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EWG: Endstation Sehnsucht...

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Während die ungewöhnlich warme Temperatur das Verlangen nach dem Urlaub in Cornwall, auf den Kanalinseln, in Spanien oder Südfrankreich fast unerträglich werden läßt, während in Wimbledon eines der turbulentesten Tennisturniere dem Höhepunkt zustrebt, während die Studenten in Oxford, Cambridge, London und Manchester über die Lage im Nahen Osten und den Krieg in Südvietnam debattieren, versuchen Politiker und Beamte Klarheit über das Geschick des britischen Ansuchens um Aufnahme in die EWG zu gewinnen.

Seit den Reisen des Premierministers Wilson und seines Außenministers Brown in die Hauptstädte der EWG-Länder im Februar und März, deren Ergebnis in Paris eine sehr zurückhaltende Stellungnahme Und sonst der Rat gewesen ist, mit einer formellen Beitrittserklärung bis zum Herbst des Jahres zuzuwarten, haben sich die Ereignisse überstürzt. Die britische Regierung hinterlegte in Brüssel im Mai eine Note, in der um Aufnahme der Verhandlungen wegen eines britischen Beitrittes ersucht wurde. Ebenfalls im Mai konnte in Genf die sogenannte Kennedy-Runde des GATT zu einem Kompromiß zwischen den USA und der EWG gelangen. Ende Mai fand in Rom die Jubiläumstagung der EWG statt, auf der Präsident de Gaulle zwar kein Veto gegen einen britischen Beitritt anmeldete, seine Zweifel über die „europäische Gesinnung“ Großbritanniens jedoch deutlich und unmißverständlich kundtat.

Vor kurzem tagte nun der Ministerrat der EWG in Brüssel. Die Hoffnung auf ein Verhandlungsmandat für die Kommission erwies sich als verfrüht. Darüber wird ein Ministerrat im Herbst neuerlich zu entscheiden haben.

Soweit das Kalendarium der Ereignisse, zu dem noch der Besuch Wilsons am 12. Juni in Paris hinzukam, der freilich in erster Linie dem Gedankenaustausch über die Lage im Nahen Osten diente, die durch den Blitzkrieg auf der Halbinsel Sinai entstanden war. Obzwar hinter den Kulissen sicherlich auch in den Sommermonaten die Kontakte nicht abreißen werden und es dadurch zu völlig veränderten Ausgangsstellungen für die offizielle Verhandlungsrunde im Herbst kommen mag, zeichneten sich doch schon die hauptsächlichen Schwierigkeiten ab. Sie liegen zum Teil auf sachlichökonomischer, zu einem weit größeren Teil aber auf emotionell-macht-politischer Ebene.

Hindernis Nr. 1: Das Pfund Sterling

Wohl das wesentlichste ökonomische Hindernis für eine britische Mitgliedschaft ist nach franzöischer Ansicht die Rolle des Pfund Sterling als Reservewährung. Bekanntlich beruht 'das Währungssystem der freien Welt auf dem sogenannten Golddevisenstandard. Die Transaktionen zwischen den einzelnen

Wirtschaften werden entweder in Gold oder in den Reserve-(oder Leitwährungen abgewickelt, wobei die Goldparität der Leitwährungen als fixes Verhältnis festgelegt ist. Alle übrigen Währungen hängen letztlich von diesen Leitwährungen mehr oder weniger ab. Nun ist neben dem US-Dollar, der die Hauptlast des gegenwärtigen Währungssystems trägt, nur noch das Pfund Sterling eine solche Reservewährung. Diese Funktion bedeutet für die britische Wirtschaft, eine gewisse Hypothek, da ein Zahlungsbilanzungleichgewicht nicht wie in den übrigen Ländern mittels einer Wechselkursanpassung bekämpft werden kann.

(Würden Großbritannien oder die USA dennoch den Wechselkurs ändern, so bedeutet dies das Ende der bestehenden Weltwährungsordnung.) Die französischen Bedenken hinsichtlich des Pfund Sterling teilen deshalb auch die meisten EWG-Länder. Niemand in Großbritannien, außer einigen Illusionisten, übersieht diese Hürde. Schon die konservative Regierung, die sich, wie erinnerlich, 1961 und 1962 um einen Beitritt zur EWG bemüht hatte, wußte um diese Schwierigkeit; der damalige Schatzkanzler Maudling hatte aus diesem Grunde eine Reform des Internationalen Währungsfonds angestrebt; danach sollten Depositen bei dieser internationalen Währungsbehörde ebenso als Reservemittel dienen können wie in den nationalen Wirtschaften Depositio-nen bei der jeweiligen Notenbank. Der Maudling-Plan wurde verworfen; das gleiche Schicksal erlitten alle Reformpläne seit 1962. Inoffiziell geben Regierungskreise daher zu, daß ein britischer EWG-Beitritt eng mit der Reform der Währungsordnung verknüpft ist und daß hier tatsächlich eines der Kernprobleme der Lösung harrt.

Ein schwacher Trost dürfte in dem Umstand liegen, daß Großbritannien als Mitgift das gut funktionierende Londoner Finanzzentrum mitbrächte. Denn hier mischen sich bereits emotionelle Gründe in die Argumente gegen einen britischen Beitritt. Selbstverständlich, könnte die Londoner City mit ihrem eingespielten Geld- und Kapitalmarkt der EWG nach britischer Meinung nur unschätzbare Vorteile verschaffen. Audi objektive, etwa amerikanische Beobachter kommen zum gleichen Urteil. Nicht hingegen de Gaulle und seine Berater, die gerne Paris zum Finanzzentrum der EWG entwickeln möchten. Die Möglichkeit dazu besteht lediglich so lange, als Paris innerhalb der EWG nicht gegen einen übermächtigen Konkurrenten — London — ankämpfen muß. Der Vorteil, den unter anderem die Wochenschrift „Economist“ betont, entpuppt sich in Wirklichkeit als Hindernis.

Hindernis Nr. 2: Die Landwirtschaft

In der Reihe der sachlich-ökonomischen Fragen folgt die Landwirtschaft. Der französischen Regierung ist es gelungen, in der EWG eine Agrarpolitik durchzusetzen, die der französischen Landwirtschaft fast nur Vorteile brachte. De Gaulle muß, schon aus innenpolitischen Erwägungen, auf diesen Vorteilen bestehen. Nun war die britische Agrarpolitik bisher anders ausgerichtet. Maßgeblich für das Preisniveau sind die Importpreise der Bezüge aus den Commonwealthländern. Die einheimischen Farmer werden daher nicht über den Preis subventioniert; das Einkommen wird über direkte Zuwendungen erhöht. (Eine genaue Darstellung würde hier zu weit führen; wie alle agrarpoli-tischen Systeme ist auch dieses, überaus kompliziert.) Der Sektor Landwirtschaft wird gewiß zu harten Verhandlungen führen, doch sind die Probleme nicht unlösbar, zumal Premierminister Wilson öffentlich versicherte, daß sich Großbritannien dem EWG-System anpassen werde und die damit verbunden r Erhöhung der Lebenshaltungskosten (etwa zwei Prozent) in Kauf nehme.

Die dritte, bisher vielfach übersehene Frage liegt auf dem industriellen Sektor. Die französische Industrie hatte es schon ungemein schwer, dem Wettbewerbsdruck der westdeutschen Unternehmen standzuhalten. Häufig wurde zwar der Zoll gesenkt, aber gleichzeitig wurden Schritte zum Schutz der Betriebe unternommen, wie erhöhte Ausgleichssteuer, fiskalische Schikanen in der Behandlung der Importe aus den anderen EWG-Ländern und so. weiter. Denn die französische Industrie ist gegenwärtig nur in geringem Maße konzentriert; es herrschen die Mittelbetriebe vor. Auf einigen Gebieten gelangen der französischen Industrie wohl große Erfolge — wie in der Flugzeugproduktion —, im großen Durchschnitt freilich ist sie technisch und organisatorisch steril, da sie doch zu sehr nach einem patriarchalischem System aufgebaut ist. Außerdem ist die Eigenkapitalbasis der meisten Unternehmen eher knapp.

Woher die französische Furcht?

Die französische Regierung scheint nach einem Zeitgewinn zu streben, damit die eigene Industrie inzwischen konkurrenzfähiger werde. Dies mutet erstaunlich an, weil die populäre Presse in den vergangenen Jahren oft genug auf die Rückständigkeit der britischen Industrie hingewiesen hat. Wieso plötzlich die französische Furcht? Dieser Widerspruch läßt sich leicht aufklären. Wenn von der Rückständigkeit der britischen Unternehmen geschrieben wurde, geschah dies immer im Vergleich mit der amerikanischen Konkurrenz; hier bleibt der Satz selbstverständlich gültig; im Vergleich zur französischen oder auch westdeutschen Industrie besteht diese Rückständigkeit nicht. Im Gegenteil: die britischen Unternehmen verfügen über eine größere Eigenkapitaldecke und damit auch über eine bessere Möglichkeit, Fremdmittel zu bekommen, sie sind in der chemischen und in der Elektroindustrie technisch sogar den kontinentalen Betrieben voraus und haben vielfach auch in der Anwendung des „scientific management“ Vorsprünge.

Ein Beitritt Großbritanniens würde ' daher zu einer „unerwünschten“' Verschärfung des Wettbewerbes führen. Daran hat auch die Kennedyrunde nichts geändert. Und welcher Betrieb sieht es gerne, wenn er sich um die Kunden mehr anstrengen muß. Die besondere Schwierigkeit des Problems liegt nun darin, daß es sich für die kontinentale Industrie nur mit einer Änderung des Vertrages von Rom umgehen ließe oder eben mit einer Verzögerung des britischen Beitrittes.

Nr. 4, 5, 6 usw.: Emotionen und Machtpolitik

Neben diesen sachlich-ökonomischen Schwierigkeiten muß die britische Regierung noch die emotio-nell-machtpolitischen überwinden.

Diese Probleme lassen sich kaum verdeutlichen. Zunächst können es viele französische Politiker unbewußt nicht verwinden, daß Großbritannien noch viele Jahre nach 1945 Großmachtpolitik betreiben konnte, wogegen Frankreich ein bloß symbolisches Gewicht im Konzert der Großmächte zukam. Großbritannien unterstützte die amerikanischen Bemühungen, den Kreis der Atommächte einzugrenzen, und wollte Frankreich zum nuklearen „Habenichts“ stempeln. Nun ist es Frankreich gelungen, wenigstens in der EWG die erste Geige zu spielen, da Westdeutschland in der internationalen Politik auch 20 Jahre nach Kriegsende noch nicht hoffähig war. Ein Beitritt Großbritanniens würde nun die hegemoniale Stellung Frankreichs in der EWG beenden. Genau dieses Ziel wollen Italien und die Beneluxländer erreichen, die eine Vorherrschaft der Bundesrepublik nach einem Ausscheiden de Gaulles fürchten, weshalb sie die britischen Bemühungen diskret unterstützen.

Demgegenüber würde Großbritannien mit Frankreich zusammen jeden Versuch unterminieren, die Bestimmungen des Vertrages von Rom über die Supranationalität, über das echte Mehrheitsprinzip im Ministerrat, über den Ausbau der Machtposition der Kommission zu verwirklichen. Die Beneluxländer unterstützten Großbritannien daher auch nur mit halbem Herzen. Denn die kleinen westeuropäischen Länder streben in erster Linie diese Supranationalität an, sie geben sich mit einer „Europe des patries“ nicht zufrieden.

Vorläufig will de Gaulle Großbritannien lediglich die Assoziation anbieten. Damit wäre die britische Insel eindeutig diskriminiert. Und de Gaulle hätte Wilson erfolgreich den „Schwarzen Peter“ zugespielt.

Der Ausgang dieses machtpolitischen Pokers ist ungewiß. Es sieht jedoch so aus, als ob ein britischer

Beitritt vorderhand eine Endstation Sehnsucht bliebe. Um so mehr, als in England die öffentliche Meinung, die gegenwärtig für einen Beitritt ist, wie vor vier Jahren wieder umschlagen könnte. Darin liegt für die Labour-Regierung eine große Gefahr, da sie wirtschaftspolitisch für diesen Fall keine Alternative vorgesorgt hat. Aber auch de Gaulle hat offensichtlich keine Ersatzlösung bereit, um eine Isolierung in der EWG zu vermeiden. Allein diese Tatsache berechtigt zu einer rational nicht begründbaren Hoffnung, daß Wilson doch noch über einen Kompromiß in den europäischen Hafen gelangt.

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