einem großen Leitaufsatz neidlos Österreich zu, im 20. Jahrhundert mit seiner Neutralität dieselbe Aufgabe zu erfüllen, der sich die Schweiz im 19. Jahrhundert unterzog.

Das ist eine Lehre zwischen Washington und Moskau, zwischen London, Paris und Brüssel. Die zweite schließt sich ihr nahtlos an. Wenn wir die ausländischen Pressestimmen — auch hier sind die französischen am instruktivsten — aufmerksam studiert haben, so sehen wir bald, daß viele internationale Sympathien dem Bundeskanzler entgegengebracht wurden. Sie galten dem Verwundeten des ersten Weltkrieges, dem Gefangenen von Dachau, dem Kämpfer in vorderster Front gegen den Nationalsozialismus vor 1938. Von dem steirischen Landespolitiker der Jahre nach lSt'5 war weniger zu lesen. Und wenn Gorbach in Moskau den Beitrag der Roten Armee zur Befreiung Österreichs würdigte, so geht es wohl nicht länger an, im Inland Kräfte wachsen zu lassen oder gar da und dort zu ermutigen, deren Parolen ganz anders lauten. Wir können vieles tun, eines können wir uns jedoch nicht leisten. Zwei Gesichter zu zeigen, eines im Ausland und eines für den Tagesgebrauch der österreichischen Politik.

Wir haben mit der Innenpolitik begonnen, wir schließen mit ihr. Die Besuche des österreichischen Regierungschefs in West und Ost haben die Freiheit und Freizügigkeit unseres Handelns bestätigt. Es ist dies aber eine Freiheit der Verantwortung, nicht der Lässigkeit und des Gewäh-renlassens für allerlei Ungereimtheiten und Narreteien.

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