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Es war ein Jahr der Hochkonjunktur

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Das Jahr 1960 hat an die Wirtschaftspolitik große Anforderungen gestellt. Der Staat hat sich für 1961 Aufgaben vorgenommen, die die Anspannung aller Kräfte erfordern werden.

1960 war ein Jahr der Hochkonjunktur. Das Bruttonationalprodukt, die Erzeugung von Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, die Investitionen, die Zahl der Beschäftigten, die Einkommen der breiten Massen der Bevölkerung haben weiter zugenommen und damit der allgemeinen Lebenshaltung eine weitere Steigerung ermöglicht. Dadurch wurde eine Entwicklung fortgesetzt, die nach dem Kriege begonnen hat und nach der Stabilisierung und insbesondere nach dem Staatsvertrag kräftige Impulse erhalten hat.

An bedeutenden Einzelereignissen in der Wirtschaft im abgelaufenen Jahr möchte ich vor allem auf die günstige Ernte des heurigen Jahres, den großen Aufschwung der Eisenindustrie, die Eröffnung des österreichischen Reaktorzentrums in Seibersdorf, des modernen Flughafens in Wien-Schwechat und auf die Errichtung der neuen österreichischen Raffinerie hinweisen.

Was die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zum Ausland anlangt, war zweifellos die Ratifizierung und das Inkrafttreten des im Jahre 1959 unterzeichneten Vertrages über die Europäische Freihändels-Assoziation das wichtigste Ereignis. Wir sind der EFTA beigetreten, um angesichts der Bewegung zur europäischen Integration nicht isoliert zu bleiben, und in der Erwartung, daß die EFTA ein geeignetes Instrument für Verhandlungen sein werde, um eine größere Einheit für die Wirtschaft Europas zu erreichen. Der Beitritt zur EFTA hat sich insofern bewährt, als die Ausfuhr Österreichs in die assoziierten Staaten beträchtlich zugenommen hat. In manchen Relationen ist übrigens die Einfuhr noch stärker gestiegen. Übrigens hat auch die Einfuhr aus den Ländern der EWG beträchtlich zugenommen, und auch unsere Ausfuhr in diese Länder hat sich weiter erhöht. Alle diese Entwicklungen sind zweifellos im Zeichen der Hochkonjunktur zu sehen, die vor allem in den Industriestaaten Europas neue Rekorde aufwies. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß sowohl im Bereiche der EFTA wie der EWG der Abbau der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen im inneren Bereiche erst in bescheidenem Maße begonnen hat und sich auf die Handelsströme noch kaum ausgewirkt hat. Das wird sich bald ändern. Schon mit dem 1. Jänner 1961 beginnt in der EWG ein weiterer. Schritt zum Zollabbau im Innern und gleichzeitig ein Schritt zum gemeinsamen Zolltarif nach außen. Damit werden zweifellos die Diskriminierungen — besonders bei der Bundesrepublik Deutschland — empfindlicher werden. Unsere Erwartungen über baldige Verhandlungen zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken sind leider enttäuscht worden. Wir werden nicht versäumen, uns auch weiter mit allem Nachdruck für eine wirksame Annäherung einzusetzen.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Oststaaten haben sich recht günstig entwickelt. Die Ablöselieferungen auf Grund des USIA-Abkommens treten in ihr Endstadium. Alle Aufträge für diese Lieferungen sind bereits vergeben, sie werden bis Juli 1961 auszuliefern sein. Auch dies wird, wie bisher alle Verpflichtungen aus den Ablöseabkommen, pünktlich durchgeführt werden.

Die an diesen Lieferungen beteiligte österreichische Industrie war lebhaft daran interessiert, daß die Aufträge auch nach dem Juli 1961 in anderer Form — nämlich im kommerziellen Verkehr — fortgesetzt werden können. Das ist bis zu einem gewissen Grad erreicht worden. Im Herbst wurde ein fünfjähriges Warenverkehrsabkommen mit der Sowjetunion ab-geschlosssen, in dem alle bisher im Rahmen der Ablöselieferungen exportierte Waren berücksichtigt wurden, allerdings meistens mit verminderten Kontingenten. Im ganzen kann man erwarten, daß sich der Handel mit der Sowjetunion in den nächsten fünf Jahren weiter erhöhen wird.

Die Erdölwirtschaft wurde durch die Vereinbarungen, die im Sommer anläßlich des Besuches des sowjetischen Ministerpräsidenten in Österreich getroffen wurden, etwas entlastet. Seit 195 8 galt die Regelung, daß Österreich zwar weiter die im Moskauer Memorandum vorgesehenen Lieferungen von je 1 Million Tonnen Rohöl jährlich leistet, daß aber die Sowjetunion eine halbe Million Tonnen Rohöl — ebenfalls unentgeltlich — an Österreich liefert. Dieses wirtschaftlich nicht sehr sinnvolle Hin- und Herschicken wurde nun im heurigen Sommer für die noch ausstehenden Lieferjahre beendet. Von 1960/61 an führt also Österreich jährlich eine halbe Million Tonnen Rohöl an die Sowjetunion ab. Die sowjetischen Gegenlieferungen entfallen. Dies gilt bis zum Juli 1964. Die Leistung für das letzte Lieferjahr 1964/65 wurde gestrichen.

Ein Gegenstück zu dieser Bereinigung des Erdglkomplexes gegenüber der Sowjetunion bilden die im Frühjahr 1960 endlich zustande gebrachten Verträge zur Erfüllung des Wiener Memorandums vom 10. Mai 1955 über die Ansprüche der amerikanischen und englisch-niederländischen Erdölkonzerne.

Die Verhandlungen über eine endgültige Regelung des Komplexes der Counterpartmittel konnten trotz intensiven Bemühungen der Bundesregierung im Jahre 1960 noch nicht abgeschlossen werden. Wir erwarten, daß eine Regelung bald zustande kommen wird, die die Verwaltung dieses wichtigen Vermögensstockes in österreichische Hand legen und auch sicherstellen wird, daß die Zinsen und Rückzahlungen nur zu Investitionen in der Wirtschaft verwendet werden.

In sozialpolitischer Hinsicht sind in Österreich 1960 — mit praktischer Wirksamkeit meist ab 1. Jänner 1961 — entscheidende Schritte zur Besserstellung breiter Schichten der Bevölkerung getan worden. Hier ist (neben der Erhöhung der Mindestgehälter der Bundesangestellten) insbesondere die 8. Novelle zum ASVG zu nennen, durch die Arbeiter und Angestellte eine wesentlich verbesserte Altersversorgung erhalten. Seit langem gehegte Wünsche kommen dadurch der Erfüllung um einen großen Schritt näher. Daß diese Wünsche berechtigt sind, unterliegt keinem Zweifel. Die Renten waren bisher absolut niedrig, der Abstieg gegenüber den Aktivbezügen empfindlich. Als besondere Härte wurden die Ruhens- und Hemmungsbestimmungen empfunden, die 1956 aus staatsfinanziellen Gründen noch für unentbehrlich gehalten worden waren und jetzt zum größten Teil beseitigt, jedenfalls stark gemildert wurden.

Einen Erfolg von ähnlicher Bedeutung hat die •landwirtschaftliche Bevölkerung Österreichs dadurch errungen, daß das Landwirtschaftsgesetz nach jahrelangen Verhandlungen endlich durchgesetzt werden konnte.

Die Bejahung der Notwendigkeit einerseits der Rentenreform und anderseits des 'Landwirtschaftsgesetzes darf darüber nicht hinwegtäuschen, daß durch die mit diesen beiden Gesetzen verbundenen Leistungen und durch andere Ausgabensteigerungen eine ernste Belastung der Staatsfinanzen eingetreten ist. Ich bin nicht müde geworden, bei den Verhandlungen über das Budget, über die unerläßlich gewordenen Maßnahmen zur Erhöhung gewisser Einnahmen und überhaupt bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die zwingende Notwendigkeit hinzuweisen, die angespannten Staatsfinanzen durch Ersparungen, wo immer sie möglich werden, zu entlasten.

Dieser Zwang zur Sparsamkeit besteht nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und Gemeinden und nicht minder für die Privatwirtschaft und für das ganze Volk.

Daß die Zahlungsbilanz Österreichs passiv geworden ist, ist ein ernstes Warnungssignal. Der Einfuhrüberschuß ist 1960 stark gestiegen, der Fremdenverkehr konnte das Passivum nicht ausgleichen. Nichts könnte Österreichs wirtschaftliche Konsolidierung ernster gefährden als stärkere Preis- und Lohnerhöhungen. Es wird daher notwendig sein, jede neue Forderung an das Sozialprodukt zurückzustellen, bis die für 1961 und die folgenden Jahre beschlossenen Ausgabensteigerungen bewältigt worden sind. Dies wird auch eine Aufgabe der im Jahre 1960 mit neuen Kompetenzen ausgestatteten Paritätischen Kommission sein.

Sparsamkeit, Disziplin, nüchterne Beurteilung des Möglichen und Steigerung der Leistung auf allen Gebieten sind nötig, um die Gefahren der gegenwärtigen Staats- und volkswirtschaftlichen Lage zu überwinden und einen weiteren Aufstieg sicherzustellen.

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