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Wirtschaft zur Jahreswende

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Nur zu selbstverständlich darf Oesterreich von einem Jahr, das ohne die Bürde langjähriger Besetzung begonnen und in Freiheit und Selbständigkeit auch die freie wirtschaftliche Betätigung ermöglicht hat, sagen, daß es gut war. Wer also an der Schwelle zu 1957 alles nur in allem nimmt, der wird den beträchtlichen Aktivsaldo verzeichnen können, der letztlich in dem höheren Lebensstandard unseres Volkes zum Ausdruck kommt. Wenn etwas unsere Freude an dieser Entwicklung erheblich trüben kann, so sind es die erschütternden Vorgänge in unserem östlichen Nachbarland. Doch auch hier hilft die Prosperität der österreichischen Wirtschaft Staat und Volk, den zehntausenden Flüchtlingen, die sich innerhalb unserer Grenzen befinden, wirkungsvoller und tatkräftiger beizustehen, als dies in Notzeiten möglich wäre.

Wirtschaft zur Jahreswende — das ist ein weitgespanntes Thema. Wir wollen hier von der Finanz-, Währungs- und Budgetpolitik ebenso absehen wie von der Agrar- und Verkehrspolitik. Uebergroß bleibt die Zahl der Probleme, welche Industrie, Handel und Gewerbe von dem für sie in erster Linie zuständigen Ressort auf der Bundesebene betreut wissen wollen. Auch von diesen sind Handelspolitik und Außenhandel, Fremdenverkehr, Filmwirtschaft, Wirtschaftsförderung, Wasserversorgung, Wohnhaus-Wiederaufbau, Straßenbau und staatlicher Hochbau nur eine Auswahl.

Es herrscht allgemeine Uebereinstimmung darüber, daß die freie Marktwirtschaft ihre natürliche Grenze in den sozialen Forderungen des 20. Jahrhunderts finden muß. Der freie Handel eines kleinen Staates aber hat auch dort natürliche Beschränkungen zu finden, wo sein erfolgreicher wirtschaftlicher Wettbewerb durch völlig ungleiche Startbedingungen bedroht oder überhaupt unmöglich gemacht würde. Die Kleinheit des österreichischen Binnenmarktes, welche bei vielen Artikeln rationelle Erzeugungen kaum zuläßt, schafft somit von vornherein solche ungleiche Startbedingungen gegenüber Staaten, deren Exportpreise durch einen weit größeren Inlandsmarkt gestützt werden können. Aus diesen Umständen und aus der Tatsache, daß wir im Warenverkehr mit den Oststaaten einem totalen staatlichen Dirigismus gegenüberstehen, ergab sich die Notwendigkeit, der österreichischen Außenhandelswirtschaft als Rückhalt ein Gesetz zu bieten, das sie vor ernstlichen Schädigungen schützt. Das Außenhandelsgesetz, dessen Verabschiedung kürzlich möglich war, beschränkt jedoch die Freiheit der eigenen Wirtschaft nur im unbedingt notwendigen Ausmaß.

Erfreulich sind die Außenhandelsergebnisse, soweit sie bisher vom heurigen Jahr vorliegen: In den ersten zehn Monaten erreichten die Einfuhren mit 20,8 Milliarden Schilling einen um 12 Prozent höheren Wert als im Vorjahrszeitraum, während die Exporte sogar um 23 Prozent auf 18,1 Milliarden Schilling anstiegen. Demnach verringerte sich das Handelsbilanzdefizit von 3,8 Milliarden Schilling auf 2,7 Milliarden Schilling. Erst im Oktober überschritt die Ausfuhr erstmals die 2-Milliarden-SchiIling-Grenze, doch auch die Einfuhr erreichte mit 2,42 Milliarden Schilling einen neuen Höchstwert.

Um diese erfreuliche Entwicklung auch für die Zukunft zu sichern, ist es von Bedeutung, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, die österreichische Ausfuhr weiter zu steigern. Da die Einfuhr aus den OEEC-Staaten zu 90 Prozent, aus den USA und Kanada zu rund 40 Prozent keiner mengenmäßigen Beschränkung mehr unterliegt, muß dafür Sorge getragen werden, daß wir den dadurch ermöglichten Warenstrom in unser Land durch noch höhere Ausfuhren ausgleichen.

Organisatorische und steuerliche Maßnahmen, wie weiterer Ausbau des Netzes der Außenb^n-delsstellen, Abschluß neuer Handelsverträge, Beibehaltung der Umsatzsteuerrückvergütung, Wiedereinführung der vorzeitigen Abschreibung abnutzbarer Wirtschaftsgüter, Förderung inländischer Messen und Unterstützung der Beteiligung an ausländischen Messen, Ausfuhrförderungskredite, Risikohaftung des Bundes und nicht zuletzt die eheste Inkraftsetzung des neuen Zolltarifs werden auch künftige Erfolge im Außenhandel verbürgen.

In enger Beziehung zum Außenhandel steht der Fremdenverkehr. Konnte doch der Gegenwert der Deviseneingänge aus dem Ausländerreiseverkehr im Jahre 1955 mit 2,1 Milliarden Schilling nahezu die Hälfte des Defizits der Handelsbilanz ausgleichen. Im Jahre 1956, für das wir mit Deviseneingängen von rund 3 Milliarden Schilling und einem stark verringerten Handelsbilanzdefizit rechnen, wird dieser Anteil noch weit höher sein. So werfen alle im Dienste der Fremdenverkehrsförderung durchgeführten Maßnahmen der Werbung, der Investitionen auf dem Beherbergungssektor und bei den Seilbahnen, Sesselliften u. dgl., ein überaus wertvolles Erträgnis ab. Allein an ERP-Mitteln wurden seit 1950 rund 520 Millionen Schilling an 1456 Hotels und für 95 Verkehrsvorhaben ausgeschüttet, weitere 58 besatzungsgeschädigte Betriebe erhielten niedrig verzinsliche Bankkredite in der Gesamthöhe von rund 100 Millionen Schilling. Demgegenüber ist auf der Ertragseite ein weiterer Zuwachs zu buchen: in der Zeit von Jänner bis Oktober 1956 wurden insgesamt 13,76 Millionen Ausländernächtigungen in Oesterreich gezählt, d. s. um 17,5 Prozent mehr als in der gleichen Vorjahrsperiode. Die Deviseneinnahmen in den ersten zehn Monaten beliefen sich auf 2,82 Milliarden Schilling, d. s. um mehr als 40 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum.

Um ein anderes Kapitel herauszugreifen: In der Filmwirtschaft stehen die Austauschverträge mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Frankreich und Italien im Vordergrund. Besprechungen zur Ermöglichung bzw. Intensivierung des Filmaustausches sind mit Spanien, Mexiko, England und anderen Staaten eingeleitet. Die österreichische Produktion belief sich im Jahre 1956 auf 20 rein österreichische Spielfilme, 5 österreichisch-deutsche Gemeinschaftsproduktionen und eine größere Anzahl Kulturfilme. Der österreichische Werbefilm beginnt 'sich allmählich auch im Ausland durchzusetzen.

Die allgemeine Wirtschaftsförderung hat große Aufgaben zu erfüllen. Um insbesondere den vielen Betrieben des mittleren und kleinen Gewerbes und des Handels eine erleichterte Möglichkeit zu geben, sich durch Rationalisierung dem oftmals höheren Leistungsniveau im Ausland anzupassen, laufen zahlreiche Kreditaktionen. Diese sind noch zu vereinheitlichen und zu vereinfachen.

Aus dem Bauwesen einige Hinweise: Die verfügbaren Mittel für Wasserversorgung und Kanalisation, die als Bundesbeiträge gegeben werden können, stehen zum vorhandenen Bedarf in leider keinem Verhältnis. Man wird sich hier entweder um eine Anleihe umsehen oder ein neues Wasserbauförderungsgesetz schaffen müssen.

Im Wohnungsbau ist der im Handelsministerium eingerichtete Wohnhaus-Wiederaufbaufonds der größte .Finanzier der Nachkriegszeit. Bis Ende Oktober 1956 hatte der Fonds 8116 Ansuchen um Darlehen für den Wiederaufbau von kriegsbeschädigten oder -zerstörten Wohnungen mit einer Baukostensumme von 5,5 Milliarden Schilling bewilligt. Ueber 105.000 Wohnungen konnten damit wiedergewonnen werden. Noch offen waren zu diesem Zeitpunkt 25 50 Ansuchen mit 4,6 Milliarden Schilling und rund 45.000 Wohnungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der monatliche Einlauf neuer Ansuchen noch immer um rund 60 mit einer angesprochenen Bausumme von etwa 100 Millionen Schilling schwankt. Da die Mittel dej Wohnhaus-Wiederaufbaufonds auf Grund diverser Vorbelastungen immer geringer 'werden und auch eine Vorfinanzierung künftiger Fondskredite nicht mehr möglich ist, wird die Aufnahme einer Auslandsanleihe ernstlich erwogen.

Für die Erhaltung und den Ausbau der österreichischen Bundesstraßen wurden im Vorjahr rund 700 Millionen Schilling aufgewendet. Hierzu kommen weitere 450 Millionen Schilling für die Autobahn Wien—Salzburg. Im Jahre 1957 wird es im Hinblick auf die 50prozentige Kürzung des Investitionsprogramms der Bundesregierung zu einer Verlangsamung des Ausbautempos der Autobahn kommen. Nach einem von der Bundesstraßenverwaltung aufgestellten 15-Jahres-Programm sollen bis 1. Jänner 1972 rund 5600 km, d. s. 63 Prozent des gesamten Bundesstraßennetzes (8325) voll ausgebaut sein. Die Kosten der Erfüllung dieses Programms werden sich auf rund 20 Milliarden Schilling belaufen. Die generelle Trassenplanung für die Autobahn von Wien über Wr. Neustadt—Graz—Klagenfurt bis zur italienischen Grenze bei Tarvis wird nun in Angriff genommen, da — unbeschadet des tatsächlichen Baubeginns — diese Planung aus verschiedenen Gründen nicht früh genug anlaufen kann.

Im Bereiche der staatlichen Hochbauten konnte im heurigen Frühjahr mit der Vollendung des Wiederaufbaues des zerstörten Herrenhaussaales im Parlament die Behebung der Kriegsschäden praktisch abgeschlossen werden. Das Schwergewicht verlagert sich zunehmend auf den Neubau. Die 30prozentige Kürzung der Baukredite im nächstjährigen Haushalt wird allerdings die Inangriffnahme neuer Vorhaben um einige Zeit verzögern. In dieses Kapitel fällt auch die Instandsetzung bestehender und — im unbedingten Bedarfsfall — die Errichtung neuer Kasernen für die Zwecke des Bundesheeres. Hier war der Zustand der vorhandenen Objekte zum Teil infolge besonders arger Kriegsschäden, zum anderen Teil auf Grund der Inanspruchnahme durch die Besatzungstruppen vielfach sehr desolat.

So gibt es um die Jahreswende 1956/57 gleicherweise Anlaß zur Genugtuung über da bisher Geleistete wie Grund zur sorgsamen Beachtung vieler noch offener Probleme.

Die Jahreswende gibt bloß Gelegenheit, Rückblick und Ausblick zu halten. Die Wirtschaft ist etwas Lebendiges. Sie stellt den Menschen täglich vor neue Probleme. Wir werden sie meistern, wenn wir den Menschen in den Mittelpunkt unserer wirtschaftlichen Bemühungen stellen. Di Wirtschaft muß den Menschen dienen. Produktion und Produktivität. Rentabilität und Rationalität und, wie die Begriffe des Wirtschaftslebens auch alle heißen mögen, sie sind letzten Endes zu nichts anderem da, als die Grundlage für die gesamte Wirtschaft zu liefern und damit die Voraussetzung zu schaffen, den Lebensstandard der Menschen ständig zu heben. Unser Wünsche zum neuen lahr mögen in dem Vorsatz zusammengefaßt sein, die eigene Arbeitskraft diesem Ziele zur Verfügung zu stellen.

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