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Seit dem Inkrafttreten des sogenannten „Globalvertrages“ mit den Europäischen Gemeinschaften sind nun zwei Jahre ver-. gangen — und dies bietet Gelegenheit, einen Rückblick auf die erste Phase der österreichischen Teilnahme an der Europäischen Wirtschaftsintegration zu halten.

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Seit dem Inkrafttreten des sogenannten „Globalvertrages“ mit den Europäischen Gemeinschaften sind nun zwei Jahre ver-. gangen — und dies bietet Gelegenheit, einen Rückblick auf die erste Phase der österreichischen Teilnahme an der Europäischen Wirtschaftsintegration zu halten.

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Wir erinnern uns des langen und mühsamen Weges der westeuropäischen Staaten, der beschritten werden mußte, um die Grundsteine für ein großes, gemeinsames westeuropäisches Wirtschaftsgebiet legen zu können. Die einzelnen Abschnitte dieses Weges sind bekannt: 1956 wurde mit dem Vertrag von Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) geschaffen, 1960 folgte nach dem Scheitern der Bemühungen um eine große Europäische Freihandelszone die EFTA mit dem Vertrag von Stockholm; 1971 kam es sodann zur Erweiterung der EWG auf neun Mitglieder mit den Beitritts-verträgen von Großbritannien, Dänemark und Irland und bald darauf zu den Freihandelszonenverträgen mit den Rest-EFTA-Staaten. In dieser Zeit entwickelte sich auch die interne Integration der EWG zu den „Europäischen Gemeinschaften

(EG)“ durch Zusammenlegung mit der Montan-Union und dem EURATOM. Die wirtschaftliche Gemeinsamkeit der westeuropäischen Staaten stellt sich also heute in einer engeren und weiteren Form dar, in der die EG eine alle ökonomischen Bereiche umfassende, enge Wirtschaftsgemeinschaft und diese mit den Rest-EFTA-Staaten eine Freihandelszone bilden. Innerhalb dieses Gesamtgebietes wird es in Kürze keine tarifarischen (Zoll-) Grenzen mehr geben, wobei die Europäischen Gemeinschaften ihre wirtschaftlichen Souveränitäten unter einer supranationalen Behörde zusammengelegt haben',' während die übrigen Staaten ihre ökonomische Autonomie beibehielten. Ferner sind noch die europäischen und afrikanischen Assozüerungspartner der EG in dieses Bild einzubeziehen. Damit hat Westeuropa nicht nur eine neue wirtschaftliche Konstruktion gefunden, sondern entwickelte sich auch zum größten Handelspartner der Welt überhaupt. Diese Entwicklung hatte auch eine politische Konsequenz, indem der Osten, der bisher die Existenz der Europäischen Gemeinschaften nicht zur Kenntnis nahm, nun nicht nur zu einer Anerkennung bereit, sondern auch bemüht ist, seine Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen Europas zu intensivieren.

Wie groß der Erfolg des westeuropäischen Integrationsweges tatsächlich ist, läßt sich auch daraus ersehen, daß sich die jahrelangen Kassandrarufe über die angebliche Unfähigkeit der Europäer zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft zu finden, nicht bewahrheitet haben. Wir erinnern uns noch recht genau, daß es auch in Österreich Jahre hindurch immer wieder Leute gegeben hat, die uns weismachen wollten, daß aus dieser EWG nichts werden könne, ja, daß sie unmittelbar vor ihrem Zusammenbruch stünde. Daß es bei der Entwicklung einer so imposanten internationalen Organisation immer wieder Schwierigkeiten gegeben hat und sie auch weiterhin geben wird — man denke an die Kompliziertheit der Agrarmarkt-ordnung oder an das Währungsproblem — ist ganz natürlich. Die Kritiker an der Europäischen Wirtschaftsintegration übersehen dabei die jeder wirtschaftlichen Entwicklung immanente Kraft des Beharrens und der notwendigen Fortsetzung einmal begonnener, ökonomischer Prozesse. Die Europäischen Gemeinschaften und ihre Freihandelspartner können einfach gar nicht mehr auseinander, ohne durch einen solchen Zerfall schwerste wirtschaftliche Schäden heraufzubeschwören! Es bedarf daher keiner besonderen prophetischen Gabe, vorauszusagen, daß die EG zum Beispiel auch ihre Entwicklung auf dem Währungssektor wird fortsetzen müssen. Die zentrifugalen Kräfte werden in einer solchen Entwicklung immer bedeutend schwächer sein als Wille und Notwendigkeit einer zentripetalen Fortsetzung des einmal begonnenen Werkes. Die Integration wird sich daher auch in ihrem sekundären Bereich weiter entwik-keln. Es wird zu einer weiteren Harmonisierung auf fast allen Gebieten der Wirtschafts- und Sozialpolitik kommen als da z. B. sind: das Steuerrecht, das Patentrecht, die Marken- und Mustersohutzgesetzge-bung, die Sozialpolitik, soweit sie für die Kostengestaltung der Produktion maßgeblich ist, usw.

Die österreichische Position ist in diesem weit gezogenen Rahmen durch den sogenannten Globalvertrag fixiert. Schon werden in einem sich auf wenige Jahre erstreckenden Stufenplan die Zölle bis auf Null abgebaut und damit Österreich in den gemeinsamen Zollbereich eingegliedert. Allein diese Entwicklung hat für Österreich allergrößte Bedeutung. Die Integration ist jedoch — wie oft wurde es schon gesagt! — keine wirtschaftliche Einbahn, auf der österreichische Waren unbehindert ins Ausland verkauft werden können, sondern läuft zweigleisig; mit der verbesserten Konkurrenzfähigkeit österreichischer Exportwaren auf den westeuropäischen Märkten entsteht natürlich auch eine bedeutend verstärkte Konkurrenz auf dem Inlandsmarkt. Dieser Prozeß hat zwei Folgen. Einmal werden damit die Voraussetzungen für einen weiteren Ausbau der österreichischen Exportwirtschaft geschaffen, zum anderen wird es zu einer beschleunigten Strukturbereinigung in der österreichischen Industrie kommen., ein Vorgang, der naturgemäß auch seine Härten hat. Es ist daher begreiflich, daß die Freude über diese Integrationsentwicklung je nach der Lage eines österreichischen Industriezweiges eine unterschiedliche ist. Aber schon in den allerersten Diskussionen über die österreichische Integrationspolitik wurde von verantwortlicher Seite immer wieder darauf hingewiesen, daß unserem Land diese Strukturbereinigung mit oder ohne Integration ebensowenig wie jedem anderen Industriestaat erspart bleiben kann. Sie wird nun durch die Integration beschleunigt; ohne Integration würde sich dieser Prozeß langsamer vollziehen und im Endeffekt zu schlechteren Ergebnissen führen. Je rascher nicht mehr zeitgemäße, industrielle Strukturen bereinigt werden, um so geringer sind die Schwierigkeiten eines solchen Prozesses.

Die österreichische Industrie sieht aber aus anderen Gründen mit einigem Unbehagen der unmittelbar nächsten Zukunft entgegen. Exorbitante Lohnbewegungen, die sich in der eben zu Ende gehenden Lohnrunde zwischen 15 und 20 Prozent halten, werden im nächsten Jahr die Produktionskosten enorm belasten und durch die hohe Sozialbelastung des Lohnsektors mit den Lohnnebenkosten die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Industrie noch zusätzlich erschweren. Man spricht so gerne von dem österreichischen Bestreben, in unserem Land endlich zu „Buropalöhnen“ zu kommen und vergißt dabei, daß wir dieses Ziel unter Einrechnung der Lohnnebenkosten und bei Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten schon erreicht haben. Eine ganze Reihe westeuropäischer Länder kennt z. B. keinen 13. und 14. Monatsbezug, hält noch bei der 45-, teilweise sogar noch bei der 48-Stunden-Woche, hat eine wesentlich geringere Anzahl von bezahlten Feiertagen und kennt nicht das Ausmaß Her österreichischen Urlaubsbestimimingen. Das alles besagt nicht, daß man sich mit dem Gedanken einer Zurücknahme dieser zusätzlichen Sozialleistungen befassen sollte; solche Entwicklungen können nicht zurückgeschraubt werden, sind aber in die Grundlagen einer vergleichenden Berechnung einzubeziehen.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten wird nun noch zusätzlich von der Energiekrise beeinflußt. Hiezu muß allerdings gesagt werden, daß der arabische ölboykott nicht die einzige Ursache dieser Krise ist. Wir wissen seit langem, daß der Energiebedarf auf allen Sektoren rapide zunimmt. Die arabische Aggression gegen die Industriestaaten in Form der Fortsetzung des arabischen Angriffes auf Israel durch Entfesselung eines weltweiten Wirtschaftkrieges auf dem Energiesektor ist nur der unmittelbare Anlaß des Ausbruchs einer strukturell schon längst bestehenden Versorgungskrise auf diesem Gebiet und hat diese bedeutend verschärft. Für die europäische Integrationsent-wioklning wird dieser Umstand aber — so paradox dies zunächst klingen mag — auch positive Auswirkungen haben. Um dem arabischen ölboykott begegnen zu können, sind die westeuropäischen Industriestaaten mehr als bisher gezwungen, neue, und zwar gemeinsame Mittel und Wege zur Sicherstellung ihres Energiebedarfs zu finden. Der westeuropäische Energiesektor wird also durch die arabische Erpressungspolitik rascher integrieren! Es wird nach einer wahrscheinlich nicht allzu langen Durststrecke eine Verstärkung der wirtschaftlichen Energieintegration eintreten!

Ein Wort auch zur politischen Seite dieser westeuropäischen Integration. Sie hat bisher nur geringe Fortschritte erbracht. Dies liegt in der Natur der Sache. Erinnern wir uns doch an die Entstehungsgeschichte der EWG. Als man 1951 als erstes Integrationsgebilde die Montan-Union geschaffen hatte, traten die Regierungen der sechs Westeuropäer in intensive Verhandlungen zur Gründung einer echten politischen Integrationsgemeinschaft zusammen. Die damaligen Verhandlungen führten zu einem Vertragsentwurf über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), dessen Annahme aber schließlich vom französischen Parlament verweigert wurde. Kaum war dies eingetreten, entschlossen sich die Regierungen dieser sechs Staaten, ihren Zusammenschluß auf wirtschaftlichem Gebiet zu versuchen. Geht es nicht mit der Politik, so meinte man damals, so soll als erster Schritt eine Integration auf wirtschaftlichem Gebiet erfolgen. Womit wieder einmal bewiesen wurde, daß die Nationalökonomen noch lange nicht am Ende ihrer Weisheit sind, auch wenn die Politiker zunächst keinen Rat mehr wissen. Nun, da die Wirtschaftsintegration unter Dach und Fach ist und sich — wie oben ausgeführt — aus sich selbst heraus weiter entwickeln muß, verstärken sich die Bemühungen um eine politische Integration Westeuropas in zunehmendem Maße. Auch dieser Prozeß wird seine Zeit brauchen, aber er wird Fortschritte machen und ohne Zweifel durch Krisen besonders gefördert werden. Daß die Europäischen Gemeinschaften im arabisch-israelischen Krieg zu keiner gemeinsamen politischen Rolle gefunden haben, ist im großen Zusammenhang gesehen nur die Verdeutlichung der Schwierigkeiten eines solchen politischen Prozesses.

Die Situation Österreichs in diesen politischen Belangen ist eindeutig. Als neutraler Staat kann Österreich an solchen Integrationsentwicklungen nicht teilnehmen. Das gleiche gilt für Schweden und die Schweiz; auch von den übrigen EFTA-Staaten kann angenommen werden, daß sie außerhalb der politischen Integration bleiben werden. Die häufig vertretene Meinung, daß eine auf die Herstellung eines gemeinsamen Zollbereiches beschränkte Integration dem Zwang zu einer nachfolgenden politischen Integration unterliege, ist irrig. Natürlich bleibt die Integrationsteilnahme der Freihandelszonenländer nicht auf den Zollabbau allein beschränkt. Gewisse, rein ökonomische Harmonisierungsentwicklungen z. B. auf dem Gebiet des schon in anderem Zusammenhang erwähnten Patentrechtes werden folgen. Es wird sich jedoch wie bei allen anderen noch kommenden integrationsnotwendig-keiten ausschließlich um ökonomische Elemente handeln. Die drei neutralen Staaten und sehr wahrscheinlich auch die anderen Rest-EFTA-Staaten werden ihre Integrationsentwicklung daher dort abgrenzen, wo politische Integrationselemente notwendig würden.

Noch ein Gedanke zur Entwicklung der Freihandelszone mit der EG. Nach dem Globalvertrag werden also die Zölle für Industrieprodukte bis 1975 auf Null abgebaut sein, während für die sogenannten sensiblen Produkte eine längere Ab-bauzeit vorgesehen ist; es ist bekanntlich für Österreich eine recht unangenehme Bestimmung, weil sie wichtige österreichische Exportbranchen trifft. Das wird im übrigen noch dadurch erschwert, daß bei den zur EG beigetretenen EFTA-Staaten für diese Produkte innerhalb dieses verlängerten Zeitraumes die Zölle teilweise wieder aufgebaut werden. Es wäre daher Aufgabe der österreichischen Stellen, auf eine Beschleunigung des Zollabbaus für sensible Produkte zu drängen. Ein solcher Versuch muß absolut nicht als ein unmögliches Wunschdenken erscheinen, wurde doch sowohl innerhalb der EWG als auch der EFTA seinerzeit die ursprünglich vorgesehene Abbaufrist für Zölle durch Zusatzabkommen nicht unwesentlich verkürzt.

So stehen wir mitten in einer Phase, die deutlich erkennen läßt, daß die Integrationspolitik noch lange nicht abgeschlossen ist, uns aber die Gewißheit gibt, daß die Teilnahme Österreichs am großen westeuropäischen Gemeinsamen Markt nicht nur eine Notwendigkeit war, sondern eine Entwicklung darstellt, von der wir uns nicht ausschließen konnten und die uns schließlich den unseren Möglichkeiten und Bedürfnissen angemessenen Platz in der Weltwirtschaft sichern wird.

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